BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Johann Gottlieb Fichte

1762 - 1814

 

Versuch einer Critik aller Offenbarung

 

1792

 

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§ 7.

Deduction des Begriffs der

Offenbarung aus Principien der

reinen Vernunft a priori.

 

Wenn endliche moralische Wesen, d. i. solche Wesen, welche ausser dem Moralgesetze noch unter Naturgesetzen stehen, als gegeben gedacht werden; so lässt sich, da das Moralgesetz nicht bloss in demjenigen Theile dieser Wesen, der unmittelbar und allein unter desselben Gesetzgebung steht (ihrem oberen Begehrungsvermögen), sondern auch in demjenigen, der zunächst unter den Naturgesetzen steht, seine Causalität ausüben soll, vermuthen, dass die Wirkungen dieser beiden Causalitäten, deren Gesetze gegenseitig ganz unabhängig von einander sind auf die Willensbestimmung solcher Wesen, in Widerstreit gerathen werden. Dieser Widerstreit des Naturgesetzes gegen das Sittengesetz kann nach Maassgabe der besonderen Beschaffenheit ihrer sinnlichen Natur der Stärke nach sehr verschieden seyn, und es lässt sich ein Grad dieser Stärke denken, bei welchem das Sittengesetz seine Causalität in ihrer sinnlichen Natur entweder auf immer, oder nur in gewissen Fällen, gänzlich verliert. Sollen nun solche Wesen in diesem Falle der Moralität nicht gänzlich unfähig werden, so muss ihre sinnliche Natur selbst durch sinnliche Antriebe bestimmt werden, sich durch das Moralgesetz bestimmen zu lassen. Soll dies kein Widerspruch seyn – und es ist an sich allerdings einer, sinnliche Antriebe als Bestimmungsgründe reiner Moralität gebrauchen zu wollen – so kann es nichts anderes heissen, als dass rein moralische Antriebe auf dem Wege der Sinne an sie gebracht werden sollen. Der einzige rein moralische Antrieb ist die innere Heiligkeit des Rechts. Diese ist durch ein Postulat der reinen praktischen Vernunft in Gott in concreto (folglich der Sinnlichkeit zugänglich.), und er selbst als moralischer Richter aller vernünftigen Wesen nach diesem ihm durch seine Vernunft gegebenen Gesetze, mithin als Gesetzgeber jener Wesen, dargestellt worden. Diese Idee vom Willen des Heiligsten als Sittengesetze für alle moralische Wesen ist nun von der einen Seite völlig identisch mit dem Begriffe der inneren Heiligkeit des Rechts, folglich jener einige rein moralische Antrieb, und von der andern des Vehiculums der Sinne fähig. Sie allein also entspricht der zu lösenden Aufgabe. Nun aber ist kein Wesen fähig, diese Idee auf dem Wege der sinnlichen Natur an sie gelangen zu lassen, oder, wenn sie schon in ihnen mit Bewusstseyn vorhanden ist, sie auf demselben zu bestätigen, als ein Gesetzgeber dieser Natur, welches denn auch, laut der Postulate der praktischen Vernunft, jener moralische Gesetzgeber endlicher vernünftiger Wesen ist. Gott selbst also müsste ihnen sich und seinen Willen, als gesetzlich für sie, in der Sinnenwelt ankündigen. Nun aber ist in der Sinnenwelt überhaupt so wenig eine Ankündigung der gesetzgebenden Heiligkeit enthalten, dass wir vielmehr von ihr aus durch die auf sie anwendbaren Begriffe auf gar nichts Uebernatürliches schliessen können; und ob wir gleich durch Verbindung des Begriffs der Freiheit mit diesen Begriffen, und den dadurch möglichen Begriff eines moralischen Endzwecks der Welt auf diese Gesetzgebung schliessen können (§ 4): so setzt doch dieser Schluss schon eine Causalität des Moralgesetzes in dem so schliessenden Subjecte voraus, die nicht nur das völlige, nur nach Naturgesetzen mögliche Bewusstseyn seines Gebots, sondern auch den festen Willen, die Wirksamkeit desselben in sich durch freie Aufsuchung und Gebrauch jedes Mittels zu vermehren, bewirkt hat, welche aber in den vorausgesetzten sinnlich bedingten Wesen nicht angenommen worden ist. Gott müsste sich also durch eine besondere, ausdrücklich dazu und für sie bestimmte Erscheinung in der Sinnenwelt ihnen als Gesetzgeber ankündigen. Da Gott durch das Moralgesetz bestimmt ist, die höchstmögliche Moralität in allen vernünftigen Wesen durch alle moralischen Mittel zu befördern, so lässt sich erwarten, dass er, wenn dergleichen Wesen wirklich vorhanden seyn sollten, sich dieses Mittels bedienen werde, wenn es physisch möglich ist. 1)

