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B  I  B  L  I  O  T  H  E  C  A    A  U  G  U  S  T  A  N  A

 

 

 

 
Annette von Droste-Hülshoff
Gedichte 1844
 


 






 


 
G e d i c h t e 
v e r m i s c h t e n  I n h a l t s


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Meine Todten
(1841/42)

Wer eine ernste Fahrt beginnt,
Die Muth bedarf und frischen Wind,
Er schaut verlangend in die Weite
Nach eines treuen Auges Brand,
5
Nach einem warmen Druck der Hand,
Nach einem Wort, das ihn geleite.

Ein ernstes Wagen heb' ich an,
So tret' ich denn zu euch hinan,
Ihr meine stillen strengen Todten;
10
Ich bin erwacht an eurer Gruft,
Aus Wasser, Feuer, Erde, Luft,
Hat eure Stimme mir geboten.

Wenn die Natur in Hader lag,
Und durch die Wolkenwirbel brach
15
Ein Funke jener tausend Sonnen, -
Spracht aus der Elemente Streit
Ihr nicht von einer Ewigkeit
Und unerschöpften Lichtes Bronnen?

Am Hange schlich ich, krank und matt,
20
Da habt ihr mir das welke Blatt
Mit Warnungsflüstern zugetragen,
Gelächelt aus der Welle Kreis,
Habt aus des Angers starrem Eis
Die Blumenaugen aufgeschlagen.

25
Was meine Adern muß durchziehn,
Sah ich's nicht flammen und verglühn,
An eurem Schreine nicht erkalten?
Vom Auge hauchtet ihr den Schein,
Ihr meine Richter, die allein
30
In treuer Hand die Wage halten.

Kalt ist der Druck von eurer Hand,
Erloschen eures Blickes Brand,
Und euer Laut der Oede Odem,
Doch keine andre Rechte drückt
35
So traut, so hat kein Aug' geblickt,
So spricht kein Wort, wie Grabesbrodem!

Ich fasse eures Kreuzes Stab,
Und beuge meine Stirn hinab
Zu eurem Gräserhauch, dem stillen,
40
Zumeist geliebt, zuerst gegrüßt,
Laßt, lauter wie der Aether fließt,
Mir Wahrheit in die Seele quillen.

 
An *** [Levin Schücking]
(1841/42)

Kein Wort, und wär' es scharf wie Stahles Klinge,
Soll trennen, was in tausend Fäden Eins,
So mächtig kein Gedanke, daß er dringe
Vergällend in den Becher reinen Weins;
5
Das Leben ist so kurz, das Glück so selten,
So großes Kleinod, einmal sein statt gelten!

Hat das Geschick uns, wie in frevlem Witze,
Auf feindlich starre Pole gleich erhöht,
So wisse, dort, dort auf der Scheidung Spitze
10
Herrscht, König über Alle, der Magnet,
Nicht fragt er, ob ihn Fels und Strom gefährde,
Ein Stral fährt mitten er durchs Herz der Erde.

Blick' in mein Auge - ist es nicht das deine,
Ist nicht mein Zürnen selber deinem gleich?
15
Du lächelst - und dein Lächeln ist das meine,
An gleicher Lust und gleichem Sinnen reich;
Worüber alle Lippen freundlich scherzen,
Wir fühlen heilger es im eignen Herzen.

Pollux und Kastor, - wechselnd Glühn und Bleichen,
20
Des Einen Licht geraubt dem Andern nur,
Und doch der allerfrömmsten Treue Zeichen. -
So reiche mir die Hand, mein Dioskur!
Und mag erneuern sich die holde Mythe,
Wo überm Helm die Zwillingsflamme glühte.

 
An *** [Levin Schücking]
(1841/42)

O frage nicht was mich so tief bewegt,
Seh ich dein junges Blut so freudig wallen,
Warum, an deine klare Stirn gelegt,
Mir schwere Tropfen aus den Wimpern fallen.

5
Mich träumte einst, ich sey ein albern Kind,
Sich emsig mühend an des Tisches Borden;
Wie übermächtig die Vokabeln sind,
Die wieder Hieroglyphen mir geworden!

Und als ich dann erwacht, da weint' ich heiß,
10
Daß mir so klar und nüchtern jetzt zu Muthe,
Daß ich so schrankenlos und überweis',
So ohne Furcht vor Schelten und vor Ruthe.

