BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Clemens Brentano

1778 - 1842

 

Romanzen

vom Rosenkranz

 

_______________________________________________________________________

 

 

 

Romanze XIII

Tod der Rosarosa

 

Wie in dunklen Meereswogen

Ein verbranntes Schiff entmastet

Unterm weiten Himmelsbogen

Traurig steht auf ödem Sande,

 

Wie die Flamme scheu noch lodert,

Von den Fluten rings belagert,

Bis die traurig tote Kohle

Leicht umschaukelt in dem Wasser,

 

Fern schon ziehn die dunkeln Wolken,

Die geübt die böse Rache,

Und die Sterne vor dem Monde

Ziehn heran, unschuldig fragend:

 

Wo ist hin das segelvolle

Freudge Schiff, so hoch bemastet,

Das wie eine Braut die Wogen,

Buhlend mit dem Wind, durchtanzte?

 

Wo sind hin die Schifferchöre,

Die in feuchten Tauen tanzten?

Ist von all dem stolzen Volke

An dem Fels der Ruf verhallet?

 

Und das Meer spielt mit den Toten,

Mit den Segeln, mit den Masten;

Sterbend zischen noch die Kohlen,

Und dann schweigt und ruhet alles.

 

Und die Sterne zu dem Monde

Brechen aus in bittre Klagen:

Ach! wo ist die schöne Tochter,

Die uns grüßte mit Gesange?

 

Die gelöst die goldnen Locken,

Ließ in freudgen Lüften flaggen,

Unsern Spiegel in den Wogen

Betend grüßt mit Harfenklange?

 

Muß sie auch im Wasserschlosse,

Von Untieren rings bewachet,

Bei Sirenen und Tritonen

Fern von uns nun sein gefangen?

 

Also klagen sie dem Monde,

Der zu ihrer Klage lachet

Und das blaue Feld der Wogen

Überschüttet weit mit Glanze.

 

Und was schimmert dort so golden,

Rauschend durch die Wasserbahnen,

Zieht gleich einem Arione

Ruhig durch die Meere, harfend?

 

Heil! Es ist die schöne Tochter;

Sie steht auf dem Wundermantel

Sicher, wie auf starkem Boote,

Und ihr Schleier ist die Flagge.

 

Und die Sterne freudig horchen,

Denn es zieht durch ihre Harfe

Äolus mit süßem Tone,

Daß die Ufer rings entschlafen:

 

Also unterm Himmelsbogen

Stand zerstöret das Theater,

Um die trüben Säulentore

Schauerten der Wachen Fackeln.

 

Also in dem Glanz des Mondes

Trat Biondette mit der Harfe

Aus den hohen, dunkeln Pforten,

Wie in lichter Geist umwandelt.

 

Unterm hohen Sternendome

Steht sie auf dem öden Platze,

Unter ihren leichten Sohlen

Knirscht die Kohle auf den Platten.

 

Und zum Monde auf sich wolket

Noch der Rauch des toten Brandes,

Dumpf schallt fernes Wagenrollen

Und es rinnet rings das Wasser.

 

Und des blauen Reno Wogen

Lauter durch die Nacht hinwallen,

Lauter rauschen auch die Bronnen

Siegreich ob dem Feuerkampfe.

 

Und Biondetta wiederholet:

«Lebet wohl, ihr falschen Farben,

Eitler Tränen Regenbogen,

Sterne hell von falschem Glanze,

 

Ihr dient einem Flittermonde!»

Sprachs, da klang es in der Harfe,

Und zwei hohe, weiße Nonnen

Geistig ihr zur Seite standen.

 

Von dem Schleier ganz verborgen

Schienen sie zwei selge Schatten,

Winkend, ihnen nachzufolgen,

Sie Biondetten still ermahnten.

 

Eine schweift in einem Bogen

Um sie, Freudenzeichen machend,

Und die andre sah zu Boden,

Traurig ihr Hände faltend.

 

«Sprechet, was ihr von mir wollet,

Fromme Schwestern von Sankt Claren?»

Frug die Jungfrau. Nachzufolgen

Winkend jene sie ermahnten.

 

Und Biondetta folgt den Nonnen,

Die wie Geister vor ihr wallen,

Zu dem Hause Jacopones,

Zu der Rosarosa Lager.

 

«Sei willkommen mir im Tode!»

Sprach die Kranke, und vom Lager

Hat sie leis ihr Haupt erhoben,

Unterstützet von dem Knaben.

 

«Daß dem Feuer du entkommen,

O, Biondetta, Gott ich danke;

Wolle nun zu meinem Troste

Mir ein Lied zur Harfe schlagen!»

 

Als die Jungfrau harfen wollte,

Sah sie an den blonden Knaben:

«Sah ich heut dich nicht am Bronnen

Mit dem Vogel, mit dem Lamme,

 

Bei der Jungfrau mit den Rosen,

Bei der süßen Rosablanke,

Die heut früh den Kranz geflochten

Für Marien am Altare?»

 

Und der Knabe hat gesprochen:

«Reicher als heut am Altare

Ward auch hier ein Kranz geflochten,

Und du wirst die Dornen tragen.

 

Als der Gärtner säte Rosen

In der Buße bittren Garten,

Fiel dein Körnlein in die Dornen,

Und du kennst nicht deinen Namen.

 

Denn du heißest Rosadore,

Jene heißet Rosablanke,

Rosarosa, rote Rose,

Ihr seid aus demselben Stamme!