Diese Deduction leistet, was sie versprochen. Der deducirte Begriff ist wirklich der Begriff der Offenbarung, d. i. der Begriff von einer durch die Causalität Gottes in der Sinnenwelt bewirkten Erscheinung, wodurch er sich als moralischen Gesetzgeber ankündigt. Er ist aus lauter Begriffen a priori der reinen praktischen Vernunft deducirt; aus der schlechthin und ohne alle Bedingung geforderten Causalität des Moralgesetzes in allen vernünftigen Wesen, aus dem einzig reinen Motiv dieser Causalität, der inneren Heiligkeit des Rechts, aus dem für die Möglichkeit der geforderten Causalität als real anzunehmenden Begriffe Gottes, und seiner Bestimmungen. Aus dieser Deduction ergiebt sich unmittelbar die Befugniss, jede angebliche Offenbarung, d. i. jede Erscheinung in der Sinnenwelt, welche diesem Begriffe als correspondirend gedacht werden soll, einer Kritik der Vernunft zu unterwerfen. Denn wenn es schlechterdings nicht möglich ist, den Begriff derselben a posteriori durch die gegebene Erscheinung zu bekommen, sondern er selbst, als Begriff, a priori da ist, und nur eine ihm entsprechende Erscheinung erwartet, so ist es offenbar Sache der Vernunft, zu entscheiden, ob diese gegebene Erscheinung mit ihrem Begriffe von derselben übereinkomme, oder nicht; und sie erwartet demnach von ihr so wenig das Gesetz, dass sie vielmehr es ihr selbst vorschreibt. Aus ihr müssen sich ferner alle Bedingungen ergeben, unter denen eine Erscheinung als göttliche Offenbarung angenommen werden kann: nemlich, sie kann es nur insofern, als sie mit diesem deducirten Begriffe übereinstimmt. Diese Bedingungen nennen wir Kriterien der Göttlichkeit einer Offenbarung. Alles also, was als ein dergleichen Kriterium aufgestellt wird, muss sich aus dieser Deduction ableiten lassen, und alles, was sich aus ihr ableiten lässt, ist ein dergleichen Kriterium.

Sie leistet aber auch nicht mehr, als sie versprochen. Der zu deducirende Begriff wurde bloss als eine Idee angekündigt; sie hat mithin keine objective Gültigkeit desselben zu erweisen, mit welchem Erweise sie auch nicht sonderlich fortkommen dürfte. Alles, was von ihr gefordert wird, ist, zu zeigen, dass der zu deducirende Begriff weder sich selbst, noch einem der vorauszusetzenden Principien widerspreche. Er kündigte sich ferner nicht als gegeben, sondern als gemacht an (conceptus non datus, sed ratiocinatus); sie hat mithin kein Datum der reinen Vernunft aufzuzeigen, wodurch er uns gegeben würde, welches sie zu leisten auch nicht vorgegeben hat. Aus diesen beiden Bestimmungen ergiebt sich denn vorläufig die Folge, dass, wenn auch eine Erscheinung in der Sinnenwelt gegeben seyn sollte, welche mit ihm vollkommen übereinstimmte (eine Offenbarung, welche alle Kriterien der Göttlichkeit hätte), dennoch weder eine objective, noch selbst für alle vernünftige Wesen subjective Gültigkeit dieser Erscheinung behauptet werden könnte, sondern die wirkliche Annehmung derselben, als einer solchen, noch unter anderen Bedingungen stehen müsste. Das von der reinen Vernunft aus vermisste, nur in der Erfahrung mögliche Datum zu diesem Begriffe, dass nemlich moralische Wesen gegeben seyen, welche ohne Offenbarung der Moralität unfähig seyn würden, wird als Hypothese vorausgesetzt, und eine Deduction des Offenbarungsbegriffes hat nicht die Wirklichkeit desselben darzuthun, welches sie ohnehin als Deduction a priori für ein empirisches Datum nicht leisten könnte, sondern es ist für sie völlig hinreichend, wenn diese Voraussetzung sich nur nicht widerspricht, und demnach nur vollkommen denkbar ist. Aber eben darum, weil dieses Datum erst von der Erfahrung erwartet wird, ist dieser Begriff nicht rein a priori. Die physiche Möglichkeit einer diesem Begriffe entsprechenden Erscheinung kann eine Deduction desselben, die nur aus Principien der praktischen, nicht der theoretischen Vernunft geführt wird, nicht erweisen, sondern muss sie voraussetzen. Ihre moralische Möglichkeit wird zur Möglichkeit ihres Begriffes schlechterdings erfordert, und folgt im Allgemeinen aus der Möglichkeit obiger Deduction. Ob aber eine in concreto gegebene Offenbarung dieser Erforderniss nicht widerspreche, ist das Geschäft einer angewandten Kritik dieser gegebenen Offenbarung; und unter welchen Bedingungen sie ihr nicht widerspreche, das Geschäft einer Kritik des Offenbarungsbegriffes überhaupt.

