BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Jacob Burckhardt

1818 - 1897

 

Fontana nuova

 

1853

 

Text:

Hans Trog, Jakob Burckhardt

Basler Jahrbuch 1898 (S. 66/67)

Faksimile: Basler Jahrbuch 1898

 

______________________________________________________________________________

 

 

 

Fontana nuova.

―――――――――――――――

 

Du, in den Winkel gedrückt, schweinsledergebundenes Büchlein,

Hinter den vordem Reih'n tief in den Schatten gestellt,

Steige, des Bücherbretts bescheidenster Bürger, hernieder; –

Puh! – weg blas' ich den Staub; sieh Theokrit, Hesiod!

Und den hellenischen Text genüber nach alter Gewohnheit,

Die für die Schwachen gesorgt, dehnt sich ein treues Latein.

Gruß euch, „Werke und Tage“ und euch, sicilische Lieder,

Hier, wo Boreas stürmt durch den hercynischen Wald!

Einsam sitz' ich am Herde und lausche dem fernen Gesange,

Der Jahrtausende her tönt über Meer und Gebirg.

Götter wandeln vorbei, der Urzeit ländliche Sitten

Glaub ich zu schaun, und dich, Küste des südlichen Meers,

Dich von Hymnen umrauscht, von heiligen Hainen und Wassern,

Kranz der vergangenen Welt, o syracusische Flur!

Und im Busen erneut Sehnsucht ihr altes Gelübde,

Dich noch einmal zu sehn, mildes hesperisches Land!

Der ich so vieles verlor, gern steig' ich hinab zu den Vätern,

Wenn das Beste mir einst südliche Sonnen gereift;

Dann zur glücklichen Fahrt sollst du mich begleiten, o Büchlein!

„Ach wie lange?“ – Geduld! höre den nächsten Entschluß:

Wenn zum siebentenmal sich rundet die Scheibe des Vollmonds

Und am Himmel regiert Sirius' heißes Gestirn,

Und das Geschick mirs fügt, dann nehm' ich auf flüchtige Wochen

Ueber's Gebirg dich mit in das lepontische Thal,

Und wie Hamilkar's Sohn dem staunenden Heer in den Alpen

Zeig' einstweilen ich dir Pforten italischer Au'n.

Sei nicht neidisch! es harrt in der Tasch' ein alter Gefährte,

Mein Virgil, den einst ich zu Ancona gekauft

Nahe dem Bogen Trajans, und der mich von Adria's Ufern

Herbstliche Thäler entlang führte zum ewigen Rom.

Wandert Beide mit mir! nicht mächtige Römerruinen,

Prunkende Städte zu schau'n, noch das unendliche Meer;

Doch am heißen Mittag in schattigen Schluchten gelagert,

Von Waldströmen umtos't blättr' ich und nasch' ich in euch;

Ueber uns wogt vom Zephyr bewegt, der Kastanie Laubdach,

Hell durch's felsige Thor leuchtet die Ferne herein;

Dort im schwellenden Grün, auf kühlen Lianen und Farrnkraut

Sollst du verweilen mit mir Stunden des Traums, Theokrit!

Oder in Dörfern am See ausruh' ich mit dir auf der Steinbank

Wölbiger Hallen; davor plätschert die blinkende Flut,

Spiegelt die Sonne zurück und erhellt an der Mauer das alte

Bild der Madonna, wo rings Schwalben ihr Nestlein gebaut.

Also träum' ich mit euch, bis längere Schatten den Abend

Mir ankünden – hinaus dann über Thal und Gebirg!

Purpurn glühn aus Wäldern herab einsame Kapellen,

Hell aus Rebengehäng ragen die Villen empor,

Nicht Paläste! da füllt nicht Marmorgebilde die Säle,

Doch vom hohen Altan winkt mir ein gastlicher Gruß.

Nochmals nehmet mich auf, die ihr so traulich den Fremdling

Nicht ihn kennend empfingt! gönnt einen Abend mir noch

Jenem gleich, da fröhlich umringt von Alten und Jungen

Ich mit Lachen und Scherz eure Gesänge gelernt,

Während goldene Glut umfloß das Gebirg und die Thale,

Bis am reinen Azur Sterne der Dämm'rung erwacht.

O, noch klingen bei Nacht mir die Lieder aus jenen beschwingten

Stunden in's Ohr, wie dir, seeliger Geist, Theokrit,

Als heimkehrend vom Fest der Demeter jenen Gesang *) du

Schufst, Jahrtausende noch Sehnen zu wecken und Lust!

 

――――――――

 

*) Die VII. Idylle (Thalysia)