BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Ludwig Feuerbach

1804 -1872

 

Das Wesen des Christentums

 

Einleitung

 

______________________________________________________________________________

 

 

[1]

Einleitung.

 

――――――――――――

 

Das Wesen des Menschen im Allgemeinen.

 

Die Religion beruht auf dem wesentlichen Unter­schiede des Menschen vom Thiere – die Thiere haben keine Religion. Die ältern kritiklosen Zoographen legten wohl dem Elephanten unter andern löblichen Eigenschaften auch die Tugend der Religiosität bei; allein die Religion der Elephanten gehört in das Reich der Fabeln. Cuvier, einer der größten Kenner der Thierwelt, stellt, gestützt auf eigne Beobachtungen, den Elephanten auf keine höhere Geistesstufe als den Hund.

Was ist aber dieser wesentliche Unterschied des Menschen vom Thiere? Die einfachste und allgemeinste, auch populärste Antwort auf diese Frage ist: das Bewußtsein – aber Bewußtsein im strengen Sinne; denn Bewußtsein im Sinne des Selbstgefühls, der sinnlichen Unterscheidungskraft, der Wahrnehmung der äußern Dinge nach bestimmten sinnfälligen Merkmalen, solches Bewußtsein kann den Thieren nicht abgesprochen werden. Bewußtsein im strengsten Sinne ist nur da, wo einem Wesen seine Gattung, seine Wesenheit Gegenstand ist. Das Thier ist wohl sich als Individuum – darum hat es Selbstgefühl – aber nicht als Gattung Gegenstand – darum mangelt ihm das Bewußtsein, welches seinen Namen [2] vom Wissen ableitet. Wo Bewußtsein, da ist Fähigkeit zur Wissenschaft. Die Wissenschaft ist das Bewußtsein der Gattungen. Im Leben verkehren wir mit Individuen, in der Wissenschaft mit Gattungen. Aber nur ein Wesen, dem seine eigene Gattung, seine Wesenheit Gegenstand ist, kann andere Dinge oder Wesen nach seiner wesentlichen Natur zum Gegenstande machen.

Das Thier hat daher nur ein einfaches, der Mensch ein zweifaches Leben: bei dem Thiere ist das innere Leben eins mit dem äußern – der Mensch hat ein inneres und äußeres Leben. Das innere Leben des Menschen ist das Leben im Verhältniß zu seiner Gattung, seinem allgemeinen Wesen. Der Mensch denkt, d. h. er conversirt, er spricht mit sich selbst. Das Thier kann keine Gattungsfunction verrichten ohne ein anderes Individuum außer ihm; der Mensch aber kann die Gattungsfunction des Denkens, des Sprechens – denn Denken, Sprechen sind wahre Gattungsfunctionen – ohne einen Andern verrichten. Der Mensch ist sich selbst zugleich Ich und Du; er kann sich selbst die Stelle des Andern vertreten, eben deßwegen, weil ihm seine Gattung, sein Wesen, nicht nur seine Individualität Gegenstand ist.

Die Religion im Allgemeinen, als identisch mit dem Wesen des Menschen, ist identisch mit dem Selbstbewußtsein, mit dem Bewußtsein des Menschen von seinem Wesen. Aber die Religion ist, allgemein ausgedrückt, Bewußtsein des Unendlichen; sie ist also und kann nichts andres sein als das Bewußtsein des Menschen von seinem, und zwar nicht endlichen, beschränkten, sondern unendlichen Wesen. Ein wirklich endliches Wesen hat keine, auch nicht die entfernteste Ahnung, geschweige Bewußtsein von einem unendlichen [3] Wesen, denn die Schranke des Wesens ist auch die Schranke des Bewußtseins. Das Bewußtsein der Raupe, deren Leben und Wesen auf eine bestimmte Pflanzenspecies eingeschränkt ist, erstreckt sich auch nicht über dieses beschränkte Gebiet hinaus. Sie unterscheidet wohl diese Pflanze von andern Pflanzen, aber mehr weiß sie nicht. Solches beschränktes, aber eben wegen seiner Beschränktheit infallibles, untrügliches Bewußtsein nennen wir darum auch nicht Bewußtsein, sondern Instinkt. Bewußtsein im strengen oder eigentlichen Sinne und Bewußtsein des Unendlichen ist identisch. Beschränktes Bewußtsein ist kein Bewußtsein; das Bewußtsein ist wesentlich unendlicher Natur 1). Das Bewußtsein des Unendlichen ist nichts andres als das Bewußtsein von der Unendlichkeit des Bewußtseins. Oder: im Bewußtsein des Unendlichen ist dem Bewußten nur die Unendlichkeit des eignen Wesens Gegenstand. 2)

