BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Johann Gottlieb Fichte

1762 - 1814

 

Das Thal der Liebenden

 

1786/87

 

Textgrundlage:

Johann Gottlieb Fichtes sämmtliche Werke, 8 Bde.

Hrsg. von I. H. Fichte, Berlin: Veit & Comp., 1845/46

Band VIII, Vermischte Schriften und Aufsätze

(Gallica/Bibliothèque nationale de France)

 

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Das Thal der Liebenden.

Eine Novelle.

 

[Geschrieben zu Zürich]

[im Jahre 1786 oder 1787.]

 

In der anmuthigsten Gegend der Veltelin, ohnweit der Grenze von Italien, liegt ein kleines Thal, das Thal der Liebenden genannt. Haine von Lorbeeren und Pomeranzen und Citronen, die ohne Pflege wachsen, erfüllen es, und duften Sommer und Winter die angenehmsten Gerüche: in der Mitte desselben ist ein kleines Myrtenwäldchen, und im Myrtenwäldchen ein grosser Grabhügel, von immer blühenden Rosen umgeben. Vom hohen waldigen Gebirge bedeckt, von Felsen eingezäunt, erblickt es selten das Auge eines Sterblichen, verirrt dahin sich selten der Fuss des Wanderers. Nur wenige sind hineingekommen. Ein geistiges Wehen, wie Küsse eines Engels, fühlten sie an ihren Wangen; eine sanfte Wehmuth erfüllte ihre Seele; unvermerkt enttröpfelten ihren Augen Thränen. und das war ihnen so süss! Die Bilder ihrer verstorbenen Freunde oder Geliebten gingen vor ihrer Seele vorüber, und Ahnungen von Wiedersehen, Vorgefühle des ewigen Lebens erfüllten sie, wenn sie auf dem Grabeshügel im Myrtenwäldchen fünf Flämmchen blinken sahen, Symbole wiedervereinigter Treue nach dem Tode. Einst drang ein Landvogt auf der Jagd einem verwundeten Rehe nach, das hieher seine Zuflucht genommen hatte, in das Thal ein. Bangigkeit und Angst überfiel ihn, kalter Schweiss rollte über seine Stirn herab, er musste den geweihten Boden verlassen.

In diese Gegenden hatte sich vor Jahrhunderten, erzählen die Hirten, ein junger Ritter verirrt. Im hohen Walde verloren, ermattet und hungrig, erblickte er durch die Nacht hin von ferne ein Feuer. Es waren Hirten, die bei ihrem Vieh wachten. Sie theilten willig mit ihm ihre geringe Kost, und er wärmte sich an ihrem Feuer. – «Wie es dort wieder im Gebüsch heult!» sagte der eine, der jetzt eben zu ihnen hinzukam; «wie der Geist des armen Einsiedlers wieder winselt und ächzt! weiss Gott, die Haut schauert mir allemal, wenn ich da vorbeigehe.» – «Mir auch, sagte der andere, ich mache lieber einen Umweg von einer Stunde. Und es war doch ein so guter frommer Mann, der Einsiedler: betete so fleissig, grüsste jedes Kind so freundlich, und wies zurechte und half. Weisst du noch, wie er mir den kranken Fuss heilte, den ich mir beim Herabstürzen von jenem Felsen zerquetscht hatte?» – «Und wie er mir meine verirrten Lämmer wiederbrachte? Ach! wie wird es erst unser einem einmal gehen? Komm, wir wollen ein Vaterunser für seine arme Seele beten.»

Wehmuth und Mitleiden erfüllten den Ritter. – «Kommt, führet mich an den Ort.» Sie führten ihn hin. Es war eine trübe Nacht; der Wind sausete durch den Busch dem Ritter entgegen; es winselte und ächzte dumpf im Gebüsch. – «Wer du auch seyest, unglückliche Seele, die im Fegefeuer leidet; können Gaben oder Seelenmessen, oder das Gebet irgend eines Sterblichen deine Qualen lindern, so entdecke dich mir: meine Seele liebt und bedauert dich,» sagte der Ritter, und plötzlich stieg unter dem Hügel eine Gestalt hervor. Ein langer Bart wallte ihm herab bis auf den Gürtel; sein Auge war eingefallen und erloschen, seine Wange abgewelkt, nagender Kummer war über sein Gesicht verbreitet; aber durch die dicke Wolke des Grams, die auf ihm lag, blickte ein einziger schwacher Zug von Ruhe und entfernter Hoffnung hindurch. Sein Anblick erfüllte die Seele mit Mitleid, aber nicht mit Grauen.

«Jüngling,» so redete der Geist, «schaudere nicht vor mir zurück! Noch sind es nicht zehn Jahre, so war ich ein Ritter, jung und feurig, und mannhaft wie du – solltest du nie den Namen Rinaldo gehört haben? – und ach! wie glücklich! Nicht umsonst vielleicht führte dich das Schicksal zu meiner Gruft, die noch nie ein Sterblicher so in der Nähe betrat. Höre die Geschichte meiner Leiden, und beklage mich.»

«In meinen ersten Jünglingsjahren, jeder Tropfen Bluts in mir Feuer, und jede Nerve Kraft, kam ich an den Hof nach Paris. In jedem Turnier war der Preis für mich. Ich gefiel; die Ritter verleumdeten mich, und die Damen sprachen nur unter sich allein von mir. Einer der schönsten Tage meines Lebens war der Vermählungstag der Königstochter. Aus allen Ländern der Franken hatte die Krone der Ritter sich versammelt zum feierlichen Turnier. Wir kämpften drei Tage, und ich war Sieger. Die neidischen Blicke der Ritter und das laute Zujauchzen des Volkes von den Schranken her, beides war mir gleich festlich. Im Taumel der Freude sah ich rund um mich her, um alle Blicke des Beifalls einzusaugen, und sahe in der ersten Reihe in den Schranken ein Fräulein; ihr trübes schwimmendes Auge zur Erde gesenkt, ihr Haupt nach einer Seite geneigt, wie eine Lilie vor der Sonnenhitze sich herabbeugt; Ernst und tiefes Nachdenken in ihren sanften schwärmerischen Zügen. Kein fröhliches Händeklatschen, kein Lächeln, kein verlorener Seitenblick auf mich; – sie allein unter den Tausenden, die sie umgaben, kalt und ernsthaft! – Ich ward tief herabgeschleudert. – Warum verachtet sie dich? eben sie, die vollkommenste unter den Mädchen?»