 

Seid geschenkt der Mutter Gottes,

Als sie vor zwölfhundert Jahren

Auf der sündgen Erde wohnte;

Jetzt erst seid ihr aufgegangen.

 

Doch noch seid ihr kaum entsprossen!

O erscheine, Herr des Gartens,

Hüte deine heilgen Rosen

Und zertritt die falsche Schlange!» –

 

«O, Benone, mir zum Troste

Eile!» nun die Kranke klaget,

«Denn es wirft die Lebenssonne

Über mich schon lange Schatten!»

 

Und der Knabe spricht: «Zum Kloster

Gehe ich, ihn zu ermahnen;

Doch zuvor, o fromme Tochter,

Muß ich deiner Treue danken.

 

Denn ich kann nicht wiederkommmen,

Eh erfüllet sind die Tage,

Daß wir alle durch die Pforte

Der Barmherzigkeit einwandern.

 

Heil sei dir und ewge Wonne,

Daß in Unschuld du gewandelt,

Und, zu hören Gottesworte,

Kinder gern um dich versammelt!

 

Viele dich am Himmelsthrone

Palmen schwingend schon erwarten,

Und sie singen dort im Chore,

Die du sie gelehrt, die Psalmen.

 

Heil sei dir und ewge Wonne,

Daß in Unschuld du gewandelt,

Daß du dich dem Herrn verlobet

Und die Treue ihm gehalten!

 

Also ist auch Jacopone

In die Blutschuld nicht gefallen,

Und so bricht der Tod dich Rose

Zu der Sühnung ewgem Kranze!

 

Heil sei dir und ewge Wonne,

Daß in Unschuld du gewandelt,

Und das Kleid der gütgen Toten

Unbeflecket hast erhalten!

 

Den Bußgürtel scharf gedornet

Trugst du still und ohne Klagen,

Und so halfst du, fromme Tochter,

Deiner Mutter Sünde tragen.

 

Heil sei dir und ewge Wonne,

Daß in Unschuld du gewandelt.

Was dir unterm Herzen wohnet,

Hast du nimmer mich gefraget!

 

Aber nun vor diesen Nonnen

Öffne ruhig die Gewande,

Zeige deines Herzen Rose,

Dieses Siegel deines Stammes!

 

Und es soll auch Rosadore,

Die man sonst Biondetten nannte,

An des eignen Busens Rose

Wahr erkennen ihren Namen.

 

Heil sei dir und ewge Wonne,

Daß in Unschuld du gewandelt,

Wisse, daß dir stets zu folgen,

Mich mein eigen Heil ermahnte.

 

Denn ich harre der drei Rosen

Länger als zwölfhundert Jahre.

Eine bist du, bald gebrochen,

Bald auch breche ich die andre!

 

Als der Heiland ward geboren,

Hab ich auch das Licht empfangen,

Und ich gab ihm meine Rosen,

Da er spielte bei dem Lamme.

 

Und er gab mir eine Knospe

Aus den Gräsern seines Lagers,

Hat dann liebvoll auch gesprochen:

`Agnus castus sei dein Name!'

 

Und wo ich bis jetzt gewohnet,

Sät ich dieser Pflanze Samen,

Ehrt sie höher als Kleinode,

Weil der Herr auf ihr geschlafen.

 

Agnus castus aller Orten

Heißt, wie ich, nun diese Pflanze.

Weißt du noch, wie ich dir Mosse

Sammeln sollte mit den Knaben,

 

Weil du dir bereiten wolltest

Deiner Hochzeit keusches Lager,

Wie ich dir zu deinem Schoße

Nichts als Agnus castus brachte?

 

Und du hast sie angenommen,

Dankend für die Hochzeitsgabe,

So schliefst du und Jacopone

Wie der Herr auf dieser Pflanze.

 

So hat eurem frommen Wollen

Gern der Heiland beigestanden,

Und das Lager deines Todes

Blieb durch ihn der Keuschheit Lager.

 

Bald steht deines Herzens Rose

Nun im selgen Himmelsgarten

Und schmückt ihm die Dornenkrone,

Die er hat für uns getragen!»

 

Als der Knabe so gesprochen,

Ging er betend aus der Kammer:

«Jesus Christus sei gelobet!»

Und die Sterbende sprach: «Amen!»

 

Doch jetzt nahten sich die Nonnen,

Die verschleiert fern gestanden,

Leis hinschwebend an dem Boden,

Rosarosens Sterbelager.

 

Und es knieet Rosadore

Eingehüllet in den Mantel.

Stille war es, nur der Odem

Wehte und das Licht der Lampe.

 

Und die eine sprach: «O Tochter,

Ich bin deiner Mutter Schatten.

Weh mir, daß ich es geworden!

Rosatristis ist mein Name.

 

Und auch du, o Rosadore,

Hast durch mich das Licht empfangen;

Fürchte nichts, erheb vom Boden

Deinen Blick, der mich erlabet.

 

Ach, so kann ich nach dem Tode

Mutterfreuden erst erlangen!

Wie unendlich ist die Wonne

Unergründlichen Erbarmens!»

 

Und nun schweift sie wie ein Vogel

Freudig um das Bett der Kranken,

Und umschwebet Rosadoren,

Streifend kühl durch ihre Haare.

 

Rosarosens Lebenswoge

Hebt sich nochmals Wellen schlagend,

Stumme Freudentränen flossen

Nieder von der bleichen Wange.

