BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Kaspar Hauser

1812 - 1833

 

Georg Friedrich Daumer:

Enthüllungen über Kaspar Hauser

 

1859

 

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[118]

VIII.

 

Ueber das angeblich idiotisch organisirte Gehirn des Findling's. Beweis, daß sich bei dem gegenwärtigen Standpunkte der Wissenschaft, wie selbst die eigenen Erklä­rungen Herrn Eschricht's zeigen, über diesen Punkt Nichts bestimmen läßt.

 

Was die idiotische Organisation des Gehirns betrifft, die bei Hauser Statt gefunden haben soll, so möchten noch folgende Bemer­kungen am Orte sein.

Wenn Hauser's Gehirn wirklich von der Art war, daß es einen so bedeutenden Mangel an intellektuellen Kräften begründete und einer normalen und energischen Geistesentwicklung nicht Raum gab, so konnte dieser Mensch weder das sein, was er wirklich war, ein zwar kindlich unerfahrenes und unwissendes, keineswegs aber verstand- und talentloses, theilweise sogar in außerordentlichem Grade aufgewecktes und befähigtes Individuum, noch das, was H. E. aus ihm werden läßt, ein Gaukler und Betrüger, welcher Lehrer, Behörden und Publikum narrte, die feinsten Kunststücke ausführte, und es darin den verschmitzten Betrügerinnen gleich that, die H. E. mit ihm [119] in Vergleichung bringt. Von einem durch die plötzlich veränderte Lage erfolgten Aufwachen aus vorhergegangenem Seelenschlafe zu sprechen, ist Unsinn, wenn Alles auf die physische Qualität und organische Gestaltung des Gehirnes zurückgeführt wird, diese aber in unverändert mangelhaftem und unentwickeltem Zustande beharrt, wie bei H. angenommen wird. Hier müßte man sich eine Seelenkraft denken, die keineswegs so ganz nur eine Folge körperlicher Einrichtung oder so unbedingt an sie gebunden wäre, die vielmehr, einer fortdauernd, wie ursprünglich fehlerhaften und unzulänglichen Beschaffenheit des Gehirnes zum Trotze, sich lebhaft und kräftig zu manifestiren vermöchte. Das kann aber ohne die gedankenloseste Inconsequenz und Confusion doch nicht die Meinung eines Mannes sein, der so leidenschaftlich und vernichtungswüthig gegen Alles zu Felde zieht, was nicht rationell und materiell im gemeinsten Sinne dieser Ausdrücke ist und was nur irgendwie den Anschein des Mystischen und Unbegreiflichen hat. Bei solchen Principien und Voraussetzungen, bei einer solchen Tendenz und Polemik ziemt es sich so, wie Felix Platter zu denken, der es für eben so unmöglich hielt, einen durch Fehler der ersten Bildung bedingten Blödsinn zu heilen, als einen Mohren weiß zu waschen. 1) [120]

Ich meinerseits getraue mich hier gar nichts Positives anzunehmen und auszusprechen; ich glaube in diesen Beziehungen nur Eines zu wissen, daß man Nichts wisse, und daß man nirgend so viel Ursache habe, sich jenes altdeutschen Spruches zu erinnern:

 

„Wer sich bedünkt, er weiß fast viel,

Der scheußt nahend zum Narrenziel.“

 