«Ein Tanz beschloss den Tag. Alle drängten sich zu dem Sieger, stolz an seiner Seite die Reihen durchzuwallen, seine Blicke aufzufangen, und er suchte die in einem Winkel verborgene Verächterin. Sie flog mir entgegen, – und auf einmal, wie aufgehalten, schien sich ihr unwilliger Fuss zu sträuben. Schüchtern und verscheucht tanzte sie; riss sich los, entfernte sich, tanzte mit andern, und feuriger. Sie verachtet dich, tönte es im Innersten meiner Seele, aber warum? – Ich hätte mich selbst verachten mögen. – Jetzt empörte sich beleidigter Stolz, sie zu meiden; jetzt sprach Liebe und Neugier, sie zu suchen. Ich schwur mir tausendmal, sie nie wieder zu sehen, und ging den ersten Morgen an einen Ort, wo ich sie zu finden hoffte. Sie war heiter bei meiner Ankunft; ihre Stirn umwölkte sich, sobald sie mich sah. So war sie immer.»

«Ich beschloss, Paris zu verlassen, und sie nie wieder zu sehen. Ich beurlaubte mich vom Hofe. Schon war ich die Stufen herabgestiegen, als die Zofe mir ein Blatt folgenden Inhalts in die Hand drückte: ‹Dank euch, edler Ritter, dass ihr Paris verlasset, und durch eure Entfernung einer Unglücklichen die Ruhe wiedergebt, die eure Gegenwart ihr raubte: ein Geständniss, das während derselben keine irdische Macht mir würde entrissen haben. Würdiget Eures Andenkens, Eurer Thränen, Eures Gebets die unglückliche Maria.›»

«Wonnegefühl engte meine Brust, ich musste ihr Luft machen. Ich eilte auf den Flügeln der Liebe zu ihr. Ich fand sie nicht; – Unmuth ergriff mich. Die Falsche, sie lockt mich an, und stösst mich wieder zurück! – Ich konnte nach meinem Abschiede vom Hofe nicht mehr öffentlich erscheinen; stellte mich krank, um einen Vorwand für mein längeres Bleiben zu haben; und wards vor Liebe und Schmerz. Verlangen nach ihr gab mir das Leben wieder. Ich ging, und überraschte sie in einer einsamen Laube. Sie sass über einer Stickerei, in Trübsinn versunken. Noch ehe sie mich erblickte, lag ich zu ihren Füssen. – ‹Verlasst mich, grossmüthiger Ritter, rief sie: verlasst die Gegend, in der ich lebe. O das unselige Geständniss! warum musste es sich doch aus diesem Herzen heraufdrängen, das bei Euch nur einer flüchtigen Neigung zu begegnen fürchtete!› Ich besänftigte sie. Bebend hörte sie meine Schwüre, auf ewig der ihrige zu seyn; bebend empfing sie meine heissen Küsse. Ein trauriges Vorgefühl schien ihre Seele zu durchschauern.»

«Ihr Herz war offener; es kämpfte noch, aber es unterlag allmählig dem Gefühle der Liebe. Ich sah sie öfters in dieser Laube. Ein feindlicher Dämon gab mir ein, es gehöre unter die Trophäen eines Ritters, die Unschuld zu morden. Es war die Moral, die bei festlichen Gelagen oft an der Tafel meines Vaters ertönt hatte. – In süsse Schwärmereien versunken, überraschte uns einst die schönste Sommernacht in unserer lieben Laube. Ich bestürmte ihre Tugend, und ich merkte mit jeder Minute ihren Widerstand schwächer werden. Schon glaubte ich gesiegt zu haben, als sie in Thränen zerfliessend meine Füsse umschlang. – ‹Mann mit der stärkeren Seele, schluchzte sie, schone die schwächere weibliche. Siehe, ich bin in deiner Gewalt; du kannst der Schwachen, die jetzt ihr Leben für dich verbluten würde, das rauben, was ihr mehr ist als das Leben; aber schone der Armen, sey grossmüthig und thu' es nicht.› – Kalter Schauer überfiel mich; die Tugend fing an, in mein Herz zurückzukehren; aber – ‹besiegst du sie jetzo nicht, so entfernt sie dich nun auf immer von sich› – flüsterte der feindliche Dämon, und – er siegte.»

«Ich verliess sie in Thränen gebadet. In meiner Wohnung traf ich Boten von meinem Vater: er erwarte seinen Tod; ich solle eilen, ihn noch lebendig zu finden. – Ich verliess Paris sogleich, ohne sie sehen, ohne ihr ein Lebewohl sagen zu können. Mein Herz zog mich gewaltig zurück: aber der Zug ward schwächer, als neue, unerwartete Eindrücke mich bestürmten. Mein Vater starb in meinen Armen. Das Bild eines sterbenden geliebten Vaters, neue Sorgen, andere Gegenstände, alles vereinigte sich, das Andenken an Marien in meiner Seele zurückzudrängen. Eine dumpfe, theilnahmlose Trauer hielt lange meine Seele umfangen. Da sah ich Laura, das Meisterwerk des Schöpfers, und mit dem ersten Blicke waren unsere Seelen Eins. Heilige Bande verknüpften uns; wir tranken die Seligkeit der Liebe in vollen Zügen.»

«Innige Liebe liebt keine Zuschauer: wir verliessen das Geräusch der Stadt, um in der einsamsten Gegend am Fusse der Alpen unseren Himmel aufzuschlagen. Wir durchirrten Arm in Arm die paradiesischen Fluren. Sie ging einst allein aus, um eine Gegend hinter einem angenehmen Hügel, der immer das Ziel unserer Wanderungen gewesen war, zu sehen. Ich war durch einen Zufall zu Hause geblieben. Ihre Zurückkunft verzog sich. Ich lauschte an der Laube, die ich ihr unterdessen an ihrem Lieblingsplatze bereitet hatte, um sie bei ihrer Rückkunft angenehm zu überraschen. Bei jedem Rauschen eines Blattes, jedem leisen Fusstritte glaubte ich sie zu hören. Es kam ein Bote von ihr. Zitternd eröffnete ich das Blatt, das er mir gab, und las folgende Worte: ‹Wie könnte ich Rinaldo'n besitzen, indess Maria verlassen weint? Rührt dich ihr Elend nicht, so lass die Bitten der Laura – ach deiner Laura! – dich rühren, an ihr tief verwundetes, noch immer nur für dich schlagendes Herz zurückzukehren. Vergiss Lauren und störe die Ruhe nicht, der ich entgegeneile. Gehe ostwärts von deiner Wohnung, nach dem Hügel zu, den wir heute früh von der Morgensonne so schön vergoldet sahen, wo ein früher geliebtes Weib und eine süsse Tochter, ganz das Ebenbild Rinaldo's, auf deine Umarmungen warten.›»

