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B  I  B  L  I  O  T  H  E  C  A    A  U  G  U  S  T  A  N  A

 

 

 

 
Johann Heinrich Voss
Luise
 


 






 



L u i s e

Z w e i t e   I d y l l e
D e r   B e s u c h


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Rosig stralt' in die Fenster des Mais aufglühender Morgen,
Daß ihr scheibiges Bild mit der Pfirsiche wankendem Laube
Glomm an der Wand, und hellte des Alkovs grüne Gardinen,
Wo dich, redlicher Greis, umschwebeten Träume der Ahndung.
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Durch den Schimmer geweckt, und den Schlag des Kanarienvogels,
Rieb er froh die Augen sich wach, und faltete betend
Seine Hände zu Gott, der neue Kraft und Gesundheit
Ihm geschenkt zu Pflicht und Beruf, und in nächtlicher Stille
Väterlich abgewandt von den Seinigen Feuer und Diebstahl.
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Jezo empor sich hebend am Bettquast, dreht' er sich langsam
Um, und streckte die Hand, sein Ernestinchen zu wecken.
Aber die Stätte war leer. Da riß er den rauschenden Vorhang
Auf, und sah durch die gläserne Thür' in der Stube den Theetisch
Hingestellt, und geschmückt mit geriefelten dresdener Tassen:
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Welche die häusliche Frau vornehmeren Gästen nur anbot,
Etwa dem Probst beim Kirchenbesuch, und der gnädigen Gräfin,
Und wenn ihr Hochzeitsfest sie erfreuete, und ein Geburtstag.
Auch das silberne Kaffegeschirr, der gnädigen Gräfin
Patengeschenk, mit der Dos' und den schöngewundenen Löffeln,
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Blinkt' im röthlichen Glanz hochfeierlich; und in der Küche
Hört' er der knatternden Flamme Gesaus' und des siedenden Kessels.
Zweimal zog er den Ring, daß hell in der Küche das Glöcklein
Klingelte. Siehe da kam, im ehrbaren Schmucke der Hausfrau,
Trippelnd die alte Mama, und sprach, die Lippen ihm küssend:

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«Väterchen, wachst du schon? Da ich aufstand, schliefst du so ruhig;
Und so leis' entschlüpft' ich dem Bett'; in der Hand die Pantoffeln,
Ging ich auf Socken hinaus, und schloß den Drücker mit Vorsicht.
Siehe, die Augen wie klar! Doch warte nur! gegen den Hahnschrei
Hast du schon wieder im Traum mit gebrochener Stimme gepredigt,
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Auch geweint. Soviel ich verstand, war die Red' an dem Trautisch.»

Freundlich die Hand ihr drückend, begann der redliche Pfarrer:
«Richtig! getraut ward eben. Mein Text war: Willst du mit diesem
Manne ziehn? Und die Bilder des Wegziehns machten mich traurig.
Aber so innig es kränkt, ein solches Kind zu entlassen,
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Wohnete nicht die Wittwe das Gnadenjahr in dem Pfarrhaus,
Allzusehr einengend die Kinderchen; oder ihr Weiber
Hättet nur erst aus dem Rohen gefertiget alle die Aussteur,
Linnen und Schränk' und Betten, und anderen Trödel der Wirtschaft,
Was wohl Kind und Enkel nicht aufbraucht! Heute fürwahr noch
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Wollt ich sie traun, und sagen: Seid fruchtbar, Kinder, und mehrt euch!
Zeuch in Frieden, o Tochter, und sei die Krone des Mannes;
Denn ein tugendsam Weib ist edler, denn köstliche Perlen!
Thu ihm liebes dein Lebenlang, und nimmer kein leides,
Bis euch scheide der Tod! - Nun, Mütterchen, nicht so ernsthaft!
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Sieh mich an! Wir selber verließen ja Vater und Mutter.
Hurtig den Schlafrock her, den festlichen neuen von Dammast,
Auch die Müze von feinem Batist! denn ich muß ja geschmückt sein,
Wann der Bräutigam kömmt von Seldorf, jenes berühmten
Hochfreiherrlichen Guts hochwohlehrwürdiger Pastor!
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Horch! da blies ja die Post, und rasselte über den Steindamm!»

