BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Johann Gottlieb Fichte

1762 - 1814

 

Reden an die deutsche Nation

 

1807/08

 

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Erste Rede.

 

Vorerinnerungen und

Uebersicht des Ganzen.

 

Als eine Fortsetzung der Vorlesungen, die ich im Winter vor drei Jahren allhier an derselben Stätte gehalten, und welche unter dem Titel: Grundzüge des gegenwärtigen Zeitalters, gedruckt sind, habe ich die Reden, die ich hiermit beginne, angekündigt. Ich hatte in jenen Vorlesungen gezeigt, dass unsere Zeit in dem dritten Hauptabschnitte der gesammten Weltzeit stehe, welcher Abschnitt den blossen sinnlichen Eigennutz zum Antriebe aller seiner lebendigen Regungen und Bewegungen habe; dass diese Zeit in der einzigen Möglichkeit des genannten Antriebes sich selbst auch vollkommen verstehe und begreife; und dass sie durch diese klare Einsicht ihres Wesens in diesem ihrem lebendigen Wesen tief begründet und unerschütterlich befestiget werde.

Mit uns gehet, mehr als mit irgend einem Zeitalter, seitdem es eine Weltgeschichte gab, die Zeit Riesenschritte. Innerhalb der drei Jahre, welche seit dieser meiner Deutung des laufenden Zeitabschnitts verflossen sind, ist irgendwo dieser Abschnitt vollkommen abgelaufen und beschlossen. Irgendwo hat die Selbstsucht durch ihre vollständige Entwickelung sich selbst vernichtet, indem sie darüber ihr Selbst und dessen Selbstständigkeit verloren; und ihr, da sie gutwillig keinen andern Zweck, denn sich selbst, sich setzen wollte, durch äusserliche Gewalt ein solcher anderer und fremder Zweck aufgedrungen worden. Wer es einmal unternommen hat, seine Zeit zu deuten, der muss mit seiner Deutung auch ihren Fortgang begleiten, falls sie einen solchen Fortgang gewinnt; und so wird es mir denn zur Pflicht, vor demselben Publicum, vor welchem ich etwas als Gegenwart bezeichnete, dasselbe als vergangen anzuerkennen, nachdem es aufgehört hat, die Gegenwart zu seyn.

Was seine Selbstständigkeit verloren hat, hat zugleich verloren das Vermögen einzugreifen in den Zeitfluss, und den Inhalt desselben frei zu bestimmen; es wird ihm, wenn es in diesem Zustande verharret, seine Zeit, und es selber mit dieser seiner Zeit, abgewickelt durch die fremde Gewalt, die über sein Schicksal gebietet; es hat von nun an gar keine eigene Zeit mehr, sondern zählt seine Jahre nach den Begebenheiten und Abschnitten fremder Völkerschaften und Reiche. Es könnte sich erheben aus diesem Zustande, in welchem die ganze bisherige Welt seinem selbstthätigen Eingreifen entrückt ist, und in dieser ihm nur der Ruhm des Gehorchens übrigbleibt, lediglich unter der Bedingung, dass ihm eine neue Welt aufginge, mit deren Erschaffung es einen neuen und ihm eigenen Abschnitt in der Zeit begönne, und mit ihrer Fortbildung ihn ausfüllte; doch müsste, da es einmal unterworfen ist fremder Gewalt, diese neue Welt also beschaffen seyn, dass sie unvernommen bliebe jener Gewalt und ihre Eifersucht auf keine Weise erregte, ja, dass diese durch ihren eigenen Vortheil bewegt würde, der Gestaltung einer solchen kein Hinderniss in den Weg zu legen. Falls es nun eine also beschaffene Welt, als Erzeugungsmittel eines neuen Selbst und einer neuen Zeit, geben sollte für ein Geschlecht, das sein bisheriges Selbst, und seine bisherige Zeit und Welt verloren hat: so käme es einer allseitigen Deutung selbst der möglichen Zeit zu, diese also beschaffene Welt anzugeben.

Nun halte ich meines Orts dafür, dass es eine solche Welt gebe; und es ist der Zweck dieser Reden, Ihnen das Daseyn und den wahren Eigenthümer derselben nachzuweisen, ein lebendiges Bild derselben vor Ihre Augen zu bringen, und die Mittel ihrer Erzeugung anzugeben. In dieser Weise demnach werden diese Reden eine Fortsetzung der ehemals gehaltenen Vorlesungen über die damals gegenwärtige Zeit seyn, indem sie enthüllen werden das neue Zeitalter, das der Zerstörung des Reichs der Selbstsucht durch fremde Gewalt unmittelbar folgen kann und soll.