«Der Schlag war fürchterlich. Nach geraumer Zeit erst erhielt ich meine Besonnenheit wieder. Die Scham hielt mich ab, Marien aufzusuchen: Laura war mir durch ihre Grossmuth doppelt theuer geworden. Ich wandte Alles an, sie wieder zu finden; kein Kloster, keine Einsiedelei, keine einsame Gegend wurde undurchsucht gelassen: ich durchstreifte selbst als Pilger die halbe Erde: ich hoffte sie durch meine Bitten zu erweichen; aber vergebens, ich fand sie nicht. Ich kam endlich in dieses Thal, lebte als Eremit in demselben, errichtete meiner Laura, die ich für längst todt hielt, ein Grab, betete und weinte auf ihrem Hügel, und starb auf ihm.»

«Wenn der Geist die irdischen Fesseln verlassen, und von aller Zumischung der Sinnlichkeit frei ist, sieht er alles in einem anderen Lichte. Taumel dieser Sinnlichkeit berauschte mich, im Leben Marien zu vergessen; jetzt fühlte ich ihre Schmerzen, die Schmerzen Laurens und die Schmerzen der Armen, die unter Thränen geboren, dem Elende geweiht, nie den Vaternamen gestammelt hat; die vielleicht bestimmt ist, eine Beute des Elendes oder des Lasters zu werden. Ich leide alle Qualen, die ich diesen verursacht habe, im Fegefeuer, das die Reue eben gebiert und das stete Gedächtniss der unabänderlichen Vergangenheit, – bis Laura und Maria glücklich sind, bis ich mein Kind an dem Arme eines Mannes sehe, der nur sie liebt. Ach! wird meine Qual wohl je aufhören? – Aber ich fühle das Wehen der Morgenluft, Nicht umsonst vielleicht führte dich das Schicksal an meine Gruft. Lerne die Unschuld verehren, und rührt dich das Elend der Seele des armen Rinaldo, so bete für mich, und wallfahrte zum heiligen Grabe.» – Hiermit verschwand der Geist.

Schauder ergriff Don Alfonso; so hiess der junge Ritter. Er kniete nieder, und legte auf Rinaldo's Grabe das heilige Gelübde ab, nicht zu ruhen, bis er etwas zur Befreiung der armen Seele beigetragen, und die Unschuld immer zu verehren. Die Hirten versichern, dass er dieses Gelübde nie gebrochen.

Durch seinen natürlichen Hang zur Andacht sowohl, als durch die Empfindungen, die an der Gruft Rinaldo's sich seiner bemächtigt hatten, begeistert, trat er die Reise nach dem heiligen Grabe an. Er besuchte alle die Oerter, wo der Weltheiland gelitten. Als er einst, sich selbst und die Welt um sieh vergessend, auf dem heiligen Grabe in warmer Andacht kniete, und für die Seele des armen Rinaldo betete, überfiel ein Haufen sarazenischer Räuber Jerusalem, und führte ihn gefangen weg. Man brachte ihn unter die Sklaven des Emir von Medina.

Je mehr seine Gestalt die Herzen der Heiden für ihn eingenommen hatte, desto heftiger wurden sie durch seine standhafte Weigerung, die Lehre ihres Propheten anzunehmen, erbittert. Er wurde mit den niedrigsten der Sklaven gebraucht, in den Gärten des Emir zu graben. Die Härte der ungewohnten Arbeit, die Strenge, mit der er behandelt wurde, und das brennende Klima verzehrten seine Kräfte. Er fiel an einem Abende, zur Zeit, da die Gärten geschlossen und die Arbeiter herausgelassen wurden, ohnmächtig nieder, und erwartete das Ende seiner Leiden. Niemand bemerkte den Vorfall.

Eine süsse klagende Stimme, die in einem Zimmer des Serail, das an die Gürten stiess, in französischer Sprache ein Lied an die Jungfrau Maria sang, und durch öfteres Weinen und Schluchzen sich unterbrach, brachte ihn wieder zum Bewusstseyn. – «O holde Mutter! seufzte die Stimme, wo bist du, um die Blume welken zu sehen, die du so zärtlich pflegtest? theure Cölestina! die du jedes Gefiihl der Tugend in mir wecktest, wo bist du, um den letzten Trost in meine Seele zu giessen, und dies brechende Auge zu schliessen?» Sie schloss mit einem rührenden Gebete an die heilige Jungfrau, worin sie mit schwärmerischer Andacht ihren Entschluss entdeckte, sich den Dolch in das Herz zu stossen, ehe sie sich der Wollust des Emir aufopfere, die ihr diese Nacht drohe; und sie bat, ihr für diese That entweder Gnade bei Gott zu erflehen, oder ihr Hülfe zu senden.

«Sie hat sie dir gesendet;» rief der Ritter, dem fremdes Elend die Kräfte wiedergab, die sein eigenes ihm genommen hatte, – «hier ist mein Arm, und wenn tausende in Waffen gegen mich ständen, so rettete er dich!» – «Eiserne Riegel und Gitter verwahren mich, edler Fremdling, ein Heer von Wächtern lauert auf mich. Dein Arm ist zu schwach, mich zu retten. Habe Dank für dein Mitleiden, habe Dank, dass ich nicht unbedauert sterben werde; und bist du ein Franke und ein Christ, wie deine Sprache zu zeigen scheint, so bete für die Seele der armen Marie.»

Er ergriff zwei Baumleitern, und band sie zusammen, um das Zimmer Marions zu ersteigen.

Indessen war von dem Aufseher der Sklaven seine Abwesenheit bemerkt worden. Der erste Verdacht fiel auf den Garten. Man ging hinein, und traf ihn mitten in seiner Unternehmung. Die Absicht derselben war nicht zweideutig. Es wurde sogleich dem Emir gemeldet. Sein Zorn war grimmig; er bestimmte den nächsten Morgen zu seiner Hinrichtung.