Lächelnd erwiederte drauf die alte verständige Hausfrau:
«Männchen, das war in der Küche; Susanna windet ihr Garn ab.»

Sprachs, und trat zur Kommode, der blankgebonten von Nußbaum,
Welche die Priesterbefchen, die Oberhemd' und die Ermel
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Ihres Gemahls einschloß, und die steifgefalteten Kragen,
Ihm ein Gräul! auch den schönen und weitbewunderten Taufschmuck,
Und die flitternden Kronen, gewünscht von den Bräuten des Dorfes.
Jezo fand sie die Müz', und reichte sie. Dann zu dem Schranke
Ging sie, den Schlafrock holend von blauem wollenem Dammast;
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Über die Lehn' ihn breitend des Armstuhls, sagte sie also:

«Dehne dich noch ein wenig, mein Väterchen; denn zur Gesundheit
Dienet es, saget der Arzt. Dann zieh mir die weicheren Strümpf' an,
Welche Luise gestrickt aus Lämmerwolle des Marschlands,
Daß nicht kalte der Fuß; es ist noch kühlig des Morgens.
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Auch dies seidene Tuch verehr' ich dir, welches Luise
Sonntags trug um den Hals, und dir schon lange bestimmte.
Liesest du erst ein wenig im Bett'? ein Kapitel der Bibel,
Dort auf der kleinen Riole zur Seite dir; oder ein Leibbuch
Jener Zeit, da noch Menschen wie Washington lebten und Franklin;
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Oder den alten Homer, der so natürlich und gut ist?
Daß du es warm mittheilst bei dem Frühstück? Unsere Post hat
Zeit! Des Verwalters Georg, der die Pferde bewacht in der Koppel,
Meldet es, wann er das Blasen des Posthorns über dem Wasser
Hört; dann schwingt sich der Weg noch weit herum nach dem Dorfe.
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Dort am Wald' ist ein Echo; da bläst der fröhliche Postknecht
Gerne sein Morgenlied, und den Marsch des Fürsten von Dessau.»

So, wohlmeinendes Sinnes, ermahnte sie. Aber der Pfarrer
Hörete nicht; auf stand er und redete, rasch sich bekleidend:

«Mutter, wer kann nun lesen! Ich bin unruhig und lustig!
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Wahrlich, er muß bald kommen! Georg hat etwa geschlummert
Oder auch selber ein Stück auf der Feldschalmei sich gedudelt.
Stehet doch fest der Sand, da es regnete! Weiset die Uhr nicht
Funfzig Minuten auf fünf? O wie oft dann las ich die Zeitung!
Hurtig das Becken gereicht und das Handtuch! Glüht mir das Antliz
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Nicht, als hätt' ich in Eifer geprediget, oder mit Walter
Über Europa geschwazt und Amerika, jenes im Dunkel,
Dies im tagenden Lichte der Menschlichkeit! Öfne das Fenster!
Frische Luft ist dem Menschen so noth, wie dem Fische das Wasser,
Oder dem Geist frei denken, so weit ein Gedanke den Flug hebt,
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Nicht durch Bann und Gewalt zu den folgsamen Thieren entwürdigt;
Ah! wie der labende Duft da hereinweht! und wie der Garten
Blühet und blüht, von des Thaus vielfarbigen Tropfen umfunkelt!
Schau die Morell', und die Pflaum', und dort an der Planke den kleinen
Apfelbaum, wie gedrängt er die röthlichen Knöpfchen entfaltet!
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Und den gewaltigen Riesen, den schneeweiß prangenden Birnbaum!
Das ist Segen vom Herrn! Fürwahr, wie die Bienen und Vögel,
Möchte man schwelgen im Duft: Herr Gott, dich loben wir! singend!
Aber die Braut, wo bleibt sie? die sonst mit dem Hahne mir aufsteht,
Und mir am Pult den Kaffe besorgt! Nichts hört' ich noch trippeln
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Über mir! Ganz gewiß, sie verschläft des Bräutigams Ankunft!»