Bevor ich jedoch dieses Geschäft beginne, muss ich Sie ersuchen vorauszusetzen, also, dass es Ihnen niemals entfalle, und einverstanden zu seyn mit mir, wo und inwiefern dies nöthig ist, über die folgenden Puncte:

1) Ich rede für Deutsche schlechtweg, von Deutschen schlechtweg, nicht anerkennend, sondern durchaus bei Seite setzend und wegwerfend alle die trennenden Unterscheidungen, welche unselige Ereignisse seit Jahrhunderten in der einen Nation gemacht haben. Sie, E. V., sind zwar meinem leiblichen Auge die ersten und unmittelbaren Stellvertreter, welche die geliebten Nationalzüge mir vergegenwärtigen, und der sichtbare Brennpunct, in welchem die Flamme meiner Rede sich entzündet; aber mein Geist versammelt den gebildeten Theil der ganzen deutschen Nation, aus allen den Ländern, über welche er verbreitet ist, um sich her, bedenkt und beachtet unser aller gemeinsame Lage und Verhältnisse, und wünschet, dass ein Theil der lebendigen Kraft, mit welcher diese Reden vielleicht Sie ergreifen, auch in dem stummen Abdrucke, welcher allein unter die Augen der Abwesenden kommen wird, verbleibe und aus ihm athme und an allen Orten deutsche Gemüther zu Entschluss und That entzünde. Bloss von Deutschen und für Deutsche schlechtweg, sagte ich. Wir werden zu seiner Zeit zeigen, dass jedwede andere Einheitsbezeichnung oder Nationalband entweder niemals Wahrheit und Bedeutung hatte, oder falls es sie gehabt hätte, dass diese Vereinigungsproducte durch unsere dermalige Lage vernichtet und uns entrissen sind, und niemals wiederkehren können; und dass es lediglich der gemeinsame Grundzug der Deutschheit ist, wodurch wir den Untergang unsrer Nation im Zusammenfliessen derselben mit dem Auslande abwehren, und worin wir ein auf ihm selber ruhendes und aller Abhängigkeit durchaus unfähiges Selbst wiederum gewinnen können. Es wird, so wie wir dieses letztere einsehen werden, zugleich der scheinbare Widerspruch dieser Behauptung mit anderweitigen Pflichten und für heilig gehaltenen Angelegenheiten, den vielleicht dermalen mancher fürchtet, vollkommen verschwinden.

Ich werde darum, da ich ja nur von Deutschen überhaupt rede, manches, das von den allhier versammelten nicht zunächst gilt, aussprechen als dennoch von uns geltend, so wie ich anderes, das zunächst nur von uns gilt, aussprechen werde als für alle Deutsche geltend. Ich erblicke in dem Geiste, dessen Ausfluss diese Reden sind, die durcheinander verwachsene Einheit, in. der kein Glied irgend eines anderen Gliedes Schicksal für ein ihm fremdes Schicksal hält, die da entstehen soll und muss, wenn wir nicht ganz zu Grunde gehen sollen, – ich erblicke diese Einheit schon als entstanden, vollendet und gegenwärtig dastehend.

2) Ich setze voraus solche deutsche Zuhörer, welche nicht etwa mit allem, was sie sind, rein aufgehen in dem Gefühle des Schmerzes über den erlittenen Verlust, und in diesem Schmerze sich wohlgefallen und an ihrer Untröstlichkeit sich weiden, und durch dieses Gefühl sich abzufinden gedenken mit der an sie ergehenden Aufforderung zur That; sondern solche, die selbst über diesen gerechten Schmerz zu klarer Besonnenheit und Betrachtung sich schon erhoben haben, oder wenigstens fähig sind, sich dazu zu erheben. Ich kenne jenen Schmerz, ich habe ihn gefühlt wie einer, ich ehre ihn; die Dumpfheit, welche zufrieden ist, wenn sie Speise und Trank findet und kein körperlicher Schmerz ihr zugefügt wird, und für welche Ehre, Freiheit, Selbstständigkeit leere Namen sind, ist seiner unfähig; aber auch er ist lediglich dazu da, um zu Besinnung, Entschluss und That uns anzuspornen; dieses Endzwecks verfehlend, beraubt er uns der Besinnung und aller uns noch übriggebliebenen Kräfte, und vollendet so unser Elend; indem er noch überdies, als Zeugniss von unsrer Trägheit und Feigheit, den sichtbaren Beweis giebt, dass wir unser Elend verdienen. Keinesweges aber gedenke ich Sie zu erheben über diesen Schmerz durch Vertröstungen auf eine Hülfe, die von aussenher kommen solle, und durch Verweisungen auf allerlei mögliche Ereignisse und Veränderungen, die etwa die Zeit herbeiführen könne: denn, falls auch nicht diese Denkart, die lieber in der wankenden Welt der Möglichkeiten schweifen, als auf das Nothwendige sich heften mag, und die ihre Rettung lieber dem blinden Ohngefähr, als sich selber verdanken will, schon an sich von dem sträflichsten Leichtsinne und der tiefsten Verachtung seiner selbst zeugte, so wie sie es thut, so haben auch noch Überdies alle Vertröstungen und Verweisungen dieser Art durchaus keine Anwendung auf unsere Lage. Es lässt sich der strenge Beweis führen, und wir werden ihn zu seiner Zeit führen, dass kein Mensch und kein Gott, und keines von allen im Gebiete der Möglichkeit liegenden Ereignissen uns helfen kann, sondern dass allein wir selber uns helfen müssen, falls uns geholfen werden soll. Vielmehr werde ich Sie zu erheben suchen über den Schmerz durch klare Einsicht in unsere Lage, in unsere noch übriggebliebene Kraft, in die Mittel unserer Rettung. Ich werde darum allerdings einen gewissen Grad der Besinnung, eine gewisse Selbstthätigkeit und einige Aufopferung anmuthen, und rechne darum auf Zuhörer, denen sich soviel anmuthen lässt. Uebrigens sind die Gegenstände dieser Anmuthung insgesammt leicht, und setzen kein grösseres Maass von Kraft voraus, als man, wie ich glaube, unserem Zeitalter zutrauen kann; was aber die Gefahr betrifft, so ist dabei durchaus keine.

