B  I  B  L  I  O  T  H  E  C  A    A  U  G  U  S  T  A  N  A
           
  Friedrich Schiller
1759 - 1805
     
   


A n   d i e   F r e u d e .

Der Text folgt dem Erstdruck
in der Zeitschrift Thalia, 1786,
1. Band, 2. Heft, S. 1-5
(Projekt Zeitschriften der Aufklärung
Universitätsbibliothek Bielefeld)


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[1]


T h a l i a .
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Zweytes Heft
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I.
An die Freude.
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Freude, schöner Götterfunken,
      Tochter aus Elisium,
Wir betreten feuertrunken
      Himmlische, dein Heiligthum.
5
Deine Zauber binden wieder,
      was der Mode Schwerd getheilt;
Bettler werden Fürstenbrüder,
      wo dein sanfter Flügel weilt.

      C h o r .
      Seid umschlungen, Millionen!
10
            Diesen Kuß der ganzen Welt!
            Brüder – überm Sternenzelt
      muß ein lieber Vater wohnen.

[2]
Wem der große Wurf gelungen,
      eines Freundes Freund zu seyn;
15
wer ein holdes Weib errungen,
      mische seinen Jubel ein!
Ja – wer auch nur eine Seele
      sein nennt auf dem Erdenrund!
Und wer's nie gekonnt, der stehle
20
      weinend sich aus diesem Bund!

      C h o r .
      Was den großen Ring bewohnet,
            huldige der Simpathie!
            Zu den Sternen leitet sie,
      Wo der Unbekannte tronet.

25
Freude trinken alle Wesen
      an den Brüsten der Natur,
Alle Guten, alle Bösen
      folgen ihrer Rosenspur.
Küße gab sie uns und Reben,
30
      einen Freund, geprüft im Tod.
Wollust ward dem Wurm gegeben,
      und der Cherub steht vor Gott.

      C h o r .
      Ihr stürzt nieder, Millionen?
            Ahndest du den Schöpfer, Welt?
35
            Such' ihn überm Sternenzelt,
      über Sternen muß er wohnen.

[3]
Freude heißt die starke Feder
      in der ewigen Natur.
Freude, Freude treibt die Räder
40
      in der großen Weltenuhr.
Blumen lockt sie aus den Keimen,
      Sonnen aus dem Firmament,
Sphären rollt sie in den Räumen,
      die des Sehers Rohr nicht kennt!

      C h o r .
45
      Froh, wie seine Sonnen fliegen,
            durch des Himmels prächtgen Plan,
            Laufet Brüder eure Bahn,
      freudig wie ein Held zum siegen.

Aus der Wahrheit Feuerspiegel
50
      lächelt sie den Forscher an.
Zu der Tugend steilem Hügel
      leitet sie des Dulders Bahn.
Auf des Glaubens Sonnenberge
      sieht man ihre Fahnen wehn,
55
Durch den Riß gesprengter Särge
       sie im Chor der Engel stehn.

      C h o r .
      Duldet mutig, Millionen!
            Duldet für die beßre Welt!
            Droben überm Sternenzelt
60
      wird ein großer Gott belohnen.

[4]
Göttern kann man nicht vergelten,
      schön ists ihnen gleich zu seyn.
Gram und Armut soll sich melden
      mit den Frohen sich erfreun.
65
Groll und Rache sei vergessen,
      unserm Todfeind sei verziehn.
Keine Thräne soll ihn pressen,
      keine Reue nage ihn.

      C h o r .
      Unser Schuldbuch sei vernichtet!
70
            ausgesöhnt die ganze Welt!
            Brüder – überm Sternenzelt
      richtet Gott wie wir gerichtet.

Freude sprudelt in Pokalen,
      in der Traube goldnem Blut
75
trinken Sanftmut Kannibalen,
      Die Verzweiflung Heldenmut – –
Brüder fliegt von euren Sitzen,
      wenn der volle Römer kraißt,
Laßt den Schaum zum Himmel sprützen:
80
      Dieses Glas dem guten Geist.

      C h o r .
      Den der Sterne Wirbel loben,
            Den des Seraphs Hymne preist,
             Dieses Glas dem guten Geist,
      überm Sternenzelt dort oben!

[5]
Festen Mut in schwerem Leiden,
      Hülfe, wo die Unschuld weint,
Ewigkeit geschwornen Eiden,
      Wahrheit gegen Freund und Feind,
Männerstolz vor Königstronen –
90
      Brüder, gält' es Gut und Blut –
Dem Verdienste seine Kronen,
      Untergang der Lügenbrut!

      C h o r .
      Schließt den heilgen Zirkel dichter,
            schwört bei diesem goldnen Wein:
95
            Dem Gelübde treu zu sein,
      schwört es bei dem Sternenrichter!

Rettung von Tirannenketten,
      Großmut auch dem Bösewicht,
Hoffnung auf den Sterbebetten,
100
      Gnade auf dem Hochgericht!
Auch die Toden sollen leben!
      Brüder trinkt und stimmet ein,
Allen Sündern soll vergeben,
      Und die Hölle nicht mehr seyn.

      C h o r .
105
      Eine heitre Abschiedsstunde!
            süßen Schlaf im Leichentuch!
            Brüder – einen sanften Spruch
      aus des Todtenrichters Munde!