 

Denn sie hört im Ton der Worte

Jene Stimme widerschallen,

Die ihr einst das Haupt geschoren,

Ihrer Blöße sich erbarmend.

 

Durch die Seele Rosadorens

Bebt ein tiefes, süßes Bangen;

Furchtlos hat emporgehoben

Sie die Arme nach dem Schatten.

 

Denn sie sieht in dieser Nonne

Jenes Bildlein ihrer Kammer,

Das mit ihr gefunden worden,

Das sie stets so wert gehalten.

 

Rosatristis nun voll Wonne

Löst der Kranken Brustgewande,

Daß des Busens heilge Wogen

Schimmernd zu dem Lichte drangen.

 

Eine rote blutge Rose

Rosarosens Brust bestrahlet;

Was ihr unterm Herzen wohnet,

Hat sie so im Tod erfahren.

 

Während leis zu Rosadoren

Sich die andre Nonne nahte,

Und sie sah, die sie erzogen,

Rosalätens heilgen Schatten.

 

Rührend sprach sie: «Rosadore

Die ich sonst Biondette nannte,

Teure Jungfrau, zeig die Rose,

Die dir gab den neuen Namen.

 

Lasse, die dich hat geboren,

Meiner armen Schwester Schatten,

Lasse ihres Heiles Rose

Vor ihr blühn im keuschen Garten!»

 

Und in Zucht löst Rosadore

Ihres Mieders goldne Spangen,

Und des Herzens banges Pochen

Hört man durch die Stille schlagen.

 

Eine kleine goldne Rose,

Über ihrem Herz gemalet,

Zeigt im Spiegel ihr die Nonne

Als das Zeichen ihres Stammes.

 

Rosatristis spricht voll Wonne:

«O, gesegnet ist der Garten,

O, wie herrlich stehn die Rosen,

Und derHerr wird sich erbarmen!

 

Aber eine weiße Rose

Muß ich traurend noch erwarten,

Sehen darf ich nicht die Tochter,

Die unschuldge Rosablanke!»

 

Und nun hat sie aufgeschlossen

Den Bußgürtel, der die Kranke

Noch umgürtete – da flossen

Ströme Blutes von der Armen.

 

Stürzend in den Arm Meliores

Aus dem Fenster bei dem Brande,

Hatte von des Gürtels Dornen

Tiefe Wunden sie empfangen!

 

Rosatristis spricht zum Troste:

«Du stehst recht im Rosengarten,

Den der Herr bei seinem Tode

Für die Märtyrer gepflanzet.

 

Deines Blutes jeder Tropfen

Fällt auf meine Seele labend;

Heilig hast du es vergossen,

Das in Sünden du empfangen.»

 

Und sie gürtet Rosadoren

Mit des Gürtels scharfen Stacheln:

«Wolle ihn um mich, du Tochter,

Treu wie deine Schwester tragen!

 

Gebe ihn bei deinem Tode»,

Spricht die Nonne, «Rosablanken!»

Peinumgürtet steht die Fromme,

Klaglos für die Marter dankend.

 

Und nun sinkt sie mit den Worten

Froh in Rosarosens Arme:

«Laß, o Schwester, deinen Odem

Mich von deinen Lippen fangen!» –

 

«Sei willkommen, Todessonne!»

Spricht die Kranke liebesstammelnd,

«Mir ins Herz mit Siegeswonne

Fallen deiner Augen Strahlen!

 

Aber, was du mir versprochen,

Singe mir ein Lied zur Harfe,

Daß die Seele vor dem Tode

Auf dem Klang vorüber wandle!»

 

Da ergreifet Rosadore

Geistberauschet ihre Harfe,

Also süße Töne lockend,

Daß die Nonnen selig schwanken.

 

Doch es tritt nun Jacopone

Heftig ein mit einem Arzt:

Der unheilige Apone

Folgt ihm stolz und dreist zur Kammer.

 

Und vom Zug der Tür erloschen,

Starb das Licht der kleinen Lampe.

«Licht her, Licht!» schreit wild Apone,

«Was tun hier die alten Ammen?»

 

Denn er sieht die beiden Nonnen

Geistig schimmernd bei dem Lager.

Und es eilet Jacopone,

Anzustecken schnell die Lampe.

 

Und es folgen ihm die Nonnen,

Geistig rauschend durch die Harfe,

Rufen: «Wehe, weh Apone!

Fluch der Schlang und ihrem Samen!»

 

Und nun griff der Arzt im Zorn,

Und erfasset bei der Harfe

Die versteckte Rosadore,

Und die Jungfrau schreit: «Erbarmen!»

 

«Ha!» spricht Apo, «sei willkommen,

Schöne Nachbarin! Zu fangen

Solch ein Vöglein ich nicht hoffte

Bei dem Bette einer Kranken!

 

Hat der kluge Jacopone

Dich zu seinem Trost belanget?

Die Juristen bei den Toten

Gerne sich an Leben halten!»

 

Und nun will er Rosadoren

Scherzend um die Hüfte fassen;

Doch sie war erstarkt im Zorne,

Reißt ihm schmerzlich an dem Barte.

 

«Also halt ich dich, du Toller,»

Spricht die Jungfrau, «bis die Lampe

Wiederbringet Jacopone,

Daß er sehe deine Schande!»

 

Frech erwidert ihr Apone:

«Wenn du mich nicht fester fassest,

Sind mir eine rechte Wonne

Solche Händlein in dem Barte!»

