BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Clemens Brentano

1778 - 1842

 

Gedichte 1804 - 1815

 

1815

Januar: Die Erzähung «Die Schachtel mit der Friedenspuppe»

erscheint in der Zeitschrift «Friedensblätter».

In Berlin verkehrt Brentano in den verschiedenen literarischen Salons

und tritt mit zahlreichen Schriftstellern der Zeit in Verbindung.

15. Februar: Der «ängstliche Brief» an Wilhelm

Grimm, Anzeichen einer Lebens- und Schaffenskrise.

Oktober - November: Mitarbeiter der »Berliner Nachrichten

von Staats- und gelehrten Sachen«.

 

_______________________________________________________________________

 

 

 

Wie du sollst in Schönheit wallen

Und dem Herrn doch wohlgefallen?

Frag die Wiesenblümelein

Die nicht ihrer Schönheit denken,

Sich der Sonne heben, senken,

Einsam duften und allein,

Wo sie sproßten, in dem Garten

Ruhig auch den Tod erwarten

Ihrer Schönheit ewgen Samen

Gottes Lüften gern vertrauen

Freudig sterben und nicht schauen

Wo der Herr sie aus will säen in Gottes Namen.

Nichts vergehet, nichts entstehet

Alles ist unendlich da

Doch die armen Augen taugen

Nur den Tod zu sehn.

Dichter, du sollst eingestehn,

Daß die Rose, die verblichen

Du der Sterblichkeit verglichen,

Eh sie war, und da sie glühte,

Und nachdem sie längst verblühte,

Daß die Rose eh und je

Die ich hier erblassen seh,

Ewiglich in Gott florieret

Und wer dieses recht verstehet

Triumphieret:

Nichts vergehet, nichts entstehet,

Alles ist unendlich da!

 

28. Febr. 1815

im letzten Jahr der Poesie

und im ersten und schlechtesten der Architektur.

 

1815, an Karl Friedrich Schinkel gerichtet (Schultz 1995)

 

 

*

 

In dem Lichte wohnt das Heil,

Doch der Pfad ist uns verloren

Oder unerklimmbar steil,

Wenn wir außer uns ihn steigen

Werden wir am Abgrund schwindeln

Aber in uns selbst, da zeigen

Klar und rein die Pfade sich

Glauben, Hoffen, Lieben, Schweigen,

Laß uns diese Pfade steigen,

Daß wir nicht am Abgrund schwindeln.

Wollte Gott herab sich neigen

Und uns seine Hände reichen,

Sieh den Gottessohn in Windeln!

 

8. März 1815 (Schulz 1995)

 

 

*

 

Ich grüß euch liebe traute Beide

In eurem nagelneuen Bund

Herr Bräutigam sein Hochzeitskleide

Ist wie der Rock der Braut so rund.

 

Braut:

Also soll es sein,

Also nur allein

Sind wir gleich und gleich gesellet

In den Frieden hingestellet,

In den Sonnenschein

Zwei gepaarte Röselein.

 

Ich grüß euch wunderbare Kinder,

In eurem nagelneuen Spiel,

Herr Bräutigam, nicht mehr nicht minder,

Und Jungfer Braut, gleich eben viel.

 

Bräutigam:

Also ist es schön

Also beide stehn

Wir im gleichen Wunsch auf Erden,

Und in gleicher Sehnsucht werden

Wir die Sterne sehn

Bis sie unter gehn.

 

Ich grüß euch Muster aller Ehen

In eurem nagelneuen Schwur

Doch am Brautwagen seh ich gehen

Zwei Räder und nur eine Spur.

 

Braut:

Also müssen wir,

Also wissen wir

Daß wir auf der weiten Reise

Immer in demselben Gleise

Uns der Wagen führ

Nie die Spur verlier.

 

Ihr rühmet mir dieselben Gleise

Du scheinst mir eine Gleisnerin

In ewger Linie geht die Reise

Langweilig, ihr kommt nimmer hin.

 

Bräutigam:

Also denke du!

Doch ich lenke nu

Meine buntgeschmückten Rosse

Nach dem hohen Hochzeitsschlosse,

Recht in süßer Ruh

Allen Freuden zu.

 

Ums spansche Luftschloß hochgelegen

Stehn böhmsche Dörfer ringsherum

Kommt euch ein andres Paar entgegen

So wette ich ihr werfet um.

 

Beide:

Also wallen wir

Also fallen wir

Wie es Gott wird wohl gefallen

Daß der, dem ich zugefallen

Auch gefalle ihr

Doch vor allem mir.

 

Glückauf, ihr tapferen Naturen

Verstecke Leda nun das Ei

Denn dies suchen Dioskuren,

Sie picken dirs gewiß entzwei.