Ihm antwortete drauf die alte verständige Hausfrau:
«Mann, wie du reden kannst! Sie verschläft des Bräutigams Ankunft?
Unsere rasche Luise? Gewiß, sie steht vor dem Spiegel,
Kleidet sich, ordnet ihr Haar in schlau erkünstelter Einfalt,
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Ordnet die Lillaschleifen, das seidene Tuch und den frischen
Blumenstrauß, holdlächelnd, und gern noch schöner sich machend.
Oder sie schlich in den Garten hinab, und beschaut die Aurikeln,
Unruhvoll, und roth im Gesicht, wie die Gluten des Himmels;
Blickt oft über den Zaun, und hört die Nachtigall schmettern
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Unten am Bach, und hört, o mit klopfendem Herzen! das Posthorn.
Holla, wie lermt Packan! Unfehlbar wird es Georg sein.»

Kaum war geredet das Wort; da klingelt' es rasch, und Susanna
Öfnete; plözlich erschien im Reisemantel der Eidam.
Aber vor Freude bestürzt und Verwunderung, eilten die Eltern,
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Und: Willkommen, mein Sohn! willkommen uns! riefen sie herzlich,
Fest an die Brust ihn gedrückt und Wang' und Lippen ihm küssend.
Sorgsam eilt' ihn Mama aus dem Reisegewand zu enthüllen,
Nahm ihm den Hut, und stellte den knotigen Stab in den Winkel
Samt dem türkischen Rohr, das er mitgebracht für den Vater.
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Thränend begannst du anizt, ehrwürdiger Pfarrer von Grünau:

«Gott sei gelobt, mein Sohn, der große Dinge gethan hat,
Und wie die Wasserbäche das Herz der Gemeine gelenket;
Daß ihn all' einmütig erwähleten, Prediger Gottes
Ihnen zu sein, der Natur und der Menschlichkeit weiser Verkünder,
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Die Abschattungen sind uns Endlichen endloser Gottheit!
Üb' er denn seinen Beruf mit Freudigkeit, stets wie Johannes
Lehrend das große Gebot: «Liebt, Kindelein, liebt euch einander!»
Nicht durch eitelen Zank um Geheimnis oder um Sazung,
Nahen wir Gott; nur Liebe, des Endlosliebenden Ausfluß,
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Schaft uns Vertraun und Glauben zum Heil des gesendeten Helfers,
Der sein Wort mit dem Tode versiegelte! Religion sei
Uns zum Gedeihn, und nicht unthätiger Religion wir!
Solches aus Schrift und Vernunft einpredigend, selber ein Beispiel,
Leucht' er zu irdischem Wohl und himmlischem! - Nun was ich sagen
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Wollte: das Pfarrhaus, schreibt er, ist hübsch, mit bequemen Gemächern;
Aber das Obst nur gemein, und der Küchengarten voll Unkraut.
Was die Menschen doch wunderlich sind! Wie leicht ist ein Fruchtbaum
Hingepflanzt, der so reichlich die wenige Pflege belohnet!
Glaubt er? ich löse des Jahrs an hundert Thaler aus Backobst,
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Und aus feinerem Obst, aus Pfirsichen, Pflaumen und Äpfeln,
Pflänzlingen auch, und Spargel, und Blumenkohl und Melonen!
Was? und den baaren Gewinn, wie erhöht ihn die Lust, durch Beispiel,
Rath und That, zum Fleiße das willige Dorf zu ermuntern!
Sohn, Er ehrt mein Geschenk: als Brautschaz nehm er den Lüder!»

