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B  I  B  L  I  O  T  H  E  C  A    A  U  G  U  S  T  A  N  A

 

 

 

 
Johann Heinrich Voss
1751 - 1826
 


 






 



A p p e n d i x
V e r g i l i a n a


Voss hat daraus die drei
folgenden Stücke übersetzt:


Die Mücke (Culex)
Das Mörsergericht (Moretum)
Die Tänzerin (Copa)

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D a s   M ö r s e r g e r i c h t .

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      Bernhard Kytzler schreibt über das Moretum - ein
      lateinisches Gedicht wohl aus augusteischer Zeit:

«Die idyllisch getönte Übertragung von Johann Heinrich Voss aus dem Jahr 1800 bringt die Qualitäten des knappen Textes gut zur Geltung: ein Bauer erwacht, tastet im Dunkel nach dem Herd, entzündet die Lampe, holt und mahlt Getreide, bereitet aus mancherlei Kräutern seines Gartens ein Gericht (moretum) und geht zur Arbeit auf den Acker: Arme Alltagswelt vor zwei Jahrtausenden, realistisch beobachtet und beschrieben, doch vom Schimmer der Poesie vergoldet.» *)

Lateinischer Text des Moretums

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I n h a l t .
Simulus, ein freigelassener Eigner oder Pächter von griechischer Herkunft, rüstet sich an einem Herbstmorgen zum Pflügen. Er macht Feuer, mahlt Getreide, ruft die afrikanische Magd, Wasser zu wärmen, knätet und formt den Teig; und nachdem er die Stülpe auf dem Heerde darüber gedeckt, holt er aus dem Garten Knoblauch, Eppich, Raute und Koriander: welches er im Mörser mit Salz, Käse, Oel und Essig zerreibt, und als Würze des Brotkuchens zu Felde nimt.


Säumend hatte die Nacht zehn Winterstunden vollendet,
Und der geflügelte Wächter den Tag hellkrähend verkündet:
Als des mäßigen Guts sorgfältiger Ackerbesteller
Simulus, um nicht Faste des kommenden Tages zu dulden,
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Mählich die Glieder erhebt, die geruht auf ärmlichem Lager,
Und mit geschäftiger Hand die trägen Schatten durchtastet,
Suchend den Heerd, den endlich nach manchem Stoß er herausfühlt.

Nur ein Restchen des Rauchs entstieg dem verglimmenden Löschbrand,
Und es umzog Flockasche der düsteren Kohle Gefunkel.
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Vorwärts beuget er nun, mit gesenkter Stirne, das Lämpchen,
Rückt hervor mit der Nadel den Docht des trockenen Hanfes,
Bläst mit häufigem Hauch, und erweckt das schlummernde Feuer.
Endlich der hell aufleuchtenden Flamm' entweichen die Schatten.
Jezt mit gebogener Hand bedeckt er das Licht vor der Zugluft,
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Oefnet sich dann vorschauend die schließende Pforte der Kammer.

Drinnen lag auf der Erd' ein dürftiger Haufen Getreides:
Hiervon raft er gebückt, bis ganz zur Fülle des Maßes,
Das ein Gewicht zu fassen von sechzehn Pfunden gehöhlt ward;
Geht dann hinaus, und eilt' an die Mühl' und auf winzigem Brettlein,
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Welches geheftet die Wand zu jenem Dienste bewahrte,
Stellt er das freundliche Licht; die Arme darauf des Gewandes
Beid' entblößt, und den Balg der gezottelten Geis umgürtend,
Fegt er zuvor mit dem Quaste die Steine der Mühl' und die Höhlung.
Jezo ruft er die Händ' ans Geschäft, in gleicher Vertheilung:
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Angestrengt ist die Linke zum Dienst, und die Rechte zur Arbeit.
Diese dreht in beständigem Kreis', und beflügelt den Umlauf;
Während das Schrot abläuft von dem schmetternden Schwung des Gesteines.
Manchmal trit an die Stelle der müden Schwester die Linke,
Bei abwechselndem Amt. Bald singet er bäurische Lieder,
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Und erleichtert sich selbst mit ländlicher Stimme die Arbeit.
Oft auch ruft er: Cybale! laut. Die einzige Magd wars,
Afrisches Stamms, mit der ganzen Gestalt bezeugend die Heimat:
Kraus ihr Haar, und die Lippen gebläht, und dunkel die Farbe;
Breit am Busen, und hangend die Brust, und schmaleres Bauches;
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Dünn die Schenkel hinab, nicht karg mit geräumigem Plattfuß;
Und von häufigen Rizen gekerbt die starrende Ferse.
Diese ruft er hervor, und heißt mit brennbaren Scheitern
Häufen den Heerd, und am Feuer die kalte Flut ihm erwärmen.