3) Indem ich eine klare Einsicht der Deutschen, als solcher, in ihre gegenwärtige Lage hervorzubringen gedenke: setze ich voraus Zuhörer, die da geneigt sind, mit eigenen Augen die Dinge dieser Art zu sehen, keinesweges aber solche, die es bequemer finden, ein fremdes und ausländisches Sehwerkzeug, das entweder absichtlich auf Täuschung berechnet ist, oder das auch natürlich, durch seinen andern Standpunct und durch das geringere Maass von Schärfe, niemals auf ein deutsches Auge passt, bei Betrachtung dieser Gegenstände sich unterschieben zu lassen. Ferner setze ich voraus, dass diese Zuhörer in dieser Betrachtung mit eigenen Augen den Muth haben, redlich hinzusehen auf das, was da ist, und redlich sich zu gestehen, was sie sehen, und dass sie jene häufig sich zeigende Neigung, über die eigenen Angelegenheiten sich zu täuschen und ein weniger unerfreuliches Bild von denselben, als mit der Wahrheit bestehen kann, sich vorzuhalten, entweder schon besiegt haben, oder doch fähig sind, sie zu besiegen. Jene Neigung ist ein feiges Entfliehen vor seinen eigenen Gedanken und kindischer Sinn, der da zu glauben scheint, wenn er nur nicht sehe sein Elend, oder wenigstens sich nicht gestehe, dass er es sehe, so werde dieses Elend dadurch auch in der Wirklichkeit aufgehoben, wie es aufgehoben ist in seinem Denken. Dagegen ist es mannhafte Kühnheit, das Uebel fest ins Auge zu fassen, es zu nöthigen, Stand zu halten, es ruhig, kalt und frei zu durchdringen und es aufzulösen in seine Bestandtheile. Auch wird man nur durch diese klare Einsicht des Uebels Meister, und geht in der Bekämpfung desselben einher mit sicherem Schritte, indem man, in jedem Theile das Ganze übersehend, immer weiss, wo man sich befinde, und durch die einmal erlangte Klarheit seiner Sache gewiss ist; dagegen der andere, ohne festen Leitfaden und ohne sichere Gewissheit, blind und träumend herumtappt.

Warum sollten wir denn auch uns scheuen vor dieser Klarheil? Das Uebel wird durch die Unbekanntschaft damit nicht kleiner, noch durch die Erkenntniss grösser; es wird nur heil bar durch die letztere; die Schuld aber soll hier gar nicht vorgerückt werden. Züchtige man durch bittere Strafrede, durch beissenden Spott, durch schneidende Verachtung die Trägheit und die Selbstsucht, und reize sie, wenn auch zu nichts besserem, doch wenigstens zum Hasse und zur Erbitterung gegen den Erinnerer selbst, als doch auch einer kräftigen Regung, an, – so lange die nothwendige Folge, das Uebel, noch nicht vollendet ist, und von der Besserung noch Rettung oder Milderung sich erwarten lässt. Nachdem aber dieses Uebel also vollendet ist, dass es uns auch die Möglichkeit auf diese Weise fortzusündigen benimmt, wird es zwecklos und sieht aus wie Schadenfreude, gegen die nicht mehr zu begehende Sünde noch ferner zu schelten; und die Betrachtung fällt sodann aus dem Gebiete der Sittenlehre in das der Geschichte, für welche die Freiheit vorüber ist und die das Geschehene als nothwendigen Erfolg aus dem Vorhergegangenen ansieht. Es bleibt für unsere Reden keine andere Ansicht der Gegenwart übrig, als diese letzte, und wir werden darum niemals eine andere nehmen.

Diese Denkart also, dass man sich als Deutschen schlechtweg denke, dass man nicht gefesselt sey selbst durch den Schmerz, dass man die Wahrheit sehen wolle, und den Muth habe ihr ins Auge zu blicken, setze ich voraus und rechne auf sie bei jedem Worte, das ich sagen werde, und so jemand eine andere in diese Versammlung mitbrächte, so würde derselbe die unangenehmen Empfindungen, die ihm hier gemacht werden könnten, lediglich sich selbst zuzuschreiben haben. Dies sey hiermit gesagt für immer, und abgethan; und ich gehe nun an das andere Geschäft, Ihnen den Grundinhalt aller folgenden Reden in einer allgemeinen Uebersicht vorzulegen.