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Freundlich die Wang' ihm klopfend, begann die verständige Hausfrau:
«Vater, du kommst auch sogleich mit der Wirtschaft! War es die Nacht kalt,
Lieber Sohn? Wie verdrießlich sein Predigeramt ihn einschränkt!
Nachts fünf Meilen zu fahren durch Thau und kältende Nebel,
Seiner Braut zum Besuch, wie gewissenhaft! Konnte der Küster
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Doch zur Noth die Gemein' aus dem redlichen Brückner erbauen!
Trinkt mein Sohn auch ein Gläschen fürs nüchterne? oder nur Kaffe?»

Ihr antwortete drauf der edle bescheidene Walter:
«Kaffe nur, liebe Mama. Mir ist schauderig; war es die Nacht gleich
Heiter und schwül, und lockte die Nachtigall aus den Gebüschen,
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Während arn Rande der Mond blutroth in Gedüft hinabglitt,
Und vor dem Wetterleuchten die Pferd' oft stuzten am Wagen.
Doch als eben der Tag andämmerte, weht' es empfindlich
Über den See, bis die Sonne, mit lieblichen Stralen sich hebend,
Grünaus Dächer beschien, den spizigen Thurm, und das Pfarrhaus.
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Langsam karrt' indessen der unbarmherzige Schwager
Durch den Kies; denn ein wenig zu stark aus dem Glase vernüchtert,
Nickt' er beständig das Haupt; und zulezt noch tränkt' er die Pferde.
Auch der sinnige Schäfer, der dort die gehürdeten Schafe
Weidete, kroch nun erwacht aus dem bretternen Hüttchen auf Rädern;
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Und wie dem belfernden Fix er nachsah, über die Augen
Deckend die Hand; laut rief er, und jagete scheltend den Hund weg:
«Gott zum Gruß, Herr Walter! Wie gehts? Willkommen in Grünau!»
Riefs, da er über die Brach' anrennete, drückte die Hand mir
Kraftvoll, fragete viel, und freute sich, minder geschlank mich
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Wiederzusehn, und erzählte von Frau und Schafen und Kindern
Und von der neulichen Ostermusik, wo ich leider gefehlet.
Kaum ging weiter der Zug; da begegnete singend der Jäger,
Stuzt', und begann auflachend: «Aha! der listige Waidmann,
Der uns das niedliche Reh wegbirscht, die behende Luise!
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Ganz im Vertraun! Wir sandten ein schön Rehziemer dem Pastor,
Das sich herübergewagt von der Zucht des eutinischen Landes!»
Fern dann grüßte der Fischer vom Bach, und zeigt' aus dem Kahne
Einen gewaltigen Aal, der hell an der Sonne sich umwand.
Dicht am Dorfe begegneten noch ausziehende Pflüger,
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Otto Rahn mit dem klugen Gesicht, und der jüngere Geldo,
Gruß und Gespräch anbietend. Doch schnell auf dem rasselnden Steindamm
Flog ich vorbei, und enteilt', abspringend am Krug', um den Kirchhof.
Hier ein türkisches Rohr, und ächter Virginiaknaster,
Lieber Papa, der wie Balsam emporwallt. Schaun Sie, das Rohr ist
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Rosenholz, und der Kopf aus Siegelerde von Lemnos.»

Jener sprachs; und der Vater bewunderte, freudig empfangend,
Wie so lang und gerade der Schoß des Rosengebüsches,
Blank von bräunlichem Lack, aufstieg mit der Mündung des Bernsteins.
Laut nun erhobst du die Stimm', ehrwürdiger Pfarrer von Grünau:

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«Welch ein Rohr! O gewiß von dem Freund' aus Konstantinopel
Mitgebracht! Wie gewaltig! Bei Mahomed! über die Scheitel
Raget es! Aber, mein Sohn, zu der Pfeif' Anzündung bedarf es
Einer Cirkasserin wohl; und er raubet mir meine Luise!
Auch in dem Lehnstuhl muß ich gestreckt ausruhn, wie ein Mufti
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Und ein Vezier im Kaftan auf damascenischem Sofa!
Rasch, den Virginiaknaster geprüft! Weib, rufe Susanna,
Daß sie den Trank der Levant' einbring', und den brennenden Wachsstock.
Wecke mir auch die Luise! Das wittere ja der Probst nicht,
Daß ein Priester die Lippen entweiht mit dem türkischen Gräuel!»

