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B  I  B  L  I  O  T  H  E  C  A    A  U  G  U  S  T  A  N  A
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
  Johann Gottfried Schnabel
vor 1692 - nach 1750

 
 
   
   



W u n d e r l i c h e
F a t a   e i n i g e r
S e e f a h r e r


1 .   T e i l   ( 1 7 3 1 )
S e i t e   [ I - X ]


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     V o r r e d e .


     Geneigter Leser!

ES wird dir in folgenden Blättern eine Geschichts=Beschreibung vorgelegt, die, wo du anders kein geschworner Feind von dergleichen Sachen bist, oder dein Gehirne bey Erblickung des Titul=Blates nicht schon mit widerwärtigen Præjudiciis angefüllet hast, ohnfehlbar zuweilen etwas, ob gleich nicht alles, zu besonderer Gemüths=Ergötzung überlassen, und also die geringe Mühe, so du dir mit Lesen und Durchblättern gemacht, gewisser massen recompensiren kan.

     Mein Vorsatz ist zwar nicht, einem oder dem andern dieses Werck als einen vortrefflich begeisterten und in meinen Hoch=Teutschen Stylum eingekleideten Staats Cörper anzuraisoniren; sondern ich will das Urtheil von dessen Werthe, dem es beliebt, überlassen, und da selbiges vor meine Parthie nicht allzu vortheilhafftig klappen solte, weiter nichts sagen, als: Haud curat Hippoclides. Auf Teutsch:

     Sprecht, was ihr wolt, von mir und Julio dem Sachsen,
     Ich lasse mir darum kein graues Härlein wachsen.

[II] Allein, ich höre leyder! schon manchen, der nur einen Blick darauf schiessen lassen, also raisoniren und fragen: Wie hälts, Landsmann! kan man sich auch darauf verlassen, daß deine Geschichte keine blossen Gedichte, Lucianische Spaas=Streiche, zusammen geraspelte Robinsonaden=Späne und dergleichen sind? Denn es werffen sich immer mehr und mehr Scribenten auf, die einem neu=begierigen Leser an diejenige Nase, so er doch schon selbst am Kopffe hat, noch viele kleine, mittelmäßige und grosse Nasen drehen wollen.

     Was gehöret nicht vor ein Baum=starcker Glaube darzu, wenn man des Herrn von Lydio trenchirte Insul als eine Wahrheit in den Back=Ofen seines physicalischen Gewissens schieben will? Wer muß sich nicht vielmehr über den Herrn Geschicht=Schreiber P. L. als über den armen Einsiedler Philipp Quarll selbst verwundern, da sich der erstere gantz besondere Mühe giebt, sein, nur den Mondsüchtigen gläntzendes Mährlein, unter dem Hute des Hrn. Dorrington, mit demüthigst=ergebensten Flatterien, als eine brennende Historische Wahrheits=Fackel aufzustecken? Die Geschicht von Joris oder Georg Pines hat seit ao. 1667. einen ziemlichen Geburths= und Beglaubigungs=Brief erhalten, nachdem aber ein Anonymus dieselbe aus dem Englischen übersetzt haben will, und im Teutschen, als ein Gerichte Sauer=Kraut mit Stachelbeeren vermischt, aufgewärmet hat, ist eine solche Ollebutterie daraus worden, daß man kaum die gantz zu Matsche gekochten Brocken der Wahrheit, noch auf dem Grunde der langen Titsche finden kan. Woher denn kommt, daß ein jeder, der diese Ge=[III]schicht nicht schon sonsten in andern Büchern gelesen, selbige vor eine lautere Fiction hält, mithin das Kind sammt dem Badewasser ausschüttet. Gedencket man ferner an die fast unzählige Zahl der Robinsons von fast allen Nationen, so wohl als andere Lebens=Beschreibungen, welche meistentheils die Beywörter: Wahrhafftig, erstaunlich, erschrecklich, noch niemahls entdeckt, unvergleichlich, unerhört, unerdencklich, wunderbar, bewundernswürdig, seltsam und dergleichen, führen, so möchte man nicht selten Herr Ulrichen, als den Vertreiber eckelhaffter Sachen, ruffen, zumahlen wenn sich in solchen Schrifften lahme Satyren, elender Wind, zerkauete Moralia, überzuckerte Laster=Morsellen, und öffters nicht 6. rechtschaffene oder wahre Historische Streiche antreffen lassen. Denn ===

