B  I  B  L  I  O  T  H  E  C  A    A  U  G  U  S  T  A  N  A
           
  Friedrich Schiller
1759 - 1805
     
   


A n t h o l o g i e
a u f   d a s   J a h r   1 7 8 2


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[187]
      Lied eines abwesenden
      Bräutigams.
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Verfliegen noch zwey Jahre, dann
      Nenn' ich mein Mädchen mein!
Und gieng es noch so schlimm, es kann
      Kein ganzes drüber seyn!
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Und die verfliegen wie der Wind –
      Zwar eine hübsche Zeit!
Doch die zwey längsten Jahre sind
      Lang keine Ewigkeit!

Und ist nicht diese ganze Zeit
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      Auch schon mein Mädchen mein?
Sie wirds gewiß nicht mehr als heut
      In zehen Jahren seyn!
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Zwar dann in meinen Armen mein,
      Und das ist freilich viel!
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Doch sich im Voraus drauf zu freun,
      Ist auch kein Kinderspiel.

Der Freude wird die Zeit nicht lang
      Und mir ist bis dahin
Deswegen nicht für Freuden bang
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      Weil ich nicht bey ihr bin:
Dann bin ichs nur, so giebt sie mir
      Solch einen Vorrath mit,
Der mich mit guter Laune schier
      Ein Vierteljahr versieht.

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Ein Kuß in einem Vierteljahr!
      Das macht das Jahr durch vier!
Das sind nur wenig – denkt ihr zwar
      Doch schmek ich die dafür
Die ich bekomme, mehr als ihr!
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      Bey euch ist's bloses Spiel,
Und erst vier Wochen drauf wird mir
      Die Wange wieder kühl!

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Zwey hab ich noch für heuer gut,
      Zwey hab ich schon geschmekt,
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Das fühlt ihr nie, wies einem thut
      Die ihr euch ewig lekt!
Zwey hab' ich jezt noch gut – die zwey
      Nicht einen gäb ich euch
Um tausend andre, meiner Treu!
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      Nicht um ein Königreich.

Den dritten hol' ich bald bey ihr!
      Wie fliegt die Zeit vorbey?
O Mädchen! Mädchen! bleibe mir
      Nur noch zwey Jahre treu.
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Zwar die verfliegen wie der Wind,
      Doch zur Beständigkeit
Du lieber Gott! – zwey Jahre sind
      Gar eine lange Zeit!

G.