Aber was ist denn das Wesen des Menschen, dessen er sich bewußt ist, oder was constituirt die Gattung, die eigentliche Menschheit im Menschen? Die Vernunft, der Wille, das Herz. Zu einem vollkommenen Menschen gehört die Kraft des Denkens, die Kraft des Willens, die Kraft des Herzens. Die Kraft des Denkens ist das Licht der Erkenntniß, die Kraft des Willens die Energie des Charakters, die Kraft des Herzens die Liebe. Vernunft, Liebe, Willenskraft sind Vollkommenheiten, die Vollkommenheiten des menschlichen Wesens, ja absolute Wesensvollkommen­heiten. Wollen, Lieben, Denken sind die höchsten Kräfte, sind das absolute Wesen des Menschen qua talis, als Menschen, und der Grund seines Daseins. Der Mensch ist, um zu denken, um zu lieben, um zu wollen. Was aber der Endzweck, ist auch der wahre Grund und Ursprung eines Wesens. Aber was ist der Zweck der Ver­nunft? die Vernunft. Der Liebe? die Liebe. Des Willens? die Willens­freiheit. Wir denken, um zu denken, lieben, um zu lieben, wollen, um zu wollen, d. h. frei zu sein. Wahres Wesen ist denkendes, liebendes, wol­lendes Wesen. Wahr, vollkommen, göttlich ist nur, was um sein selbst willen ist. Aber so ist die Liebe, so die Vernunft, so der Wille. Die göttliche Dreieinigkeit im Menschen über dem individuellen Menschen ist die Einheit von Vernunft, Liebe, Wille. Vernunft (in ihren sinnlichen Formen: Einbildungskraft, Phantasie, Vorstellung, Meinung) 3), Wille, Liebe oder Herz sind keine Kräfte, welche der Mensch hat – denn er ist nichts ohne sie, er ist, was er ist, nur durch sie – sie sind als die sein Wesen, welches er weder hat, noch macht, constituirenden Kräfte, Elemente oder Principien, die ihn be­seelenden, bestimmenden, beherrschenden Mäch­te[5] göttliche, absolute Mächte, denen er keinen Widerstand entgegensetzen kann.

Wie könnte der gefühlvolle Mensch dem Gefühl, der Liebende der Liebe, der Vernünftige der Vernunft widerstehen? Wer hat nicht die zermalmende Macht der Töne erfahren? Aber was ist die Macht der Töne als die Macht der Gefühle? Die Musik ist die Sprache der Gefühle – der Ton das laute Gefühl, das Gefühl, das sich mittheilt. Wer hätte nicht die Macht der Liebe erfahren oder wenigstens von ihr gehört? Wer ist stärker? die Liebe oder der individuelle Mensch? Hat der Mensch die Liebe, oder hat nicht vielmehr die Liebe den Menschen? Wenn die Liebe den Menschen bewegt, selbst mit Freuden für den Geliebten in den Tod zu gehen, ist diese den Tod überwindende Kraft seine eigne individuelle Kraft oder nicht vielmehr die Kraft der Liebe? Und wer, der je wahrhaft gedacht, hätte nicht die Macht des Denkens, die freilich stille, geräuschlose Macht des Denkens erfahren? Wenn Du in tiefes Nachdenken versinkest, Dich und was um Dich vergessend, beherrschest Du die Vernunft oder wirst Du nicht von ihr beherrscht und verschlungen? Ist die wissenschaftliche Begeisterung nicht der schönste Triumph, den die Vernunft über Dich feiert? Ist die Macht des Wissenstriebs nicht eine schlechterdings unwidersteh­liche, Alles überwindende Macht? Und wenn Du eine Leidenschaft unterdrückst, eine Gewohnheit ablegst, kurz einen Sieg über Dich selbst erringst, ist diese siegreiche Kraft Deine eigne persönliche Kraft, für sich selbst gedacht, oder nicht vielmehr die Willensenergie, die Macht der Sittlichkeit, welche sich gewaltsam Deiner bemeistert und Dich mit Indignation gegen Dich selbst und Deine individuellen Schwachheiten erfüllt? [6]