So, wenn ich schaue in dein Antlitz mild,
Wo tausend frische Lebenskeime walten,
15
Da ist es mir, als ob Natur mein Bild
Mir aus dem Zauberspiegel vorgehalten;

Und all mein Hoffen, meiner Seele Brand,
Und meiner Liebessonne dämmernd Scheinen,
Was noch entschwinden wird und was entschwand,
20
Das muß ich Alles dann in dir beweinen.

 
Die Taxuswand
(1841/42)

Ich stehe gern vor dir,
Du Fläche schwarz und rauh,
Du schartiges Visier
Vor meines Liebsten Brau',
5
Gern mag ich vor dir stehen,
Wie vor grundirtem Tuch,
Und drüber gleiten sehen
Den bleichen Krönungszug;

Als mein die Krone hier,
10
Von Händen die nun kalt;
Als man gesungen mir
In Weisen die nun alt;
Vorhang am Heiligthume,
Mein Paradiesesthor,
15
Dahinter Alles Blume,
Und Alles Dorn davor.

Denn jenseits weiß ich sie,
Die grüne Gartenbank,
Wo ich das Leben früh
20
Mit glühen Lippen trank.
Als mich mein Haar umwallte
Noch golden wie ein Stral,
Als noch mein Ruf erschallte,
Ein Hornstoß, durch das Thal.

25
Das zarte Epheureis,
So Liebe pflegte dort,
Sechs Schritte - und ich weiß,
Ich weiß dann, daß es fort.
So will ich immer schleichen
30
Nur an dein dunkles Tuch,
Und achtzehn Jahre streichen
Aus meinem Lebensbuch

Du starrtest damals schon
So düster treu wie heut',
35
Du, unsrer Liebe Thron
Und Wächter manche Zeit;
Man sagt daß Schlaf, ein schlimmer,
Dir aus den Nadeln raucht, -
Ach, wacher war ich nimmer,
40
Als rings von dir umhaucht!

Nun aber bin ich matt,
Und möcht an deinem Saum
Vergleiten, wie ein Blatt
Geweht vom nächsten Baum;
45
Du lockst mich wie ein Hafen,
Wo alle Stürme stumm:
O, schlafen möcht ich, schlafen,
Bis meine Zeit herum!

 
Nach fünfzehn Jahren
(1843)

Wie hab' ich doch so manche Sommernacht,
Du düstrer Saal, in deinem Raum verwacht!
Und du, Balkon, auf dich bin ich getreten,
Um leise für ein theures Haupt zu beten,
5
Wenn hinter mir aus des Gemaches Tiefen
Wie Hülfewimmern bange Seufzer riefen,
Die Odemzüge aus geliebtem Mund;
Ja, bitter weint' ich - o Erinnerung! -
Doch trug ich muthig es, denn ich war jung,
10
War jung noch und gesund.

Du Bett mit seidnem Franzenhang geziert,
Wie oft hab' deine Falten ich berührt,
Mit leiser, leiser Hand gehemmt ihr Rauschen,
Wenn ich mich beugte durch den Spalt zu lauschen,
15
Mein Haupt so müde daß es schwamm wie trunken,
So matt mein Knie daß es zum Grund gesunken!
Mechanisch löste ich der Zöpfe Bund
Und sucht' im frischen Trunk Erleichterung;
Ach, Alles trägt man leicht, ist man nur jung,
20
Nur jung noch und gesund!

Und als die Rose, die am Stock erblich,
Sich wieder auf die kranke Wange schlich,
Wie hab' ich an dem Pfeilertische drüben
Dem Töchterchen geringelt seine lieben
25
Goldbraunen Löckchen! wie ich mich beflissen,
Eh ich es führte an der Mutter Kissen!
Und gute Sitte flüstert' ich ihm ein,
Gelobte ihm die Fabel von dem Schaf
Und sieben Zicklein, wenn es wolle brav,
30
Recht brav und sittig seyn.

Und dort die Hütte in der Tannenschlucht,
Da naschten sie und ich der Rebe Frucht,
Da fühlten wir das Blut so keimend treiben,
Als müss' es immer frisch und schäumend bleiben;
35
Des Ueberstandnen lachten wir im Hafen:
Wie ich geschwankt, wie stehend ich geschlafen;
Und wandelten am Rasenstreifen fort,
Und musterten der Stämmchen schlanke Reihn,
Und schwärmten, wie es müsse reizend seyn
40
Nach fünfzehn Jahren dort!

