BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Kaspar Hauser

1812 - 1833

 

Georg Friedrich Daumer:

Enthüllungen über Kaspar Hauser

 

1859

 

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[37]

III.

 

Wie H. E, den von Binder und Feuerbach in die Welt gebrachten „Roman“ entstehen läßt. Was ich selbst dabei verschuldet haben soll. Wie H. E. von seinem Gegenstande abschweift und meine historisch-kritischen Arbeiten herbeiführt, - um mich desto lächerlicher und verächtlicher erscheinen zu lassen. Was er dabei für unmoralische Mittel zu Hülfe nimmt und wie er noch außerdem zeigt, daß er ein Ignorant ist.

 

Der durch Binder und Feuerbach in die Welt gebrachte Hauserische „Roman“ ist Nichts, ein purer Unsinn, die größte Absurdität und Monstrosität, die man sich denken kann; welcher kluge Mensch wird an solche Märchen und Phantome glauben! – Aber wie bildete sich dieses romantische Ungeheuer?

Nichts ist natürlicher und begreiflicher, als dieser Vorgang, so wie man ihn jetzt in Herrn Eschricht's trefflichem Werke auseinandergesetzt findet. Die Einwohner Nürnberg's, die hier unter dem Namen „der guten Nürnberger“ bespöttelt werden, sind Einfaltspinsel, ein cretinischer Menschenschlag, der alles Mögliche zu glauben und sich einzubilden im Stande ist. Die bei der Sache speciell betheiligten und bethätigten Persönlichkeiten waren zwar nicht alle aus Nürnberg gebürtig oder da eingebürgert; was thut's? Sie waren dennoch lauter Schwachköpfe, Enthusiasten, Sonderlinge, Narren und Tollhäusler, unter [38] welchen ich selbst die Ehre habe, den ersten Rang einzunehmen. Ja, das ganze Publikum war verrückt, ein epidemischer Wahnsinn beherrschte die Welt und – kein Eschricht war da, dem Uebel zu steuern; die Welt mußte noch Decennien lang warten, bis diese glänzende Erscheinung am Himmel der Wissenschaft und Literatur aufging und ein so klares, alle mystischen Dunkel und Thorheiten siegend vertreibendes Licht verbreitete. Vor Allen war es Rittmeister Wessenich, jener Officier, an den H. zunächst gewiesen worden war, der eine so irrige Auffassungsweise begründete, S. 12 und 65. Dann lieferte auch das Nürnberger Polizeigericht ein falsches Fundament und schmuggelte ein subjektives Urtheil ein, S. 43 und 65. Ferner war der Gefangenwärter Hiltel, obwohl verständig, erfahren und geübt, wie S. 17, 18, 26 zu lesen, doch zugleich ein schwacher, in seinen Gefangenen vernarrter Mensch, der immer und überall von seinem Schooßkinde sprach, S. 45. Frau Binder, weiblich schwach und verliebt, half mit, S. 66. Ihr Gatte, der Bürgermeister, ein nach S. 72 braver und wahrheitliebender Mann, war dennoch zugleich einer der albernsten und willkührlichsten Phantasten, die es geben kann; er brachte die abenteuerliche Geschichte vollends zu Stande, indem er sie aus dem zu jeder gewünschten und in den Mund gelegten Antwort bereiten Knaben künstlich herauslockte; „der ganze Roman war schon, so zu sagen, fertig [39] zum Abgang in die Druckerei, noch ehe H. selbst etwas Anderes davon wußte, als was er trotz seiner geistigen Stumpfheit aus den Blicken und Mienen seiner Umgebung und dem heimlichen Geflüster derselben hatte errathen können,“ S. 64 f. Der Präsident v. Feuerbach war eingenommen und ungeschickt, die Sache in ihrer reinen Einfalt zu sehen, S. 136. Er übertrieb, und sein Eifer war krankhaft, S. 85. Er war ganz blind für den wahren Grund der körperlichen und geistigen Gebrechen des Findlings, S. 82; vom Schwindel ergriffen, S. 44; von einem bethörenden Gifte angesteckt, S. 159, und für alle Vernunftgründe unzugänglich, S. 136. So auch Dr. Osterhausen, ein gelehrter und geachteter alläopathischer Arzt in Nürnberg. Derselbe, sagt H. E., S. 146, ging in seiner Verblendung so weit, daß er amtlich erklärte, die Kniee Hauser's hätten eine nur aus lange anhaltender Ausstreckung zu erklärende Beschaffenheit. Ich selbst endlich, der Hauptnarr, der hirnverbrannteste Mensch, der unter der Sonne wandelt, machte den Unsinn voll und richtete den Findling durch meine thörichte und verkehrte Behandlungsweise auch moralisch zu Grunde.