Der Mensch ist nichts ohne Gegenstand. Große, exemplarische Menschen – solche Menschen, die uns das Wesen des Menschen offenbaren, bestätigten diesen Satz durch ihr Leben. Sie hatten nur eine dominirende Grundleidenschaft: die Verwirklichung des Zwecks, welcher der wesentliche Gegenstand ihrer Thätigkeit war. Aber der Gegenstand, auf welchen sich ein Subject wesentlich, nothwendig bezieht, ist nichts andres, als das eigne, aber gegenständliche Wesen dieses Subjects. Ist derselbe ein mehreren der Gattung nach gleichen, der Art nach aber unterschiedenen Individuen gemeinschaftlicher Gegenstand, so ist er wenigstens so, wie er diesen Individuen je nach ihrer Verschiedenheit Object ist, ihr eignes aber gegenständliches Wesen.

So ist die Sonne das gemeinschaftliche Object der Planeten, aber so, wie sie dem Merkur, der Venus, dem Saturn, dem Uranus, so ist sie nicht der Erde Gegenstand. Jeder Planet hat seine eigne Sonne. Die Sonne, die und wie sie den Uranus erleuchtet und erwärmt, hat kein physisches (nur ein astronomisches, wissenschaftliches) Dasein für die Erde; und die Sonne erscheint nicht nur anders, sie ist auch wirklich auf dem Uranus eine andere Sonne als auf der Erde. Das Verhalten der Erde zur Sonne ist daher zugleich ein Verhalten der Erde zu sich selbst oder zu ihrem eignen Wesen, denn das Maaß der Größe und der Intensität des Lichts, in welchem die Sonne der Erde Gegenstand ist, ist das Maaß der Entfernung, welches die eigenthümliche Natur der Erde begründet. Die Sonne jedes Planeten ist der Spiegel seines eignen Wesens.

An dem Gegenstande wird daher der Mensch seiner selbst bewußt: das Bewußtsein des Gegenstands ist das [7] Selbstbewußtsein des Menschen. Aus dem Gegenstande erkennst Du den Menschen; an ihm erscheint Dir sein Wesen: der Gegenstand ist sein offenbares Wesen, sein wahres objectives Ich. Und dieß gilt keineswegs nur von den geistigen, sondern auch den sinnlichen Gegenständen. Auch die dem Menschen fernsten Gegenstände sind, weil und wiefern sie ihm Gegenstände sind, Offenbarungen des menschlichen Wesens. Auch der Mond, auch die Sonne, auch die Sterne rufen dem Menschen das Γνῶθι σαυτὸν zu. Daß er sie sieht und sie so sieht, wie er sie sieht, das ist ein Zeugniß seines eignen Wesens. Das Thier wird nur ergriffen von dem das Leben unmittelbar afficirenden Lichtstrahl, der Mensch dagegen auch noch von dem kalten Strahl des entferntesten Sternes. Nur der Mensch hat reine, intellectuelle, interesselose Freuden und Affecte – nur der Mensch feiert theoretische Augenfeste. Das Auge, das in den Sternenhimmel schaut, jenes nutz- und schadenlose Licht erblickt, welches nichts mit der Erde und ihren Bedürfnissen gemein hat, dieses Auge blickt in diesem Lichte in sein eignes Wesen, seinen eignen Ursprung. Das Auge ist himmlischer Natur. Darum erhebt sich der Mensch über die Erde nur mit dem Auge; darum beginnt die Theorie mit dem Blicke nach dem Himmel. Die ersten Philosophen waren Astronomen. Der Himmel erinnert den Menschen an seine Bestimmung, daran, daß er nicht blos zum Handeln, sondern auch zur Beschauung bestimmt ist.