In jeder anderen Lage wäre vielleicht der Tod dem Alfonso willkommen gewesen, er hätte ihn nur als seinen Retter aus einer Sklaverei betrachtet, die ihm ebenso erniedrigend als hart schien; und hätte ihn gern gegen ein thatenloses Leben umgetauscht: aber jetzt kränkte das Schicksal der armen Marie, die er nicht retten konnte, ihn mehr, als sein eigenes, und auch jener Wunsch, vor seinem Ende noch etwas zur Befreiung der Seele Rinaldo's beizutragen, wurde lauter, je mehr er sich demselben zu nähern glaubte. Er ging, mehr unerschrocken als freudig, seinem Tode entgegen.

Die Werkzeuge seiner Hinrichtung waren bereitet. Im Hofe des Serail war ein Scheiterhaufen errichtet. Der Pöbel strömte dem Schauspiele zu, und der Emir erschien mit seiner neuesten Favorite, Alzire, auf einem Balkon, um die Hinrichtung mit anzusehen.

Er kam eben von dem ersten Genusse ihrer höchsten Gunst, und sein Feuer war dadurch gegen sie nicht erkaltet. Er war ihr ergebener, als er es seit langer Zeit einem Weibe gewesen war, und hatte ihr versprochen, ihr die erste Bitte, die sie an ihn thun würde, sie betreffe, was sie wolle, uneingeschränkt zu gewähren. War es ein geheimes Wohlwollen, das das Herz der Alzire bei Alfonso's Anblick plötzlich zu ihm neigte; oder konnte sie die That, dem Emir diejenige rauben zu wollen, von der allein sie ihren Sturz befürchten durfte, nicht sehr strafbar finden; oder war es eine unmittelbare Wirkung der Vorsehung, die Alfonso'n erhalten wollte: Alzire bat um sein Leben. Unwillig, aber ehrliebend genug, um sein Wort nicht zu brechen, und zu schwach, um Alzirens Bitte widerstehen zu können, gab der Emir sogleich Befehl, den Alfonso über die Grenze zu bringen.

Der Ritter, untröstlicher, diejenige ihrem Schicksal zu überlassen, die er so gern mit Verlust seines Lebens gerettet hätte, als erfreut über die unvermuthete Rettung seines Lebens, durchirrte die rauhen Wüsten Arabiens. Wurzeln, die er sparsam fand, waren seine einzige Nahrung, und der heisse Sand brannte seine Füsse, und trocknete seine Kräfte aus. In der vierten Nacht, indess der Sturm ihn umheulte, und die Wolken den Schimmer des letzten Sterns vor seinem Auge verdeckten, arbeitete er sich mühsam durch verwachsene Büsche hindurch; und eben waren seine letzten Kräfte im Schwinden, als er aus einer Felsenkluft ein mattes Licht schimmern sah. Hoffnung belebte die Kraft, die ihm noch übrig war: er erreichte die Grotte.

Ein Weib, weiss gekleidet, von schlankem Wuchse, trat ihm entgegen. Die ehemalige Schönheit der Jugend schien auf ihrem Gesichte einer erhabenern Schönheit Platz gemacht zu haben. Die geistigste Andacht flammte in ihrem grossen, zum Himmel emporgewöhnten Auge, und verbreitete sich über ihr ganzes Gesicht. Nichts liess in ihr die Sterbliche errathen, als die sanfte Wehmuth, von der alle diese Züge gemildert waren, und welche die Spur ehemaliger Leiden verwischt zu haben schien. Sehr verzeihbar war also der Irrthum des Ritters. – «Heilige Jungfrau, redete er sie an, und sank auf seine Kniee; wunderthätige Helferin! – wer bin ich, dass du mich würdigest, den Himmel zu verlassen, um mich zu retten?» – «O steh auf! rief ihm jene zu, und entweihe nicht den Namen der Heiligen. Ich bin eine Sterbliche, wie du; glücklich, wenn die Mutter Gottes sich meiner bedienen will, dir zu helfen! Aber welches Schicksal treibt dich in diese unzugängliche Wüste, wo ich seit vielen Jahren keinen Wanderer erblickte? Kann ich und womit kann ich dir dienen?»

Die Entkräftung des Bitters erlaubte ihm nicht, auf die erste dieser Fragen zu antworten; aber sie nöthigte ihn, es auf die andere zu thun. *) Er bat sie um einen Trank Wasser und um etwas Speise.

*) «Voltairisch!» (Randglosse des Verfassers.)

Sie ging und schöpfte ihm aus der Quelle, die hart an ihrer Grotte aus dem Felsen rieselte, und brachte milde Früchte, die sie selbst gezogen hatte. – «Erquickt euch, Fremdling; sagte sie zu ihm, mit dem wenigen, was ich euch geben kann; und nehmet dann dieses Lager ein. Ich werde schon auch einen Platz finden. Wer wollte sich durch eine falsche Anständigkeit abhalten lassen, die Pflichten der Menschlichkeit zu erfüllen, wenn es nicht gegen unser eigenes Geschlecht ist?»

Der Ritter war durch alles, was er sah und hörte, wie betäubt. Erst nachdem er von seiner Entkräftung sich ein wenig erholt, und einer ruhigen Besinnung mächtig war, fing die Neugierde und Verwunderung an, an die Stelle dieser Betäubung zu treten; aber seine Unbekannte, die allein sie hätte befriedigen können, war verschwunden. Wunderbare Ahnungen strömten durch seine Seele; noch konnte er sich nicht überreden, ein sterbliches Weib gesehen zu haben: aber bald wurden alle seine Zweifel durch einen festen Schlaf gefesselt.

Das Erste, was seine Sinne, traf, als er wieder erwachte, war die Melodie des Liedes, das die arme Maria gesungen hatte. Es war ihm, als ob ein Traum ihn wieder in die Gärten des Emir versetzte; er brauchte Zeit, um sich zu überzeugen, er wache; er horchte und horchte genauer; der Gesang kam vom Eingange der Grotte her. Die Unbekannte sass an der Morgensonne, und sang mit der rührendsten Stimme jenes Lied. Seine ganze Seele lauschte auf ihren Gesang: wie wär' es ihm möglich gewesen, sich selbst durch Muthmaassungen und Untersuchungen zu unterbrechen! – Das Lied schloss und die Stimme schwieg. Eben war er im Begriff, sich seinem Erstaunen und seiner Begierde, sich diese Begebenheiten alle zu erklären, von neuem zu überlassen, als ein anderer Vorfall seine Betrachtungen unterbrach.