„Als H. diesem Professor anvertraut wurde, da war er noch ein armes, sehr beschränktes, aber unschuldiges Kind. Unter seiner Leitung wurde er nach und nach ein eitler Narr, ein Gaukler, ein Lügner. Da er sein Haus [40] verließ, war er ein so vollendeter Betrüger, wie es eine idiotisch-einfältige Person überhaupt zu werden vermag.“

Nicht doch! Er war, wenn er betrog, ein so vollendeter Betrüger, wie es nur ein mit den besten Organen und Verstandeskräften versehenes Menschenwesen zu werden vermag; oder wie es vielmehr nur ein mit übermenschlichen Kräften ausgerüstetes Individuum zu werden vermöchte.

Und da hätte ich in moralischer Beziehung in der That sehr übel auf diesen jungen Menschen und anfänglichen Idioten eingewirkt; aber ich hätte an ihm doch in intellectueller Hinsicht ein Meisterstück der Heilung und Erziehung gemacht, wie noch keines vorgekommen. Ich hätte den in Folge einer mangelhaften Gehirnorganisation an angeborener und unheilbarer Stumpfheit und Geistesschwäche Leidenden dennoch vollständig curirt und in einen großen, die Welt in unbegreiflicher Weise zu dupiren befähigten Schlaukopf verwandelt. Das mache mir einmal Einer nach!

Ich kann mich freilich dieses Kunststückes nicht so ganz allein rühmen, sofern auch noch Andere dabei im Spiele gewesen sein sollen. Namentlich war nach S. 152 Feuerbach's „Verblendung“ Schuld, daß H. „ein erbärmlicher Lügner, ein feiger Betrüger und Meineidiger wurde,“ welcher letztere Vorwurf sich auf den Eid bezieht, den H. 1829 auf seine Aussagen abgelegt hat. [41]

Mehr zur Belustigung meiner Leser, als zu meiner Rechtfertigung, will ich einige der speciellen Anklagen nennen, die H. E. wider mich erhebt. Unter den von ihm angegebenen Gründen, weßhalb ich nicht zum Lehrer und Erzieher des Findlings getaugt, sind z. B. diese, daß ich zu viel Gelehrsamkeit besessen und daß ich an meinem Zöglinge zu viel Antheil genommen. „Die gelehrtesten Leute,“ sagt er, „sind in der Regel keineswegs die besten Kindererzieher.“ Wenn die gelehrten Leute zugleich Pedanten und bornirte Köpfe sind, so ist es allerdings richtig. Deutschland aber und selbst das Ausland, wo ich auch als Dichter bekannt bin, und zwar als ein solcher, dem es eher zum Vorwurfe gemacht wird, zu wenig, als zu viel Pedant zu sein, wird über den Zopf lachen, den mir der unwissende Däne anhängen will. Was soll man vollends zu der Anklage sagen, daß ich „einen so hohen Grad von Theilnahme und Liebe für Hauser gefaßt?“ Es wird zwar zugegeben, daß dies an und für sich kein allzu schwarzes Verbrechen gewesen; jedoch hinzugesetzt, daß meine Zuneigung zu dem unglücklichen Menschen „nicht wahrhafter und vernünftiger Natur gewesen, da sie ihre Entstehung dem ersten Anblicke verdankte und mit einer gewissen Bewunderung der merkwürdigen Eigenschaften verbunden war, die ich an ihm entdeckt zu haben glaubte.“ Die Welt erfährt hier zu ihrem gewiß nicht geringen Erstaunen, daß Romeo und Julie sich nicht wahrhaft geliebt, weil [42] sich ihre Leidenschaft auf den ersten Anblick entzündete. Zudem ist es gar nicht wahr und folgt nicht aus meinen Berichten, daß sich meine Zuneigung blos auf den ersten Anblick gegründet, da sie vielmehr auf fortdauernder Bekanntschaft und Beobachtung beruhte. Es heißt in meinen „Mittheilungen über Kaspar Hauser“ I. S. 1: „Ich fand mehr, als ich erwartet hatte, nahm persönlichen Antheil an dem jungen Menschen und besuchte ihn seitdem täglich, in der Absicht, zu seiner Entwickelung Etwas beizutragen.“ An diesem Gang der Sache ist doch wohl, selbst vom Standpunkte prosaischer Nüchternheit aus betrachtet, Nichts auszusetzen. Weder deßhalb, daß mir der Findling ein persönliches, noch, daß er mir ein wissenschaftliches Interesse einflößte, verdiene ich Galgen und Rad. Nach H. E. freilich war meine Aufgabe nur diese, „ihm die eitlen Gedanken wieder aus dem Kopfe zu bringen, die im Thurme und bei Binder so vielfache Nahrung gefunden,“ d. h. ich hätte Herrn Eschricht's Ansicht von der Sache haben, und den sich damals mir und Allen so unwiderstehlich aufdringenden Ueberzeugungen gewaltsam entgegentreten sollen, wozu ich allerdings gar nicht aufgelegt war.