Als er nunmehr fehllos das Geschäft der Zermalmung vollendet;
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Trägt er darauf mit der Hand das geschrotene Korn in das Mehlsieb,
Rüttelt dann: oben nun bleibt die gesonderte Klei an dem Boden;
Nieder sinkt ungefälscht, durch engende Fugen geläutert,
Ceres reines Geschenk. Dann schnell auf geglätteter Tafel
Legt er es sorgsam hin, und beströmts mit laulichter Welle;
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Mischt dann in eins, und knätet den Quell und die Blume des Mehles;
Kehrt das gehärtete quer mit der Hand, und sprenget die Häuflein
Oft mit geläutertem Salz. Den zähe gequollenen Teig nun
Drückt er glatt, mit den Händen zur eigenen Ründ' ihn erweiternd,
Zeichnet ihn dann, einprägend das gleich abstehende Viereck.
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Diesen nun trägt er zum Heerd, wo Cibale sauber den Ort ihm
Abgestäubt, deckt über die Stülp', und umhäuft sie mit Gluten.

Während indeß sein Amt Vulkanus übet und Vesta;
Harrt auch Simulus nicht die müssige Stunde geschäftlos,
Sondern bestellt was andres: damit nicht Ceres allein ihm
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Weniger reize den Gaum', so schaft er gesellige Zukost.
Ihm war nicht hochschwebend am Heerd' ein bereicherter Fleischwiem,
Schulterspeck des gesalzenen Schweins und Schinken, im Vorrath;
Nur ein geründeter Käse durchbohrt vom Drate des Spartes,
Hing mit dem alten Gebund des befestigten Dilles herunter.
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Darum strebt nach anderem Rath der betriebsame Kernmann.

Nachbarlich stieß ein Garten ans Haus, von wenigem Weidicht
und dünnhalmigem Rohr für die schneidende Sichel befriedigt:
Mäßiges Raums, doch ergiebig an mancherlei fruchtbaren Kräutern.
Jenem mangelte nichts, was erheischt des Armen Bedürfnis:
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Oft wohl pflegte der Reiche von Aermeren manches zu fodern;
Auch wars nicht der Ueppigkeit Werk, nur Ordnung besorgt' er.
Wann ihn müssig einmal in der Hütt' ein Regen daheimhielt,
Oder ein Fest; wann etwa dem Pflug' einst feirte die Arbeit:
Dann war des Gartens Geschäft. Vielartige Pflanzen zu reihen
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Wußt' er, und mancherlei Samen geheim zu vertrauen dem Erdreich,
Auch, wenns galt, sorgfältig benachbarte Bäche zu lenken.
Hier war Kohl, hier mutig die Arm' ausstreckender Mangold;
Hier weitwuchernder Ampfer, und heilsame Malven und Alant;
Hier die süßliche Möhr', und buschichte Häupter des Lauches;
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Hier auch grünt' ein schläfernder Mohn mit kalter Betäubung;
Auch der Salat, der labend die edleren Schmäuse beschließet;
Häufig auch sproßt' umher mit schwellender Wurzel der Rettich;
Und schwer hing an der Ranke mit breitem Bauche der Kürbis.
Aber des Eigeners nicht, denn wer wohl lebte genauer?
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Sondern des Volks war aller Ertrag: und an Tagen des Marktes
Bot er feil in der Stadt die lastenden Bunde Gemüses;
Kehrte dann, leicht am Nacken, doch schwer von Gelde, zu Hause,
Selten einmal begleitet von städtischer Waare der Fleischbank.
Ihm ist die röthliche Zwiebel genug, und ein Beetchen des Schnittlauchs,
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Kresse zugleich, die das Antliz mit herbem Bisse verzerret,
Auch der Endivie Wuchs, und die liebentflammende Rauke.

