BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Magdalena von Dobeneck

1808 - 1891

 

Briefe und Tagebuchblätter

aus Frankreich, Irland und Italien

 

1843

 

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mit, daß die Tapete mit dergleichen Völkchen unterminirt sey, – „da hilft kein Mittel. Geduld müssen Sie haben, bis wir im Stande sind, ein anderes Zimmer einzuräumen.“ Der heiße Kampf dauerte bis heute an den Mittag. Mit Hannibals Kriegslist suchte ich den Feinden alle Passage abzuschneiden, aber vergebens. – Kaum hatte ich das Klavier geöffnet und einige Accorde ertönten, so hüpften sie unter meinen Füßen – ein Orpheus der Ratten zu seyn, erschreckliches Loos! Ein paar Mäuse hatten in der Begeisterung den Toilettentisch erobert und in dem Lavoir ihren nassen Tod gefunden. Diesen Morgen hatte ich keinen andern Gedanken mehr als Ratten, Mäuse, Mäuse, Ratten! O armer Geist! wie wenig gehört doch dazu, dich zu verwirren, und dir die Flügel zu beschneiden!

 

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Calais, am 1. September.  

 

Gestern war das Rattenreich im Aufruhr, heute ist's das Meer. Der Sturm wüthete diese Nacht auch furchtbar. Kamine stürzten ein, die Fenster dröhnten. Ein Bote um den andern verkündigt, daß viele Schiffe vermißt, andere gestrandet seyen, ja seit vielen Jahren die ältesten Matrosen sich keines ähnlichen Sturms erinnern. Meine  Engländer und  ich  waren  sogleich  entschlossen  –  an  den  Hafen fort!  In  den  Straßen  Stille.  Je  näher  dem  Hafen,  je heftiger  brauste  der  Wind  uns  entgegen.  Mit  Lebens­gefahr  erreichten  wir  die  Terasse,  sie  war  mit  Men­schen  gefüllt,  die  alle  erwartungsvoll  einem  Schiffe  zu-

 

sahen, das in der Ferne mit dem Tod und den Wellen rang. Es war ein Kauffahrteischiff, das glücklich von Amerika bis hieher gelangt war, und nun mit dem Blick auf den sichern Hafen scheitern sollte. Mit zitternder Hoffnung seh' ich das ausgesandte Rettungsboot, wie es bald muthvoll sich hebt, und wieder hinab geschleudert sinkt. Gott! wie groß, wie unendlich groß sind deine Werke! Wie unerträglich muß dein gerechter Zorn seyn, da schon das Element, Tod und Schrecken verbreitend von keinem Erbarmen weiß. Die gegen den Himmel sich bäumenden Wellen bilden ein Riesengebirge, mit beeisten Gipfeln. Die Welle zu meinen Füßen, kaum geboren - wird von einer andern mächtigern heulend verschlungen, gierig und hämisch langen sie herüber, dumpfdonnernd stürzen sie in sich zurück. Es ist mir, als seyen Hyänen, Tiger und Löwen unter dieser Fluth verborgen, die alle rasend sind nach Blut. In den Schiffstauen und gespannten Segeltüchern der im Hafen hin und hergeworfenen Schiffe klagen wimmernd die Winde, als wären hunderte von Aeolsharfen aufgehangen, ja die Natur selbst ist ein Angstgeschrei. Unter den Zuschauern bemerke ich eine Schiffersfrau, die krampfhaft das jüngste Kind in die Arme preßt, ein älteres, nur mit Mühe, hält sich an ihrer Schütze fest. – Verloren! Verloren! Schon ist der Mastbaum zertrümmert. – Ich eilte nach Hause, mich zu sammeln. Nach einer Stunde ging ich wieder an den Hafen. Die Straßen waren lebendiger, da und dort trug man auf Bahren Leichname, die das Meer ausgeworfen hatte. An der Küste saß ein  Matrose; die Arme in einander geschlun-

 

 


 

Ein Schiff im Sturm vor der Küste