 

Und nun kehret Jacopone

Mit der Lampe in die Kammer,

Und es läßt den Bart Apones

Rosadore schamhaft fahren.

 

«Herr,» spricht sie, «wie magst du zum Troste

Deines Weibes du den alten,

Ehrvergessnen Buben holen?

Weh mir, daß ich hier gestanden!»

 

Aber nun zu Jacopone

Spricht mit schwachem Ton die Kranke:

«Um den tröstenden Benone

Bat ich meinen Herrn und Gatten!»

 

Und er spricht: «Auch er wird kommen,

Jetzt vertrau dem großen Arzte;

Dieser Aesculap Bolognens

Wird dich, Theure, mir erhalten.

 

Conciliator, dich, Apone,

Man ob hoher Weisheit nennet,

Dich versühnend wolle folgen

Der Bedeutung deines Namens.»

 

Aber nun zu Jacopone

Spricht mit schwachem Ton die Kranke:

«Um den tröstenden Benone

Bat ich meinen Herrn und Gatten!»

 

Und er spricht: «Auch er wird kommen,

Jetzt vertrau dem großen Arzte.

Wolle, daß die Kunst Apones,

Theure, dich mir noch erhalte!»

 

Und zum Arzt spricht er die Worte:

«Herrlicher, vergiß des Kampfes,

Der uns trennte oft im Zorne,

Nimm die Hand zum Friedenspfande!

 

Dienen will ich deinem Lobe;

Kannst du mir mein Weib erhalten,

Geb ich dir zweitausend Kronen,

Geb ich mehr noch, geb ich alles!»

 

Und zum Lager tritt Apone,

Reißt die Decke von der Kranken,

Doch es stürzt sich Rosadore

Über sie mit ihrem Mantel.

 

Und der Arzt spricht wild im Zorne:

«Was soll hier ich besser machen,

Wo man meiner nur will spotten?

Nackt muß ich die Kranke haben!

 

Über ihrem Herzen drohend

Einen Flecken von dem Brande

Sah ich schwarz. Sie ist des Todes,

Wenn ich sie nicht heilend salbe!»

 

«Nimmer,» spricht nun Rosadore,

«Sollst du sie berühret haben,

Ihres Herzens heilge Rose

Nimmer sehen, böse Schlange!»

 

Und erbittert flucht Apone:

«Nun, so soll ich sein verdammet!

Schöne Buhlrin, dir zum Hohne

Sollst du mir zur Seite wandeln!

 

Du sollst deine Jungfraukrone

Selber mir ins Haus eintragen,

In den Spuren meiner Sohlen

Sollst du liebekrank herwandeln!

 

Abends an mein Lager kommen,

Deinen Leib mir anzutragen,

Und mit Füßen weggestoßen

Sollst du in der Brunst verschmachten!

 

In der Kirche, vor dem Volke,

auf dem offnen vollen Markte

Sollst du mir verbuhlet folgen,

Wie dem Leibe folgt der Schatten!»

 

Ihm erwidert Rosadore:

«Mein wird sich der Herr erbarmen;

Vor dem Fluch, den du geschworen,

Wird er seine Magd bewahren!

 

Eher sollen alle Rosen

Mit den Wurzeln abwärts wachsen

Und die vollen Liebeskronen

In der Erde Nacht begraben,

 

Eher all die bleichen Toten

Aus der Tiefe blühend wandeln

Und was lebet an der Sonne

Fluchend in die Gräber tragen,

 

Eh der Mond vom Sternendome

Buhlend in ein Nest voll Drachen

Steigen und im keuschen Schoße

Ungeheure Brut empfangen,

 

Und eh soll die lichte Sonne

Weichen aus des Himmels Bahnen,

Durch der Hölle Tor zu wandeln,

Eh ich tret in deine Pforte.

 

Ja, eh wird dem Feinde Gottes,

Dem satanschen Sündenvater,

Auch ein Gottsohn ausgeboren,

Keusch von einer Magd empfangen,

 

Und zu lösen uns vom Tode,

An das heilge Kreuz geschlagen!

Gott verzeihe mir die Worte,

Antwort ungeheurer Fragen!

 

Nein! nein! nein! Du hast gelogen!

O erscheine, Herr des Gartens,

Tritt den Lügner an den Boden,

Trete auf das Haupt der Schlange!»

 

«Kind,» spricht Apo, «heiße Kohlen

Möchtest auf mein Haupt du sammeln,

Aber mir auch blühen Rosen;

Gut lacht, wer am letzten lachet!»

 

Doch indes fragt Jacopone

Flehend die geliebte Kranke,

Wie sie so viel Blut vergossen?

Und sie hat es ihm gestanden.

 

Und nun bietet er Apone,

Daß er helfend ihm mög raten,

Abermals zweitausend Kronen,

Nimmt das Gold gleich aus dem Schranke.

 

Jener aber spricht: «Die Dornen,

Die ihr schwer den Leib durchstachen,

Wirf in einen tiefen Bronnen

Oder in ein fließend Wasser;

 

Dann, so wie der Gürtel rostet,

Schließen sich die Wundenmale;

Doch vor allem einen Tropfen

Nehme sie aus dieser Flasche!»

 

Und nun reichet ihr Apone

Eine Flasche; doch die Kranke

Winkt verneinend mit dem Kopfe,

Und Apone weicht vom Lager;

 

Denn er höret eine Glocke;

Fackelschein erhellt die Gasse,

Weil begleitet von dem Volke

Sich der Leib des Herren nahet.