Eine weitere Beschuldigung bildet der Umstand, daß ich mir die Anstellung gewisser Experimente erlaubte, um Hauser's physische Beschaffenheit zu erforschen. Wenn ich das in einer zu rücksichtslosen, gehäuften, und in Folge [43] dessen nachtheiligen Weise getrieben hätte, so wäre der Tadel gerechtfertigt. Das war aber gar nicht der Fall. Die Versuche wurden mit äußerster Vorsicht angestellt – mit jener Vorsicht, die H. E. bei seiner grob materiellen Denkweise so wahnsinnig-übertrieben und lächerlich findet, die aber, wenn sie die bezüglichen Einwirkungen wirklich bis auf das reinste Nichts reducirt haben sollte, doch wenigstens den Gesundheitszustand Hauser's, der durch frühere Experimente gröberer und roherer Art so furchtbar gelitten hatte, nicht verschlechtert haben kann. Es stellten sich gleichwohl die thatsächlichsten Ergebnisse heraus, und dies führte, abgesehen von der wissenschaftlichen Bedeutung der Sache, die ich doch ebenfalls im Auge haben durfte und mußte, für H. selbst den großen Vortheil herbei, daß man nun um so bestimmter wußte, wie man ihn zu behandeln hatte, und daß er auf diese Weise vor unzähligen peinlichen und krank machenden Eindrücken und Einflüffen geschützt werden konnte und wirklich von mir geschützt worden ist. Sofern ich diese Experimente so einrichtete, oder sofern sie auch wohl zufällig so ausfielen, daß jeder Gedanke an Betrug von Hauser's Seite und von Selbsttäuschung und Einbildung von der meinigen wegfallen mußte, hatten sie überdies auch diesen Nutzen für H. und die ihn betreffenden Urtheile und Untersuchungen, daß er als das erkannt werden mußte, was er war, nehmlich als dies in der That ganz eigenthümlich beschaffene, [44] sich keineswegs nur den betrügerischen Schein einer so abnormen Beschaffenheit gebende und nur unter der Voraussetzung ganz ungewöhnlicher Schicksale und Lebensumstände begreifliche Individunm. Das ist es aber eben, was Herrn Eschricht ärgert. Ich hätte den Findling wohl zu Tode experimentiren dürfen, wenn ich nur nicht solche Resultate gewonnen und geltend gemacht hätte.

Mitunter nimmt H. E. wohl eine theologische Miene an und schleudert mir namentlich S. 90, die furchtbar ernsten und pathetischen Worte entgegen: „Es ist sündhaft, Kindern in den Kopf zu setzen, daß sie übernatürliche Kräfte besäßen.“ Also nicht nur ein Narr, der närrischste von Allen, bin ich Unglücklicher, sondern auch ein Sünder, der dem seiner harrenden göttlichen Strafgerichte entgegenzuzittern hat. Von übernatürlichen Kräften ist indessen bei der ganzen Hauserischen Angelegenheit nie die Rede gewesen, sondern nur von ungewöhnlichen, krankhaften Schwächen und Reizbarkeiten, die man Hausern auch nur als solche darstellte und die ihm auf keine Weise zum Vergnügen gereichten, vielmehr in dem Grade qualhaft und lästig waren, daß er sehnlichst davon befreit zu werden wünschte, und sehr froh war, als sie sich zu mindern und zu verlieren begannen.

