BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Jacob Burckhardt

1818 - 1897

 

Die Waldeskönigin

 

1841

 

Text:

Die Waldeskönigin

in: Der Maikäfer, Nº 33, 1841

 

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Die Waldeskönigin.

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In dem Dorf am Brunnen tränken ihre Pferde die Dragoner;

Staunend um die schmucken Bursche sammlen sich des Dorfs Bewohner,

Reiter, kommt ihr nicht in's Wirthshaus? haltet ihr nicht Mittagsruh?

Nein, ein Glaschen reicht auf's Pferd mir, dann geht's fort dem Walde zu.

Zu dem Wald bei der Kapelle hausen sie, die Mordgesellen;

Wir und uns're Kameraden müssen d'rum den Wald umstellen -

Seg'n euch Gott, ihr guten Reiter, thut ein'n hübschen fetten Fang! -

Sieh, wer wandelt auf der Wiese her in's Dorf, dem Bach entlang? -

Ei, wer anders als das kluge lustige Zigeunerkind?

An dem schwarzen Mieder flattern rothe Bänder hoch im Wind,

Schwarze Reiherfedern prangen auf des Mädchens schmuckem Hut

Und zum Brunnen tretend kühlt sie ihrer braunen Wangen Gluth.

Mädchen, spottet ein Dragoner, komm, besiehe meine Hand,

Und weissage, gibt's im Walde wohl für uns ein'n harten Stand?

Sag mir, ob ich heim mit Ehren, ob ich heim mit Schanden muß.

Nimm, wenn's wohl geräth, ein'n neuen Zwanziger und einen Kuß.

Ernst und traurig blickt das Mädchen auf die Hand dem Reitersmann;

Deiner Jugend, schöner Reiter, drohet schon des Todes Bann!

Deinen Zwanz'ger magst du sparen, doch wenn deine Lipp' erbleicht,

Ford're ich von deiner Lippe den bedung'nen Kuß vielleicht!

Und sie wendet sich und schreitet aus dem Dorf dem Bach entlang;

Ferne hört man noch ertönen ihren düstern Todtensang.

Schweigend reiten die Dragoner in's Gehölz; da tönt es: halt!

Schüsse fallen aus dem Dickicht, eine Mädchenstimme schallt.

Alles wohl erkundet hatte sie, des Waldes Königin,

Und es stellten sich die alten Räuber auf nach ihrem Sinn.

Wie sie zielten ungesehen! jeder Schuß traf eine Brust,

Und des Waldes Herrin streifet durch's Gebüsch in wilder Lust.

Doch wer ist bei der Kapelle, der verhüllet sein Gesicht?

Einen todeswunden Reiter sieht sie dort im Abendlicht;

Ja, er ist es, dem sie heute prophezeiet sein Geschick;

Nun ist starr schon seine Lippe, und es bricht der matte Blick.

Mädchen, komm, laß einen Kuß mich drücken noch auf deinen Mund,

Doch der Lippe letztes Beben thut dir mein Begehren kund:

Daß mich nicht die Räuber morden, nimm, o Mädchen hier mein Schwert!

Einen Kuß noch gib mir! thue dann um Gott was ich begehrt'! –

Einen heißen Kuß noch drückt sie auf den schönen blassen Mund

Zieht das Schwert darauf, und senkt es in des Reiters Brust zur Stund -

Doch schon tönt es rings im Walde: Heil der Waldeskönigin!

Und als Räuberfürstin tritt sie in der Räuber Mitte hin.

 

„Die Waldkönigin“ („Der Maikäfer“, Jg. 2, 1841, Nr. 33 vom 17. August)