 

Mit dem Sakrament gezogen

Kommt Benone durch die Straße,

Und die Kranke hebt frohlockend

Und getröstet sich vom Lager.

 

«Bleibe liegen!» sprach Apone.

«Willst du dir dein Weib erhalten,»

Sagt er dann zu Jacopone,

«Hüt sie vor dem Abendmahle!

 

Sie stirbt eines schnellen Todes

Bei der letzten Ölung Salbe.

Da ich sie hab übernommen,

Werd ich dieses nie gestatten!» –

 

«Jacopone, Jacopone,»

Seufzt nun angstbewegt die Kranke,

«Willst du mich zur Hölle stoßen?

Hüte mich vor diesem Drachen!»

 

«Seht, sie raset,» spricht Apone,

«Sie ist nicht mehr bei Verstande,

Denn sie spricht verwirrte Worte,

Taugt jetzt nicht zu heilgen Sachen!»

 

Doch nun tritt herein Benone,

Nahet sich dem Bett der Kranken,

Und sie spricht: «O Herr, willkommen!

Wolle meine Beicht empfangen!»

 

Und der Priester will, es sollen

Alle nun allein ihn lassen.

«Rosadore, Jacopone

Mögen bleiben,» spricht die Kranke.

 

«Und ich geh nicht,» spricht Apone,

«Bis der Gürtel liegt im Wasser,

Bis getrunken sie die Tropfen.

Wer bringt meine Pflicht zu wanken?»

 

Und zu weichen hat Benone

Nochmals friedlich ihn ermahnet;

Aber höhnisch ihm der Stolze

In das würdge Antlitz lachet.

 

Nun erst fühlet Jacopone,

Welcher Geist in diesem Arzte,

Und er spricht in schnellem Zorne:

«Weich aus meinem Haus, du Laster!» –

 

«Hast du mich mit Schmeichelworten

Hergelocket,» spricht der Arge,

«Bringst du mich mit bösem Trotze

Wahrlich nimmermehr von hinnen!» –

 

«Weh uns!» jammert Jacopone,

«Wer mag diesen Teufel bannen!»

Und es nahet Rosadore,

Spricht: «Ich wags in Gottes Namen!»

 

Und sie zieht gleich einem Dolche

Jene Nadel Rosablankens

Aus dem Haar, das Gold der Locken

Fließt, sie rüstend, von dem Nacken.

 

Und im heilgen Zorne Gottes

Springt die Kranke von dem Lager,

Und ein Kreuz von rotem Golde

Dienet ihr zur frommen Waffe.

 

Aber beiden reißt Apone

Von dem Busen die Gewande.

Da er sieht die heilgen Rosen,

Fühlt er seine Sinne wanken.

 

Und er fluchet: «Moles, Moles!

Dies ist unser Rosengarten.

Daß er ewiglich verdorre,

Mußt du dich zur Arbeit halten!»

 

Doch am Fenster ruft Benone

Dem Geleite, und mit Fackeln

Dringen sie herauf; Meliore

Tritt einher vor allen andern.

 

Doch er stehet schwer erschrocken,

Da er Apo sieht, und fraget:

«Meister, lebet ihr hier doppelt?

Eben hab ich euch verlassen!

 

Pietro kam als schneller Bote

Zu dem Vater Rosablankens,

Der erkrankte, euch zu holen,

Und Ihr seid mit ihm gegangen.

 

Habt mir selbst die Hand geboten,

Spracht, daß ihr des alten Hasses

Gänzlich nun vergessen wolltet,

Weil ich brav gelöscht beim Brande.

 

Dann hast du mich angesprochen

Um ein Büschel meiner Haare;

Sprachst: `Aus blondem Haar gesponnen

Wird zur Wundennaht der Faden.'

 

Und ich gab dir eine Locke –

Sieh, hier fehlt sie mir im Nacken –

Folgte weit dir vor dem Tore,

Bis in meines Bruders Garten,

 

Wo du eintratst, weiße Rosen

Und Arzneikraut einem Kranken

Zur Erquickung gleich zu holen;

Dorten hab ich dich verlassen.

 

Denn es war dort bei den Rosen

Solch ein heftger Duft entstanden,

Daß mir schier gebrach der Odem;

Wankend ging ich aus dem Garten.

 

Jetzt – wie find ich dich hier oben?»

Doch ihn bei dem Arme fassend

Spricht Apone: «Freund Meliore.

Jetzt geleite mich von dannen!

 

Denn die Gattin Jacopones

Will das Sakrament empfangen,

Gönnen wir ihr Raum zum Troste!»

Und nun gehen sie zusammen.

 

Ihnen folgen, die vom Volke

Mit den Fackeln aufwärts drangen.

In den Armen Jacopones

Ruht ohnmächtig noch die Kranke.

 

Da sie wieder sich erholet,

Segnend ihr der Priester nahet,

Und sie spricht mit leisen Worten,

Matt aufrichtend sich vom Lager:

 

«Der du an der Stätte Gottes,

Höre, wie ich mich anklage,

Was ich sündlich hab verbrochen,

Seit auf Erden ich gewandelt,

 

Mit Gedanken, Werken, Worten.

Und zuerst nun mit Gedanken:

Ich gedachte, meinem Gotte

Könnt ich Sünderin gefallen.

 

Und ich sündigte mit Worten,

Weil ich Gott nicht Wort gehalten,

Als das ja ich Jacopone

Treulos gab an dem Altare.