Aus allem bis jetzt gesagten ergiebt sich nun auch, welchen Weg unsere Untersuchung weiter zu nehmen habe. Die Möglichkeit dieses Begriffs, insofern er das ist, d. i. seine Gedenkbarkeit, ist gezeigt. Ob er aber nicht etwa überhaupt leer sey, oder ob etwas ihm correspondirendes sich vernünftigerweise erwarten lasse, hängt von der empirischen Möglichkeit (nicht der blossen Gedenkbarkeit) des in ihm als Bedingung vorausgesetzten empirischen Datums ab. Diese also ist es, welche vor allen Dingen dargethan werden muss. Eine Kritik aller Offenbarung überhaupt hat aber in Rücksicht dieses Datums auch weiter nichts darzuthun, als seine absolute Möglichkeit; da hingegen die Kritik einer angeblichen Offenbarung in concreto die bestimmte Wirklichkeit des vorausgesetzten empirischen Bedürfnisses zu zeigen hätte, wie erst weiter unten bewiesen werden kann.

Dass eine durch Freiheit einem Begriffe vom Zwecke gemäss bewirkte Erscheinung in der Sinnenwelt überhaupt, folglich auch eine Offenbarung sich als physisch möglich denken lasse, bedarf keines Beweises, indem es zum Behufe der Möglichkeit der schlechthin geforderten Causalität des Moralgesetzes auf die Sinnenwelt schon angenommen worden ist. Dennoch werden wir zur Erläuterung, nicht zum Beweise, und wegen einiger daraus herfliessender wichtigen Folgen auf Berichtigung des Offenbarungsbegriffs, einige Untersuchungen über diese physische Möglichkeit anstellen.

Beim Schlusse dieser beiden Untersuchungen muss es völlig klar seyn, ob sich vernünftigerweise etwas dem Offenbarungsbegriffe correspondirendes überhaupt erwarten lasse, oder nicht. Zum Behufe der Möglichkeit aber, diesen Begriff auf eine besondere in concreto gegebene Erscheinung anzuwenden, bedarf es noch einer genauern Zergliederung des Offenbarungsbegriffs selbst, welcher angewendet werden soll. Die Bedingungen, unter welchen eine solche Anwendung möglich ist, müssen alle im Begriffe liegen, und sich durch eine Analysis desselben aus ihm entwickeln lassen. Sie heissen Kriterien Unser nächstes Geschäft nach jenen Untersuchungen wird also das seyn, diese Kriterien aufzustellen und zu beweisen.

Hierdurch wird nun nicht nur die Möglichkeit, für diesen Begriff überhaupt etwas ihm correspondirendes zu erwarten, sondern auch die, ihn auf eine wirklich gegebene Erscheinung anzuwenden, völlig gesichert. Wenn aber eine solche Anwendung gleich völlig möglich ist, so lässt sich doch daraus noch kein Grund erkennen, warum wir sie wirklich machen sollten. Nur nach Aufzeigung eines solchen Grundes also ist die Kritik aller Offenbarung geschlossen.

 

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1)

Dass dieser Deduction gar nicht eine objective, einen theoretischen Beweis a priori begründende, sondern bloss eine subjective, für den empirisch bedingten Glauben hinlängliche, Gültigkeit zugeschrieben werde, ist wohl für keinen Leser, der auch nur eine dunkle Ahnung von dem Gange und Ziele dieser Abhandlung hat, zu erinnern – auch sogar dann nicht, wenn jemand ihren Sinn vorsätzlich misdeuten sollte, um den Leser irre zu führen. [Anm. d. 2. Ausg.]