Das absolute Wesen des Menschen ist sein eignes Wesen. Die Macht des Gegenstandes über ihn ist daher die Macht seines eignen Wesens. So ist die Macht des Gegenstands der Liebe die Macht der Liebe, die Macht des Gegenstands der Vernunft die Macht der Vernunft selbst. [8] Den Menschen, dessen Wesen der Ton bestimmt, beherrscht das Gefühl – wenigstens das Gefühl, welches im Tone sein entsprechendes Element findet. Nicht der Ton für sich selbst, nur der inhaltsvolle, der sinn- und gefühlvolle Ton hat Macht auf das Gefühl. Das Gefühl wird nur durch das Gefühlvolle, d. h. durch sich selbst, sein eignes Wesen bestimmt. So auch der Wille, so auch und unendlich mehr die Vernunft. Was für eines Gegenstandes wir uns daher auch nur immer bewußt werden: wir werden stets zugleich auch unsres eignen Wesens uns bewußt. Wir können nichts Anderes bethätigen, ohne uns selbst zu bethätigen. Und weil Wollen, Fühlen, Denken Vollkommenheiten sind, Perfectionen, Realitäten, so ist es unmöglich, daß wir mit Vernunft die Vernunft, mit Gefühl das Gefühl, mit Willen den Willen als eine beschränkte, endliche d. i. nichtige Kraft empfinden, oder wahrnehmen. Endlichkeit nämlich und Richtigkeit sind identisch. Endlichkeit ist nur ein Euphemismus für Nichtigkeit. Endlichkeit ist der metaphysische, der theoretische, Nichtigkeit der pathologische, praktische Ausdruck. Was dem Verstande endlich, ist nichtig dem Herzen. Es ist aber unmöglich, daß wir uns des Willens, des Gefühls, der Vernunft als endlicher Kräfte bewußt werden, weil jede Vollkommenheit, jede ursprüngliche Kraft und Wesenheit die unmittelbare Bewahrheitung und Bekräftigung ihrer selbst ist. Man kann nicht lieben, nicht wollen, nicht denken, ohne diese Thätigkeiten als Vollkommenheiten zu empfinden, nicht wahrnehmen, daß man ein liebendes, wollendes, denkendes Wesen ist, ohne darüber eine unendliche Freude zu empfinden. Bewußtsein ist das sich selbst Gegenstand Sein eines Wesens; daher nichts Apartes, nichts von dem Wesen, das [9] sich seiner bewußt ist, Unterschiednes. Wie könnte es sonst sich seiner bewußt sein? Unmöglich ist es darum, einer Vollkommenheit als einer Unvollkommenheit sich bewußt zu werden, unmöglich, das Gefühl als beschränkt zu empfinden, unmöglich, das Denken als beschränkt zu denken.

Bewußtsein ist Selbstbethätigung, Selbstbeja­hung, Selbstliebe, – Selbstliebe nicht im Sinne der thierischen – Freude an der eignen Vollkommenheit. Bewußt­sein ist das charakteristische Kennzeichen eines vollkommnen Wesens. Bewußtsein ist nur in einem gesättigten, vollendeten Wesen. Selbst die menschliche Eitelkeit bestätigt diese Wahrheit. Der Mensch steht in den Spiegel. Er hat einen Wohlgefallen an seiner Gestalt. Dieses Wohlgefallen ist eine nothwendige, unwillkührliche Folge von der Vollendung, von der Schönheit seiner Gestalt. Die schöne Gestalt ist in sich gesättigt, sie hat nothwendig eine Freude an sich, sie spiegelt sich nothwendig in sich selbst. Eitelkeit ist es nur, wenn der Mensch seine eigne individuelle Gestalt beliebäugelt, aber nicht wenn er die menschliche Gestalt überhaupt bewundert. Er soll sie bewundern. Allerdings liebt jedes Wesen sich, sein Sein und soll es lieben. Sein ist ein Gut. Quidquid essentia dignum est, scientia dignum est.[ 4)] Alles was ist hat Werth, ist ein Wesen von Distinction. Wenigstens gilt dieß von der Species, von der Gattung. Darum bejaht, behauptet es sich. Aber die höchste Form der Selbstbejahung, die Form, welche selbst eine Auszeichnung ist, eine Vollkommenheit, ein Glück, ein Gut, ist das Bewußtsein.