Das Seelenleben des Menschen, die Einrichtung und Funktion des Gehirnes und das Verhältniß des sichtbar vorliegenden Organes zu den inneren, unsichtbaren Vorgängen des Denkens und Bewußtseins ist ein viel zu großes Räthsel und Mysterium, als daß sich darüber etwas mit Sicherheit bestimmen ließe. Man findet Fälle verzeichnet, wo bei sehr krankhaft-abnormer Beschaffenheit des Gehirnes gleichwohl nicht nur gewöhnliche und hinlängliche, sondern selbst ausgezeichnete Fähigkeiten und Geistesgaben vorhanden waren. So erzählt Horner in Philadelphia 2) [121] von einem Knaben, der in dem Alter von 8 1/2 Jahren starb, und bei welchem sich „bedeutende pathologische Erscheinungen und Abnormitäten“ im Gehirne zeigten, ohne daß eine psychische Störung bemerklich gewesen, indem sich vielmehr eine regelmäßige, ja besondere und seltene Geistesentwicklung geoffenbart hatte. Schon im 15. Monate konnte das Kind deutlich sprechen, zeigte von dem ersten Erwachen seiner Sinne an eine große Liebe zur Musik und konnte schon im 18. Monate leichte Melodien singen. Sein Verstand und sein Gedächtniß setzten oft in Verwunderung. Einst erkannte es eine befreundete Person nach zweijähriger Abwesenheit wieder und nannte ihren Namen, während die ganze Hausgenossenheit denselben vergessen hatte. In der Schule lernte es schneller, als alle seine Mitschüler und besaß überhaupt für sein Alter ungewöhnliche Kenntnisse. Es hatte überdies ein treffliches Gemüth. – Unglaublich wäre es, wenn es nicht empirisch feststände, daß selbst an ganz gehirnlosen Geschöpfen noch Kräfte und Aeußerungen der Empfindung und des Begehrens, des Unwillens und des Widerstandes, und zwar sehr energische, bemerklich sind. H. E. selbst erzählt einen solchen Fall. Er beobachtete etwa 36 Stunden lang ein fehlerhaft geborenes Kind, dem die Schädeldecke und das ganze Gehirn bis auf das verlängerte Mark vollständig fehlten. „Und wie geberdete sich dieses Kind? – Wie alle Neugebornen. Schon während der Geburt sah [122] ich seine Gesichtszüge die gewöhnliche Unbehaglichkeit ausdrücken, seinen Mund die ersten Saugbewegungen machen. Während man es säuberte und kleidete, schrie es mit voller Stimme und zog Arme und Beine an. 3) – Auf der anderen Seite kommen Fälle von geistiger Dumpfheit und Seelenstörung vor, wo sich der ärztlichen Untersuchung nichts physisch Begründendes und Verursachendes präsentirt. Dies war z. B. bei einem eilfjährigen Knaben der Fall, der für sich hin brütete, keine Lust zum Lernen hatte, und seinem Leben durch den Strick ein Ende machte. „Die Leiche wurde amtlich geöffnet; es fand sich aber weder im Gehirn, noch in den übrigen Organen eine durch das anatomische Messer nachweisbare krankhafte Veränderung.“ 4) In vielen Fällen hat man das Gehirn der Blödsinnigen fester gefunden, als es sich im normalen Zustande zeigt, und Foderé hat sich dadurch veranlaßt gesehen, eine besondere Härte dieses Organes für die nächste Ursache des Cretinismus zu halten. Es sind aber auch Cretinen untersucht worden, deren Gehirn die entgegengesetzte Beschaffenheit zeigte und weicher, als im normalen Zustande, war. Auch was die Bildung des Schädels betrifft, werden Fälle so verschiedener und widersprechender Art gemeldet, [123] daß man dem gegenwärtigen Stande der Wissenschaft alle Erkenntniß darüber absprechen muß. „Eine Hauptvollkommenheit des Menschengehirns und hiedurch auch des Schädels,“ sagt Schubert, „besteht in der gleichmäßig symmetrischen Entwicklung nach der Richtung der beiden Seiten, und nach der von vorn nach hinten. Die unsymmetrische, regelwidrige Gestalt des Schädels wird auch sehr häufig mit angeborenem Blödsinn und Verrücktheit zusammen gefunden. Dennoch zeigte sich der Kopf des Lalande so unsymmetrisch, daß die rechte Seite auffallend höher war, als die linke, ohne daß man jemals an diesem berühmten Astronomen Spuren von Blödsinn oder Verrücktheit bemerkt hätte. Eine ähnliche, ganz unsymmetrische Ausbildung des Stirnknochens, und mithin der darunter gelegenen Vordertheile des Gehirnes zeigte sich an dem Haupte des berühmten Physiologen Bichat.“ 5) In [124] Maffei's und Rösch's bekanntem Werke über den Cretinismus finden sich folgende Bemerkungen: „Ich habe bei Cretinen gut geformte Schädel und Köpfe und im Gegentheile bei sehr verständigen, geistesklaren Menschen sehr verunstaltete Schädel gefunden.“ – „Einzeln finden sich an completen Cretinen schöne, und, so viel man sehen kann, normal gebildete Schädel.“ – „Die vollständigsten Cretinen können im Besitze eines seiner äußern Form nach tadellosen Körpers sein; der Halbcretine kann einen kleinen, verschrobenen Körper haben.“ – „Es gibt schöne und kräftige Cretinen, solche, die im athletisch gebauten Körper [125] nicht mehr Seelenkräfte beherbergen, als das ärmste, verzwergteste Geschöpf der Art „ und wiederum „können in dem von der stärksten Rachitis verschobenen und verschrobenen Körper die herrlichsten Geisteskräfte wohnen.“ Ein Cretin war ohne Verstand und Sprache, doch schön gebaut und mit großen körperlichen Kräften begabt. Ein Anderer erschien als ein stattlicher Mann, mit gut gebautem Schädelgewölbe, scharfem Auge, schöner Nasenbildung, herrlich gewölbter Brust, gerader Haltung, vortrefflicher Verdauung und unglaublicher Körperkraft. Dennoch war er im höchsten Grade dumm und stumpf, ohne Sprache und Verständniß einer solchen, und ohne Spur von Neigung zum andern Geschlecht; er wurde nur mit großer Mühe und Geduld zu einigen groben, mechanischen Dienstleistungen gebracht. 6) – Alles das gibt zu erkennen, daß wir über so dunkle Gegenstände gar kein Urtheil haben. Ob es künftig einmal gelingen mag, in diesen Theil der Wissenschaft das wünschenswerthe Licht zu bringen, bleibt dahingestellt; zur Zeit ist noch wenig Aussicht dazu vorhanden. Die Natur scheint uns keinen Einblick in diese Mysterien zu gestatten und gerade ihre interessantesten und unser eigenes, innerstes Wesen am speciellsten betreffenden [126] Geheimnisse hartnäckig und unerbittlich für sich behalten zu wollen.