 

Und mit Werken,» sprach die Fromme,

«Da ich sprang von dem Theater;

Denn ich glaubte fest, des Todes

Würd ich an die Erde fallen;

 

Glaubt in meinem bösen Stolze

Ohne Sakrament empfangen

Käm ich doch zu meinem Gotte,

Sündigte auf sein Erbarmen.

 

Doch mich nicht verderben wollend,

Hat er mich zur Buß erhalten,

Die von ihm durch dich, Benone,

Ich zerknirschet nun erwarte!» –

 

«Rosarosa,» sprach Benone,

«Keiner noch trat ohne Makel

Vor den Thron des ewgen Gottes;

Er wird dein sich auch erbarmen!

 

In des Vaters, in des Sohnes,

In des heilgen Geistes Namen

Sei dir, meine fromme Tochter,

Deine Schuld erlassen! Amen.

 

Fühlst du jetzt dein Haus geordnet,

Deinen Herren zu empfangen,

Speis ich mit dem Himmelsbrote

Dich zu diesem letzten Pfade.» –

 

«Bis zum neuen Morgenrote

Harret noch», spricht leis die Kranke,

«Einen Bissen weißen Brotes

Aß ich heut von einer Armen,

 

Der durch dich, mein Jacopone,

Ward ihr kleines Feld erhalten

Gen den Anspruch eines Großen;

Sie bracht mir das Brot zum Danke,

 

Bat: `O esse von dem Korne

Jetzt aus Liebe zu dem Manne,

Der gerettet mir den Boden

Dem dies Brot für mich entwachsen!'

 

Aber hört, die elfte Glocke

Schlägt! Noch eine Stunde harret;

Reicht indes zum letzten Troste

Mir des heilgen Öles Salbe!»

 

Doch nun klaget Jacopone,

Der bis jetzt in stummen Jammer

Saß an ihrem Lager oben:

«Weh, o weh, ich muß dich lassen!

 

O dich, aller Jungfraun Krone,

Keusch und duldend gleich dem Lamme,

Das die Schuld hat hingenommen,

Das für uns das Kreuz getragen,

 

Rosarose, heilge Sonne

Meiner irdisch trüben Tage,

Firmament voll Lichtessonne,

Ewig gleiche Friedenswage!

 

Herr, was hab ich denn verbrochen,

Daß ich in der Nacht soll wandeln,

Daß aus meines Himmels Dome

Nun erlischt die heilge Lampe?

 

Weh, o weh, du süße Rose,

Dornen dir das Herz zerbrachen,

Die du fromm vor mir verborgen;

Schuldig muß ich mich anklagen!

 

Weh, ich bins, der dich gemordet,

Blind an jenem Hochzeitsabend,

Da durch mich du von den Toten

Hast den Dornengurt empfangen!

 

Und ich habe zu der Oper

Dich geführet heute Abend:

Weh, durch mich wards du durchbohret

Von dem Gürtel bei dem Brande!

 

Deine letzte Zeit verdorben

Hab ich dir aus falschem Wahne

Durch den Bösewicht Apone,

Hoffend, dich mir zu erhalten!

 

Ach, ich diene bösem Stolze!

Die ich nie besessen habe,

Die mir ewig war verloren,

Wollt ich mir durch Kunst erhalten!

 

Weh, mein Weib, du Jugendrose,

Auf dem Wasser der Demanten

Spiegelt deiner Schönheit Sonne

Ihres Abendrotes Flamme!»

 

Also jammert Jacopone.

Ihm erwidert dann die Kranke:

«Wolle nicht mit harten Worten

Gegen Gottes Willen klagen.

 

Lasse uns den Herren loben,

Daß er uns zurückgehalten

Von dem Abgrund ewgen Todes,

Von der Blutschuld hartem Laster.

 

Wenn der Schleier wird gehoben

Über unserm dunklen Stamme,

Singst du bis zu deinem Tode

Gott und seiner Mutter Psalmen.

 

Seit das Weib den schwer verbotnen

Apfel teilte mit dem Manne,

Bringt das Weib das Kind des Todes

Zu der Welt mit Not und Jammer.

 

Und wir durch die Güte Gottes

Haben schuldlos uns erhalten,

Und er wird uns nicht verstoßen

Aus des Paradieses Garten.

 

Auch ich muß von diesem Orte

In den Willen des Erbarmers;

Dich, bei dem so gern ich wohnte,

Muß ich einsam nun verlassen.

 

Und du sollst, wie Christen sollen,

Deinem irdschen Gut entsagen,

O, mein Bruder, wolle folgen

Eines schwachen Weibes Rate.

 

Geh in einen frommen Orden;

An die Stelle des Theaters

Laß erbaun ein heiles Kloster;

Dort auch ruhe meine Asche!

 

Lasse jetzt von armen Volke

Stille mich zu Grabe tragen,

Bis erbauet ist das Kloster

Zur Kapelle bei Sankt Claren.

 

Und den Schwestern dieses Ordens

Dann das neue Kloster lasse,

Weil sie jetzt nur ärmlich wohnen

Und das Haus sie kaum mehr fasset.

 

Meinen Sarg, geschmückt mit Rosen,

Laß von armen Jungfraun tragen;

Lasse auch die Kinder folgen,

Die ich stets geliebet habe.

 

Allen spende aus zum Lohne

Meine vollen Kleiderladen,

Aus dem Tuch, das ich gesponnen,

Lasse allen Hemdlein machen.