«Bist du es wirklich, meine Tochter?» sagte die Unbekannte zu einem jungen Frauenzimmer, das sich sprachlos und schluchzend in ihre Arme warf, und ihr weinendes Gesicht an ihrem Busen verbarg; – «schenkt die heilige Jungfrau die als todt Beweinte mir wieder? – Ja, du bist es, ich fühls an dem starken Schlagen deines Herzens gegen das meinige, an deinem freudigen Zittern in meinen Armen. Wer, als meine holde Maria, könnte mich so lieben? Aber, sieh mich an, lass mich dies so lang entbehrte Antlitz wieder sehen; lass michs auch in deinen Augen, in allen den wohlbekannten Zügen deines Gesichts lesen, dass du es bist, die mich so liebt. – So sollte ich denn auch diese Freude noch auf der Erde haben, dich wieder zu sehen; sollte noch nicht von allem Irdischen mein Herz losreissenl Ich hatte auch diesen Wunsch daraus vertilgt, dich wieder zu haben; das ward mir schwer. – Heiliger Gott, und du, gnadenvolle Mutter desselben, diese Belohnung meiner Leiden wagte ich nicht zu hoffen. Ich dankte dir für den Seelenfrieden und die Heiterkeit, die du mir gabst, meinen letzten und härtesten Verlust zu ertragen. Aber jetzt hilf mir die Freude tragen, dass sie mein Herz nicht von dir abziehe; und – sieh auf mich herab, – wenn du mir die Holde wieder nehmen willst, oder wenn ich sie nicht mehr rein und nur dir treu wiedergefunden hätte: hier bin ich, – ich ergebe mich in deinen Willen! – Und jetzt, liebe Tochter, erzähle mir: wo warst du seit jenem traurigen Tage, der dich von mir trennte, und was trennte dich von mir?»

«Du warst, seitdem meine gute erste Mutter gestorben war, gütige Cölestina!» – hörte der Ritter jene Stimme sagen, die er schon in den Gärten zu Medina gehört hatte, – «nicht mehr immer so ganz heiter, als du es vorher warest. Ich bemerkte zuweilen, dass, wenn du mich an dein Herz drücktest, du plötzlich dich abwandtest, und dann kam es mir vor, als ob du eine Thräne unterdrücktest. Du gingest dann hinaus auf meiner Mutter Grab, und betetest, und bliebst oft lange; und wenn du zurückkamst, war so ein Glanz und so eine Heiterkeit in deinem Gesichte, und du warst so sanft und so feierlich froh, und mir war so wehmüthig wohl an deiner Seite, dass mich dünkte, du seyest auf dem Grabe verklärt worden, und seyest nicht mehr meine Mutter Cölestina, sondern ein heiliger Engel. – Doch vernimm das Schicksal, das mich von dir getrennt hat. Einst an einem Morgen – du ruhtest noch – war ich ausgegangen, Blumen zu suchen, und meiner Mutter Grab damit zu schmücken. Ich hatte mich wohl zu weit entfernt, denn plötzlich erschienen die Räuber der Wüste, die mich mit Gewalt fortschleppten, und als ich schrie, damit du mir helfen solltest, mir den Mund verstopften. Sie hörten nicht auf mein Weinen noch Bitten, sondern brachten mich durch lange Wüsteneien in eine Stadt. Die Stadt hiess Medina, wie ich nachher erfuhr. Hier bedeckten sie mein Angesicht mit einem Schleier, bis sie mich zu einem reichen Manne brachten, der den Räubern Geld gab, und mich seinen Weibern übergab.»

«Heilige Mutter Gottes! was waren dies für Weiber! Schön waren sie; einige dünkten mich noch schöner, als du, meine Mutter; aber doch sah ich sie nicht gern, und es war mir nie recht wohl, wenn sie mir ins Gesicht sahen. Man sah es nicht, ob sie mich liebten, oder ob sie sich untereinander liebten. Sie liebten mich wohl auch nicht? – Wenn ich redete, so lachten sie. Ich musste ihre Sprache lernen; und ich lernte sie so gerne und so fleissig, damit ich mit ihnen reden könnte, und damit sie meine Freundinnen würden. – Kaum lernte ich sie verstehen, so hörte ich, dass sie nichts vom Weltheilande und von seiner Mutter wussten; und als ich ihnen davon sagen wollte, und ihnen erzählen, wie gütig und huldreich sie wären, verlachten sie mich abermals, und redeten dagegen viel von einem grossen Propheten, der wohl ein falscher Prophet seyn muss, weil du mir nichts von ihm gesagt hast. – Endlich kam einst jener reiche Mann wieder, der den Männern, die mich geraubt hatten, Geld gegeben hatte, und verlangte, ich sollte ihn lieben; und das konnte ich doch nicht: denn er sah so wild und grausam, und wusste ebensowenig vom Weltheilande, als seine Weiber, und that allerhand Dinge mit mir, die wohl schändlich seyn müssen, weil er sie that, und weil er so verstört dazu aussah. Ich stiess ihn zurück: die Mutter Gottes gab mir eine Kraft, die ich nie gefühlt hatte, dass ich Schwache dem starken Manne Widerstand leisten konnte. Ich weinte bitterlich; da ward der Mann sehr zornig, und sagte mir mit wildem Gesichte: er würde diese Nacht wiederkommen, und da würde mich nichts vor ihm retten.»