Jede Beschränkung der Vernunft oder überhaupt des Wesens des Menschen beruht auf einer Täuschung, einem Irrthum. Wohl kann und soll selbst das menschliche Individuum [10] – hierin besteht sein Unterschied von dem thierischen – sich als beschränkt fühlen und erkennen; aber es kann sich seiner Schranken, seiner Endlichkeit nur bewußt werden, weil ihm die Vollkommenheit, die Unendlichkeit der Gattung Gegenstand ist, sei es nun als Gegenstand des Gefühls, oder des Gewissens, oder des denkenden Bewußtseins. Macht es gleichwohl seine Schranken zu Schranken der Gattung, so beruht dieß auf der Täuschung, daß es sich mit der Gattung unmittelbar identificirt – eine Täuschung, die mit der Bequemlichkeitsliebe, Trägheit, Eitelkeit und Selbstsucht des Individuums aufs innigste zusammenhängt. Eine Schranke nämlich, die ich blos als meine Schranke weiß, demüthigt, beschämt und beunruhigt mich. Um mich daher von diesem Schamgefühl, von dieser Unruhe zu befreien, mache ich die Schranken meiner Individualität zu Schranken des menschlichen Wesens selbst. Was mir unbegreiflich, ist auch den Andern unbegreiflich; was soll ich mich weiter kümmern? es ist ja nicht meine Schuld; es liegt nicht an meinem Verstande; es liegt am Verstande der Gattung selbst. Aber es ist Wahn, lächerlicher und zugleich frevelhafter Wahn, das, was die Natur des Menschen constituirt, das Wesen der Gattung, welches das absolute Wesen des Individuums ist, als endlich, als beschränkt zu bestimmen. Jedes Wesen ist sich selbst genug. Kein Wesen kann sich d. h. seine Wesenheit negiren; kein Wesen ist sich selbst ein beschränktes. Jedes Wesen ist vielmehr in sich und für sich unendlich. Jede Schranke eines Wesens existirt nur für ein andres Wesen außer und über ihm. Das Leben der Ephemeren ist außerordentlich kurz im Vergleich zu länger lebenden Thieren; aber gleichwohl ist für sie dieses kurze Leben so lang, als [11] für Andere ein Leben von Jahren. Das Blatt, auf dem die Raupe lebt, ist für sie eine Welt, ein unendlicher Raum.