Irgendwo, sagte ich im Eingange meiner Rede, habe die Selbstsucht durch ihre vollständige Entwickelung sich selbst vernichtet, indem sie darüber ihr selbst und das Vermögen, sich selbstständig ihre Zwecke zu setzen, verloren habe. Diese nunmehr erfolgte Vernichtung der Selbstsucht war der von mir angegebene Fortgang der Zeit, und das durchaus neue Ereigniss in derselben, das nach mir eine Fortsetzung meiner ehemaligen Schilderung der Zeit so möglich wie nothwendig machte; diese Vernichtung wäre somit unsere eigentliche Gegenwart, an welche unser neues Leben in einer neuen Welt, deren Daseyn ich gleichfalls. behauptete, unmittelbar angeknüpft werden müsste, sie wäre daher auch der eigentliche Ausgangspunct meiner Reden; und ich hätte vor allen Dingen zu zeigen, wie und warum eine solche Vernichtung der Selbstsucht aus ihrer höchsten Entwickelung nothwendig erfolge.

Bis zu ihrem höchsten Grade entwickelt ist die Selbstsucht, wenn, nachdem sie erst mit unbedeutender Ausnahme die Gesammtheit der Regierten ergriffen, sie von diesen aus sich auch der Regierenden bemächtigt und deren alleiniger Lebenstrieb wird. Es entsteht einer solchen Regierung zuvörderst nach aussen die Vernachlässigung aller Bande, durch welche ihre eigene Sicherheit an die Sicherheit anderer Staaten geknüpft ist, das Aufgeben des Ganzen, dessen Glied sie ist, lediglich darum, damit sie nicht aus ihrer trägen Ruhe aufgestört werde, und die traurige Täuschung der Selbstsucht, dass sie Frieden habe, so lange nur die eigenen Grenzen nicht angegriffen sind; sodann nach innen jene weichliche Führung der Zügel des Staats, die mit ausländischen Worten sich Humanität, Liberalität und Popularität nennt, die aber richtiger in deutscher Sprache Schlaffheit und ein Betragen ohne Würde zu nennen ist.

Wenn sie auch der Regierenden sich bemächtigt, habe ich gesagt. Ein Volk kann durchaus verdorben seyn, d. i. selbstsüchtig, denn die Selbstsucht ist die Wurzel aller andern Verderbtheit, – und dennoch dabei nicht nur bestehen, sondern sogar äusserlich glänzende Thaten verrichten, wenn nur nicht seine Regierung eben also verdirbt; ja die letztere sogar kann auch nach aussen treulos und pflicht- und ehrvergessen handeln, wenn sie nur nach innen den Muth hat, die Zügel des Regiments mit straffer Hand anzuhalten, und die grössere Furcht für sich zu gewinnen. Wo aber alles ebengenannte sich vereinigt, da geht das gemeine Wesen bei dem ersten ernstlichen Angriffe, der auf dasselbe geschieht, zu Grunde, und so wie es selbst erst treulos sich ablöste von dem Körper, dessen Glied es war, so lösen jetzt seine Glieder, die keine Furcht vor ihm hält, und die die grössere Furcht vor dem Fremden treibt, mit derselben Treulosigkeit sich ab von ihm, und gehen hin, ein jeder in das Seine. Hier ergreift die nun vereinzelt stehenden abermals die grössere Furcht, und sie geben in reichlicher Spende und mit erzwungen fröhlichem Gesichte dem Feinde, was sie kärglich und äusserst unwillig dem Vertheidiger des Vaterlandes gaben; bis späterhin auch die von allen Seiten verlassenen und verrathenen Regierenden genöthigt werden, durch Unterwerfung und Folgsamkeit gegen fremde Plane ihre Fortdauer zu erkaufen; und so nun auch diejenigen, die im Kampfe für das Vaterland die Waffen wegwarfen, unter fremden Panieren lernen, dieselben gegen das Vaterland tapfer zu fuhren. So geschieht es, dass die Selbstsucht durch ihre höchste Entwicklung vernichtet, und denen, die gutwillig keinen andern Zweck, denn sich selbst, sich setzen wollten, durch fremde Gewalt ein solcher anderer Zweck aufgedrungen wird.