     Halt inne, mein Freund! Was gehet mich dein gerechter oder ungerechter Eiffer an? Meinest du, daß ich dieserwegen eine Vorrede halte? Nein, keines weges. Laß dir aber dienen! Ohnfehlbar must du das von einem Welt=berühmten Manne herstammende Sprichwort: Viel Köpffe, viel Sinne, gehöret oder gelesen haben. Der liebe Niemand allein, kan es allen Leuten recht machen. Was dir nicht gefällt, charmirt vielleicht 10., ja 100. und wohl noch mehr andere Menschen. Alle diejenigen, so du anitzo getadelt hast, haben wohl eine gantz besondere gute Absicht gehabt, die du und ich erstlich errathen müssen. Ich wolte zwar ein vieles zu ihrer Defension anführen, allein, wer weiß, ob mit meiner Treuhertzigkeit Danck zu verdienen sey? Uber dieses, da solche Autores vielleicht klüger und geschickter sind als Du und ich, so werden sie [IV] sich, daferne es die Mühe belohnt, schon bey Gelegenheit selbst verantworten.

     Aber mit Gunst und Permission zu fragen: Warum soll man denn dieser oder jener, eigensinniger Köpffe wegen, die sonst nichts als lauter Wahrheiten lesen mögen, nur eben lauter solche Geschichte schreiben, die auf das kleineste Jota mit einem cörperlichen Eyde zu bestärcken wären? Warum soll denn eine geschickte Fiction, als ein Lusus Ingenii, so gar verächtlich und verwerfflich seyn? Wo mir recht ist, halten ja die Herren Theologi selbst davor, daß auch in der Heil.Bibel dergleichen Exempel, ja gantze Bücher, anzutreffen sind. Sapienti sat. Ich halte davor, es sey am besten gethan, man lasse solcher Gestalt die Politicos ungehudelt, sie mögen schreiben und lesen was sie wollen, solte es auch gleich dem gemeinen Wesen nicht eben zu gantz besondern Vortheil gereichen, genug, wenn es demselben nur keinen Nachtheil und Schaden verursachet.

     Allein, wo gerathe ich hin? Ich solte Dir, geneigter Leser, fast die Gedancken beybringen, als ob gegenwärtige Geschichte auch nichts anders als pur lautere Fictiones wären? Nein! dieses ist meine Meynung durchaus nicht, jedoch soll mich auch durchaus niemand dahin zwingen, einen Eyd über die pur lautere Wahrheit derselben abzulegen. Vergönne, daß ich deine Gedult noch in etwas mißbrauche, so wirst du erfahren wie diese Fata verschiedener See=Fahrenden mir fato zur Beschreibung in die Hände gekommen sind:

     Als ich im Anfange dieses nun fast verlauffenen Jahres in meinen eigenen Verrichtungen eine ziemlich weite Reise auf der Land=Kutsche zu thun genö=[V]thiget war, gerieth ich bey solcher Gelegenheit mit einen Literato in Kundschafft, der eine gantz besonders artige Conduite besaß. Er ließ den gantzen Tag über auf den Wagen vortrefflich mit sich reden und umgehen, so bald wir aber des Abends gespeiset, muste man ihm gemeiniglich ein Licht alleine geben, womit er sich von der übrigen Gesellschafft ab= und an einen andern Tisch setzte, solchergestalt beständig diejenigen geschriebenen Sachen laß, welche er in einem zusammen gebundenen Paquet selten von Abhänden kommen ließ. Sein Beutel war vortrefflich gespickt, und meine Person, deren damahliger Zustand eine genaue Wirthschafft erforderte, profitirte ungemein von dessen generositeé, welche er bey mir, als einem Feinde des Schmarotzens, sehr artig anzubringen wuste. Dannenhero gerieth ich auf die Gedancken, dieser Mensch müsse entweder ein starcker Capitaliste oder gar ein Adeptus seyn, indem er so viele güldene Species bey sich führete, auch seine besondere Liebe zur Alchymie öffters in Gesprächen verrieth.

     Eines Tages war dieser gute Mensch der erste, der den blasenden Postillon zu Gefallen hurtig auf den Wagen steigen wolte, da mittlerweile ich nebst zweyen Frauenzimmern und so viel Kauffmanns=Dienern in der Thür des Gast=Hofs noch ein Glaß Wein ausleereten. Allein, er war so unglücklich, herunter zu stürtzen, und da die frischen Pferde hierdurch schüchtern gemacht wurden, gingen ihm zwey Räder dermassen schnell über den Leib und Brust, daß er so gleich halb todt zurück in das Gast=Hauß getragen werden muste.

