BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Joseph von Eichendorff

1788 - 1857

 

Autobiographische Fragmente

 

Idyll von Lubowitz - A (IV.3.)

 

Textgrundlage:

Sämliche Werke des Freiherrn Joseph von Eichendorff.

Historisch-kritische Ausgabe. Begründet von Wilhelm Kosch

und August Sauer, fortgeführt und herausgegeben

von Hermann Kunisch (†) und Helmut Koopmann.

HKA V/4: Erzählungen. Dritter Teil. Autobiographische Fragmente. S. 58-59

Hrsg. von Dietmar Kunisch, Tübingen: Max Niemeyer Verlag, 1998.

 

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Ruinen des Schlosses Lubowitz

 

Zu dem Idyll von Lubowitz: Lied in Reimen? –

NB: Dieß gantze Idyll wohl nicht in Hexametern, sondern in freien, vielleicht ungereimten, Jamben, in das Gantze eine durchgehende, einfache, idyllische Handlung einflechtend! –

 

Kindisch lag ich im Lubowitzer Garten am Lusthause im Schatten in der Mittagsschwüle u[nd] sehe die Wolken über mir u[nd] denke mir dort  Gebirge  mit  Schluchten  Inseln ... o[der]  im  Frühling  im  Garten u[nd] sehe in's Thal hinab, es ist so ein wunderlicher Abend, die Sonne ist schon untergegangen, aber der Strom leuchtet noch  ...  Da  geht  unsichtbar ein leises Rauschen d[urch] den Garten (oder d[urch] die Felder) die Blumen o[der] die Aehren neigen sich leise, mich schauert – es war die Muse, die lächelnd vorübergieng, Garten u. Thäler beleuchtend, ich war ihr noch zu kindisch ..., u[nd] ich schlummerte ein, träumend von künftigen Liedern.

Hoch auf einem Berge stand ein Schloß (Tost) halbverfallen mit 4 Thürmen in jeder Ecke, Gallerieen,

Wie oft stand ich dort am Fenster u[nd] sah die Wälder, die Dammhirsche weiden u[nd] unten den Ziergarten ... –

Säle mit den 7 Kurfürsten an der Decke, rings an den Seiten des Berges war Wald, wo Dammhirsche weideten, u[nd] unten lag der Ziergarten, gezirkelt ... Da in diesem Toster Ziergarten gehe ich einmal als  Kind  allein  in  der  Sommermittags=Schwüle,  alles  wie  verzaubert u[nd] versteinert, die Statuen, seltsamen Beete u[nd] Grotten; da, bei einer Biegung, sah ich eine prächtige Fee eingeschlummert über der Zitter – es ist wieder die Muse – ich entschliefe o[der] dergl[eichen], schauerte – da rief man mich ab – aber ich konnte nicht schlafen die Nacht,  das  Fenster  stand  offen, es  gieng  die gantze Nacht ein Singen d[urch] den Garten: ein Lied, das ich nimmer vergeßen;

Jetzt aber ist der Garten verwüstet, das Schloß (Tost) abgebrannt, die Hirsche sind verlaufen in alle Welt, nur manchmal bei stiller Nacht noch weidet einer zwischen den wildverwachsenen Trümmern.

Aber das Lied jener Nacht, ich könnt' es nimmer vergeßen, Alt nun bin ich geworden, doch so alt ich bin: es erwacht noch oft als rief' es mich in Mondschein=Nächten und versenkt mich in Wemuth.