O fünfzehn Jahre, lange öde Zeit!
Wie sind die Bäume jetzt so starr und breit!
Der Hütte Thür vermocht' ich kaum zu regen,
Da schoß mir Staub und wüst Gerüll entgegen,
45
Und an dem blanken Gartensaale drüben
Da steht 'ne schlanke Maid mit ihrem Lieben,
Die schaun sich lächelnd in der Seele Grund,
In ihren braunen Locken rollt der Wind;
Gott segne dich, du bist geliebt, mein Kind,
50
Bist fröhlich und gesund!

Sie aber, die vor Lustern dich gebar,
Wie du so schön, so frisch und jugendklar,
Sie steht mit Einer an des Parkes Ende
Und drückt zum Scheiden ihr die bleichen Hände,
55
Mit Einer, wie du nimmer möchtest denken,
So könne deiner Jugend Fluth sich senken;
Sie schaun sich an, du nennst vielleicht es kalt,
Zwei starre Stämme, aber sonder Wank
Und sonder Tränenquell, denn sie sind krank,
60
Ach, Beide krank und alt!

 
Die Unbesungenen
(1841/42)

'S giebt Gräber, wo die Klage schweigt,
Und nur das Herz von innen blutet,
Kein Tropfen in die Wimper steigt
Und doch die Lava drinnen fluthet;
5
'S giebt Gräber, die wie Wetternacht
An unserm Horizonte stehn
Und alles Leben niederhalten,
Und doch, wenn Abendroth erwacht,
Mit ihren goldnen Flügeln wehn
10
Wie milde Seraphimgestalten.

Zu heilig sind sie für das Lied,
Und mächtge Redner doch vor allen,
Sie nennen dir, was nimmer schied,
Was nie und nimmer kann zerfallen;
15
O, wenn dich Zweifel drückt herab,
Und möchtest athmen Aetherluft,
Und möchtest schauen Seraphsflügel,
Dann tritt an deines Vaters Grab!
Dann tritt an deines Bruders Gruft!
20
Dann tritt an deines Kindes Hügel!

 
Das Spiegelbild
(1841/42)

Schaust du mich an aus dem Kristall
Mit deiner Augen Nebelball,
Kometen gleich, die im Verbleichen;
Mit Zügen, worin wunderlich
5
Zwei Seelen wie Spione sich
Umschleichen, ja, dann flüstre ich:
Phantom, du bist nicht meines Gleichen!

Bist nur entschlüpft der Träume Hut,
Zu eisen mir das warme Blut,
10
Die dunkle Locke mir zu blassen;
Und dennoch, dämmerndes Gesicht,
Drin seltsam spielt ein Doppellicht,
Trätest du vor, ich weiß es nicht,
Würd' ich dich lieben oder hassen?

15
Zu deiner Stirne Herrscherthron,
Wo die Gedanken leisten Frohn
Wie Knechte, würd ich schüchtern blicken;
Doch von des Auges kaltem Glast,
Voll todten Lichts, gebrochen fast,
20
Gespenstig, würd, ein scheuer Gast,
Weit, weit ich meinen Schemel rücken.

Und was den Mund umspielt so lind,
So weich und hülflos wie ein Kind,
Das möcht' in treue Hut ich bergen;
25
Und wieder, wenn er höhnend spielt,
Wie von gespanntem Bogen zielt,
Wenn leis' es durch die Züge wühlt,
Dann möcht ich fliehen wie vor Schergen.

Es ist gewiß, du bist nicht Ich,
30
Ein fremdes Daseyn, dem ich mich
Wie Moses nahe, unbeschuhet,
Voll Kräfte, die mir nicht bewust,
Voll fremden Leides, fremder Lust;
Gnade mir Gott, wenn in der Brust
35
Mir schlummernd deine Seele ruhet!

Und dennoch fühl ich, wie verwandt,
Zu deinen Schauern mich gebannt,
Und Liebe muß der Furcht sich einen.
Ja, trätest aus Kristalles Rund,
40
Phantom, du lebend auf den Grund,
Nur leise zittern würd ich, und
Mich dünkt - ich würde um dich weinen!
 
 
 
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