Keine Nation die in diesen Zustand der Abhängigkeit herabgesunken, kann durch die gewöhnlichen und bisher gebrauchten Mittel sich aus demselben erheben. War ihr Widerstand fruchtlos, als sie noch im Besitze aller ihrer Kräfte war, was kann derselbe sodann fruchten nachdem sie des grössten Theils derselben beraubt ist? Was vorher hätte helfen können, nemlich wenn die Regierung derselben die Zügel kräftig und straff angehalten hätte, ist nun nicht mehr anwendbar, nachdem diese Zügel nur noch zum Scheine in ihrer Hand ruhen, und diese ihre Hand selbst durch eine fremde Hand gelenkt und geleitet wird. Auf sich selbst kann eine solche Nation nicht länger rechnen, und ebensowenig kann sie auf den Sieger rechnen. Dieser müsste ebenso unbesonnen und ebenso feige und verzagt seyn, als jene Nation selbst erst war, wenn er die errungenen Vortheile nicht festhielte und sie nicht auf alle Weise verfolgte. Oder wenn er einst im Verlauf der Zeiten doch so unbesonnen und feige würde, so würde er zwar eben also zu Grunde gehen wie wir, aber nicht zu unserem Vortheile, sondern er würde die Beute eines neuen Siegers, und wir würden die sich von selbst verstehende, wenig bedeutende Zugabe zu dieser Beute. Sollte eine so gesunkene Nation dennoch sich retten können, so müsste dies durch ein ganz neues, bisher noch niemals gebrauchtes Mittel, vermittelst der Erschaffung einer ganz neuen Ordnung der Dinge, geschehen. Lassen Sie uns also sehen, welches in der bisherigen Ordnung der Dinge der Grund war, warum es mit dieser Ordnung irgend einmal nothwendig ein Ende nehmen musste, damit wir an dem Gegentheile dieses Grundes des Unterganges das neue Glied finden, welches in die Zeit eingefügt werden müsste, damit an ihm die gesunkene Nation sich aufrichte zu einem neuen Leben.

Man wird in Erforschung jenes Grundes finden, dass in allen bisherigen Verfassungen die Theilnahme am Ganzen geknüpft war an die Theilnahme des Einzelnen an sich selbst, vermittelst solcher Bande, die irgendwo so gänzlich zerrissen, dass es gar keine Theilnahme für das Ganze mehr gab, – durch die Bande der Furcht und Hoffnung für die Angelegenheit des Einzelnen aus dem Schicksale des Ganzen, in einem künftigen und in dem gegenwärtigen Leben. Aufklärung des nur sinnlich berechnenden Verstandes war die Kraft, welche die Verbindung eines künftigen Lebens mit dem gegenwärtigen durch Religion aufhob, zugleich auch andere Ergänzungs- und stellvertretende Mittel der sittlichen Denkart, als da sind Liebe zu Ruhm und Nationalehre, als täuschende Trugbilder begriff; die Schwäche der Regierungen war es, welche die Furcht für die Angelegenheiten des Einzelnen aus seinem Betragen gegen das Ganze, selbst für das gegenwärtige Leben, durch häufige Straflosigkeit der Pflichtvergessenheit aufhob, und ebenso auch die Hoffnung unwirksam machte, indem sie dieselbe gar oft, ohne alle Rücksicht auf Verdienste um das Ganze, nach ganz anderen Regeln und Bewegungsgründen befriedigte. Bande solcher Art waren es, die irgendwo gänzlich zerrissen, und durch deren Zerreissung das gemeine Wesen sich auflöste.

Immerhin mag von nun an der Sieger das, was allein auch er kann, emsiglich thun, nemlich den letzten Theil des Bindungsmittels, die Furcht und Hoffnung für das gegenwärtige Leben, wiederum anknüpfen und verstärken; damit ist nur ihm geholfen, keinesweges aber uns: denn so gewiss er seinen Vortheil versteht, knüpft er an dieses erneute Band zu allererst nur seine Angelegenheit, die unsrige aber nur insoweit, inwiefern die Erhaltung unserer, als Mittel für seine Zwecke, ihm selbst zur Angelegenheit wird. Für eine so verfallene Nation ist von nun an Furcht und Hoffnung völlig aufgehoben, indem deren Leitung ihrer Hand entfallen ist, und sie zwar selber zu fürchten hat und zu hoffen, vor ihr aber von nun an kein Mensch sich weiter fürchtet, oder von ihr etwas hofft; und es bleibt ihr nichts übrig, als ein ganz anderes und neues, über Furcht und Hoffnung erhabenes Bindungsmittel zu finden, um die Angelegenheit ihrer Gesammtheit an die Theilnahme eines jeden aus ihr für sich selber anzuknüpfen.