     Ich ließ die Post fahren, und blieb bey diesen [VI] im grösten Schmertzen liegenden Patienten, welcher, nachdem er sich um Mitternachts=Zeit ein wenig ermuntert hatte, alsofort nach seinem Paquet Schrifften fragte, und so bald man ihm dieselben gereicht, sprach er zu mir: Mein Herr! nehmet und behaltet dieses Paquet in eurer Verwahrung, vielleicht füget euch der Himmel hierdurch ein Glücke zu, welches ich nicht habe erleben sollen. Hierauf begehrete er, daß man den anwesenden Geistlichen bey ihm allein lassen solte, mit welchen er denn seine Seele wohl berathen, und gegen Morgen das Zeitliche mit dem Ewigen verwechselt hatte.

     Meinen Gedancken nach hatte ich nun von diesem andern Jason das güldene Fell ererbet, und vermeinte, ein Besitzer der allersichersten alchimistischen Processe zu seyn. Aber weit gefehlt! Denn kurtz zu sagen, es fand sich sonst nichts darinnen, als Albert Julii Geschichts=Beschreibung und was Mons. Eberhard Julius, zur Erläuterung derselben, diesem unglücklichen Passagier sonsten beygelegt und zugeschickt hatte.

     Ohngeacht aber meine Hoffnung, in kurtzer Zeit ein glücklicher Alchymiste und reicher Mann zu werden, sich gewaltig betrogen sahe, so fielen mir doch beym Durchlesen dieser Sachen, verschiedene Passagen in die Augen, woran mein Gemüth eine ziemliche Belustigung fand, und da ich vollends des verunglückten Literati besonderen Brief=Wechsel, den er theils mit Mons. Eberhard Julio selbst, theils mit Herrn G. v. B in Amsterdam, theils auch mit Herrn H.W.W. in Hamburg dieses Wercks wegen eine Zeit her geführet, dabey [VII] antraff, entbrandte sogleich eine Begierde in mir, diese Geschicht selbst vor die Hand zu nehmen, in möglichste Ordnung zu bringen, und hernach dem Drucke zu überlassen, es möchte gleich einem oder den andern viel, wenig oder gar nichts daran gelegen seyn, denn mein Gewissen rieth mir, diese Sachen nicht liederlicher Weise zu vertuschen.

     Etliche Wochen hierauf, da mich das Glück unverhofft nach Hamburg führete, gerieth ich gar bald mit dem Herrn W. in Bekandtschafft, eröffnete demselben also die gantze Begebenheit des verunglückten Passagiers, wie nicht weniger, daß mir derselbe vor seinem Ende die und die Schrifften anvertrauet hätte, wurde auch alsobald von diesem ehrlichen Manne durch allerhand Vorstellungen und Persuasoria in meinem Vorhaben gestärckt, anbey der Richtigkeit dieser Geschichte, vermittelst vieler Beweißthümer, vollkommen versichert, und belehret, wie ich mich bey Edirung derselben zu verhalten hätte.

     Also siehest du, mein Leser, daß ich zu dieser Arbeit gekommen bin, wie jener zur Maulschelle, und merckest wohl, daß mein Gewissen von keiner Spinnewebe gewürckt ist, indem ich eine Sache, die man mir mit vielen Gründen als wahr und unfabelhafft erwiesen, dennoch niemanden anders, als solchergestalt vorlegen will, daß er darvon glauben kan, wie viel ihm beliebt. Demnach wird hoffentlich jeder mit meiner generositeé zufrieden seyn können.

     Von dem übrigen, was sonsten in Vorreden pflegt angeführet zu werden, noch etwas weniges [VIII] zu melden, so kan nicht läugnen, daß dieses meine erste Arbeit von solcher Art ist, welche ich in meiner Hertz=allerliebsten Deutschen Frau Mutter=Sprache der Presse unterwerffe. Nimm also einem jungen Anfänger nicht übel, wenn er sein erstes Händewerck so frey zur Schaue darstellet, selbiges aber dennoch vor kein untadelhafftes Meister=Stücke ausgiebt.