«Mir war sehr eng ums Herz. Ich betete inbrünstig zur Mutter Gottes, mich zu erleuchten, was ich thun sollte; und wie ich feuriger betete, wurde ich immer muthiger. Es war, als ob eine geheime Stimme mir ins Herz flüsterte, es sey schändlich und sehr schändlich, was dieser Mann mit mir thun wolle, und ich müsse eher sterben, ehe ich es ertrüge. Ich wusste, dass eine meiner Gespielinnen ein Werkzeug hatte, – sie nannte es einen Dolch – wovon sie mir einst sagte, man könne jemand damit tödten. Damit kann man ja wohl auch sich selbst tödten, dachte ich. – Sage mir, liebste Mutter, that ich unrecht, dass ich es ihr heimlich wegnahm? Sie konnte es ja dann immer wieder haben, glaubte ich.» – «Erzähle weiter,» sagte Cölestina. – «Der Entschluss mich zu tödten, ehe ich mich der Gewalttätigkeit des Mannes überliesse, wurde nun immer fester in mir; und nachdem ich ihn der heiligen Jungfrau vorgetragen hatte, wurde mir innerlich wohl dabei, und ich glaubte gewiss, dass sie mir für diese That Gnade bei Gott erflehen werde; als plötzlich jemand unter dem Fenster rief: er wolle mich retten, und einige Leitern zusammenband, wie ich hörte. Gleich darauf aber vernahm ich, dass er ergriffen und unter tausend Verwünschungen weggeführt wurde. War es ein Sterblicher, – er musste es ja wohl seyn. weil er sich ergreifen und fortführen liess, und mich nicht retten konnte, – wie wird es dem Armen ergangen seyn, der um meinetwillen sich in diese Gefahr stürzte! Wie er ergriffen wurde, verschwand meine Ruhe. Sein Schicksal hat seitdem mir mehr Kummer gemacht, als das meinige.»

«Er ist gerettet» –rufte der Ritter, der jetzt erst es wagte, Theil an der Unterredung zu nehmen, weil er sich unter alten Bekannten zu seyn dünkte; – «und hatte seit jener Nacht den ersten angenehmen Augenblick, da er auch dich gerettet sah.»

Maria warf einen schüchternen, aber dankbaren Blick auf den Ritter, um sich – schien es – von der Wahrheit dessen zu überzeugen, was er sagte: und Alfonso erblickte ein Gesicht, auf welchem alle Reize der aufblühenden Jugend sich vereinigten, den reinsten Abdruck ihres unschuldigen Herzens darzustellen.

Cölestina reichte ihm die Hand: «Seyd mir nochmals willkommen, edler Fremdling! – aber erzähle weiter, du meine Tochter."

«Wunderbare Hülfe ward mir gesandt: erzählte sie; ich blieb diese Nacht über unbeunruhigt.» – «Ja, sagte der Ritter, denn der Emir hat sie bei einer anderen neu angekommenen Schönen des Serail zugebracht, die ihn mit dem ersten Blicke gefesselt hatte, und die ihm weniger Schwierigkeiten entgegenstellte.» – «Ich fühlte mich sogar nach einigen Stunden so ruhig, dass ein sanfter Schlaf auf mich herabsank. Ich wurde am Morgen durch ein Getümmel im Hofe des Serail aufgeweckt.» – «Es war das Volk, das sich versammelte, mich verbrennen zu sehen;» sagte der Ritter. – «Euch verbrennen wollte man? und der Todesgefahr, die Ihr ausgestanden, sollte ich meine Rettung verdanken? Doch, Gott Lob, dass Ihr gerettet seyd! – das Getümmel nahm ab; es entstand eine lange, fürchterliche, erwartende Stille» – «Alzire, so hiess die neue Favorite des Emir, sagte der Ritter, bat um mein Leben. Der Emir begnadigte mich, und liess mich sogleich über die Grenze bringen; daher entstand wahrscheinlich diese Stille.» – «Jetzt erhob sich ein Gemurmel, fuhr Maria fort; nun ward es lauter; nun brausete es, wie das tobende Meer. – Wie? dem Hunde von Franken das Leben schenken? Er soll nicht verbrannt werden? Wir sind vergebens hieher geladen worden? Leidet es nicht! schienen einige Stimmen, die das Getümmel überschrien, zu sagen. Der Aufruhr verbreitete sich über die ganze Stadt: alles lief zu den Waffen. Die Wachen verliessen die Thüren des Serail, und stürzten sich bewaffnet gegen das Volk. – War es ein unsichtbares Wesen, das mir den Entschluss eingab, mich jetzt durch die Flucht zu retten? ich fand alle Zugänge unbesetzt; ich drängte mich durch das Volk, das nichts sahe, als die Gegenstände seiner Rache. Ich kam – ob ich mich noch dunkel des ehemaligen Weges erinnerte, oder ob unsichtbar Engel mich leiteten, – ich kam durch die lange Wüste wieder zu deiner Grotte, theuerste Mutter; bin wieder dein, um mich nimmer von dir zu trennen.»

«Gott sey gelobt, dass ich dich wieder habe, meine Tochter, sagte Cölestina, und dass ich dich so wieder habe, wie ich dich verlor. Und er sey gelobet, dass er auch Euch erhielt, edler Fremdling! und Euch hieher brachte, dass ich Euch für den Antheil danken kann, den Ihr an dieser Unschuldigen nahmt.»

«Schon lange scheint eine Frage auf Eurer Lippe zu schweben, und es ist billig, dass ich Eure Neugier befriedige, insoweit ich darf. Ich bin ein Weib, welches einst in der Welt sehr glücklich war. Aber vielleicht hatte ich mein Herz zu sehr in diesem Erdenglück verloren: Gott entzog es mir, um mir zu zeigen, dass nur Er es sey, in welchem man befriedigende und dauerhafte Glückseligkeit finde. – Ich trennte mich von der Welt und von dem, der in ihr mein Abgott war. In der Stunde der Begeisterung, da ich dieses Opfer, das Tugend und Ehre und mein eigenes wahres Wohl heischte, begann, schien es mir so leicht, und nachdem es geschehen war, wollte mein Herz brechen. Ich suchte Trost und Ruhe an den heiligen Oertern, wo uns allen die Seligkeit erworben wurde. Da traf ich die Gesellin meiner Leiden, mit diesem ihrem Kinde. Ich hatte sie durch mein Elend glücklich machen wollen. Auf die Art, wie ich es mir gedacht hatte, sollte es nicht seyn. Wir sollten beide durch längeres Leiden zu einer reineren Glückseligkeit eingehen.»

