BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Christian Friedrich Daniel Schubart

1739 - 1791

 

Gedichte

 

1788-1791

 

____________________________________________________________

 

 

 

Der sterbende Patriot (1788)

Die Wucherer (1788)

Mars an die Welt (1788)

Europa an Mars (1788)

[Deutsche und Franzosen] (1788)

Zeichen der Zeit (1789)

[Freiheit] (1789)

Deutscher Freiheitsgeist (1789)

Auf eine Bastilltrümmer von der Kerkertüre Voltaires (1789)

An die Herrscher der Erde (1790)

[An die Friedensgöttin] (1790)

Grabschrift (1790)

[Der Friede] (1790)

 

 

Der sterbende Patriot

(1788)

 

Totengräber, schaufle mir ein Grab.

Immer tiefer

Sinkt mein liebes Vaterland hinab.

Totengräber, schaufle mir ein Grab.

5

In den alten Eichenwäldern stand

Einst die Größe,

Schüttelte ein Wetter in der Hand.

Schrecklich warst du, deutsches Vaterland.

 

Aber nun – wie schrümpft die Riesin ein!

10

Buben lichten

Unsrer alten Größe Schattenhain,

Und das graue Heldenland wird klein.

 

Auslandsliebe, Weiberweichlichkeit,

Freches Knien

15

Vor dem Modegötzen unsrer Zeit

Hat dich, armes Vaterland, entweiht.

 

Vaterland, das mir mein Leben gab,

Sieh mich weinen;

Dann wie tief! wie tief sinkst du hinab!! –

20

Totengräber, schaufle mir ein Grab.

 

 

Die Wucherer

(1788)

 

Ein Volkslied

 

Im großen Dorfe Haberstätt

Geht's um.

Sobald der Wächter Zwölfe ruft,

Rumort's daher, saust in der Luft

5

Und rast im Dorf.herum.

 

Zwölf Geister heulen fürchterlich:

«O weh!

Der Fluch der Sünde macht uns bang,

Verworfen hat uns – ach wie lang!

10

Der Rächer in der Höh.»

 

Da schlingt das Weib sich um den Mann

Herum.

Die Kindlein schlüpfen unters Bett.

Und alles ist zu Haberstätt

15

Vor Todesängsten stumm.

 

Wie betet da das ganze Dorf

So heiß:

Wir arme Bauren bitten dich,

Gott, treibe von uns gnädiglich

20

Dies höllische Geschmeiß!

 

Der Pfarrer, der im Swedenborg

Studiert

Und als ein tiefgelehrter Mann

Mit allen Geistern sprechen kann,

25

Wagt es – und exorziert.

 

Vom Grabe eines Frommen sprach

Der Mann:

«Ihr Geister aus dem Schattenreich,

Im Namen Gottes frag ich euch:

30

Sagt, was habt ihr getan?» –

 

Da kam ein Geist, wie Säulenrauch

Von Torf.

Dem Pfarrer bebt das Herz wie Sulz.

Hohl sprach der Geist: «Ich war der Schulz

35

Einmal in diesem Dorf.

 

Dies war ein Müller, der ein Wirt,

Und der

Schulmeister gar; die andre acht

Sind Bauren, durch des Teufels Macht

40

Sind wir zwölf Wucherer.

 

Auf unsern Böden lag die Frucht

Wie Sand.

Oft gab der Himmel Fruchtbarkeit;

Doch wir erschufen teure Zeit

45

Gar weit umher im Land.

 

Dann Korn und Wein verschlossen wir

Mit Fleiß.

Und brach herein die Hungersnot;

Verkauften wir erst Wein und Brot

50

Um teuflisch hohen Preis.

 

Wir haben uns mit Armenblut

Genährt.

Wir haben der Bedrängten Schrei,

Geblendet von der Täuscherei

55

Des Wuchers, nicht gehört.

 

Wir starben. Geister peitschten uns

Hinab.

Dreihundert Jahre sind es bald,

Daß solchen Greuelaufenthalt

60

Uns Gottes Rache gab.

 

Doch wird vom Fluch einst unser Geist

Befreit,

Wenn's hier im Dorf zwölf Bauren gibt,

Wo jeder Treu und Glauben liebt

65

Und schwarzen Wucher scheut.

