BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Magdalena von Dobeneck

1808 - 1891

 

Briefe und Tagebuchblätter

aus Frankreich, Irland und Italien

 

1843

 

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gewöhnlich ein Hündchen gepreßt an ihrem Herzen, in der einen Hand nachläßig ein Buch, der Gatte mit seinem Desk unterm Arm, (einem braunen Pulte worin die Kapitalien,) und so schreitet der Zug, gefolgt von Zofe und Diener, dem Gasthause zu. Ein solches arrival ein solches departure ist in den Augen der Alltags-Engländer von hohem Werth, während der fremde Zuschauer, erzogen unter einem Himmel, wo man bei Zeiten aus der verpuppten Hülle der Vorurtheile kriecht, solchen Scenen, zumal wenn sie mit einer gewissen, unnachahmlichen Prätension ausgeführt werden, nur ein flüchtiges Lächeln zu zollen vermag, aber das Zeug niederschreibt, um es auf immer zu vergessen.

 

 

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Lausanne.   

 

Ich soll meiner kleinere Carry englisch lesen lehren, sie aber, nach Art unverständiger Kinder, sperrt sich dagegen als ging es zum Tode. Der Weg mit Güte zu vermitteln ist eingeschlagen, aber vergebens. Aber, was das Schlimmste ist, ich soll Geduld haben und besitze keine, ich soll ihr sanft begegnen, und die Leidenschaft nimmt mich gefangen. Daher Seufzer, Thränen und Kämpfe.

 

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Heute muß ich bekennen, daß ein Wunder vor meinen Augen geschehen ist. Kürzlich verlasse ich das Lehr­zimmer, Gott um Kraft anzuflehen. Die Bibel war mein Zufluchtsort,  ich  las:  Wer  ein  solches  Kind  aufnimmt in

 

meinem Namen, der nimmt mich auf. Da gelobte ich Carry zu lieben, und sei sie auch unliebenswürdig. Schon am darauffolgenden Morgen – welche Veränderung! Carry bietet zum Erstenmal freundlichen guten Morgen, sie schlingt ihr Aermchen um meinen Hals und sagt: liebe Madame! wie leid ist es mir, daß ich Ihnen so viel Mühe mache! Willig begann sie ihre Lehrstunden, ungewöhnlich sind die Fortschritte – das Kind ist umgestaltet, ein liebes, liebes Kind.

 

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Die Familie ist von der Gebirgsreise zurückgekehrt und alle theilen mit mir freudiges Erstaunen, finden, die Kleine sei ein anderes Wesen geworden. Louisen habe ich von dieser wunderbaren Gebetserhörung erzählt.

 

 

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Donnerstag, am 2. Juli.   

 

Wir  machten  heute  einen  Ausflug  nach  Vevay.  Der Weg  zieht  sich  zwischen  Weingärten  hin,  zur  Rechten ist  der  See  und  jenseits  die  Savoyergebirge.  Mein Blick blieb  dem  See  getreu,  denn  gar  zu  unmalerisch  finde ich  die  Weinrebe,  wenn  sie  um  ein  Stäbchen  gewickelt ist;  sie  erscheint  mir  dann  immer  wie  ein  Kindlein, das man  zu  fest  in  Windeln  eingepreßt,  und  so  den Gebrauch  der  Glieder  ihm  verwehrt  hat.  Mir  genügt nicht  allein  der  Saft  der  Traube,  die  ganze Erscheinung muß  gleich  der  Gabe  Lieblichkeit  sein, wie  in  Italien und   im   südlichen   Frankreich,   wo   der  Wein  sich fest­lich   von   Baum  zu  Baum  in  Kränzen  dehnt,  oder  bald

 

 


 

Vevay am Genfer See