Was ein Wesen zu dem macht, was es ist, das ist eben sein Talent, sein Vermögen, sein Reichthum, sein Schmuck. Wie wäre es möglich, sein Sein als Nichtsein, seinen Reichthum als Mangel, sein Talent als Unvermögen zu gewahren? Hätten die Pflanzen Augen, Geschmack und Urtheilskraft – jede Pflanze würde ihre Blume für die schönste erklären; denn ihr Verstand, ihr Geschmack würde nicht weiter reichen als ihre producirende Wesenskraft. Was die producirende Wesenskraft als das Höchste hervorbrächte, das müßte auch ihr Geschmack, ihre Urtheilskraft als das Höchste bekräftigen, anerkennen. Was das Wesen bejaht, kann der Verstand, der Geschmack, das Urtheil nicht verneinen; sonst wäre der Verstand, die Urtheilskraft nicht mehr der Verstand, die Urtheilskraft dieses bestimmten, sondern irgend eines andern Wesens. Das Maaß des Wesens ist auch das Maaß des Verstandes. Ist das Wesen beschränkt, so ist auch das Gefühl, auch der Verstand beschränkt. Aber einem beschränkten Wesen ist sein beschränkter Verstand keine Schranke; es ist vielmehr vollkommen glücklich und befriedigt mit demselben; es empfindet ihn, es lobt und preist ihn als eine herrliche, göttliche Kraft; und der beschränkte Verstand preist seinerseits wieder das beschränkte Wesen, dessen Verstand er ist. Beide passen aufs genauste zusammen; wie sollten sie mit einander zerfallen können? Der Verstand ist der Gesichtskreis eines Wesens. So weit Du siehst, so weit erstreckt sich Dein Wesen, und umgekehrt. Das Auge des Thieres reicht nicht weiter, als sein Bedürfniß, und sein Wesen nicht weiter, als sein Bedürfniß. Und so weit Dein Wesen, so weit reicht Dein unbeschränktes [12] Selbstgefühl, so weit bist Du Gott. Der Zwiespalt von Verstand und Wesen, von Denkkraft und Productionskraft im menschlichen Bewußtsein ist einerseits ein nur individueller, ohne allgemeine Bedeutung, andrerseits nur ein scheinbarer. Wer seine schlechten Gedichte als schlecht erkennt, ist, weil in seiner Erkenntniß, auch in seinem Wesen nicht so beschränkt, wie der, welcher seine schlechten Gedichte in seinem Verstande approbirt.

Kein Wesen kann also in seinen Gefühlen, Vorstellungen, Gedanken seine Natur verläugnen. Was es auch setzt – es setzt immer Sich selbst. Jedes Wesen hat seinen Gott, sein höchstes Wesen in sich selbst. Preisest Du die Herrlichkeit Gottes, so preisest Du die Herrlichkeit des eignen Wesens. Alle Bewunderung ist im Grunde Selbstbewunderung, alles Lob Selbstlob; jedes Urtheil, das Du über Anderes fällst, ein Urtheil über Dich selbst. Rühmliches zu rühmen, ist selbst Ruhm, Tugenden eines Andern anzuerkennen, zu fühlen, selbst Tugend. Was des Lichtes sich freut, das ist in sich selbst ein illuminirtes, aufgeklärtes Wesen. Gleich und Gleich gesellt sich gern. Nur der helle Kopf verlangt nach Licht; nur Licht vernimmt Licht.

Denkst Du folglich das Unendliche, so denkst und bestätigst Du die Unendlichkeit des Denkvermögens; fühlst Du das Unendliche, so fühlst und bestätigst Du die Unendlichkeit des Gefühlsvermögens. Der Gegenstand der Vernunft ist die sich gegenständliche Vernunft, der Gegenstand des Gefühls das sich gegenständliche Gefühl. Hast Du keinen Sinn, kein Gefühl für Musik, so vernimmst Du auch in der schönsten Musik nicht mehr, als in dem Winde, der vor Deinen Ohren vorbeisauft, als in dem Bache, der vor [13] Deinen Füßen vorbeirauscht. Was ergreift Dich also, wenn Dich der Ton ergreift? Was vernimmst Du in ihm? was anders, als die Stimme Deines eignen Herzens? Darum spricht das Gefühl nur zum Gefühl, darum ist das Gefühl nur dem Gefühl, d. h. sich selbst verständlich – darum, weil der Gegenstand des Gefühls selbst nur Gefühl ist. Die Musik ist ein Monolog des Gefühls. Aber auch der Dialog der Philosophie ist in Wahrheit nur ein Monolog der Vernunft. Der Gedanke spricht nur zum Gedanken. Der Farbenglanz der Krystalle entzückt die Sinne; die Vernunft interessiren nur die Gesetze der Krystallonomie. Der Vernunft ist nur das Vernünftige Gegenstand.