 

O weh, es schaurt der Morgen schon;

Fort, Fort!

O weh, noch werden wir nicht los.

Des Jahres Segen ist zu groß. –

70

Hinab an unsern Ort!»

 

Husch, rasselt's fort. Der Pfarrer fiel

Aufs Knie

Und bat: «Verwirf uns nicht im Grimm,

Die Bauren sind doch gar zu schlimm:

75

Ach Herr, bekehre sie!

 

Du gabst uns, Gott, ein gutes Jahr.

Doch laurt

Der Wuchrer schon, wie er die Frucht

In Scheunen zu verbergen sucht

80

Und unsern Wein vermaurt.»

 

Verschlossen ist, o Wucherer,

Dein Herz.

Doch harre, Sünder, bald zerbricht

Es Gottes Donner am Gericht

85

Mit unnennbarem Schmerz.

 

 

Mars an die Welt

(1788)

 

O laßt mich gehn, ihr Herrn Poeten,

Die Welt hat's Schütteln hoch vonnöten.

Sie ist so wunderwinzig klein,

Zu aufgeklärt, zu überfein.

5

Es würden selbst der Deutschen Knochen

In kurzer Zeit zu Brei verkochen,

Wenn ich nicht selbst Tuiskons Land

Durchrüttelte mit erzner Hand.

Drum flucht mir nicht, ihr Herrn Poeten,

10

Mich hat die Welt gar hoch vonnöten;

Klein wird sie in des Friedens Schoß,

In meinem aber wird sie groß.

 

 

Europa an Mars

(1788)

 

Tritt nicht so stolz einher, des Orkus' schwarzer Bote,

Tritt nicht so hoch und stolz daher!

Und suche Menschenopfer – dem Tode

Geweiht zu Land und Meer.

 

5

Dich haßt der Himmel; denn du bist ein Ungeheuer;

Hast deine Lust an grimmer Wut.

Am praßlenden, hüttenzerstörenden Feuer

Und am zischenden Blut.

 

Wenn Scharen vor dir kriechen wie Gespenster,

10

Von Gram und Hunger zur Erde gedrückt,

Und wenn der arme Greis durchs Schindelfenster

Gen Himmel um Erbarmen blickt;

 

Wenn dich verfluchen friedgewohnte Bürger;

Und nennt dich Mutter und Braut

15

Mörder des Sohns und Bräutigamwürger;

So lachst, so spottest du laut.

 

Dann dich ergötzt ein Schlachtfeld voller Leichen

Und der Verzweiflung vorgepreßter Blick.

Der Sterbenden Blutatmen, Röcheln, Keuchen

20

Ist deinen Ohren Musik.

 

Doch harre nur, der Thronengott im Himmel

Schwingt schon den Donner rachevoll,

Der, Mörder, dich im Sturmgetümmel

In Orkus wälzen soll.

 

 

[Deutsche und Franzosen]

(1788)

 

Was holt vom Nachbarn nicht sich über unsern Rhein

Mein Landsmann alles her? Die Moden, Kochkunst, Wein,

Die Sprache, die er gern statt seiner eignen spricht,

Nur daß er sie zu öfters radebricht.

 

5

Doch daß der Gallier sein Land vor allen ehrt,

Bei Rang und bei Geburt auch Kunst und Wissen schätzet,

Durch richtigen Geschmack, durch feinen Witz ergötzet,

Oh, würde das von ihm der Deutsche mehr gelehrt!

 

 

Zeichen der Zeit

(1789)

 

«Des Himmels Gestalt wißt ihr zu beurteilen:

Aber die Zeichen der Zeit prüfet ihr nicht.»

Christus.

 

Hebt eure Hände, ihr Erdebewohner,

Hebt sie zum hohen gewaltigen Throner

Eure gefalteten Hände empor!

Weinet dem Schwinger des Donners

5

Eure Empfindungen vor.

 

Zornig erblickt Er die sündige Erde.

Engel des Todes mit ernster Gebärde

Hat Er vom Throne heruntergesandt,

Strafende Schwerter und Ruten

10

Trägt ihre mächtige Hand.

