BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Daniel Stoppe

1697 - 1747

 

Neue Fabeln oder Moralische Gedichte,

der deutschen Jugend zu einem

erbaulichen Zeitvertreibe aufgesetzt.

 

Theil I

1. Buch

 

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Die XIV. Fabel.

Die Lust und der Schmerz.

 

Der Schmerz kam mit der Lust zugleich auf diese Welt,

Es war mit allem Fleiß von Gott so angestellt;

Warum? es sollt uns hier auf Erden

Das Leben nicht zu schwer, auch nicht zu leichte werden.

Die Lust war angenehm von Reden und Gestalt,

Beständig aufgeräumt und überall willkommen;

Sie machte sich beliebt, und ward von jung und alt

Mit allen Freuden aufgenommen.

Der Schmerz im Gegentheil sah ganz verdrießlich aus,

Er redete nicht viel; und hatt er was zu sagen:

So war es weiter nichts, als ein beständig Klagen,

Drum ließ ihn niemand gern ins Haus;

Er machte sich die Leute gleich zu Feinden.

Man hatt ihn kaum gesehn, so war man ihm schon gram;

Und gleichwohl sollt er sich mit jedermann befreunden.

So oft er hier und dar zu einem Reichen kam:

So suchten ihn die Diener abzuweisen.

Bald mußte der Patron verreisen,

Bald hatt er viel zu thun, bald hielt er Mittagsruh,

Bald hieß es: Fragt nur Morgen zu!

Ihr kommt uns heute nicht gelegen.

Die Armen liessen sich viel eher noch bewegen,

Und nahmen ihn manchmal in ihre Wohnung ein.

Fuhr einem ungefehr die Holzaxt in das Bein:

So schien der Schmerz sein bester Freund zu seyn,

Der hielt getreulich bey ihm Haus.

Das Weib spatzierte manchmal aus,

Um an des Mannes statt die Nahrung fortzutreiben,

Drum mußte Bruder Schmerz indessen bey ihm bleiben,

Damit nur jemand bey ihm war.

Er wagte sich nicht eh zu hocherhabnen Leuten,

Als in der größten Leibsgefahr,

Da mußt er sie zum Tode zubereiten.

Sie hatten gröstentheils zum Sterben keine Lust,

Und machten ihm oft viel zu schaffen.

Ihr müßt euch, sprach der Schmerz, nicht in die Welt vergaffen!

Wenn dieses noch nichts half: so rief er: Hans! du mußt!

Dieß war auch insgemein sein stärkstes Argument.

Bey Hofe suchte man die Lust einst einzusperren,

Als wäre sie nur bloß ein Werk für große Herren;

Dem Pöbel wurde nur des Jahrs einmal vergönnt,

Ihr Angesicht zu sehn, wenn Kirms im Dorfe war;

Kurz drauf verbot man sie den Bauern ganz und gar.

Das Schicksal war damit vollkommen schlecht zufrieden;

Denn die Parteyilichkeit sprach seiner Gnade Hohn,

Die jedem unter uns, ohn Ansehn der Person,

Ein gleiches Theil von Lust und Schmerz beschieden.

Weil nun der Pöbel sich beschwerte,

Daß man ihm alle Lust verwehrte:

So gab Gott den Befehl! Es sollten Schmerz und Lust,

Und zwar den Menschen unbewußt,

Zusammen einen Tausch mit ihren Kleidern treffen.

Sie thaten es. Und seit der Zeit

Läßt auch manch Kluger sich das angenehme Kleid,

Das itzt den Schmerz verbirgt, zu seinem Schaden äffen.

Die wahr- und ächte Lust, weil sie verdrießlich scheint,

Bekömmt gar selten einen Freund;

Sie geht und muß nunmehr die Leute selber bitten,

So sehr man sich nach ihr sonst riß.

Der scheinbar-süsse Schmerz, dem man die Thüre wieß,

Ist itzund gern gesehn und immer wohl gelitten.

 

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Wer auf das Ansehn traut, wird manchen glücklich nennen,

Der den vermummten Schmerz in seine Arme schließt.

Man kann die Lust gar leicht verkennen,

Weil sie der Kleidung nach sich nicht mehr ähnlich ist.