BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Jacob Grimm

1785 - 1863

 

Von der Poesie im Recht

 

1815

 

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§. 10.

[Beweis aus rechtssymbolen.]

Wie lebendig in wort und rede, hernach in seinen bestimmungen selbst das alte recht gewesen sei, haben wir nun in mancherlei beispielen erkannt. allein es waren noch dazu der gesetzgebung von jeher gewisse stäte, ständige zeichen eigen, deren sie sich zu ihren meisten geschäften zu bedienen pflegte, um solche dadurch zu feiern und zu heiligen. aus diesen rechtssymbolen kann die poesie des rechts besonders erkannt und es müssen davon wenigstens einige angegeben werden. unter­schiedliche sind schon vorhin bei anderer gelegenheit mitangeführt worden, wie der gebrauch des hammers und der thierfelle beim lander­werb etc.

Es ist eine unbefriedigende ansicht, welche in solchen symbolen blosze leere erfindung zum behuf der gerichtlichen form und feierlichkeit erblickt. im gegentheil hat jedes derselben gewisz seine dunkle, heilige und historische bedeutung; mangelte diese, so würde der allgemeine glaube daran und seine herkömmliche Verständlichkeit fehlen. die meisten symbole unseres alten rechts sind höchst einfach und lösen sich, gleich denen der kirche, in die letzten elemente: erde, wasser und feuer zurück auf. nicht also in todten büchern und formeln lag ihre kraft, sondern in mund und herzen waren sie gewaltig. man vergleiche den alten gebrauch bei übergabe des eigenthums an grund und boden, wo beide theile hin zur stelle giengen und die weise des ehrwürdigen brauchs vollbrachten, mit einem jetzigen notariatsinstrument; dazumal scheinen die menschen ordentlich die sachen lieber gehabt zu haben, sie galten ihnen nicht für todt und fühllos, sondern als solche, die ihren abschied und empfang haben musten. ich will die hauptsächlichsten symbole der altdeutschen gesetze angeben und nur weniges dazu anmerken.

1) erde, kraut, gras, übergehend in halm, stroh, zweig, ast, ruthe, stock und stab. eine umständliche erörterung dieses tiefgreifenden symbols behalte ich mir vor. es erstreckt sich weit über das altdeutsche recht hinaus, und begründet z. b. die römische stipulation 1).

2) geräthe der männer und weiber, die ihr hauptgeschäft ausdrückten: schwert und spindel. lex Ripuar. LX, §. 20: ‚quod si ingenua ripuaria servum ripuarium secuta fuerit et parentes ejus hoc contradicere voluerint, offeratur ei a rege seu a comite spata et conucula (kunkel); quod si spatam acceperit, servum interficiat, sin autem conuculam, in servitio perseveret.‘ in die poesie sind die spinnenden, webenden frauen ebenso verflochten und die wirkliche gewohnheit des lebens legte beiden geschlechtern schwert und spille ins grab bei, damit sie dem Volksglauben zufolge in der andern welt gleich wieder an ihre arbeit gehen könnten. gleichergestalt waren die meisten übrigen waffen symbolisch: lanze, pfeil, spiesz, messer, hammer. der vater legte dem sohn die waffen an, dadurch überkam er gewisse rechte und der schwertschlag hat sich noch bis auf heute erhalten. bei der adoption bedeutete das schwert schutz und schirm 2). der pfeil diente bei freilassungen als zeichen 3).

3) die begriffe und symbole: schild, kleid, mantel, decke, haut wechseln miteinander ab. mann und weib werden sich hier durch hut und schleier entgegengesetzt. das zudecken und belegen galt bei der besitzergreifung, wie bei der heirat, wie wir noch jetzo einen platz mit einem schnupftuch zu belegen pflegen. schuh und handschuh scheinen mir ebenfalls hierhin zu hören. letzterer war das pfand bei kämpfen, und nicht zu übersehen ist auch hier der beifall der sprache, in welcher wat (kleid) und wat, vadium, pfand eins sind, pfand an pannus erinnert 4). wenn die hand selbst deckt und währt, so ist pignus (faustpfand) mit pugnus (woher pugnare, faustkämpfen) nah verwandt. über das beschlagen der decke s. Siebenkees a. a. o. IV, 9. 46. 60. und über mantel und schleier I, 66. bei der sogenannten saisie wurde männern der hut 5), weibern der schleier weggenommen, sie wurden in der sage dadurch ihrer ehre ledig und schutzlos. Sachsensp. II, art. 26: ‚der könig soll seinen handschuh dazu senden, zu einer beweisung dasz es sein wille sei.‘ der schuh wird in alten liedern häufig symbolisch gesendet, und der pantoffel ist noch ein sehr übliches wort für weibliche oberherschaft.

4) der ring ein gewöhnliches symbol zur vermählung und belehnung, investitura per annulum et baculum; auch bänder und fahnen gehören hierher, in den liedern werden oft ringe entzwei geschnitten (wie der halm bei verträgen) um beiden theilen im fall der trennung mitgegeben zu werden, hernach die einigung wieder zu erkennen.

5) der schlüssel bedeutet vielmals das ganze haus und vermögen. die witwe, welche schlüssel (oder auch mantel und paternoster) auf das grab des gestorbenen mannes fallen läszt, wird der schulden ledig 6).

6) sprengen und vergieszen von wasser, wein und blut, zumal beim eingang eines feierlichen bundes 7). das in die ehe der christen tretende kind wird mit wasser getauft, beim abendmal sind wein und blut symbolisch, freundschaften werden mit wein und blut eingegangen, friedensschlüsse 8) desgleichen. beim rathschlag trinken die helden (Il. σπονδαὶ ἄκρητοι), die nordischen thun gelübde beim becher Bragis. das trinken bei verträgen, der sogenannte weinkauf 9), ist nichts anders; bei unwichtigeren blosz war man des weins und der zeugen entübrigt. das nordische gesetz schreibt vor: ‚trääl skal man medh win och wittne kiöpa som best; hönsz och giäsz, hund och katt må kiöpas uthan win‘ 10).

