BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Jacob Burckhardt

1818 - 1897

 

In Neapel

 

1846

 

Text:

Jacob Burckhardt: Kleine Schriften,

Band III Literarische und publizistische Schriften

Herausgegeben von Elisabeth Oeggerli und Marc Sieber

unter Mitarbeit von Katia von Arx

 

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In Neapel.

Auf E. W. Ackermanns Tod.

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Der Schriftsteller und Berliner Studienfreund Ernst Wilhelm Ackermann hatte sich vier Tage vor Burckhards Ankunft in Neapel das Leben genommen. In einem Brief vom 15. August 1846 an Gottfried Kinkel schreibt Burckhardt:

...Und Ackermann starb 4 Tage vor meiner Ankunft. So ist denn endlich dieser Comet, der so unendlich fremdartig und interessant durch unsere Kreise zog, vor unsern Augen verglüht. Er war von Hause aus eine egoistische Natur, die Alles nur auf sich selbst bezog und ganz ungeheuer viel Lebensstoff consumirte, oder, wenn sie satt war, muthwillig verwüstete. Aber dabei welch ein Mensch!...

 

 

O, sieh Neapels Golf im goldnen Abendschimmer,

Sieh tausend Barken ziehn, der Segel weiß Geflimmer,

Die Stadt am Strande meilenlang,

Die Inseln! Dann Sorrents goldblaue Felsenwände,

Von Villen reichdurchblitzt das grüne Luftgelände

An Posilippos Felsenhang!

 

Und über Allem sieh den Feuerkönig thronen,

Den hoh'n Vesuv. Dann sprich: Hier möchte' ich ewig wohnen

Und Ruhe finden im Gemüth! –

Und doch, ein Wandrer kam – wohl kennst du seinen Namen –

Er, der Unseligste von Allen, die da kamen,

Ist still hier in sich selbst verglüht.

 

Denn wie hier in die Luft der Aloe Fackeln greifen,

So ließ sein Schicksal nur in ihm die Schmerzen reifen,

Bis niedersank die schwere Frucht.

Nun stehen wir, die ihn gekannt zu haben wähnen,

An seinem Grab und weih'n ihm unverstand'ne Thränen – ;

Wohl ihm, er hat den Tod gesucht!

 

Denn seine Wiege schon umstanden einst Dämonen,

Die sichre Beute zu betrachten ohne Schonen,

Und sangen leis ihr Schicksalslied:

„Gruß dir, du Geistersohn! Gruß dir du Unsresgleichen!

Spät, aber sicher wird die Kunde dich erreichen

Des, was dich von den Menschen schied!

 

Hoch über dem Gewühl, doch einsam wirst du stehen,

Du wirst geliebt und kannst vor grimmer Selbstsucht Wehen

Nicht wieder lieben was dich liebt;

Durchsichtig, wie Krystall wirst du die Welt erblicken

Als großes Nichts –; drum soll dich auch kein Trunk erquicken,

Den sie aus tausend Quellen giebt.

 

Ja, wirf verzweifelnd dich zuletzt in's Meer der Dinge!

Es schäumt und zieht um dich leuchtend saphirne Ringe,

Allein es kühlt und letzt dich nicht!

Im Geistesäther fleug die kühnsten Geistesflüge,

Bald sinkst du müd' herab, rufst: Lüge, Lüge, Lüge!

Und blutest, bis dein Herze bricht!

 

Wohl wird ein schöner Gott mitleidig dich umschweben,

Er wird Secunden dir voll reiner Wonne geben,

Als wärst du sein geliebtes Kind;

Dann löst sich wohl dein Leid in wunderbares Klagen,

In goldne Lieder auf, bis wir darüber tragen

Die alte Nacht, den Sturmeswind.

 

Denn uns gehörst du an, wir müssen einst dich morden,

Dreimal Unseliger! Was bist du Mensch geworden!

Ob dir weht unser Flügelschlag!“ –

So sangen sie. Wohl hört der Knabe leis' Geflüster;

Auf seiner Stirne blieb majestätisch Düster:

Sein Brandmal war's seit jenem Tag!

 

Und er erwuchs! Die Welt mit Hassen und mit Lieben

Umfing ihn heiß, doch er, von seinem Stern getrieben,

Begriff die Welt und schalt sie Trug.

Was Herzen heiligt, hat er grübelnd durchempfunden,

Was Geist war, war im Ding, er hat es überwunden,

Und doch, des Siegs war nie genug.

 

Oft, wenn vom müden Aug' rannen die heißen Tropfen,

Leis' an des Herzens Thor hört' er die Liebe klopfen:

„Ich bringe Glück, o laß mich ein!“

Doch aus dem Dunkel sah er Hände warnend winken,

Und von den Wänden her die Geistesaugen blinken,

Und zaudernd, zagend rief er: „Nein!“

 

So schließt sich auf vor ihm des Lebens Höllentiefe;

Die Selbstsucht, ewig wach, ob auch die Thräne triefe,

Baut hoch um ihn den Marmorwall;

Und durch sein Dichten selbst, dies prächt'ge Flammensprühen,

Und mitten durch Genuß und aller Sinne Glühen

Geht leis' und scharf ihr Wiederhall.

 

Du weiß es, wie er schied! Die letzten Marterstunden

Hast in der Ferne du, wie Keiner nachempfunden,

Drum laß uns schweigen insgesammt!

Laß hüllen dies Gebein in Königsmantelfalten;

Denn wie ob solchem Haupt das Schicksal möge walten,

Von Göttern war er doch entstammt!

 

Und du, azurnes Blau, sieh mild versöhnend nieder

Auf dieses Grab! und ihr, o Sträuche, säuselt Lieder

Und duftet Balsam drüber hin!

O schütte aus, Natur, hier deiner Schönheit Fülle!

Wohl schlummert ruhiger die qualverzehrte Hülle,

Wenn Rosen blühn und Wölkchen ziehn!

 

Doch, wenn einst im Vesuv sich die Cyklopen regen,

Und durch die Lava quillt wildsprühnder Aschenregen,

Und graue Nacht die Stadt umwebt,

Und wenn in wilder Flucht die Wagen strandwärts fliegen,

Und Schaaren halbentseelt vor Gnadenbildern liegen,

Indeß der Boden brüllt und bebt;

 

Und Thürme stürzen ein, es schüttert Straß' an Straße,

Laut donnernd stürmt herein vom Meer die Wogenmasse;

Es mischen sich zur Melodie

So Erd' als Meer, als wär's die letzte Nacht der Nächte, –

Dann wißt, Dämonen sind's, die unterird'schen Mächte,

Und ihrem Sohne rufen sie!