Jezt auch solcher Gesinnungen voll, betrat er den Garten.
Aber zuerst, da er leise das Land mit dem Finger gelockert,
Zieht er heraus vier Stangen mit vielfachen Knollen des Knoblauchs;
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Drauf des Eppiches zartes Gesproß, und die starrende Raute,
Rupfet er, samt Koriander, an harigen Dolden erzitternd.
Dies nun trägt er hinein, und sizt ans fröhliche Feuer,
Fodert darauf von der Magd mit lauter Stimme den Mörser.
Jegliches Haupt entblößt er von zahlreich hüllender Rinde,
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Und wie die oberen Häutchen er abzieht, streut er verachtend
Rings auf die Erde sie hin; und die Knoll', auf Grase bewahret,
Spület er, senket sie dann in des Steins gehöhlete Ründung.
Körniges Salz nun streut er; und hart von zerfressenem Salze,
Kommt ein Käse dazu; drauf schüttet er alle die Kräuter.

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Jezo hält ihm die Link' um den zottigen Leib das Gewand fest;
Aber die Rechte zerquetscht mit der Keule den duftenden Knoblauch
Stampfend, und reibt dann alles zu gleich gemengetem Safte.
Ringsum dreht sich die Hand: allmählich schwindet zusammen
Jede besondere Kraft; und die Farb' ist aus mehreren Eine:
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Weder grün durchaus, da es milchichte Krumen verbieten,
Noch erhellt von der Milch, die mit mancherlei Kraute gefleckt ward.
Oft daß streng' in des Manns einathmender Nase der Aushauch
Steigt, und mit krausem Gesicht sein eigenes Mahl er verdammet;
Oft daß mit oberer Hand die thränenden Augen er abwischt,
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Gegen den Rauch anwütend mit unverschuldeter Schmähung.
Vorwärts rückte das Werk. Nicht höckerig mehr, wie im Anfang,
Ging bereits schwerfällig die Keul' im langsamen Umlauf.
Darum tröpfelt er drauf des paladischen Oeles ein wenig,
Gießt auch ein wenig hinzu von der Kraft des beißenden Essigs;
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Dann von neuem vermischt er das Werk, und wieder von neuem.
Endlich kehrt er den Mörser mit zwei umlaufenden Fingern
Rings, und preßt das zerstreute zu Einer ballenden Kugel.
So wird Form und Namen dem fertigen Mörsergerichte.

Cybale scharret indeß auch ämsig das Brot aus der Asche,
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Welches warm in den Händen der freudige Simulus hinnimt;
Dann auf den folgenden Tag vor des Hungers Sorge gesichert,
Fügt er in ähnliche Stiefel die Bein', und, bedeckt von der Kappe,
Spannt er in Joch und Seile die willig gehorchenden Farren,
Lenkt auf den Acker hinaus, und drängt in die Erde die Pflugschar.

 
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*)
Aus der Besprechung der Moretum-Ausgabe der Reihe «Antike Literatur auf Schriftrollen» (herausgegeben von Ulrich Harsch) in der ZEIT vom 2. März 1979
 
 
 
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