BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Jacob Burckhardt

1818 - 1897

 

Der Cicerone

 

An Franz Kugler

 

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[V]

Vorrede.

 

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Die Absicht des Verfassers ging dahin, eine Übersicht der wich­tigern Kunstwerke Italiens zu geben, welche dem flüchtig Reisenden rasche und bequeme Auskunft über das Vorhandene, dem länger Verweilenden die nothwendigen Stylparallelen und die Grundlagen zur jedesmaligen Local-Kunstgeschichte, dem in Italien Gewesenen aber eine angenehme Erinnerung gewähren sollte. Absichtlich ausgeschlos­sen blieb alles bloss Archäologische. Im Einzelnen wird man sehr verschiedene Gesichtspunkte befolgt finden; oft durfte ich nur eine erläuternde Bemerkung, eine geschichtliche Notiz, oft auch nur Inhalt und Ort angeben; das Beschreiben war nur in so weit meine Aufgabe, als es dazu dienen konnte, auf wesentliches Detail aufmerksam zu machen, oder die Auffindung und Erkennung der betreffenden Gegenstände zu erleichtern; sonst rechnete ich durchgängig darauf, dass der Leser das in Rede Stehende gesehen habe oder sehen werde. In den Ortsbestimmungen [VI] suchte ich so deutlich und vollständig zu sein als bei dem Umfang des Werkes möglich war 1).

Nun ist es meine erste Pflicht, die wesentlichsten Lücken des Werkes zu bezeichnen. Diejenigen Orte und Gegenden, welche ich entweder gar nicht, oder nur auf flüchtiger Durchreise, oder in unreifem Alter besucht habe, sind folgende:

Turin und ganz Piemont.

Cremona, Lodi, Pavia.

Mantua, Treviso, Udine.

Imola, Faenza, Cesena, Rimini.

Pesaro, Urbino, Loreto.

Volterra, S. Gimignano, Monte oliveto, Pienza.

Subiaco, Palestrina.

Vom Königreich Neapel alles was südlich über Pästum, östlich über Capua und Nola hinaus liegt.

Sodann sind ganze Gattungen von Kunstgegenständen übergangen, entweder weil das Interesse daran ein allzu specielles ist (die etruskischen Alterthümer), oder weil nordische Sammlungen für das betreffende Fach ungleich wichtiger erscheinen (die ägyptischen Sculpturen), oder weil die Gegenstände sehr beweglich, oder schwer sichtbar und [VII] nur für ein besonderes Studium ergiebig sind (Sammlungen von Kupferstichen, Gemmen und Münzen; auch viele Privatsammlungen von Gemälden). Die Miniaturen der Handschriften liess ich weg, weil deren häufige Besichtigung ihren Untergang beschleunigt. Endlich wird es nicht befremden, dass die ganze Darstellung nicht über das Ende des vorigen Jahrhunderts herabreicht. Für die moderne Kunst bringt fast Jedermann feste Massstäbe mit.

Die Anordnung des Buches, an welche sich der Leser mit Hülfe des sorgfältigen Registers bald gewöhnen wird, war die einzig mögliche, wenn der Hauptzweck, die Behandlung der Denkmäler nach ihrem Kunstgehalt und ihren Bedingungen, auf so engem Raum erreicht werden sollte. Für schnelle Orientirung sorgen die Reisehandbücher, deren trefflichstes, von Ernst Förster, auch mir an manchen Stellen von grossem Nutzen gewesen ist. - Das Raisonnement des „Cicerone“ macht keinen Anspruch darauf, den tiefsten Gedanken, die Idee eines Kunstwerkes zu verfolgen und auszusprechen. Könnte man denselben überhaupt in Worten vollständig geben, so wäre die Kunst überflüssig und das betreffende Werk hätte ungebaut, ungemeisselt, ungemalt bleiben dürfen. Aber auch bis an die erlaubten Grenzen bin ich nicht gegangen; schon die nothwendige Kürze verbot diess. Das Ziel, welches mir vorschwebte, war vielmehr: Umrisse vorzuzeichnen, welche das Gefühl des Beschauers mit lebendiger Empfindung ausfüllen könnte. [VIII]

Mit mancherlei Ungleichheiten der Darstellung wird man Nachsicht üben bei einem Buche, welches zu zwei Drittheilen während der Reise geschrieben wurde. Den Styl gebe ich Preis. Mancher Satz wurde überfüllt, damit der Band nicht um ein paar Bogen dicker und schwerer gerathe als er leider schon ist. - Wenn ich etwas häufig in der ersten Person rede, so geschieht diess fast ausschliesslich, um zu bekennen, dass ich dieses oder jenes Kunstwerk nicht gesehen habe, oder um irgend eine von der Tradition abweichende Ansicht pflichtgemäss zu vertreten.