Ueber den sinnlichen Antrieb der Furcht oder Hoffnung hinaus, und zunächst an ihn angrenzend, liegt der geistige Antrieb der sittlichen Billigung oder Misbilligung, und der höhere Affect des Wohlgefallens oder Misfallens an unserer und anderer Zustande. So wie das an Reinlichkeit und Ordnung gewöhnte äussere Auge durch einen Flecken, der ja unmittelbar dem Leibe keinen Schmerz zufügt, oder durch den Anblick verworren durcheinander liegender Gegenstände dennoch gepeinigt und geängstet wird, wie vom unmittelbaren Schmerze, indess der des Schmutzes und der Unordnung Gewohnte sich in denselben recht wohl befindet; eben also kann auch das innere geistige Auge des Menschen so gewöhnt und gebildet werden, dass der blosse Anblick eines verworrenen und unordentlichen, eines unwürdigen und ehrlosen Daseyns seiner selbst und seines verbrüderten Stammes, ohne Rücksicht auf das, was davon für sein sinnliches Wohlseyn zu fürchten oder zu hoffen sey, ihm innig wehe thue, und dass dieser Schmerz dem Besitzer eines solchen Auges, abermals ganz unabhängig von sinnlicher Furcht oder Hoffnung, keine Ruhe lasse, bis er, soviel an ihm ist, den ihm misfälligen Zustand aufgehoben und den, der ihm allein gefallen kann, an seine Stelle gesetzt habe. Im Besitzer eines solchen Auges ist die Angelegenheit des ihn umgebenden Ganzen, durch das treibende Gefühl der Billigung oder Misbilligung, an die Angelegenheit seines eigenen erweiterten Selbst, das nur als Theil des Ganzen sich fühlt und nur im gefälligen Ganzen sich ertragen kann, unabtrennbar angeknüpft; die Sichbildung zu einem solchen Auge wäre somit ein sicheres und das einzige Mittel, das einer Nation, die ihre Selbstständigkeit und mit ihr allen Einfluss auf die öffentliche Furcht und Hoffnung verloren hat, übrigbliebe, um aus der erduldeten Vernichtung sich wieder ins Daseyn zu erheben, und dem entstandenen neuen und höheren Gefühle ihre Nationalangelegenheiten, die seit ihrem Untergange kein Mensch und kein Gott weiter bedenkt, sicher anzuvertrauen. So ergiebt sich denn also, dass das Rettungsmittel, dessen Anzeige ich versprochen, bestehe in der Bildung zu einem durchaus neuen und bisher vielleicht als Ausnahme bei Einzelnen, niemals aber als allgemeines und nationales Selbst dagewesenen Selbst, und in der Erziehung der Nation, deren bisheriges Leben erloschen und Zugabe eines fremden Lebens geworden, zu einem ganz neuen Leben, das entweder ihr ausschliessendes Besitzthum bleibt, oder, falls es auch von ihr aus an andere kommen sollte, ganz und unverringert bleibt bei unendlicher Theilung; mit Einem Worte, eine gänzliche Veränderung des bisherigen Erziehungswesens ist es, was ich, als das einzige Mittel die deutsche Nation im Daseyn zu erhalten, in Vorschlag bringe.

Dass man den Kindern eine gute Erziehung geben müsse, ist auch in unserem Zeitalter oft genug gesagt und bis zum Ueberdrusse wiederholt worden, und es wäre ein geringes, wenn auch wir unseres Ortes dies gleichfalls einmal sagen wollten. Vielmehr wird uns, so wir ein anderes zu vermögen glauben, obliegen, genau und bestimmt zu untersuchen, was eigentlich der bisherigen Erziehung gefehlt habe, und anzugeben, welches durchaus neue Glied die veränderte Erziehung der bisherigen Menschenbildung hinzufügen müsse.

Man muss nach einer solchen Untersuchung der bisherigen Erziehung zugestehen, dass sie nicht ermangelt, irgend ein Bild von religiöser, sittlicher, gesetzlicher Denkart und von allerhand Ordnung und guter Sitte vor das Auge ihrer Zöglinge zu bringen, auch dass sie hier und da dieselben getreulich ermahnt habe, jenen Bildern in ihrem Leben einen Abdruck zu geben; aber mit höchst seltenen Ausnahmen, die somit nicht durch diese Erziehung begründet waren, indem sie sodann an allen durch diese Bildung Hindurchgegangenen, und als die Regel, hätten eintreten müssen, sondern die durch andere Ursachen herbeigeführt worden, – mit diesen höchst seltenen Ausnahmen, sage ich, haben die Zöglinge dieser Erziehung insgesammt nicht jenen sittlichen Vorstellungen und Ermahnungen, sondern sie haben den Antrieben ihrer, ihnen natürlich und ohne alle Beihülfe der Erziehungskunst erwachsenden Selbstsucht gefolgt; zum unwidersprechlichen Beweise, dass diese Erziehungskunst zwar wohl das Gedächtniss mit einigen Worten und Redensarten, und die kalte und theilnehmungslose Phantasie mit einigen matten und blassen Bildern anzufüllen vermocht, dass es ihr aber niemals gelungen, ihr Gemälde einer sittlichen Weltordnung bis zu der Lebhaftigkeit zu steigern, dass ihr Zögling von der heissen Liebe und Sehnsucht dafür, und von dem glühenden Affecte, der zur Darstellung im Leben treibt, und vor welchem die Selbstsucht abfällt wie welkes Laub, ergriffen worden; dass somit diese Erziehung weit davon entfernt gewesen sey, bis zur Wurzel der wirklichen Lebensregung und Bewegung durchzugreifen und diese zu bilden, indem diese vielmehr, unbeachtet von der blinden und ohnmächtigen Erziehung, allenthalben wild aufgewachsen sey, wie sie gekonnt habe, zu guter Frucht bei wenigen durch Gott Begeisterten, zu schlechter bei der grossen Mehrzahl. Auch ist es dermalen vollkommen hinlänglich, diese Erziehung durch diesen ihren Erfolg zu zeichnen, und kann man für unsern Behuf sich des mühsamen Geschäfts überheben, die inneren Säfte und Adern eines Baumes zu zergliedern, dessen Frucht dermalen vollständig reif ist und abgefallen, und vor aller Welt Augen liegt, und höchst deutlich und verständlich ausspricht die innere Natur ihres Erzeugers. Der Strenge nach wäre dieser Ansicht zufolge die bisherige Erziehung auf keine Weise die Kunst der Bildung zum Menschen gewesen, wie sie sich denn dessen auch eben nicht gerühmt, sondern gar oft ihre Ohnmacht durch die Forderung, ihr ein natürliches Talent oder Genie als Bedingung ihres Erfolgs vorauszugeben, freimüthig gestanden; sondern es wäre eine solche Kunst erst zu erfinden, und die Erfindung derselben wäre die eigentliche Aufgabe der neuen Erziehung. Das ermangelnde Durchgreifen bis in die Wurzel der Lebensregung und Bewegung hätte diese neue Erziehung der bisherigen hinzuzufügen, und wie die bisherige höchstens etwas am Menschen, so hätte diese den Menschen selbst zu bilden, und ihre Bildung keinesweges wie bisher zu einem Besitzthume, sondern vielmehr zu einem persönlichen Bestandtheile des Zöglings zu machen.