7) gewisse hausthiere, vor allen hund und katze, hahn und huhn gelten, vorzüglich in persönlichen Verhältnissen, wie ehe, freilassung, als symbolisch.

8) endlich gibt es noch eine menge einzelner symbolischer handlungen, die sich für gewisse fälle bei allen jugendlichen völkern finden 11), z. b. das legen eines bloszen schwerts zwischen braut und freiwerber. ich will, der groszen verbreitung des symbols halben, das ohrenziehen der zeugen zum nähern beispiel geben. weil es bei zeugen hauptsächlich auf hören des vorgangs ankam, pflegte man sie während der handlung am ohr zu zupfen (vellicare) 12). die zeugen bei der römischen feierlichen mancipation, beim testamentum per aes et libram waren ohne solche aurium tractiones (ὤτων ἐπιψαύσεις) 13) ungiltig. allein dieser gebrauch galt auch im germanischen recht, ohne aus dem römischen dahin übergegangen zu sein. [vergl. Savigny r. g. II, 87.] man findet in urkunden des mittelalters öfters die formel: testes per aurem tracti 14). besonders pflegte man kleine kinder, als die sich eines langen lebens zu freuen hätten, mit zu wichtigen vorfällen zu nehmen und ihnen unerwartet ohrfeigen zu geben, oder sie in die ohrlappen zu pfetzen, damit sie sich spät nachher der sache erinnerten 15). desgleichen maulschellen und neu gemünztes silber daneben, bei legung von grundsteinen, findung eines schatzes u. dgl. diese beweisführung erinnert mich noch an einen andern schönen alten gebrauch: wenn ein mann einsam und abgelegen wohnte ohn alles hausgesinde, nach der nachtglocke der mörder bei ihm einbrach, der mann aber den mörder überwältigt und aus nothwehr tödtet, so beweist der angegriffene mann den ihm geschehenen frevel in entstehung aller anderen menschlichen zeugen folgendergestalt: er nimmt drei halme von seinem Strohdach, seinen hund an einem seil, der im hof gewacht 16), oder die katze, die beim heerd gesessen, oder den hahn, der bei den hühnern gewacht, geht mit den thieren vor gericht und beschwört in deren gegenwart das geschehene, im glauben, dasz ihn gott lügen strafen könne durch das kleinste geschöpf 17).

 

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1) Isidor. etym. V, 24., der das wort von stipula (stoppel, halm) leitet, hat ohne zweifei recht gegenüber dem pr. i. de v. o. und Paulus sent. V, 7. die das abstrahierte stipulum (firmum) umgekehrt zum grund legen. [wird bestritten von Savigny röm. r. gesch. II, 229. 230. - in den traditt. fuld. lib. I, num. 10. 11. 105. lib. II, num. 45. 46. steht oft statt: stipulatione subnixa: culmo subnixa. culmus ist halm. v. Marculfi form. p. m. 311. ad lib. II, cap. 3.] 

2) Mascov XVI, 40. ibiq. cit. 

3) Paulus diaconus I, 13. von den Longobarden: sanciunt more solito libertatem per sagittam, immurmurantes ob rei firmitatem quaedam patria verba. 

4) investire (einkleiden) hiesz daher: rechtlich übergeben. man vergl. bei Du Cange und Carpentier die gesammelten stellen v. investitura per pileum, caputium, pallium, linteum, mappulam, corrigiam, pannum, fimbriam, marsupium, plumam. 

5) der aufgerichtete hut war zeichen der oberherschaft (mythus von Tell). hut gehört zu hüten, schirmherr sein u. dgl. m. 

6) Eisenhart l. c. p. 131. Siebenkees l. c. IV, 20. coutume de Châlons, mihi 35. 36. Du Cange v. claves remittere. 

7) vergl. unsere ausg. des armen Heinrich. 

8) Dämisaga 60. erzählt : beim friedensschlusz seien beide Völker zu einem gefäsz gegangen und jeder einzelne habe hineinspeien müssen, vergl. das osculum pacis. 

9) in Petrus except. leg. rom. II, 14. percussio manus et bibaria vini beim kauf. 

10) den knecht soll man kaufen bei wein und zeugen, so wie ein pferd; huhn und gans, hund u. katze mag man ohne wein kaufen. 

11) so hatten die Römer das sororium tigillum bei scheinstrafen (Liv. I, 10.) die missio sub jugum (Liv. IX, 4. 5. 9.) u. s. w. 

12) an einigen deutschen orten war es gewohnheit den zeugen geld hinzuwerfen zum vertrinken, besonders bei Schimpfereien, dies hiesz gewiszbier. Siebenkees II, 228. 

13) Clemens Alex. στρώματ. V, p. 574. 

14) z. b. Denis catal. mss. theol. bibl. vindobon. vol. I. p. 1. col. 398: auch Hund in seinem urkundenbuch hat viele stiftungsdiplome mit dieser clausel. 

15) Eichhorns rechtsg. I, 147. bairische alterthümer. München 1769. s. 162. 163. lex Bojoar. XV, 2. XVI, 2. lex Ripuar. LX. §. 1. Du Cange vol. 1. col. 870. 871. [Westenrieder gloss. v. aurium tractio et v. ohren ziehen.] 

16) in der epischen poesie heiszt der hund hofwart, und die katze sitzt am heerd und wärmt sich. 

17) Joh. Müllers Schweitzergeschichte III, 258.