BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Johann Gottlieb Fichte

1762 - 1814

 

Der geschlossene Handelsstaat

 

2. Buch

 

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Erstes Capitel.

 

Vorerinnerung.

 

Nicht zu bewundern sey der Gipfel der Weisheit, sagt ein Alter. Inwiefern er von jenem die Fassung raubenden und die ruhige Besonnenheit störenden Anstaunen des Unerwarteten redet, hat er ganz Recht. Wir aber möchten hinzusetzen: in dem Vermögen sich über etwas zu verwundern, bestehe die Anlage zur Weisheit, zum Selbstdenken, zur freien Erzeugung von Begriffen.

Der Nichtdenker, der doch gesunde Sinne und Gedächtniss hat, fasst den vor seinen Augen liegenden wirklichen Zustand der Dinge auf, und merkt sich ihn. Er bedarf nichts weiter, da er ja nur in der wirklichen Welt zu leben und seine Geschäfte zu treiben hat, und zu einem Nachdenken gleichsam auf Vorrath, und dessen er nicht unmittelbar zur Stelle bedürfte, sich gar nicht gereizt fühlt. Er geht mit seinen Gedanken über diesen wirklichen Zustand nie hinaus, und erdenkt nie einen andern; aber durch diese Gewohnheit, nur diesen zu denken, entsteht ihm allmählig, und ohne dass er sich dessen eigentlich bewusst wird, die Voraussetzung, dass nur dieser sey, und nur dieser seyn könne. Die Begriffe und Sitten seines Volkes und seines Zeitalters scheinen ihm die einzig möglichen Begriffe und Sitten aller Völker und aller Zeitalter. Dieser verwundert sich gewiss nicht, dass alles nun gerade so sey, wie es ist, weil es nach ihm gar nicht anders seyn kann; er erhebt gewiss nicht die Frage, wie es so geworden, da es nach ihm ja von Anbeginn so gewesen. Nöthigt sich ihm ja eine Beschreibung anderer Völker und anderer Zeitalter auf, oder wohl gar ein philosophischer Entwurf, wie es nirgends gewesen, aber allenthalben hätte seyn sollen, so trägt er immer die Bilder seiner Welt, von denen er sich nicht losreissen kann, hinein, sieht alles durch sie hindurch, und fasst nie den ganzen Sinn dessen, was ihm vorgetragen wird. Seine unheilbare Krankheit ist die, das zufällige für nothwendig zu halten.

Wer sich hingegen gewöhnt hat, nicht nur das wirklich vorhandene durch den Gedanken nachzubilden, sondern auch das mögliche durch denselben frei in sich zu erschaffen, findet sehr oft ganz andere Verbindungen und Verhältnisse der Dinge, als die gegebenen ebenso möglich wie diese, ja wohl noch weit möglicher, natürlicher, vernunftmässiger; er findet die gegebenen Verhältnisse nicht nur zufällig, sondern zuweilen gar wunderlich. Er also erhebt die Frage: wie und auf welche Weise ist doch alles so geworden wie es ist, da es ja auf die verschiedensten Arten anders seyn konnte? Diese Frage beantwortet ihm die Geschichte der Vorzeit; wie denn alle gründliche Geschichte nichts anderes seyn kann und soll, als eine genetische Beantwortung der Causalfrage: auf welche Weise ist denn der gegenwärtige Zustand der Dinge entstanden, und aus welchen Gründen hat die Welt sich gerade so gebildet, wie wir sie vor uns finden?

Hier haben wir es nur mit dem Handelsverkehr zu thun. Meine Leser haben schon im ersten Buche gesehen, dass der Verfasser einen ganz anderen Zustand desselben, als wir in der wirklichen Welt vorfinden, nicht nur für möglich hält, sondern sogar für gefordert durch das Rechtsgesetz. Ihn sonach kann es allerdings Wunder nehmen, warum nicht der letztere, sondern der, welchen wir wirklich vor uns sehen, eingetreten. Gegenwärtig haben wir diesen wirklich eingetretenen nur zu schildern, welches ein Theil der Zeitgeschichte wäre. Aber vielleicht wird diese Schilderung dadurch noch deutlicher, dass man einen Blick auf die Entstehung des gegebenen aus dem unmittelbar vorhergegangenen werfe. Auf das Vermögen und die Willigkeit des Lesers sich zu verwundern, auf seine Gewandtheit, von der Gegenwart wegzusehen, und sich in die Vergangenheit oder Zukunft mit seinen Gedanken ganz hineinzuversetzen, rechnen wir inzwischen auch hier.