BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Magdalena von Dobeneck

1808 - 1891

 

Briefe und Tagebuchblätter

aus Frankreich, Irland und Italien

 

1843

 

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VII.

 

Paris, am 28. März.

 

Ich  habe  Dir  lange  nicht  geschrieben,  lieber  Vater!  Denke  dich  aber  an  meine  Stelle  und  du  wirst  so  streng  nicht  mit  mir  abrechnen.  Die  Zeit  fliegt  pfeilschnell  dahin,  um  so  mehr,  wenn  jede  Stunde  ihre  bestimmte  Beschäftigung  mit  sich  führt,  und  wir  zusehen  müssen,  wie  wir  mit  unsern  Nachen  den  Pariser  Ozean  durchsteuern  können.  

Seitdem besuchte ich Versailles, das, in seinem  Umfang betrachtet, mir so groß wie Dresden vorkam. In den weiten Sälen des Schlosses umherirrend, gerieth ich auch in das Gemach, in dem Ludwig der XIV. seinen Geist aufgab. – Welche Oede um mich her! Mein Herz war von einer Masse geschichtlicher Erinnerungen zusammen gepreßt. „Nicht satt wird das Auge vom Sehen,  nicht  satt vom  Hören  das Ohr.“ An den zugestutzten  Bäumen  und Hecken  und  abgezirkelten  Gängen  gehe  ich  kalt vorüber,  da,  wo  selbst  Statuen  zum  Theil  den Charakter  des  Jahrhunderts  der  Reifröcke an sich tragen. Lieber  weide  ich mich im Geiste  hier an dem Anblick des singenden  Baums,  der  Poesie in  ihrem  Blüthenalter  zur Zeit  Ludwigs  XIV.,  als  die  Schöpfungen  eines Racine, Corneille,  Despreaux,  Molière,  la  Fontaine, Bossuet, Bourdalou,  Fénélon,  Quinault  die  Geister  fesselten, und die  Lust  von  den  empfindsamen  Fisteltönen unglücklicher  Romantiker  noch  rein war. –

Man  erschloß  mir  das  Theater.  Ein  Theater   am Tage  hat  mir   wenigstens  etwas  Unheimliches.  Das  von

 

Versailles strotzt von Gold, und doch ist ihm Tod und Zerstörung eingeprägt. Ich dachte mir diese Logen mit den vergötterten Schönen der Höfe Ludwige XIV. und XV. belebt, und sah hinab wieder im Geiste in ihre Gräber, wo nun längst ihre Leibeshüllen modern! Zeit und Ewigkeit, welche Gegensätze! und doch reichen sie sich allenthalben die Hände.

Noch immer gehören meine Mussestunden vorzugsweise der Musik an, ja ihr, die mir zugetheilt ist und mit der ich mich als vermählt betrachte. Des Menschen Talent ist sein Beruf, ist´s nicht so? Auch meine Stimme ist nun auf der Hochschule. Der durch seine Kompositionen berühmte Melchior Gomis, ein Spanier, ist mein Lehrer. Was hat nicht die deutsche, ungehobelte Stimme in diesem Schraubstock zu erleiden! – Die Gesangschule von Gomis, in Paris erschienen, ist von großem Werth. Nach dem Ausspruch der ersten hier lebenden Meister könnte man aus ihr noch sechs andere herauscomponiren, so reich an Harmonien sind diese köstlichen Solfeggien. Sein Genie, so unerschöpflich wie eine Quelle, hat sich hier, wie auch in seinen Opern: le diable de Sevilla, le Revenant, bewährt. Die Begleitung des Pianoforte beweist eine große Kenntniß der Harmonieen. Die Gesangregeln sind in französischer, italienischer und spanischer Sprache der Musik beigedruckt. Dem spanischen Texte aber seiner zahlreichen, originellen Cansonetten, die theils in London, theils in Paris bei Pacini erschienen, wünschte ich eine gute deutsche Uebersetzung. Denn die Sprache ist wohl  das  einzige  Hinderniß, daß diese,  so  wie   auch  seine  Opern,  wenig bei uns  bekannt

 

 


 

José Melchor Gomis y Colomer

(1791 - 1836), spanischer Komponist,

und seine Gesangsschule

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