Alles daher, was im Sinne der hyperphysischen transcendenten Spe­culation und Religion nur die Bedeutung des Secundären, des Sub­jectiven, des Mittels, des Organs hat, das hat im Sinne der Wahrheit die Bedeutung des Primitiven, des Wesens, des Ge­genstandes selbst. Ist z. B. das Gefühl das wesentliche Organ der Religion, so drückt das Wesen Gottes nichts andres aus, als das Wesen des Gefühls. Der wahre, aber verborgene Sinn der Rede: „das Gefühl ist das Organ des Göttlichen,“ lautet: das Gefühl ist das Nobelste, Trefflichste, d. h. Göttliche im Men­schen. Wie könntest Du das Göttliche vernehmen durch das Gefühl, wenn das Gefühl nicht selbst göttlicher Natur wäre? Das Göttliche wird ja nur durch das Göttliche, Gott nur durch sich selbst erkannt. Das göttliche Wesen, welches das Gefühl vernimmt, ist in der That nichts als das von sich selbst entzückte und bezauberte Wesen des Gefühls – das wonnetrunkene, in sich selige Gefühl.

Es erhellt dieß schon daraus, daß da, wo das Gefühl [14] zum Organ des Unendlichen, zum subjectiven Wesen der Religion gemacht wird, der Gegenstand derselben seinen objectiven Werth verliert. So ist, seitdem man das Gefühl zur Hauptsache der Religion gemacht, der sonst so heilige Glaubensinhalt des Christenthums gleichgültig geworden. Wird auch auf dem Standpunkt des Gefühls dem Gegenstand noch Werth eingeräumt, so hat er doch diesen nur um des Gefühls willen. Würde ein anderer Gegenstand dieselben Gefühle erregen, so wäre er eben so willkommen. Der Gegenstand des Gefühls wird aber eben nur deßwegen gleichgültig, weil, wo einmal das Gefühl als das subjective Wesen der Religion ausgesprochen wird, es in der That auch das objective Wesen derselben ist, wenn es gleich nicht als solches, wenigstens direct, ausgesprochen wird. Direct sage ich; denn indirect wird dieß allerdings eingestanden, indem, wenn einmal das Gefühl für das Organ des Göttlichen gilt, das Gefühl als solches, jedes Gefühl als Gefühl für religiös erklärt, also der Unterschied zwischen specifisch religiösen und irreligiösen oder wenigstens nicht religiösen Gefühlen aufgehoben wird und aufgehoben werden muß. Warum denn anders als wegen seines Wesens, seiner Natur machst Du das Gefühl zum Organ des unendlichen, des göttlichen Wesens? Ist aber nicht die Natur des Gefühls überhaupt auch die Natur jedes speciellen Gefühls, sein Gegenstand sei nun welcher er wolle? Was macht also dieses Gefühl zum religiösen? der bestimmte Gegenstand? Mit nichten, denn dieser Gegenstand ist selbst nur ein religiöser, wenn er nicht ein Gegenstand des kalten Verstandes oder Gedächtnisses, sondern des Gefühls ist. Was also? die Natur des Gefühls, an der jedes Gefühl, ohne Unterschied des Gegenstandes, Theil hat. Das Gefühl ist also heilig gesprochen, [15] lediglich weil es Gefühl ist; der Grund der Religiosität ist die Natur des Gefühls, liegt in ihm selbst. Ist aber dadurch nicht das Gefühl als das Absolute, als das Göttliche selbst ausgesprochen? Wenn das Gefühl durch sich selbst gut, religiös, d. h. heilig, göttlich ist, hat das Gefühl seinen Gott nicht in sich selbst?