Bei der Architektur habe ich mich nur im seltensten Fall der Kupferwerke und Abbildungen bedient. (Z. B. bei Anlass der Kirche von Montepulciano.) Es bleibt bedenklich, auch nach den besten Abbildungen auf den Eindruck zu schliessen, den das Nichtgesehene vermuthlich machen müsse. Gerne hätte ich z. B. aus den Werken von Percier und Fontaine eine Nachlese gehalten, namentlich für das Capitel von den römischen Villen, wo dann jene verführerische kleine Villa Sassetti jenseits Monte Mario einzureihen gewesen wäre. Allein es hätte mir begegnen können von Anlagen zu sprechen, deren eine Hälfte schon vom Zeichner ergänzt, deren andere Hälfte aber jetzt ohnediess nicht mehr vorhanden ist.

Die Decoration des Renaissancestyls hat hier einen eigenen Zwischenabschnitt erhalten, damit nicht die Darstellung der sämmtlichen drei Künste beständig durch dieses vierte Element unterbrochen würde. Wen dasselbe [IX] nicht interessirt, der braucht nur im Register die mit D. bezeichneten Citate zu überschlagen.

In dem Abschnitt über Sculptur sind die Antiken vorherrschend nach demjenigen System geordnet, welches dem zweiten Theil von Ottfried Müllers „Archäologie“ zu Grunde liegt. Das betreffende Stück ist hauptsächlich für die Vielen geschrieben, welche zwar mit genussfähigem Auge begabt, allein nur auf ganze, harmonische Eindrücke vorbereitet und dem Fragmentarischen und Bedingten (das hier so sehr vorherrscht) abgeneigt sind 2). - Bei der neuern Sculptur ist der Abschnitt über den Barockstyl (wie die entsprechenden Abschnitte der beiden andern Künste) etwas lang ausgefallen. Allein es erscheint mir als Thatsache, dass eine genaue und besonnene Mitbetrachtung dieser Epoche den Genuss der vollkommenen Werke der goldenen Zeit wesentlich steigern hilft. Allerdings gilt diess nur für uns Laien, denn der Künstler soll eigentlich nur das Beste anschauen.

Bei der Malerei konnte es am wenigsten meine Aufgabe sein, den geistigen Inhalt erschöpfen zu wollen, der [X] ja quantitativ unendlich reich sein kann; ich durfte nur der Betrachtung hie und da die Wege weisen und auf die Voraussetzungen hindeuten, unter welchen das einzelne Werk zu Stande kam. In den Namengebungen, deren Kritik überhaupt nicht Sache dieses Buches ist, folge ich den gewöhnlichen Annahmen, wo nicht meine besondere Ansicht als solche gegeben wird. - Für diejenigen endlich, welchen nur das Rarste und Unzugänglichste Freude macht, ist hier wenig gesorgt. Solche suchen im Grunde nicht die Kunst, sonst würde ihnen das vermeintlich Allbekannte mehr zu denken geben.

Möge dieses kleine dicke Buch mit seinem bunten Inhalt als ein nicht unerwünschter Reisebegleiter erscheinen. Wenn es, weit entfernt alle Wünsche zu befriedigen, wenigstens Vielen Etwas gewährt, so wird der Verfasser glauben, nicht umsonst gearbeitet zu haben.

 

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1) Die Ausdrücke „rechts“ und „links“ sind immer im Sinne des Kommenden gebraucht, also z. B. in Kirchen nicht vom Hochaltar, sondern vom Portal aus verstanden. Das Portal ist immer das der Hauptfronte, wo das Gegentheil nicht ausdrücklich bemerkt wird. 

2) Das Werk Braun's: „Die Ruinen und Museen Roms“ ist nur für wenige Stellen benützt worden, welche ohne Ausnahme mit der Chiffre [Br.] bezeichnet sind. Ich halte es für Unrecht, ein neues Buch dieser Art umständlich auszubeuten, vollends wenn diess ohne Nennung des Verfassers geschieht. - An das Schicksal eines gewissen Autors in der Viola del pensiero, Jahrgang 1839, will ich gar nicht erinnern.