 

Blutgeschrei brüllet am Osten und Norden!

Zahllose Streiter, gedungen zum Morden,

Heben die nervigen Arme voll Wut.

Blut färbt die Scholle der Erde,

15

Rötet die Welle der Flut.

 

Grausamkeit wandelt mit Blicken des Tigers

Schnaubend nach Leichen, zur Seite des Kriegers;

Tröpfelnde Köpfe verbleichen am Speer.

Wieherer hauen wie Flammen

20

Unter dem tobenden Heer.

 

A b e t ,  der wilden Verzweiflung Geselle,

A u f r u h r ,  der schwärzeste Dämon der Hölle,

Schwingt dort die Fackel in Schwefel getaucht.

Ha, wie sein Mordstahl vom Blute

25

Großer Gemordeten raucht!

 

Grimmig empört sich das Gallische Eden,

Bürger ergreifen die Waffen und töten. –

Hört, wie des Aufruhrs Trommete erschallt!

Unter den Fäusten der Wüter

30

Beugt sich die Königsgewalt.

 

Freiheit! so donnert's von Gauen zu Gauen.

Und die Gewalttat mit eisernen Klauen

Mahnet getürmte Paläste zu Sand.

Mächtige Frevler verröcheln

35

Unter der Rächenden Hand.

 

Freiheit! herunter vom Himmel gekommen

Hohe Gespielin der Weisen und Frommen!

Edleren bringst du nur Segen und Ruh';

Aber ein Schwert in den Händen

40

Rasender Völker bist du.

 

Fort aus dem Dränge des wilden Getümmels!

Seht ihr's? da bersten die Schläuche des Himmels

Ströme verwüsten die Felder in Zorn.

Dorten am Gipfel der Weide

45

Faulet ernährendes Korn.

 

Gott, bist du müde die Völker zu dulden?

Sind sie zu Bergen getürmet die Schulden?

Rüstest die strafenden Donner du schon?

Tönet des Weltgerichts Glocke

50

Bald mit gewaltigem Ton?

 

Rufe die Engel des Todes zurücke!

Lächle uns wieder mit segnendem Blicke;

Vater, sieh weinende Kinder vor dir.

Sprich zu den tobenden Völkern:

55

«Völker, seid stille vor mir!»

 

 

[Freiheit]

(1789)

 

O Freiheit, Freiheit, Gottes Schoß entstiegen,

Du aller Wesen seligstes Vergnügen,

An tausendfachen Wonnen reich,

Machst du die Menschen – Göttern gleich.

 

5

Wo find ich dich, wo hast du deine Halle?

Damit auch ich anbetend niederfalle;

Dann ewig glücklich – ewig frei

Ein Priester deines Tempels sei.

 

Einst walltest du so gern in Deutschlands Hainen

10

Und ließest dich vom Mondenlicht bescheinen.

Und unter Wodanseichen war

Dein unentweihtester Altar.

 

Es sonnte Hermann sich in deinem Glanze.

An deine Eiche lehnt' er seine Lanze,

15

Und ach, mit mütterlicher Lust

Drückst du den Deutschen an die Brust.

 

Bald aber scheuchten Fürsten deinen Frieden

Und Pfaffen, die so gerne Fesseln schmieden;

Da wandtest du dein Angesicht,

20

Wo Fesseln rasseln, bist du nicht.

 

Dann flogst du zu den Schweizern, zu den Briten;

Warst seltner in Palästen als in Hütten;

Auch bautest du ein leichtes Zelt

Dir in Kolumbus' neuer Welt.

 

25

Und endlich, allen Völkern zum Erstaunen,

Als hätt auch eine Göttin ihre Launen,

Hast du dein Angesicht – verklärt

Zu frohen Galliern gekehrt.

 

 

Deutscher Freiheitsgeist

(1789)

 

Der Teufel hol, sprach Metzger Pfund,

Den ganzen Rat! – Er sprach's mit tobendem Gebrülle.

Doch plötzlich kam – des Bürgermeisters Hund;

Der Prahler Pfund stand auf – beugt sich – war mäusleinsstille.