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Drauf mit ängstlicher Stimme begann der verlobete Jüngling:
«Liebe Mama, ob Luise nicht wohl ist? Frühe ja pflegt sie
Aufzustehn, und Kaffe dem Väterchen einzuschenken.»

Lächelnd erwiederte drauf die alte verständige Hausfrau:
«Faul, mein Sohn! Ich wette, sie steckt noch tief in den Federn.»

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Sprachs, und eilte hinaus, und rief der treuen Susanna,
Die an dem Brunnenschwengel den tröpfelnden Eimer heraufzog:

«Hole die silberne Kann', und spute dich, liebe Susanna,
Daß du den Kaffe geklärt einbringst, und den brennenden Wachsstock.
Nicht zu schwach, wie gesagt! der levantische haßt die Verdünnung.
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Seze die Kann' auf Kohlen mit Vorsicht, wenn du ihn trichterst.
Flugs dann stich mir im Garten die neugeschossenen Spargel,
Schneid' auch jungen Spinat; wir nöthigen, denk ich, die Herrschaft.
Käme nur Hedewig bald von den Milchkühn, ohne zu plaudern;
Daß sie sogleich die Karauschen und Hechtlein holte vom Fischer,
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Und mir die Laub' ausharkt' und den Gang! Leicht ordnet die Mahlzeit
Heute Papa dorthin, wo der Quell von gelegeten Steinen
Niederrauscht in den Bach, und vorn die Kastanie blühet,
Und noch glänzet das Laub des gebogenen Erlenganges.
Siehe, wie rennend der Hahn vom gestapelten Holz mit den Weibern
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Futter ertrozt, und die Enten vom Pfuhl, und die Glucke mit Küchlein!
Habt doch Geduld! Gleich bring ich euch Haber und Klei in der Wanne!
Aber was schimmerte da so geschwind an dem Zaune vorüber?
Schon ein Besuch? Ja wahrlich! Amalia kommt mit dem Kleinen!»

Sprachs, und zur Pforte des Hofes enteilte sie; unter dem Schauer
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Hüpfte Packan frohknurrend hervor; und sie wehrte dem Schmeicheln.
Also rief sie entgegen, die alte verständige Hausfrau:

«Kinder, so früh in die Luft? O denken Sie! meine Luise
Schläft noch fest wie ein Dachs; und der Bräutigam ist in der Stube!
Treten Sie ein; ich wecke. Wie wird sich das Töchterchen schämen!»

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Also Mama; da klopft' in die Händ' Amalia lachend.
Aber sie dämpfte die Stimm', und redete, fröhliches Muthes:

«Ach unschuldiges Ding! schlaflos an den Bräutigam denkend,
Lagst du; da schwand der Gedank' in des lieblichen Traumes Betäubung
Unter den Brautmelodieen der Nachtigall! Mütterchen, laß mich!
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Leise mit Kuß und Gelispel erweck' ich sie; und wenn sie aufstarrt:
Schmücke dich, spott' ich, mein Kind! dein Bräutigam harret mit Inbrunst!»

Ihr mit drohendem Wink antwortete also die Mutter:
«Wo mir Amalia wagt, mein armes Kind zu verspotten!
Flink in die Stube hinein, und gegrüßt das junge Pastörchen!
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Denn ihn gilt der Besuch doch eigentlich. Nicht zu geschäftig
Liebgekost um den Walter, ich red' im Ernste, mein Mädchen;
Daß sich die Braut an der Freundin nicht ärgere! Seid ihr vernünftig,
Kinder, so kommt arglos auf ein Stück Rehbraten zu Mittag
Und auf ein freundlich Gesicht; ich werd' auch die gnädige Gräfin
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Nöthigen. Dann mir gelacht nach Herzenslust, und geplaudert:
Seis in der Laub' am Bach, seis unter dem blühenden Birnbaum,
Der beim leisesten Wind' uns weiß die Schüssel beregnet.
Aber, in aller Welt! was tragen Sie unter dem Mantel?»