 

(Beide:)

Den Heroen gleich

Also lohen gleich

Uns vom Haupt zwei heilge Flammen

Die zum Zwillingsstern zusammen

Längst entflohen euch

Zu dem hohen Reich.

 

Ihr wollt gerecht den beiden Helden

Was an dem Leukippidenpaar

Sie fromm getan nun fromm vergelten,

Doch denkt daß einer sterblich war!

 

(Beide:)

Auch wir teilen gern

Vor dem ewgen Herrn

Sinkt zur Nacht und steigt zu Tage

In der ewig gleichen Wage

Dort der Zwillingsstern

Überm Erdenkern

 

Ihr gleichet recht den beiden Gleichen,

Sie lebten auch in einer Eh'

Doch einst gemeinem Nutzen weichen

Ich jeder einzeln Vorteil seh –

 

(Beide:)

Zweie müssen sein

Sonst wir büßen ein

Was wir beide uns geschworen

Und das keinem geht verloren

Das Gewissen rein

Zweie müssens sein.

 

Ach könnt ich nur den andern finden

Wär ich nicht so absonderlich

Ich wollte mich mit ihm verbinden

Wär eurer Reise hinderlich.

 

(Beide:)

Bester schweigen sie

Sich versteigen sie,

Daß sie ohne Gleichens bleiben

Wollen wir hier unterschreiben

Daß erreichen nie

Ihres gleichen sie.

 

So war mein Brautlied dann zu Ende

Gefüget wäre Reim an Reim,

Ich steh, ihr macht mir Komplimente,

Und wer das Glück hat führt euch heim.

 

Als ich euch dies Lied vollendet

Ging ich zu dem Hochzeitsfeste,

Stand im Garten, glanzgeblendet,

So viel Lampen, so viel Gäste!

Und die schönen Musikalien

Und die vielen Victualien.

 

Federhüte, goldne Borten

Keine Trauer mehr im Hause,

Aber Kuchen viel und Torten

Und Trompeten bei dem Schmause

(Und das Kindsgeschrei) abscheulich

Und die Polizei erfreulich eilig

 

Stiller Himmel, dunkle Lauben,

Blumenbeete, Bohnenstangen

Und gar manche Turteltauben,

Heiß Verlangen, süß Erlangen

Ein Exempel auf dem Eiskeller

Ward des Tempel Säulenkreis heller.

 

In die dunkle Nacht gesternet

Steht brillianten die Gloriette,

In sich, mit sich durchlaternet,

Ein galantes Hochzeitsbette

Glanzberauschte verwunderte Nationen

Treten nieder manche Bohnen.

 

Aber in dem Nachbars Garten

Sich die Lichter auch ergießen

Ernst und Falk brät Hochzeitsschwarten,

Überm Feuer an den Spießen,

Eine Brücke taliter qualiter

Führt dahin wenigstens moraliter.

 

Und nun zucket aus den Büschen

Festlich schmetternd die Trompete,

Und sie sagen, zu den Tischen

Führet Hans jetzt seine Grete!

– mit meinem Gedicht ich paße

In der Gasse voll Populace.

 

Die Brauteltern sah ich kommen

Wenn es gleich war ziemlich dunkel

Ohne Pfeifen ohne Trommen

Ohne sonderlich Gefunkel.

Geputzte Tante galanter Oheim

Ich hoffe sie kommen heut recht froh heim.

 

Hätten sie mich stolz vergessen

Mich mit Namen nicht gescholten

Für incognito Prinzessen

Hätten sie mir schier gegolten,

Gespickt der Kragen ganz enorm

Geschmückt den Magen, uniform.

 

Und nun wurd ich immer dummer

Setz mich in die Bretterlaube

Fiel in einen großen Kummer

Oder Schlummer wie ich glaube

Mein Hochzeitslied hat ich fest in der Taschen

Und in der Hand, nicht viel zu naschen.

 

Jetzo kommt das Brautpaar selber

Und ich fing an aufzulauren

Und es schrien wie die Kälber

Rings die Jungen auf den Mauren.

Doch wie veraltet, o Spektakel,

Gefaltet, erkaltet, o Mirakel.

 

Ist's die Braut die ich besungen

Ist's die kleine Honigbiene,

Zarte Haut so rauh zersprungen

Sind sies freundliche Cousine,

Und der Lästrer (?) in dem Perückenkranz

Ei der Spaß, der ist zum Verrücken ganz.

 

Und der Bräutigam grau gebücket

Nein, es ist nur Maskerade,

Selbst wenn Blumen (er ge)pflücket

Ging der Meininge schön grade.