«Wir waren beide für die Welt, und sie für uns, auf immer verloren. In der heiligen Stadt und in ihrer Nähe waren wir kaum den sarazenischen Räubern entgangen. Wir beschlossen, uns in diese Wüsten, durch welche Gott einst sein auserwähltes Volk führte, zu begeben, und kamen in die Nähe des Gebirges, das Ihr hier vor Euch erblickt. Es ist das Gebirge Sinai.» –

«Gott hatte uns den Platz unserer Ruhe sehon bereitet. Wir fanden hier diese Grotte, und dort das Gärtchen; zwar damals verwildert, aber durch eine geringe Arbeit war es wieder in Stand gesetzt. Vielleicht dass ohnlängst hier ein frommer Einsiedler sein Gott geweihtes Leben beschlossen hatte.»

«Hier haben wir geweint und gelitten. – So lange noch eine geliebte Freundin gleiche Leiden mit mir litt, wurden die meinigen mir leichter. Ich stärkte meine Kräfte, um ihren Kummer tragen zu helfen, und vergass des meinigen, um Trost in ihre Seele zu giessen, und fand ihn dadurch selbst. Aber sie schlummerte bald in eine bessere Ruhe hinüber, und liess mich allein. Ich segnete ihr Geschick; aber – du hattest es wohl gesehen, meine Tochter, – das meinige ward mir schwerer. Nur die Zärtlichkeit gegen dich, und deine kindliche Liebe zu mir, holdes Kind, hielten mich aufrecht. Aber du konntest meine Leiden nicht mit mir fühlen.»

«Noch hing mein Herz an etwas Irdischem; es hing an dir. Du musstest mir genommen werden. Musste durch so rauhe Wege Gott mich zu meinem Heile führen? – Nichts war mir nun übrig, als Er. Nur in sein Herz konnte ich meine Empfindungen ausgiessen; nur von ihm Gegenliebe erwarten. O, hätte ich es doch eher gewusst, welchen süssen Frieden dies über mein Herz ausgiesset, wie völlig dies eine Seele befriedigt! – welch eine Menge von Leiden hätte ich mir ersparen können!»

«Aber verzeiht, guter Fremdling! dass ich so flüchtig über die näheren Umstände meiner Geschichte hinwegeilen musste. Es ist nicht Mistrauen. Wer so lange, als ich, sich nur mit Gott unterhalten hat, kennt dieses nicht; und in ein Antlitz, wie das Eurige, setzt es niemand. – Ich habe Ruhe gefunden: aber noch lebt vielleicht Einer, der mir einst nur zu theuer war. Kann ich ihm den Seelenfrieden nicht geben, wenn er ihn noch nicht errungen hat, so will ich ihm doch denselben auch nicht nehmen, wenn er ihn etwa errungen hätte. Ihr kehrt in die Welt zurück, und seyd, wenn mich nicht Alles täuscht, von eben dem Stande und aus eben den Ländern, in denen er lebte. Ihr könntet ihn antreffen; ihn vielleicht antreffen, ohne ihn zu kennen. Gutherzigkeit oder ein von ohngefähr entfahrendes Wort könnte alle die Kämpfe in seiner Seele erneuern, die er vielleicht längst ausgekämpft hat.»

«Ich muss freilich wieder von Euch weg, und in die Welt zurück: sagte der Ritter; aber Verehrung gegen Euch wird, mich allenthalben begleiten, und Euer Wille wird immer mein Gesetz seyn.» Er sagte das Erstere so, als ob ihn dieser Entschluss etwas koste.

Die Lage, in der er Marien in den Gärten von Medina zuerst gefunden, hatte so etwas Romantisches; Mitleiden und Theilnehmung an ihrem Schicksale hatten sich sogleich seines ganzen Herzens bemächtigt. Seine Phantasie hatte nicht gezögert, sie, die er nur gehört, nie gesehen hatte, in einen Körper zu kleiden; sie hatte ihn freigebig mit allen Reizen, die ihrer Silberstimme angemessen wären, ausgeschmückt. Er sah sie jetzt; und sie war weit über das Bild erhaben, das er sich von ihr gemacht hatte. Die blühende Wange, das sanfte Auge, das weiche, wallende Haar konnte er seinem Bilde geben; aber nicht jenen lebendigen Ausdruck der Unschuld, der Treue, der kindlichen Zärtlichkeit, weil es ihm dazu am Urbilde fehlte. Er sah sie jetzt, und sah sie in aller Freude des Wiedersehens an den Busen derjenigen, die ihr das Theuerste auf der Welt war, hingegossen; sah, wie sie in stummen Gefühlen an ihren Augen hing, gleichsam um alle die geliebten Züge wieder zu spähen, und die alte Vertraulichkeit mit ihnen zu erneuern. War es ein Wunder, dass seine Seele von eben den Gefühlen ergriffen wurde, deren reizendsten Abdruck er vor sich sah, und dass er sie mit der zu theilen wünschte, die ihm zuerst das schönste Bild derselben darstellte?

Maria hatte den Unbekannten, der sich für sie in Lebensgefahr stürzte, bedauert, und, wie sie gewissenhaft war, sich den Vorwurf gemacht, die Ursache seines Todes zu seyn. Diese Empfindung allein hatte die Freude über ihre Errettung getrübt. Hier fand sie ihn unvermuthet wieder, an dem Orte, der ihr der liebste auf der Erde war. Nun erst getraute sie sich, sich ganz dem Gefühle, dass sie ihrer Pflegemutter wiedergegeben sey, zu überlassen; und es ist möglich, dass die Freude über seine Gegenwart unvermerkt einigen Antheil an dem stärkeren Ausdrucke ihrer Zärtlichkeit gegen ihre Pflegemutter hatte; und dass sie, ohne es zu wissen, einen Theil dessen, was sie bloss für Cölestinen zu empfinden glaubte, für Alfonso empfand.

«Aber, kann ich, darf ich zurückkehren – fuhr der Ritter fort – ohne Trost für die Seele des armen Rinaldo gefunden zu haben? Ich hoffte doch gewiss am heiligen Grabe –»

«Rinaldo? fiel Gölestina ihm in die Rede. Wer ist dieser Rinaldo? was wisst Ihr von ihm?»

Alfonso erzählte, was er von seinem geängsteten Geiste selbst an seiner Gruft gehört hatte; erzählte die Bedingungen, unter welchen seine Qualen enden sollten; Cölestina hörte seine Erzählung mit stummer Betrübniss, und Maria mit Thränen an.