Ferner wurde bisher diese also beschränkte Bildung nur an die sehr geringe Minderzahl der eben daher gebildet genannten Stände gebracht, die grosse Mehrzahl aber, auf welcher das gemeine Wesen recht eigentlich ruht, das Volk, wurde von der Erziehungskunst fast ganz vernachlässigt und dem blinden Ohngefähr übergeben. Wir wollen durch die neue Erziehung die Deutschen zu einer Gesammtheit bilden, die in allen ihren einzelnen Gliedern getrieben und belebt sey durch dieselbe Eine Angelegenheit; so wir aber etwa hierbei abermals einen gebildeten Stand, der etwa durch den neu entwickelten Antrieb der sittlichen Billigung belebt würde, absondern wollten von einem ungebildeten, so würde dieser letzte, da Hoffnung und Furcht, durch welche allein noch auf ihn gewirkt werden könnte, nicht mehr für uns sondern gegen uns dienen, von uns abfallen und uns verlorengehen. Es bleibt sonach uns nichts übrig, als schlechthin an alles ohne Ausnahme, was deutsch ist, die neue Bildung zu bringen, so dass dieselbe nicht Bildung eines besonderen Standes, sondern dass sie Bildung der Nation schlechthin als solcher, und ohne alle Ausnahme einzelner Glieder derselben, werde, in welcher, in der Bildung zum innigen Wohlgefallen am Rechten nemlich, aller Unterschied der Stände. der in anderen Zweigen der Entwickelung auch fernerhin stattfinden mag, völlig aufgehoben sey und verschwinde; und dass auf diese Weise unter uns keinesweges Volkserziehung, sondern eigenthümliche deutsche Nationalerziehung entstehe.

Ich werde Ihnen darthun, dass eine solche Erziehungskunst, wie wir sie begehren, wirklich schon erfunden ist und ausgeübt wird, so dass wir nichts mehr zu thun haben, als das sich uns darbietende anzunehmen, welches, sowie ich dies oben von dem vorzuschlagenden Rettungsmittel versprach, ohne Zweifel kein grösseres Maass von Kraft erfordert, als man bei unserem Zeitalter billig voraussetzen kann. Ich fügte diesem Versprechen noch ein anderes bei, dass nemlich, was die Gefahr anbelange, bei unserem Vorschlage durchaus keine sey, indem es der eigene Vortheil der über uns gebietenden Gewalt erfordere, die Ausführung jenes Vorschlags eher zu befördern, als zu hindern. Ich finde zweckmässig, sogleich in dieser ersten Rede über diesen Punct mich deutlich auszusprechen.