Und ich protestierte gen die Zuschauer

Aber Musika blies den Dessauer.

 

Ca done Ca done

Ca done Ca done

So leben wir alle Tage hoch

In der allerschönsten Braut compagen

Ich sitze schon zu Pferde

Und reite in das Feld

Als wie der allerschönste

Siegesheld.

 

Haltet ein, hier ists nicht richtig

Diese Braut ist nicht die rechte

Nicht für dieses Brautpaar dicht ich

Das sind mir (ja) schlechte Hechte

Macht mir keine faule Fisch an jetzt

Daß ich euch das Maul nicht wisch zuletzt.

 

Und wie ich auch möchte zanken

Wie ich immer war empöret

Zog der Zug hin durch die Schranken

Seinen Weg ganz ungestöret,

Endlich sah ich wandern Bertha

Gehn mit einem andern Herr da.

 

Und ich sah im Transparente

B.C. S.J. helle Lettern

Ach ich es verstehen könnte

Ich unseligster der Vettern

Branntwein, Glanz, Schöps Immer

Rief da einer durch den Lampenschimmer.

 

Bald hoch auf des Tempels Spitzen,

Sah ich einen roten Engel

Spiritus ins Feuer spritzen,

Kupferrot erglänzt der Bengel,

Und es öffnet sich der Himmel hell

Und es regnet Doppel Kümmel schnell.

 

Vivat schrien alle Gäste,

Das ist recht im Staat das beste

Dieses trocknet die Moräste

Dadurch steht das Haus so feste.

Leert des Fasses Reste mit Hebern

Und die Schweine Mäste mit Trebern

 

Last hochleben unser Georgen

Den vergoldeten Hochzeiter

Gestern, heut und übermorgen

Und die andre Woche weiter.

Aber im Tempel am Boden gewahre

Ich jetzt die Wiege der Toten, die Bahre.

 

Ich erwache tief gerühret,

Bei den Lampen und den Kerzen,

Seh von einem Herrn geführet,

Die vermeinte Braut ich scherzen,

He Werda! Wer ist der Herr da

Herr von Treskow sagte Bertha,

 

Und ihr Bräutigam Stockhausen?

Ja die ist verloren worden,

In den Schatten muß sie hausen

Mutter sucht sie aller Orten.

Und nun flatterts und schäkerts hinunter,

Und mein Glaub an die Ehe ging unter!

 

Doch jetzt sucht ich in den Büschen

Bei den Lampen, bei den Tischen,

An der Spree selbst bei den Fischen

Den Herrn Bräutigam zu erwischen.

Alle Lichter zeigten andre Gesichter

Gott ist Richter! spricht der Dichter.

 

Entstanden zwischen 1815 und 1819 in Berlin (Boëtius 1985)

 

 

*

 

Prophezeiung auf die bewussten hohen Operngewölbe

über dem bewussten hohen Operngraben.

 

Wer schätzt nicht die bewußten hohen Opernpreise?

Veränderst du die Spur, so folgen auch die Gleise,

Sonst gibt es eine gar zu unbequeme Reise.

Der Operngraben ward drum konsequenterweise

Zu der bewußten Höhe mit zu großen Fleiße

Verwölbt, und daß den Meister stolpernd man nicht preise,

Steigt schon der Lindendamm, und bald die Stadt ganz leise.

Wer auf den Kopf gefalln, der fühlt es an dem Steiße,

Vom Steiß zum Kopfe wirkt der Stoß zurück im Kreise.

Was gilts, wir zahlen bald, daß alles kehrt zum Gleise,

Bis jetzt noch unbewußte höhre Schauspielpreise.

 

 

Antwort eines Verehrers der hohen bewussten

Opernhüte der deutschen Frauen.

 

Ehre, dem Ehre gebührt! Stell auf den breiten Stein

Nicht die bewußte hohe Opernkunst allein,

Laßt tiefergeh'nd den Dank uns deutschen Frauen weihn.

Weil zu bewußter Höh' die Hüte sie erhöhn,

Bat man um Platzerhöhung auch, um was zu sehn,

Und da erhöhte man aus purem Mißverstehn

Statt durch die Bank den Steiß, den Preis nur durch die Bank.

Drum Frauen habt bewußten hohen Operndank,

Erhöht bewußten hohen Hut noch mal so schlank.

Dann klagen wir nochmals, und nochmals steigt der Preis,

Die Brücke und der Damm, die Stadt und was Gott weiß,

So steigt das Sandparterre noch einst zum Paradeis.

 

Entstanden zwischen 1815 und 1817 in Berlin (Boëtius 1985)