BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Charlotte von Stein

1742 - 1827

 

Gedichte

 

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Mond zwischen Bäumen (Zeichnung von Goethe um 1778)

 

 

Charlotte von Steins Umarbeitung der zweiten Fassung von Goethes Gedicht «An den Mond»:

 

An den Mond.

Charlotte von Stein

 

Füllest wieder Busch und Thal

Still mit Nebelglanz,

Lösest endlich auch einmal

Meine Seele ganz.

 

Breitest über mein Gefild

Lindernd deinen Blick,

Da des Freundes Auge mild

Nie mehr kehrt zurück.

 

Lösch das Bild aus meinem Herz

Vom geschiednen Freund,

Dem unausgesprochner Schmerz

Stille Thränen weint.

 

Mischet euch in diesen Fluß!

Nimmer werd' ich froh:

So verrauschte Scherz und Kuß

Und die Treue so.

 

Jeden Nachklang in der Brust

Froh' und trüber Zeit,

Wandle ich nun unbewußt

In der Einsamkeit.

 

Seelig, wer sich vor der Welt

Ohne Haß verschließt,

Seine Seele rein erhält,

Ahnungsvoll genießt.

 

Was dem Menschen unbekannt

Oder wohl veracht't

In dem himmlischen Gewand

Glänzet bei der Nacht.

  

An den Mond.

Goethe

 

Füllest wieder Busch und Tal

Still mit Nebelglanz,

Lösest endlich auch einmal

Meine Seele ganz;

 

Breitest über mein Gefild

Lindernd deinen Blick,

Wie des Freundes Auge, mild

Über mein Geschick.

 

Jeden Nachklang fühlt mein Herz

Froh und trüber Zeit,

Wandle zwischen Freud' und Schmerz

In der Einsamkeit.

 

Fließe, fließe, lieber Fluß,

Nimmer werd' ich froh,

So verrauschte Scherz und Kuß,

Und die Treue so.

 

Ich besaß es doch einmal,

Was so köstlich ist!

Daß man doch zu seiner Qual

Nimmer es vergißt!

 

Rausche, Fluß, das Tal entlang,

Ohne Rast und Ruh,

Rausche, flüstre meinem Sang

Melodien zu!

 

Wenn du in der Winternacht

Wütend überschwillst,

Oder um die Frühlingspracht

Junger Knospen quillst.

 

Selig wer sich vor der Welt

Ohne Haß verschließt,

Einen Freund am Busen hält,

Und mit dem genießt,

 

Was von Menschen nicht gewußt,

Oder nicht bedacht,

Durch das Labyrinth der Brust

Wandelt in der Nacht.