 

 

Auf eine Bastilltrümmer

von der Kerkertüre Voltaires

(1789)

 

Dank dir, o Freund, aus voller Herzensfülle

Für die Reliquie der greulichen Bastille,

Die freier Bürger starke Hand

Zermalmend warf in Schutt und Sand.

 

5

Zertrümmert ist die Schauerklause,

Die einst, o Voltaire, dich in dumpfe Nacht verschloß,

Kein Holz, kein Stein, kein Nagel bleibe von dem Hause,

Wo oft der Unschuld Zähre sich ergoß! –

 

Drum, Biedermahn, empfange meinen Segen

10

Für diese Trümmer, die du mir geschickt,

Sie ist mir teurer als ein goldner Degen,

Womit einst ein Tyrann die Freien unterdrückt.

 

 

An die Herrscher der Erde

(1790)

 

Soll wieder unsre Welt im Blute schwimmen,

Weil euer Herrscherstolz gebeut

Und euer Donnerruf die Stimmen

Der Friedenssöhne überschreit?

5

Ach, schrecklich ist's; der Menschen Mark vergeuden

Und mit der Würgehand

Umwühlen in der Menschen Eingeweiden,

Vom Schlachtendurst entbrannt.

Steckt eure Schwerter in die Scheide,

10

Laßt eure Donnerschlünde ruhn!

Gibt's größern Ruhm, gibt's reinre Freude,

Als Friede geben, Gutes tun?

 

 

[An die Friedensgöttin]

(1790)

 

Friedensgöttin, komm, ich flehe

Dich mit hochgehobner Hand,

Komm herab von deiner Himmelshöhe,

Dich bedarf mein armes Vaterland.

 

5

Sieh, im Maienmonde wollen

Heere ziehen in das Feld.

Wie sie schon die Augen blutig rollen,

Zu verheeren eine ganze Welt!

 

Freude flieht vor Mavors Rufe,

10

Der sich schlachtendurstig naht;

Seiner kriegerischen Rosse Hufe

Stampft und knickt die junge Frühlingssaat.

 

Blumen sterben, wo die Sohle

Eines erznen Kriegers geht;

15

Traurig liegt das Röschen, die Viole,

Jedes Blümchen auf zertretnem Beet.

 

O so komm, du Friede, nieder,

Sänftige der Krieger Sinn.

Tausend Deutsche, alle brav und bieder,

20

Grüßen dich, du Himmelskönigin.

 

 

Grabschrift

(1790)

 

Hier liegt in Gräberstille

F r a n k l i n s  Hülle:

Christ, Weiser, Patriot,

Voll Vaterland und Gott.

5

Er wußte den Strahl der Tyrannen

Wie Blitze des Himmels zu bannen

Und aus gläsernen Glocken

Himmlische Töne zu locken.

Wie einem Bräutigam die Braut

10

Bot ihm  F r e i h e i t  die Hand;

Dann führt' er sie liebevertraut

In  K o l u m b u s '  glückliches Land.

Sein Name, frei und groß,

Flog über den Okeanos.

15

K o l um b i a  trauert um Ihn,

E u r o p a  klagt um Ihn,

Der kühne  F r a n k e  hüllt sich in Flor;

Doch  F r a n k l i n s  Seele flog empor

Ins Urlicht. Geister drangen

20

In Scharen herbei,

Willkommten Ihn und sangen:

W e n  G o t t  f r e i  m a c h t ,

I s t  e w i g  f r e i .

 

 

[Der Friede]

(1790)

 

Die Welt ist nun des Menschenmordens müde;

Die Krieger ziehn aus finsterm Streit.

Vom Himmel kommt – sein schönster Sohn, der Friede,

Und mit ihm kommt die Fruchtbarkeit.

5

Es neigen sich vor ihm die ährenschwere Halmen,

Die nun kein Pferdehuf zerknickt.

Und weit herum ertönen Friedenspsalmen

Und Volksgesänge hochentzückt.

O seid es wert, ihr, Deutschlands Bürger,

10

Durch Tugend seid des Friedens wert.

Daß Mavors nicht, der höllentflohne Würger,

Auf ewig euer Land verheert.