Und die gepriesene Gräfin Amalia sagte dagegen:
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«Eya, wüßten Sie das, mein Mütterchen; gerne vielleicht wohl
Würde die Lust mir gegönnt, die Luis' aus dem Bette zu holen.
Einen Talar voll Würde, zur Festsamarie, bring' ich
Aus gewässertem Taft, und zwölf ansehnliche Befchen.
Anziehn soll er es heut', um recht amtsmäßig und ehrbar
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Auszusehn. Nur Schad' um die fehlende Priesterperrüke,
Und das gekräuselte Rad! Gar lächerlich schreitet ein Neuling
Unter dem langen Gewand', und hebt den hindernden Saum auf.»

So die fröhliche Gräfin Amalia; schnell dann entflog sie
Leichteres Gangs in die Stube, wo schon mit dem Greise der Jüngling
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War in tiefem Gespräch von Gelehrsamkeit und von der Zeitung.
Leise die Thür' aufschließend, wie abgewendet sie standen,
Sprang sie hinan, und grüßte den froh umschauenden Jüngling.

Aber das Mütterchen stieg die Treppe hinauf nach der Kammer,
Wo die rasche Luise noch schlummerte; trat dann behutsam,
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Auf den Zehn sich wägend, damit nicht knarrte der Boden.
Und sie erblickt' im Bette die rosenwangige Tochter,
Welche sich über der Deck' in völligem Schmucke gelagert,
Weiß, wie den gestrigen Tag, im röthenden Glanz der Gardine.
Jezo, wie sanft ihr Kind aufathmete, stand sie betrachtend,
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Neigte sich, küßte die Wang', und begann mit leisem Geflister:

«Was? unartiges Kind, Langschläferin! t räumst du noch jezo,
Daß die Wangen dir glühn? und sogar in völligem Anzug?
Wahrlich allzu bequem! Hoch steht an dem Himmel die Sonne;
Längst auch zirpte die Schwalb', und der Sauhirt tutet im Dorf um;
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Kinderchen, glaub' ich sogar, mit dem Frühstück gehn in die Schule.
Mädchen, heraus! und mustre die frisch entfalteten Blumen;
Auch ob die Ros' in dem Topf am Morgenstral sich geöfnet.
Binde den thauigen Strauß, und leg' ihn behend' in den Alkov;
Daß dein Vater sich freu' und wundere, wann er erwachet,
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Dann nach der Thäterin frag', und, wie artig du seist, dir erzähle.
Dein geperletes Hühnchen hat schon im Stalle gekakelt;
Eil', und suche das Ei, eh dirs abhole der Iltis.
Aber du schläfst mir, Dirne, mit duftenden Blumen im Zimmer!
Schädlich ja sind sie dem Haupte, zumal die Muskathyacinthen!»

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Also redete jene; da fuhr aus dem Schlafe die Jungfrau,
Blickte verstört umher, und seufzete tief aus dem Herzen.
Jezo die glühende Wange dem Arm aufstüzzend, begann sie:

«Bist du's, liebe Mama? O wie kam das? Hat denn der böse
Blumenduft mich betäubt? Ein Strauß am offenen Fenster,
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Meint' ich, schadete nicht; und es sind fast lauter Aurikeln.
Gestern störte die Schwül' am Schlafe mich. Als nun der Wächter:
Ein ist die Glock'! ausrief; mit Verdruß nun sprang ich vom Lager,
Kleidete mich, und sahe die funkelnden Stern' aus dem Fenster,
Vom anhauchenden Winde gekühlt, und die Gegend im Mondschein:
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Wo der Nachtigall Lied ringsum wetteifernd ertönte,
Und der Gesang auf der Bleich', und die einsame Flöte des Schäfers;
Sahe des Thals grau ziehenden Duft, und des plätschernden Baches
Helle Flut, und den Himmel von Wetterleuchten durchschlängelt.
Endlich nahte der Schlaf; und niedergelegt in den Kleidern,
300
Schlummert' ich ein allmählich, und hört' im Traume noch immer
Nachtigallengesang, und der wehenden Linde Gesäusel.
Aber ein sehr unruhiger Schlaf! O du beste der Mütter,
Sage mir, ob an dem Walde Georg schon blasen gehöret!
Lag ich zu tief mit dem Haupte? Mir schlägt das Herz so gewaltig!»

305
Lächelnd erwiederte drauf die alte verständige Hausfrau:
«Schlägt dir das liebe Herz, mein Töchterchen? Klas hat die Zeitung
Eben gebracht. Sie erzählt von Amerika und von Gibraltar,
Auch von dem Parlement und der Reise des heiligen Vaters.
Eiferig list der Papa, und vergaß, sich die Pfeife zu stopfen.
310
Auch ist unten ein Brief an die Jungfrau Anna Luise;
Walters Hand, wie ich glaube; doch geb' ichs nicht für Gewißheit.»

Wieder begann liebkosend die freundliche schöne Luise:
«Wirklich ein Brief? Du lächelst. O Mütterchen, sei nicht grausam!
Denke, was soll ich doch mit Amerika, oder Gibraltar
315
Oder dem Parlement, und der Reise des heiligen Vaters?
Sage, du warst auch Braut! o sage mir, ist er schon unten?»

Ihr antwortete drauf die alte verständige Hausfrau:
«Tochter, ich will dirs sagen, auf Ehrlichkeit. Eben besucht' uns
Einer im Reisegewand', und bracht' ein türkisches Rohr mit,
320
Rosenholz und den Kopf aus Siegelerde von Lemnos,
Unserem Vater zur Lust: ein wohlgearteter Jüngling,
Hoch und schön von Gestalt, der gar nicht priesterlich aussieht.
Dieser erkundigte sich, wie Gebrauch ist, nach der Gesundheit
Unserer lieben Mamsell; auch Amalia, welche hereintrat,
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Grüßt' er, wie lange bekannt. Komm selber, mein Kind, und betracht' ihn.»

Also Mama; und im Taumel entsprang dem Lager die Jungfrau,
Schmiegte die Arm' ihr fest um den Hals, und mit feurigen Küssen
Unterbrach sie die Red', in dem Laut der Begeisterung rufend:

«Mütterchen, freue dich doch! Du sollst auch die beste Mama sein!
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Sollst auch die Braut aufpuzen, und tanzen auf unserer Hochzeit!
Sollst auch selber noch Braut, und Bräutigam werden der Vater!
Hurtig hinab, ihn zu sehen, den wohlgearteten Jüngling!»

Ihr antwortete drauf die alte verständige Hausfrau:
«Mädchen, du bist wahnsinnig! Zum Bräutigam geht man ehrbar,
335
So wars Sitte vordem, mit niedergeschlagenen Augen!
Schwärmerin, willst du auf Socken hinabgehn? Ziehe die Schuh' an!
Und wie das Halstuch hängt! Ei, schäme dich, garstige Dirne!»

Also schalt die Mama; und das Töchterchen, lieblich erröthend,
Hüllete schnell in die Seide den schön aufwallenden Busen;
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Schnallte sich dann, oft fehlend mit zitternden Händen die Schuhe
Fest um die zierlichen Füß', und enteilete. Bange vor Sehnsucht
Flog sie die Stufen hinab; und die Treppenthüre sich öfnend,
Kreischte sie auf; denn begrüßt von der wartenden Freundin Gelächter,
Sank sie, ach! in die Arme des überseligen Jünglings.
 
 
 
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