«O möchten sie enden, die Qualen der unglücklichen Seele! und vielleicht sind sie schon grösstentheils geendet, sagte Cölestina. Maria hat ihre Leiden längst beschlossen; sie war die Freundin, die mir hier starb; sie ruht unter jenem Hügel. Das ist ihre und Rinaldo's Tochter. – Ich habe aufgehört zu leiden. Ich habe die Wege der Vorsehung erkannt; sie waren nichts als Güte. – Ich bin Laura: Maria wollte mich nicht anders als Cölestina nennen; drum habt Ihr mich hier so nennen hören.»

«Und die letzte Bedingung seiner Erlösung – sagte Alfonso – möchte doch auch sie erfüllt werden! – Ja, edle würdige Frau, ich darf es Euch sagen; – ich habe nie geliebt; aber seitdem ich die Stimme dieses holden Geschöpfes gehört, seitdem ich sie hier an Eurem Herzen gesehen habe, – entweder ich weiss nicht, was Liebe ist, oder ich liebe sie über Alles. Lasst mich – o, Ihr seyd ja auch ihre Mutter, lasst mich sie an meinem Arme an die Gruft ihres Vaters führen; der Anblick wird den Geist erlösen.»

Maria verbarg ihr Gesicht an Laurens Busen. Ihr Herz schlug stärker.

«Fremdling, sagte Laura – nehmt nicht etwa eine flüchtige Rührung, ein mattes Wohlbehagen, einige sich unwillkürlich Euch aufdringende Wünsche sogleich für Liebe. – Ihr habt nie geliebt, sagt Ihr; – Euer Herz ist unerfahren und leicht zu bewegen. Ihr habt dieses Kind im Leiden gesehen, und habt gewünscht, habt Euch bemüht, sie zu retten. Ihr seyd durch den Antheil, den Ihr an ihr nahmt, in Gefahr gekommen. Das kettet edle Seelen an den Gegenstand ihrer Grossmuth: aber diese Anhänglichkeit ist noch nicht Liebe. Ihr habt sie hier in allen Rührungen der zärtlichen Tochter gesehen; das hat sich Euch mitgetheilt. Uebereilet Euch nicht, edler Fremdling.»

«Grossmüthige Frau, versetzte der Ritter, was ich fühle, fühl' ich so wahr und so stark, dass ich für die ewige Dauer desselben gut bin. Es ist wie mit Flammenschrift in mein Herz geschrieben, dass diese Mein seyn muss, dass sie Mir bestimmt ist, und dass ohne sie es kein Glück mehr auf der Erde für mich giebt.»

«Ich glaube Euch, edler Mann, sagte Laura: Ihr scheint wahr und gut; ich glaube, dass Ihr mich nicht täuschen wollt: aber weder ich, noch selbst Ihr könnt wissen, ob Ihr nicht vielleicht Euch selbst täuschet. Erwartet es, bis Eure Empfindungen sich Euch selbst aufklären und entwickeln; und kommt Ihr dann, und sagt noch eben das, so ist sie Euer.»

«Verzeiht, edle Frau, versetzte der Ritter: wie könnte ich in dem, was ich so innig und so warm fühle, mich täuschen? Täusche ich mich vielleicht auch, wenn ich mein Daseyn empfinde? – Aber, ich soll warten, soll Euch verlassen, in Länder gehen, die weite Meere von Euch trennen? Wie werde ich das ertragen?»

«Ihr sollt nicht allein gehen, sagte Laura. Dunkle Ahnung einer höheren Glückseligkeit, ein geheimes Verlangen, auf dem Grabe Rinaldo's zu seyn, durchströmt meine Seele. Ihr werdet mich und diese dahin begleiten, und dann – wenn Ihr dann noch so denkt, ist diese Euer.»

Sie hatten keine langen Zubereitungen zur Abreise zu machen. Es waren noch einige Juwelen von denen, die Maria bei ihrer Abreise aus Paris mit sich genommen hatte, vorhanden. – «Hätte ich glauben können, dass ihr noch einst einen Werth für mich haben würdet?» sagte Laura, als sie sie zu sich nahm.

Sie zogen unbeschädigt durch Arabien und Palästina, und setzten sich zu Damaskus auf ein Schiff. Ein günstiger Wind leitete sie; sie landeten bald an der europäischen Küste.

In einer angenehmen Sommernacht kamen sie zu Rinaldo's Grabe. Ein sanfter Wind säuselte: Rosenduft erfüllte die Lüfte. Ruhe und Heiterkeit im Gesichte, glänzend und verklärt entstieg der Geist seiner Gruft.

«Sey mir gesegnet, Alfonso! sagte er; du hast dein heiliges Gelübde gehalten. Du bist seiner werth, meine Tochter. In heiligeren Gefilden sehen wir uns wieder. – Deine unglückliche Mutter hat ihre Leiden beschlossen; ihr Leib ruht weit von dem meinigen, aber ihr Geist ist bei mir: und du, meine Laura, wirst sie bald beschliessen.»

Der Geist verschwand. Laura sank in süsser Wehmuth auf das Grab, und schlummerte in ein besseres Leben hinüber.

Sanfte Trauer erfüllte Mariens und Alfonso's Seele. Die Klagen über den Verlust der Glückseligen wurden ihnen süss.

Sie lebten in diesen Gegenden das Leben der Zärtlichkeit und der Liebe. Jeder Unglückliche segnete ihr Haus; es war Zuflucht jedes Hülfslosen.

Am fünfzigsten Gedächtnisstage ihrer Vermählung, nachdem sie schon die Kinder ihrer Enkel zu ihren Füssen hatten spielen sehen, sassen sie in stummer Zärtlichkeit auf der Gruft, und das Andenken der Begebenheiten ihres Lebens ging vor ihrer Seele vorüber. Ein sanfter Schauer überfiel sie, sie umarmten sich, und ihre Seelen gingen vereint in das Vaterland der Liebe.

Die Hirten fanden sie erstarrt auf dem Grabe liegen, und begruben sie nebeneinander, da, wo sie lagen. Rosenstöcke und Vergissmeinnicht und Tausendschön entsprossten dem Boden um das Grab herum und blühten. Ahnungen von Wiedersehen der Freunde erfüllten die Seelen der Hirten. Ihren Augen enttröpfelten Thränen. Sie gingen, und als sie hinter sich sahen, sahen sie fünf Flämmchen auf dem Grabe blinken. Hinter ihnen schloss sich das Thal. Sie hatten den Weg dahin nicht wieder gefunden. Sie nannten es das Thal der Liebenden.