 

Mein Geschmeide, silber, golden,

Alle Perlen und Demanten,

Die mir deine Huld erworben,

Schenke ich zu dem Altare.

 

Lasse eine Mutter Gottes

Recht vor allen herrlich malen

Und ihr vor dem hohen Chore

Himmlische Musik erschallen.

 

Mit des Weihrauchs süßen Wolken,

In wollüstger Düfte Kampfe,

Soll ein Wald unzählger Rosen

Um der Kirche Säulen ranken.

 

Kelche, Lampe, Weihebronnen,

Leuchter, Rauchfaß und Monstranzen:

Alle seien goldne Rosen,

Durch der Künstler Fleiß gestaltet.

 

Und die groß und kleine Glocke

Und der Taufstein und die Kanzel

Seien Rosen gleich geformet.

O, welche frommer Rosengarten!

 

Als ich bin getragen worden

Sinnlos weg von dem Theater,

Hat sich ein Gesicht ergossen,

Hab ich diesen Wunsch empfangen.

 

Unter einem hohen Dome

Sah ich Weihrauchwolken wallen

Und Gesang und Klang der Orgel

Durch die Säulenwälder wachsen.

 

Und ich sah den Greis Benone

Eine Totenmesse halten,

Aber alles war voll Wonne,

Alles war voll selgen Glanzes!

 

Und ich sah viel fromme Nonnen

Einsam betend in der Kammer,

Sah sie nächtlich in dem Chore

Himmlische Gebete lallend.

 

Und vor allen glanzumflossen

Sah ich eine mit der Nadel

Weiße, rote, schwarze Rosen

Wirken in die Meßgewande.

 

Und das Bild der Mutter Gottes,

Gnädig blickend vom Altare,

Glich dir, meine Rosadore,

Aber heilger, höher strahlend.

 

Und ich selbst lag eingeschlossen

Kühl in einem Marmorsarge;

Auf der schweren Decke oben

Schlief der Knabe mit dem Lamme.

 

Rings um mich geliebte Tote

Schlummerten zum letzten Tage;

Doch kein Sinn war mir verschlossen,

Und ich sah und hörte alles.

 

Ach, wie mag die Visionen

Alle ich in Worte fassen!

Durch der Kirche hohe Bogen

Himmelschöre niederdrangen!»

 

Und nun sagte Rosadore:

«Ja, des Himmels Tore standen

Über diesem Tempel offen,

Von den Seligen umscharet.

 

Und es stand die Mutter Gottes

Und der Heiland mit dem Lamme

Ganz bekränzt mit süßen Rosen

In des Lichtes ewgen Glanze.

 

Und der Engel Legionen

Sangen: Gnade! Gnade! Gnade!

Tausend Kränze heilger Rosen

Sah ich zum Altare fallen.

 

Und den Schleier einer Nonne

Sah ich nehmen Rosablanken;

Eine Goldflut ihrer Locken

Vor der Schere niedersanken.

 

Singend stand ich auf der Orgel,

Vor mir stand die goldne Harfe;

Aber stille und gestorben

Lag mein Herz in kalten Banden,

 

Wie in bösem Traum der Boden

Fliehenden die Füße bannet,

Hilferufenden der Odem

Kämpfend in der Brust erstarret.

 

Lebend und doch eine Tote,

Sehend und doch dicht umnachtet,

Stumm, doch singend vollen Tones,

War ich wie von Stein umfangen.

 

Neben mir stand schwarz Apone.

Weh, o weh, was er gesaget,

Was er sprach vorhin im Zorne,

Füllet mich mit tiefem Bangen!

 

Doch am Altar aufgezogen

Ward ein himmelblauer Mantel,

Und das Bild der Mutter Gottes

Grüßte laut des Volkes Ave.

 

Und ich hört in meinen Ohren:

Ave, Salve, Mater! schallen,

Und aus meinen Augen quollen

Wieder Tränen auf die Wangen.

 

In der Kirche hohem Dome

Schmetterten die Nachtigallen,

Ganz durchzucket von dem Tone

Fühlt mein Herz ich wieder schlagen.

 

Und ich bin emporgeflogen,

Eine Stimme, singend Ave,

Bin des Engels Gruß geworden,

Ave, Salve, Dei Mater!

 

Dies Gesicht war mir ergossen,

Da ich sinnlos in der Harfe

Ruhete, von Meliore

Fromm gerettet bei dem Brande.» –

 

«Was du sahest, Rosadore,

Sah ich alles,» sprach die Kranke,

«Herr! du hast in Visionen

Wunderbar dich uns erbarmet!»

 

Und in stiller Wonne schlossen

Beide sich in ihre Arme.

Ruhig sprach nun Jacopone:

«Herr, tu mir nach Wohlgefallen!»

 

Aber nun tritt durch die Pforte

Agnus castus mit dem Lamme,

Knieet betend an dem Boden

Neben Rosarosens Lager.

 

Nach der Sanduhr sieht Benone,

Eine Schelle rührt der Knabe,

Niederknieet Rosadore,

Jacopone bei der Kranken.

 

Beim Gesang des frommen Volkes,

In dem Scheine heller Fackeln,

Hat sie leis das Haupt erhoben

Und des Herren Leib empfangen.

 

Und dann sprach sie noch die Worte:

«Herr, du hast dich mein erbarmet,

Herr, dein Wille sei gelobet,

Meine Seele nun empfange!»

