BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Clemens Brentano

1778 - 1842

 

Der andere Brentano

 

Gedichte

 

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Es sprach die edle Dame

Von Ahlefeld mit Name,

Voll Herz und voll Verstand

«Nie hat er Maß gekannt.»

O möchten sie's erkennen

Und selbst sich sagen können

Daß ich ganz anders bin,

Nach ihrem Wunsch und Sinn

Nie sein kann hier im Leben

Mein Wesen kann nur streben

Nach ruhiger Entwicklung,

Geordnet ohn Verwicklung!

Mir passen keine Sprünge,

Sie werden mir zur Schlinge,

Sie bringen mich in Wirren

Und machen mich verirren.

 

Ihr Weg kann mich nicht frommen

Kann nicht drauf vorwärtskommen

Auf Boden, der so glühet

Ein Blümchen schnell wohl blühet.

Doch bald sein Köpfchen hanget –

Wie Glut, Vulkan, sie speien

Wie soll da je gedeihen

Das Alpenblümlein klein?

Leb wohl mein Brüderlein!

 

Lehrt ich es girrigirren

Und hin und wieder schwirren –

Pflanzt ich's in alle Ecken,

Zog ich's durch Dorn und Hecken –

Ließ ich es galoppieren

Lehrt ich's philosophieren,

Tiefsinnig weil narkotisch,

Christminnig weil erotisch!

Führt ich's zu Heiligtumen

Wo nicht die Alpenblumen

Nein Belladonna wachsen –

Wo mit des Wagens Achsen

Der sie zum Sabbath führt

Die eitle Weltlust ziert.

 

Wer drang durch Steingerölle

Durch wilde Wasserfälle,

Durch Distel und durch Dornen,

Wer ließ sich blutig spornen

Welch Blut schrieb Weh und Weh

Rot in den Alpenschnee.

Bis zu der Kindheit Schwelle,

Bis zu der reinen Quelle

Bis zu der Alpenwiese

Bis zu dem Paradiese –

Wer schritt vom glühen Krater

Zu deiner Mutter, Vater

Zu Jungfer Jakobe

Lieb Alpenblümlein geh!

 

Ach wolle doch begreifen

So schnelle als da reifen

Die schwachen Ledernelken

So schnelle sie auch welken

Wenn sie auf lockerm Grunde

Gewühlt stets in die Runde

Ein Preis für alle Stürme

Und jegliches Gewürme

An dürrem Gnadenbronnen

Versengt von Zweifelssonnen

Sich keinem Lichte weihen

Und darum nicht gedeihen.

 

Ich glaubte auf der Höhe

Im Ländchen von Vaduz

Im kühlen Alpenschnee

Da suchte ich einst Schutz

Da kamst du Portantine

Mit deiner Blumenmiene

Und zündetest mich an

Da stand dir ein Vulkan.

 

An deinen feinen Sohlen

Trugst du herauf die Kohlen,

Von deines Glühens Funken

Ward ich so feuertrunken,

Die Schlacken . . .

 

Und wenn ich krank hier liege

So ist's, weil ich zur Wiege

Vom Krater dich getragen,

Du darfst das Kind nur fragen,

Das redet viel gelinder

Als jene Fräulein Linder

Oft wird, wie zu scharf schartig

Zu artig redensartig

Zarts Alpenblümchen fein

Addio Schwesterlein.

 

11. Juni 1834