Genug! Es wäre zu weitläufig und ennuyant, so für meine Leser, wie für mich; ich müßte ganze Abhandlungen und Bücher schreiben und in ganz fern liegende Gebiete [45] des menschlichen Wissens und Forschens abschweifen, wenn ich auf Alles eingehen wollte, was H. E. wider mich vorbringt und zum Theil in einer für seine Untersuchung ganz unnöthigen und muthwilligen Weise bei den Haaren herbeizieht, um mich persönlich anzugreifen. Der Wahnsinn, womit ich behaftet sein soll, besteht ihm erstlich in gewissen Standpunkten, Denkarten und Anschauungsweisen, die nicht die seinigen sind, die man für Irrthümer halten, denen man polemisch entgegentreten kann, die ich aber doch mit ganzen innerhalb der gelehrten und gebildeten Welt existirenden und nicht sammt und sonders nur so ganz einfach in's Narrenhaus zu sperrenden Parteien gemein habe. Dann giebt es freilich auch Ansichten, die ich allein vertrete, und die vom herkömmlich Angenommenen in auffallendem Grade abweichen, deßhalb auch von meinen Gegnern am liebsten zu ihren Zwecken benützt und ausgebeutet werden. Ich habe mich insbesondere der Enthüllung gewisser tief versteckter historischer Tatsachen und Wahrheiten beflissen, die, wie Alles Unbekannte und Ungewohnte der Art, auf den ersten Anblick und ohne Kenntniß der Basis, auf der sie ruhen, allerdings sehr sonderbar und unglaublich erscheinen, zu denen ich aber nicht auf dem Wege willkührlichen Dichtens und Träumens, sondern auf dem eines ernsten, strengen und vieljährigen Denkens und Forschens gekommen bin, und die ich in meinen historisch-kritischen Werken ausführlich [46] und mit der gehörigen Darlegung ihrer Gründe und Stützen erörtert habe. Aus diesen Werken nun pflegt man auffällige, boshaft outrirende und entstellende Auszüge zu machen, pflegt man Sätze herauszureißen und vor Augen zu stellen, die nicht nur all der in solchen Fällen so unumgänglich nöthigen Nachweise, Vermittlungen und Zusammenhänge beraubt, sondern auch auf das Unredlichste verfälscht und verunstaltet, mit reinen Lügen vermischt und so allerdings geeignet sind, Staunen und Lachen zu erregen. Ich habe schon oft und zum Theil sehr ausführlich darauf geantwortet, wie noch zuletzt gegen die den bezeichneten Charakter tragenden Angriffe eines Julian Schmidt. 1) Ich mag es noch so oft thun, mag das Unziemliche und Unmoralische dieser Verfahrungsweise in ein noch so helles Licht setzen, mag das, was ich meine, noch deutlicher aussprechen und noch schlagender beweisen, als früherhin – umsonst! das schlechte Manöver, zu dem so wenig Geist, Witz und Wissen gehört, zu dem jeder Ignorant und jeder Bube befähigt ist, und dessen man sich schon darum schämen sollte, wird immer von Neuem wiederholt. So hat sich nun auch H. E. wieder dieser leichtfertigen und bequemen Methode bedient, [47] um dem Publikum zu zeigen, was ich nicht nur in Beziehung auf die Hauser'sche Angelegenheit, sondern überhaupt für ein verrücktes Subjekt sei. Der geführte Beweis liegt, die eingemischten willkührlichen Zusätze und Lügen abgerechnet, einfach nur darin, daß ich auf ganz absonderliche und ungewöhnliche Dinge gekommen, wie es zu meinem Troste auch einem Copernikus, einem Columbus, einem Salomon de Caux passirte, welcher letztere eine[n] die Existenz der Dampfmaschine einleitenden Apparat erfand und deßhalb als offenbarer Träumer und Narr in den Bicetre gesperrt wurde, wo der Unglückliche wirklich wahnsinnig wurde. Das copernikanische System, die neue Welt, die Dampfmaschine waren dennoch keine Narrheiten, und meine Entdeckungen sind es wohl auch nicht, sind es wenigstens nicht schon deßhalb, weil sie so eigenthümlich und ungewöhnlich sind. Es ist mir indessen sehr gleichgültig geworden, was eine Welt davon hält, die Größere, als ich bin, eben so, ja noch schlimmer behandelt hat; ich bin es müde, mich gegen so rohe und bübische Verfolgungen zu wehren; nur um zu zeigen, was auch wieder dieser Gegner für ein Mensch ist, seien folgende Züge herausgefaßt.

Ich soll behauptet haben, der Pharao der mosaischen Erzählung sei nicht im rothen Meere, sondern beim Betreten der gefrorenen Behringsstraße ertrunken, indem das Eis derselben eingebrochen. H. E. soll nachweisen, [48] wo ich das gesagt habe, auf welcher Seite meines Buches so Etwas zu lesen ist, sonst steht er als Lügner da. Diese angebliche Behauptung von mir ist wirklich ganz nur eine Erfindung von ihm selbst, ein schlechter Witz, den er sich erlaubt, um mich lächerlich zu machen. Das möchte er immerhin thun, wenn er seine Fiktion nur als solche hinstellte; sie aber so ausdrücklich und bestimmt für einen Satz auszugeben, den er in meinen Büchern gefunden, ist ein Verfahren, wofür ich keinen Namen weiß, als etwa einen solchen, dessen ich mich als anständiger Autor nicht wohl bedienen kann.

