<<< Übersicht  <<< voriges Kapitel  nächstes Kapitel >>>



B  I  B  L  I  O  T  H  E  C  A    A  U  G  U  S  T  A  N  A

 

 

 

 
Theodor Fontane
Mathilde Möhring
 


 






 




S e c h s t e s  K a p i t e l

__________________________



     Die Möhrings hatten bis Mitternacht gewartet und den Tee schon zweimal wieder aufgegossen. Als aber der Mieter noch immer nicht da war, sagte die Alte: «Thilde, was sollen wir soviel Petroleum verbrennen; nu kommt er nicht mehr. Und wenn er kommt, wird er wohl auch nicht wollen, daß wir ihn so in seinem Zustand sehn. Er wird wohl in Töpfers Hotel sitzen, im Keller unten, da sitzen sie immer.»

     Danach waren sie zu Bett gegangen und lagen auch still und sprachen nicht. Aber von Schlafen war keine Rede. Thilde beschäftigte sich mit seiner Haltung während des ganzen Abends und dieser nächtlichen Kneiperei, die ganz jenseits ihrer Berechnungen lag, und die Alte war immer noch bei dem Stück. Es schlug schon eins, als sie sich aufrichtete und leise sagte: «Thilde, schläfst du schon?»

     «Nein, Mutter.»

     «Das ist gut, Kind. Mir ist so angst. Ob es von dem Tee is? Aber ich habe solch Herzschlagen und sehe immer den alten Mann . . .»

     «Ach laß doch den alten Mann, Mutter. Der schläft nun schon zwei Stunden, und du mußt auch schlafen.»

     «Und das einzige is, daß der Rotkopf . . .»

     «Ja, der hat nu seinen Denkzettel.»

     «Und was wohl aus dem armen Wurm, dem Fräulein, geworden ist? Wie hieß sie doch?»

     «Amalie.»

     «Richtig, Amalie. Ja, die is doch nu so gut wie eine Waise. Denn wenn sie den Alten auch wieder rausgeholt haben. Lange kann er's doch nicht mehr machen.»

     «Nein, das kann er nicht, Mutter. Aber jetzt werde ich dir ein Glas Wasser holen, und dann legst du dich auf die andre Seite.»

     «Na ja, ich werde bis hundert zählen.»

* * *

Es war darauf gerechnet, daß Hugo spät aufstehen würde, aber das Gegenteil geschah, er klingelte früher als gewöhnlich und mußte wohl zehn Minuten auf sein Frühstück warten. Thilde wollte diese Verspätung entschuldigen; er sagte aber, es hätte nichts zu sagen, er müsse sich entschuldigen; um vier nach Hause kommen und um sieben Frühstück, das sei beinah unnatürlich. Ob es denn hübsch gewesen sei, das heißt, ob sie sich amüsiert hätten und ob ihnen Rybinski gefallen hätte. Er wolle ausgehn und gleich nachsehn, ob er gelobt sei. Daß sie nicht geklatscht hätten, sei sehr gut gewesen; es falle auf und schade bloß und heiße dann in den Zeitungen, es sei alles Claque gewesen. Übrigens hätte Rybinski ihm gesagt, er würde wieder Billets schicken, wenn er in einer neuen Rolle aufträte. Das sei in der nächsten Woche, da spiele er den Dunois, Bastard von Frankreich. «Sie kennen die Rolle, Fräulein Thilde.»

     «Ja, den Dunois kenn ich», sagte sie mit Betonung des Namens, ohne weitre Zutat, um ihn auf diese Weise das Unpassende des «Bastard» fühlen zu lassen. Zu dem Plan, den sie sich ausgedacht hatte, gehörte durchaus Tugend. Sie hielt es deshalb, um ihrer Reprimande noch mehr Nachdruck zu geben, auch für angezeigt, das Gespräch abzubrechen, so schwer es ihr wurde.

     Als sie wieder drüben in ihrem Zimmer war, fand sie die Runtschen vor, die nicht durch das Entree, sondern durch die Küche gekommen war. Sie sah aus wie gewöhnlich, Kiepenhut und eine schwarze Klappe über dem linken Auge.

     «Ah, guten Tag, Frau Runtschen. Na, das ist gut, daß Sie da sind. Hat Ihnen Mutter schon gesagt . . . ?»

     «Ja, Thildechen, Mutter hat mir schon gesagt, daß wieder ein Herr da ist und daß ich rein machen und einholen soll. Aber wann muß es denn sind? Von sieben bis acht bin ich drüben bei Hauptmann Petermann und von acht bis neun bei Kulickes unten.»

     «Das paßt sehr gut. Neun bis zehn ist die beste Zeit oder noch ein bißchen später. Um die Zeit ist er immer weg. Und Sie können sich's dann einrichten, wie Sie wollen, und Sie wissen ja auch Bescheid, wo alles steht. Aber mitunter ist er auch noch da und sieht so aus 'm Fenster, ja, Frau Runtschen, dann müssen Sie sich so 'n bißchen zurechtmachen.»

     «Zurechtmachen?»

     «Ja, Frau Runtschen. Ich meine natürlich nur ein bißchen. Sie können nicht kommen wie 'ne Prinzessin. Soviel wirft es nicht ab.»

     «Ne, ne, soviel wirft es nicht ab.»

     «Aber doch so das Nötigste. Eine weiße Schürze. Und dann, daß Sie den Kiepenhut abnehmen. Wenn er nicht da ist, dann ist der Kiepenhut ganz gut, und man sieht nicht alles. Aber wenn er da ist, is doch 'ne Haube besser.»

     «Ja, Fräuleinchen, was heißt Haube?»

     «Natürlich sollen Sie sich keine mitbringen. Aber an unserm Ständer, da finden Sie allemal eine.»

     «Na, wenn's erlaubt is, denn nehm ich sie mir so lange.»

     «Ja, Frau Runtschen, und dann noch eins, die schwarze Klappe da dürfen Sie nich länger als acht Tage tragen, ich werde jeden Sonnabend eine neue anschaffen. Ihr Schaden soll es nicht sein.»
 
 
 
<<< Übersicht  <<< voriges Kapitel  nächstes Kapitel >>>