 

Mit dem heilgen Öl Benone

Haupt und Hand und Fuß ihr salbet.

Und sie sprach: «Des Herzens Rose

Wirft unendlich weiten Schatten!

 

O der Wonne, o des Trostes,

O des wundersüßen Garten!

Singe, meine Rosadore,

Mit des Himmels Nachtigallen!

 

In dem Schatten meines Todes

Lasse Gottes Lob erschallen!»

Und es sang nun Rosadore

Zu dem Klang der goldnen Harfe.

 

Solch ein Lieb, so selgen Tones,

Hat nur da die Luft getragen,

Als der Heiland ward geboren

Und die Engel Gloria sangen.

 

Also sang des Lichtes Bogen,

Da den Lustkreis aller Farben

Gott durch seinen Raum hinrollte

In dem Glanz des ersten Tages;

 

Also tönt des Wassers Woge,

Mit dem Rund des Erdenballes

Selig spielend in der Sonne,

Jauchzend an dem ersten Tage.

 

In so süßen Tones Strome

War die Luft aus Gottes Atem

Um die junge Welt ergossen,

In der Lust des ersten Tages.

 

Und die neue Erde rollte

Unter also freudgem Klange

In den Kreis von Mond und Sonne,

Jubelnd an dem ersten Tage.

 

Also sang das Blut, ergossen

Durch des neuen Menschen Adern,

Also sang der Mensch voll Wonne,

Da er zu der Welt erwachte.

 

Doch annoch viel höhern Tones

Wird das Lied der Selgen schallen,

Wenn sie aus dem Haus des Todes

Zu dem Antlitz Gottes wandeln.

 

Aber nun zieht mit dem Volke,

Betend bei dem Schein der Fackeln,

Nach dem Kloster hin Benone.

Einsam steht der Toten Lager.

 

Und es küßt ihr Rosadore

Tränenlos die bleiche Wange,

Grüßet scheidend Jacopone

Und verläßt ihn mit der Harfe.

 

Einsam sitzet Jacopone

Auf dem stummen Sterbelager,

In der Toten Demantkrone

Mit des Schmerzes Blick hinstarrend.

 

Keine Träne ihm entrollet;

Seine tiefe Trauer raget

Wie die Wüste öd und trocken

Auf, am Horizont verschmachtend,

 

Ohne Schatten, und die Sonne

Selbst ein tiefer Feuerschatten,

Der sich wie ein weiter Bogen

Über seinen Scheitel lagert.

 

Die Gedanken an dem Boden

Schleichend, in dem gleichen Sande,

Alle Spuren von dem Odem

Heißen Sturmes stets verwaschen.

 

An dem Himmel keine Wolke,

An der Erde keine Pflanze,

Auch kein einzger kühler Tropfen

In dem ungeheuren Plane.

 

Also sitzet Jacopone

In der Wüste seines Jammers,

In die helle Demantkrone

Der geliebten Leiche starrend.

 

Aber auf die Schulter klopfet

Agnus castus ihm, der Knabe,

Reicht ihm einen Korb voll Rosen:

«Jacopone, jetzt erwache!

 

Kränz des Todes Braut mit Rosen;

Sie sind aus demselben Garten,

Wo die Rosen ihr gebrochen

An dem ersten Hochzeitsabend.

 

Nimm ihr ab die Demantkrone,

Die du ihr hast heute abend

In das Silberhaar geflochten;

Deiner letzten Pflicht gewarte!

 

Einst werd ich am rechten Orte

Wunderbare Dinge sagen;

Du wirst, die dir war verborgen,

Deines Namens Schuld erfahren.»

 

Sprachs. – Da jener nahm die Rosen,

Schied er betend aus der Kammer:

«Jesus Christus sei gelobet!»

Jacopone saget: «Amen!»

 

Als er löst die Demantkrone

Aus dem Strom des Silberhaares,

Ist des Schmerzes Kern gebrochen,

Und des Jammers Quellen sprangen.

 

Da er ihr den Kranz der Rosen

Legte in die Silberhaare,

Sind die Augen in dem Strome

Heißer Tränen ihm vergangen.

 

Da der arme Jacopone

Ihr die kalten Hände faltet,

Ist der Trauring roten Goldes

In die Hand ihm schwer gefallen.

 

Da er ihr das Aug geschlossen,

Brach er aus in lauten Jammer,

Ganz in einem Tränenstrome

Der Geliebten Antlitz badend.

 

Als die Nacht war hingezogen,

Stand des Morgensternes Fackel

An dem stillen Horizonte,

Wie ein Irrlicht auf dem Grabe.

 

Wie in eines ausgestochnen

Auges leere Höhle, zagend

Sah des neuen Tages Sonne

In das Herz des armen Mannes.

 

Und wie an dem Hochzeitsmorgen

Pietro, sie begrüßend, sagte:

Grüßt sie an dem Todesmorgen;

Jacopone, laut aufjammernd:

 

«Grüß dich, blutge Todessonne,

Grüß dich, Held des Unterganges,

Grüß dich, Heiland voller Dornen,

Grüß dich, Sichel meines Gartens!

 

Grüß dich, lichter Trauerbote,

Grüß dich, Tauestränensammler,

Grüß dich, Wecker aller Toten,

Grüß dich, Feuerheld des Grabes!

 

Singt die sieben letzten Worte,

Singt sie mir, ihr grauen Schwalben!

Singt ihn mir, den Schild des Todes,

Singt den Held des Unterganges!»