BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Clemens Brentano

1778 - 1842

 

Gedichte 1804 - 1815

 

1810

Januar: Briefwechsel mit Philipp Otto Runge

bis zu dessen Tod am 2. Dezember.

September: Besuch der Caspar-David-Friedrich-Ausstellung in Berlin.

Oktober - Dezember: Mitarbeit an Heinrich

von Kleists Berliner Abendblättern.

 

_______________________________________________________________________

 

 

 

Nicht alle wissen so wie du zu schauen

Du Landschaftsmaler bei dem Doktor Faust,

Der du den Hexen Nebelbrücken baust

Durch winterlichen Kirchhofs frostig Grauen

 

Die Münche ziehn zur Gruft, es scheint zu tauen

Der kahle Baum greift in die Nacht, es saust

Ein kalter Wind, und unterirdisch haust

In Trümmern tief ein Kreuz, und gibt Vertrauen

 

Zwei Lichter schimmern irre bei der Wahrheit

(Die Totenkreuze starren auf den Hügeln)

Gefroren ist der Atem, den man hauchet

Zu ernst zum fliehen und zu kalt zum knien

(Und oben liegt des Himmels blaue Klarheit)

 

Du gleichst der Schwalbe, die mit grauen Flügeln

Den Himmel streift, die Brust ins Wasser tauchet

Warum willst du denn nimmer mit ihr ziehen.

 

Nach dem Besuch der Friedrich-Ausstellung im September 1810 (Schultz 1995)

 

 

*

 

Du Herrlicher! den kaum die Zeit erkannt,

Der wie ein schuldlos Kind

Begeistert fromm die treue keusche Hand

Nach Gottes Flamme streckte,

Der für das Eitle blind

Ohn umzuschaun zur Wiege alter Kunst

Durch neuer Lüge Götzentempel drang,

Und stillanschaund die Göttliche erweckte.

Sie lächelte und nannte dich den Ihren,

Der ihr die irdschen Kränze so bedeutend schlang

Und wollte dich, mit ihr zu triumphieren

Zum selgen Born von allem Lichte führen.

 

Wer dich geliebt, verstand den schönen Traum,

Den du im Himmel träumtest, dessen Schatten

Auf unsrer dunklen Erde lichten Saum

Weissagend niederfiel. –

Dein Künstlerwerk, es schien ein zierlich Spiel,

Es rankte blumig auf und betend vor der Sonne

Setzst fromme Kindlein du in süßer Kelche Wonne;

Doch wie im Frühlingstaumel fromm ein Herz

Das Siegsgepräng des ewgen Gottes liest,

Wie in des Lebens ernstem Blumenscherz

Dem Schauenden die Tiefe sich erschließt,

So steht, die Schwester dieser sündentrunknen Zeit,

Vor deinen Bildern glaubend, hoffend, liebend, die Beschaulichkeit.

 

O trauert nicht um seinen frühen Tod!

Er lebte nicht, er war ein Morgenrot,

Das in der Zeiten trauriger Verwirrung

Zu früh uns guter Tage Hoffnung bot,

Wer dieser Blüte Früchte konnte ahnen,

Der mußte tief bewußt der eigenen Verirrung,

Der eignen Armut sich beschämend mahnen;

So mußt auch ich, wenn ich sein Werk durchdachte,

Das wie ein Gottentzückter selig lachte,

Zu mir, bewegt in ernster Demut sagen:

Wie sollen die Vollendung wir ertragen?

Und auf dem Babylon rings sah ich ragen,

Die Kreuze frech, den Helden dran zu schlagen.

 

O trauert nicht um seinen frühen Tod!

Er lebte nicht, er war ein Abendrot,

Verspätet aus verlornen Paradiesen

Ließ täuschend es in unsrer Nächte Not

Die ahndungsreichen Schimmer fließen.

 

Und wer an seinem Grabe eine Nacht

In Tränen harrt, bis daß der Tag erwacht,

Den seines Lebens Morgenstern verhieß,

Der wird, ist er ein Kind, den Morgen kaum erleben,

Ist er ein frommer Mann, mit ihm, der uns verließ,

Im Tode nur zum neuen Tage schweben.

 

Die Zeit, sie ist die Nacht, in der wir weinen,

Der Vorzeit Traum, er ist's, den wir verloren,

Der Nachwelt, wird der Tag ihr einst erscheinen,

Lebt unser Freund auf ewig – mir ist er geboren.

 

19. Dezember 1810, auf den Tod von Runge (Frühwald 1968)

 

 

*

 

Anfang eines Liedes auf die vielen Gedichte,

die jetzt wie Pilze aus der Erde kriechen

 

Als hatten alle Sonnen

Im Spiegel sich beschaut,

Da regten sich die Wonnen

In Bräutigam und Braut

Es kam, was fein gesponnen

Ans Licht und ward nun laut,

Was stumme Zeit ersonnen

Ward alles anvertraut,

Es hoben sich die Bronnen

Und eh man um sich schaut

Kam stromweis angeronnen,

Was sparsam sonst getaut,

Was Kühlung sonst gewonnen

Kriegt nun schon nasse Haut,

Es schossen allen Nonnen

Die Blumen selbst ins Kraut,

Das sülzte man in Tonnen,

. . .   . . .

Es waren schon geschwungen

Die Fahnen fern und nah

Es war so viel gelungen

Es war das meiste da,

Man hatte schon gesungen

Ein groß Halleluja,

Man hatte schon gesprungen

(Das große) Hopsasa

Zum Kehraus schon gezwungen

Tanzt da der Großpapa,

Da kamen alle Jungen

Den vollen Taschen nah

Aus denen fest gedrungen

Ein Bündel Lieder sah,

Da hat man ihn geschwungen

Hört was hierauf geschah,

Es flogen hin und wieder

Die Blätter durch den Saal,

Ein jeder sich der Lieder

Ein gutes Teil sich stahl,

Die Mägdlein in den Mieder

Steckten sich gute Zahl

Die Knaben beugten nieder

Und rafften ohne Wahl,

Was ihres . . . . . . . Gebieter,

Einst sang in Scherz und Qual,

Das hatten . . . . . . . . . .

Sie alles auf einmal

Und als sie wohl besehen

Was alles sie erfaßt,

Vor Jubel schon vergehen

Die Augen ihnen fast.

Ein jeder muß gestehen

Da . . .

 

Entstanden vermutlich um 1810 (Boëtius 1985)

 

 

*

 

Der Mensch ist frei

Er kann sein Teil sich wählen

Er kann begeistert sein

Er kann die Sterne zählen,

Die mit des Lichtes Schein

Den ewgen Willen Gottes ihm vermählen,

Der Mensch ist frei,

Wo herrlich eine Flamme

Des Schöpfers glüht,

Ob sie vom Schwerte stamme

Ob aus dem Ölzweig blüht,

Da stürzt der Geist

Wie Meerflut aus dem Damme,

Und wenn er gleich manch friedlos Werk zerreißt

So keimt doch Segen aus der Zorngen Streit

Nach ewigen Gesetzen lebt die Zeit.

Und wie Gewitterwolken und die Blitze

Zur Erde niederschmettern

So auch der Krieg.

Weh wer mit feigem Witze,

Ein Obdach unter Eichen sucht vor Wettern,

Die Eiche und der Feige wird getroffen,

Was hat der Feige in der Welt zu hoffen

Er ist schon tot, er war von jeher tot

Und ewig stirbt er, sterben ist sein Leben,

Der sich entzieht dem heiligsten Gebet,

Dem wird kein Gott, kein Sieg je niederschweben.

 

Entstanden zwischen 1810 und 1817 (Boëtius 1985)