Ich habe ferner in einem Aufsatze über den trojanischen Krieg die Vermuthung geäußert, daß in Troja ein grausamer Religionscult phönicischen Ursprunges und Charakters geherrscht, der die eigentliche Ursache des Krieges gewesen, welchen das humanere Griechenland wider diese Stadt geführt. Ich habe einige Namen trojanischer Helden auf diesen Cult bezogen, und aus dem Phönizischen zu erklären gesucht, doch ohne diesen Prinzen und Kriegern ihre reale Persönlichkeit abzustreiten, die ich vielmehr ausdrücklich anerkannt habe, wie namentlich in Beziehung auf Paris geschehen. H. E. dagegen meldet, ich hätte dieselben zu Götzen dieses Cultus und zu glühenden Opferöfen gemacht. Der Prinz Paris, sagt er S. 99, sei meiner Behauptung nach in eigener Person ein solcher Ofen gewesen. Das ist wieder eine reine Lüge. [49] Eben so, wenn ich behauptet haben soll, Helena sei in diesen Ofen hinein gesteckt und darin verbrannt worden. Es giebt eine Sage, nach welcher Helena gar nicht nach Troja gekommen, und dieser habe ich S. 217 des bezüglichen Werkes meine deutlich ausgedrückte Beistimmung gegeben, kann also nicht annehmen, daß Helena zu Troja geopfert worden sei. Eine Sage läßt sie allerdings geopfert werden, nehmlich in Scythien bei den Tauriern; und daß dergleichen Gräuel im Alterthum wirklich im Schwange gingen, daß man namentlich schöne Jungfrauen und Jünglinge opferte, ist bekannt genug und ich habe es in jenem Werke, S. 219, nachgewiesen. In Beziehung auf Troja weiß der Kundige, daß diese Gräuel sogar den Fall der Stadt überlebten. Die Lokrer, heimgesucht durch eine Pest, erhielten vom Orakel die Weisung, jährlich zwei Jungfrauen nach Troja zu senden. Sie thaten dies bis zum heiligen Kriege. Kamen die Jungfrauen unbemerkt in's Heiligthum, so wurden sie zu Tempeldienerinnen gemacht. Wurden sie aber bemerkt, so opferte man sie und warf die Asche in's Meer. Die verhöhnten Annahmen sind daher nicht lächerlich, sondern den Ueberlieferungen und historisch bekannten Thatsachen vollkommen gemäß.

Daß ich die verderbende Natur Apollon's, der die Pest sendet und „der Nacht gleich“ schreitet, schon in seinem Namen erkannt, ist richtig. In einem großen Irrthume aber ist H. E., wenn er meint, daß dies eine [50] neue, mir besonders eigenthümliche und darum vogelfreie Meinung sei. Es ist im Gegentheil eine längst bekannte, philologisch gültige und sprachgemäße Etymologie; ja das griechische Alterthum selbst hat den Namen jenes Gottes so gefaßt und ausgedeutet, wie mehrere Stellen alter Autoren lehren. 2) Ich bin hier also ganz gewiß nicht der irrsinnige, phantastische Thor, zu dem mich H. E. macht; ihm aber fehlen, wie man sieht, die Kenntnisse, welche nöthig sind, um über Gegenstände der Art mitsprechen zu können.

 

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1) S. Otto Wigand's Jahrbücher für Wissenschaft und Kunst Bd. I. Heft 1., wo schon alles Bezügliche der Breite nach berührt und auseinander gesetzt ist. 

2) Siehe z. B. Aeschyl Agam., wo Kassandra ruft: „Ἄπολλον, Ἄπολλον, ἀγυιᾶτ’, ἀπόλλων ἐμός· Apollon, mein Geleiter und Verderber“ (v. 1080 ff.). Der Name bedeutet wörtlich den Verderbenden, von ἀπόλλω, ἀπόλλυμι, wie denn der Gott auch οὔλιος in gleicher Bedeutung hieß. Wenn diese Namen dennoch anders erklärt werden, so sind das Ansichten Einzelner, die für mich nicht maßgebend zu sein brauchen.