     An vielen Stellen hätte ich den Stylum selbst ziemlich verbessern können und wollen, allein, man forcirte mich, die Herausgabe zu beschleunigen. Zur Mundirung des Concepts liessen mir anderweitige wichtige Verrichtungen keine Zeit übrig, selbiges einem Copisten hinzugeben, möchte vielleicht noch mehr Händel gemacht haben. Hier und dort aber viel auszustreichen, einzuflicken, Zeichen zu machen, Zettelgen beyzulegen und dergleichen, schien mir zu gefährlich, denn wie viele Flüche hätte nicht ein ungedultiger Setzer hierbey ausstossen können, die ich mir alle ad animum revociren müssen.

     Ich weiß, was mir Mons. Eberhard Julii kunterbunde Schreiberey quoad formam vor Mühe gemacht, ehe die vielerley Geschichten in eine ziemliche Ordnung zu bringen gewesen. Hierbey hat mir nun allbereits ein guter Freund vorgeworffen, als hätte ich dieselben fast gar zu sehr durch einander geflochten, und etwa das Modell von einigen Romainen=Schreibern genommen, allein, es dienet zu wissen, daß Mons. Eberhard Julius selbst das Kleid auf solche Façon zugeschnitten hat, dessen Gutbefinden mich zu widersetzen, und sein Werck ohne Ursach zu hofemeistern, ich ein billiges Be=[IX]dencken getragen, vielmehr meine Schuldigkeit zu seyn erachtet, dieses von ihm herstammende Werck in seiner Person und Nahmen zu demonstriren. Uber dieses so halte doch darvor, und bleibe darbey, daß die meisten Leser solchergestalt desto besser divertirt werden. Beugen doch die Post=Kutscher auch zuweilen aus, und dennoch moquirt sich kein Passagier drüber, wenn sie nur nicht gar stecken bleiben, oder umwerffen, sondern zu gehöriger Zeit fein wieder in die Gleisen kommen.

     Nun solte mich zwar bey dieser Gelegenheit auch besinnen, ob ich als ein Recroute unter den Regimentern der Herrn Geschichts=Beschreiber, dem (s. T. p.) Hochgeöhrten und Wohlnaseweisen Herrn Momo, wie nicht weniger dessen Dutz=Bruder, Herrn Zoilo, bey bevorstehender Revüe mit einer Spanischen Zähnfletzschenden grandezze, oder Pohlnischen Sub=Submission entgegen gehen müsse? Allein, weil ich die Zeit und alles, was man dieser Confusionarien halber anwendet, vor schändlich verdorben schätze, will ich kein Wort mehr gegen sie reden, sondern die übrigen in mente behalten.

     Solte aber, geneigter Leser! dasjenige, was ich zu diesem Wercke an Mühe und Fleisse beygetragen, von Dir gütig und wohl aufgenommen werden, so sey versichert, daß in meiner geringen Person ein solches Gemüth anzutreffen, welches nur den geringsten Schein einer Erkänntlichkeit mit immerwährenden Dancke zu erwiedern bemühet lebt. Was an der Vollständigkeit desselben annoch ermangelt, soll, so bald als möglich, hinzu=[X]gefügt werden, woferne nur der Himmel Leben, Gesundheit, und was sonsten darzu erfordert wird, nicht abkürtzet. Ja ich dürffte mich eher bereden, als meinen Ermel ausreissen lassen, künfftigen Sommer mit einem curieusen Soldaten=Romain heraus zu rutschen, als worzu verschiedene brave Officiers allbereit Materie an die Hand gegeben, auch damit zu continuiren versprochen. Vielleicht trifft mancher darinnen vor sich noch angenehmere Sachen an, als in Gegenwärtigen.

     Von den vermuthlich mit einschleichenden Druck=Fehlern wird man mich gütigst absolviren, weil die Druckerey allzuweit von dem Orte, da ich mich aufhalte, entlegen ist, doch hoffe, der sonst sehr delicate Herr Verleger werde sich dieserhalb um so viel desto mehr Mühe geben, solche zu verhüten. Letzlich bitte noch, die in dieser Vorrede mit untergelauffenen Schertz=Worte nicht zu Poltzen zu drehen, denn ich bin etwas lustigen humeurs, aber doch nicht immer. Sonsten weiß vor dieses mahl sonderlich nichts zu erinnern, als daß ich nach Beschaffenheit der Person und Sachen jederzeit sey,

     Geneigter Leser,

     Dein
     dienstwilliger
     G I S A N D E R .

     den 2. Dec. 1730.


 
 
 
 
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