Wenn Du aber dennoch ein Object des Gefühls festsetzen, zugleich aber Dein Gefühl wahrhaft auslegen willst, ohne mit Deiner Reflexion etwas Fremdartiges hineinzulegen, was bleibt Dir übrig, als zu unterscheiden zwischen Deinen individuellen Gefühlen und zwischen dem allgemeinen Wesen, der Natur des Gefühls, als abzusondern das Wesen des Gefühls von den störenden, verunreinigenden Einflüssen, an welche in Dir, dem bedingten Individuum, das Gefühl gebunden ist? Was Du daher allein vergegenständlichen, als das Unendliche aussprechen, als dessen Wesen bestimmen kannst, das ist nur die Natur des Gefühls. Du hast hier keine andere Bestimmung für Gott als diese: Gott ist das reine, das unbeschränkte, das freie Gefühl. Jeder andre Gott, den Du hier setzest, ist ein von Außen Deinem Gefühl aufgedrungener Gott. Das Gefühl ist atheistisch im Sinne des orthodoxen Glaubens, als welcher die Religion an einen äußern Gegenstand anknüpft. Das Gefühl läugnet einen gegenständlichen Gott – es ist sich selbst Gott. Die Negation des Gefühls nur ist auf dem Standpunkt des Gefühls die Negation Gottes. Du bist nur zu feige oder zu beschränkt, um mit Worten einzugestehen, was Dein Gefühl im Stillen bejaht. Gebunden an äußere Rücksichten, in den Banden des gemeinsten Empirismus noch befangen, unfähig die Seelengröße des Gefühls zu begreifen, erschrickst Du vor [16] dem religiösen Atheismus Deines Herzens und zerstörst in diesem Schrecken die Einheit Deines Gefühls mit sich selbst, indem Du Dir ein vom Gefühl unterschiednes, objectives Wesen vorspiegelst, und Dich so nothwendig wieder zurückwirfst in die alten Fragen und Zweifel: ob ein Gott ist oder nicht ist? Fragen und Zweifel, die doch da verschwunden, ja unmöglich sind, wo das Gefühl als das Wesen der Religion bestimmt wird. Das Gefühl ist Deine innigste und doch zugleich eine von Dir unterschiedene, unabhängige Macht, es ist in Dir über Dir: es ist selbst schon das Objective in Dir, Dein eigenstes Wesen, das Dich als und wie ein anderes Wesen ergreift, kurz Dein Gott – wie willst Du also von diesem objectiven Wesen in Dir noch ein anderes objectives Wesen unterscheiden? wie über Dein Gefühl hinaus?

Das Gefühl wurde aber hier nur als Beispiel hervorgehoben. Dieselbe Bewandtniß hat es mit jeder andern Kraft, Fähigkeit, Potenz, Realität, Thätigkeit – der Name ist gleichgültig – welche man als das wesentliche Organ eines Gegenstandes bestimmt. Was subjectiv die Bedeutung des Wesens, das hat eben damit auch objectiv die Bedeutung des Wesens. Der Mensch kann nun einmal nicht über sein wahres Wesen hinaus. Wohl mag er sich vermittelst der Phantasie Individuen anderer, angeblich höherer Art vorstellen, aber von seiner Gattung, seinem Wesen kann er nimmermehr abstrahiren; die Wesensbestimmungen, die positiven letzten Prädicate, die er diesen andern Individuen gibt, sind immer aus seinem eignen Wesen geschöpfte Bestimmungen – Bestimmungen, in denen er in Wahrheit nur sich selbst abbildet und vergegenständlicht.

 

――――――――

 

1) Objectum intellectus esse illimitatum sive omne verum ac, ut loquuntur, omne ens ut ens, ex eo constat, quod ad nullum non genus rerum extenditur, nullumque est, cujus cognoscendi capax non sit, licet ob varia obstacula multa sint, quae re ipsa non norit. Gassendi. (Opp. omn. Phys.) 

2) Der geistlose Materialist sagt: „Der Mensch unterscheidet sich vom Thiere nur durch Bewußtsein, er ist ein Thier, aber mit Bewußtsein“, er bedenkt also nicht, daß in einem Wesen, das zum Bewußtsein erwacht, eine qualitative Veränderung und Differenzirung des ganzen Wesens vor sich geht. Uebrigens soll mit dem Gesagten keineswegs das Wesen der Thiere herabgesetzt werden. Hier ist der Ort nicht, tiefer einzugehen. 

3) Toute opinion est assez forte pour se faire esposer au prix de la vie. Montaigne. 

[ 4) Francis Bacon, Novum Organon. ]