Zwar sind, so in alter wie in neuer Zeit, gar häufig die Künste der Verführung und der sittlichen Herabwürdigung der Unterworfenen als ein Mittel der Herrschaft mit Erfolg gebraucht worden; man hat durch lügenhafte Erdichtungen und durch künstliche Verwirrung der Begriffe und der Sprache die Fürsten vor den Völkern, und diese vor jenen verleumdet, um die Entzweiten sicherer zu beherrschen; man hat alle Antriebe der Eitelkeit und des Eigennutzes listig aufgereizt und entwickelt, um die Unterworfenen verächtlich zu machen, und so mit einer Art von gutem Gewissen sie zu zertreten: aber man würde einen sicher zum Verderben führenden Irrthum begehen, wenn man mit uns Deutschen diesen Weg einschlagen wollte. Das Band der Furcht und der Hoffnung abgerechnet, beruht der Zusammenhang desjenigen Theils des Auslandes, mit dem wir dermalen in Berührung gekommen, auf den Antrieben der Ehre und des Nationalruhms; aber die deutsche Klarheit hat vorlängst bis zur unerschütterlichen Ueberzeugung eingesehen, dass dieses leere Trugbilder sind, und dass keine Wunde und keine Verstümmelung des Einzelnen durch den Ruhm der ganzen Nation geheilt wird; und wir dürften wohl, so nicht eine höhere Ansicht des Lebens an uns gebracht wird, gefährliche Prediger dieser sehr begreiflichen und manchen Reiz bei sich führenden Lehre werden. Ohne darum noch neues Verderben an uns zu nehmen, sind wir schon in unserer natürlichen Beschaffenheit eine unheilbringende Beute; nur durch die Ausführung des gemachten Vorschlages können wir eine heilbringende werden: und so wird denn, so gewiss das Ausland seinen Vortheil versteht, dasselbe, durch diesen selbst bewegt, uns lieber auf die letzte Weise haben wollen, denn auf die erste.

Insbesondere nun wendet mit diesem Vorschlage meine Rede sich an die gebildeten Stände Deutschlands, indem sie diesen noch am ersten verständlich zu werden hofft, und trägt zu allernächst ihnen an, sich zu den Urhebern dieser neuen Schöpfung zu machen, und dadurch theils mit ihrer bisherigen Wirksamkeit die Welt auszusöhnen, theils ihre Fortdauer in der Zukunft zu verdienen. Wir werden im Fortgange dieser Reden ersehen, dass bis hierher alle Fortentwickelung der Menschheit in der deutschen Nation vom Volke ausgegangen, und dass an dieses immer zuerst die grossen Nationalangelegenheiten gebracht, und von ihnen besorgt und weiter befördert worden; dass es somit jetzt zum erstenmale geschieht, dass den gebildeten Ständen die ursprüngliche Fortbildung der Nation angetragen wird, und dass, wenn sie diesen Antrag wirklich ergriffen, auch dies das erstemal geschehen wurde. Wir werden ersehen, dass diese Stände nicht berechnen können, auf wie lange Zeit es noch in ihrer Gewalt stehen werde, sich an die Spitze dieser Angelegenheit zu stellen, indem dieselbe bis zum Vortrage an das Volk schon beinahe vorbereitet und reif sey, und an Gliedern aus dem Volke geübt werde, und dieses nach kurzer Zeit ohne alle unsere Beihülfe sich selbst werde helfen können; woraus für uns bloss das erfolgen werde, dass die jetzigen Gebildeten und ihre Nachkommen zum Volke werden, aus dem bisherigen Volke aber ein anderer höher gebildeter Stand emporkomme.

Nach allem ist es der allgemeine Zweck dieser Reden, Muth und Hoffnung zu bringen in die Zerschlagenen, Freude zu verkündigen in die tiefe Trauer, übel die Stunde der grössten Bedrängniss leicht und sanft hinüberzuleiten. Die Zeit erscheint mir wie ein Schatten, der über seinem Leichname, aus dem soeben ein Heer von Krankheiten ihn herausgetrieben, steht und jammert, und seinen Blick nicht loszureissen vermag von der ehedem so geliebten Hülle, und verzweifelnd alle Mittel versucht, um wieder hineinzukommen in die Behausung der Seuchen. Zwar haben schon die belebenden Lüfte der andern Welt, in die die abgeschiedene eingetreten, sie aufgenommen in sich, und umgeben sie mit warmem Liebeshauche, zwar begrüssen sie schon freudig heimliche Stimmen der Schwestern und heissen sie willkommen, zwar regt es sich schon und dehnt sich in ihrem Innern nach allen Richtungen hin, um die herrlichere Gestalt, zu der sie erwachsen soll, zu entwickeln; aber noch hat sie kein Gefühl für diese Lüfte oder Gehör für diese Stimmen, oder wenn sie es hätte, so ist sie aufgegangen in Schmerz über ihren Verlust, mit welchem sie zugleich sich selbst verloren zu haben glaubt. Was ist mit ihr zu thun? Auch die Morgenröthe der neuen Welt ist schon angebrochen, und vergoldet schon die Spitzen der Berge, und bildet vor den Tag, der da kommen soll. Ich will, so ich es kann, die Strahlen dieser Morgenröthe fassen und sie verdichten zu einem Spiegel, in welchem die trostlose Zeit sich erblicke, damit sie glaube, dass sie noch da ist, und in ihm ihr wahrer Kern sich ihr darstelle, und die Entfaltungen und Gestaltungen desselben in einem weissagenden Gesichte vor ihr vorübergehen. In diese Anschauung hinein wird ihr denn ohne Zweifel auch das Bild ihres bisherigen Lebens versinken und verschwinden, und der Todte wird ohne übermässiges Wehklagen zu seiner Ruhestätte gebracht werden können.