 

„Geheimnißvoll am lichten Tag,

Läßt sich Natur des Schleiers nicht berauben;

Und was sie deinem Geist nicht offenbaren mag,

Das zwingst du ihr nicht ab mit Hebeln und mit Schrauben.“

 

Ebenso spricht sich in Beziehung auf den Bau, die Verrichtungen und Krankheiten des in allen diesen Beziehungen unerforschlichen Gehirnes Fantoni 7) aus: Cerebrum pars hominis est, cujus obscura adhuc structura, obscuriores morbi, obscurissimae functiones perpetim philosophorum atque medicorum torquebunt ingenia. So klagt ferner auch Fr. Batz in einem Aufsatze „zur pathologischen Anatomie des Cretinismus“ über die „Dunkelheit der Naturprocesse.“ 8) Holfrich 9) sagt: „Alle Versuche in der Structur, der Mischung und den physikalischen Zuständen der Gehirnerfahrung, den Schlüssel zu geistigen Erscheinungen zu finden, haben bis jetzt die Forschenden ohne näheren Aufschluß gelassen.“ Moleschott 10) bemerkt: „Der Bau des Gehirnes ist sehr zusammengesetzt und verwickelt, und wir sind kaum über eine geographische Eintheilung des [127] Gehirnes in benannte Bezirke hinaus.“ Carl Vogt 11) läßt sich, den Einwendungen gegenüber, die man seinem Materialismus macht, folgendermaßen vernehmen: „Man sagt mir, daß viele offenbare Narren und Wahnsinnige nach ihrem Tode keine Spur von irgend einer krankhaften Affection des Gehirnes zeigen; daß sich an Anderen zwar krankhafte Veränderungen entdecken lassen, die aber oft nicht im Gehirne, sondern in andern Theilen des Körpers, der Leber, den Eingeweiden etc. ihren Sitz haben. Das ist vollkommen wahr; es wäre Thorheit, solche Ergebnisse der pathologischen Anatomie bestreiten zu wollen.“ Nun meint zwar Vogt, man werde der Sache in Folge fortgesetzter Forschungen schon noch auf den Grund kommen, so daß seine Sätze bewiesen werden könnten; vor der Hand stehe es um die Untersuchung der Nervenmaterie und ihrer Wirkung allerdings noch jämmerlich; was aber auch ihn hindern sollte, so entschieden aufzutreten. „Wir wissen noch gar nicht,“ sagt er, „in welcherlei Weise die Nervenmaterie thätig ist; für unsere Beobachtung ist das Agens, welches die ganze Maschine des Organismus durchdringt, alle seine Bewegungen regelt, alle seine Empfindungen sammelt und offenbar in steter Bewegung und Circulation ist, die Ruhe und Stetigkeit selbst. Wir sehen keinerlei Art von Veränderung in den Nervenfasern, ob sie wirken, ob sie unthätig [128] sind. Von unseren Kenntnissen über die Hirnstructur ist gar Nichts zu reden; wir kennen äußere grobe Formen und selbst über die Elementarstructur wissen wir kaum Etwas. Kein Anatom weiß zu sagen, wie und wo die Nervenfasern im Gehirne enden. Unsere Bemühungen kommen mir vor, wie wenn man mit den Notizen, die man über die Geographie Central-Afrika's hat, eine Commission hingesetzt hätte, um die Flüsse, Bäche und Quellen daselbst den anliegenden Gutsbesitzern zuzuweisen, ihre Benützung zu regeln, Streitigkeiten zu schlichten. So wissen wir auch im Körper die Hauptströme, Nerven genannt, und ihre Richtung anzugeben, aber wie sie sich zusammensetzen, wo sie entspringen, welche Quellen sie aufnehmen, – Tohu Wabohu!“ Ein aufrichtiges Geständniß seiner Unwissenheit legt endlich H. E. selbst in dem schon oben citirten Buche 12) ab, indem er sagt: „es finde im Gehirne ein ungemein verwickelter Bau statt, den man trotz aller Bemühungen noch nicht bis auf den Kern durchforscht, über dessen verschiedenartige Bedeutung weder Vivisectionen, noch anatomische Untersuchungen durch die ganze Thierreihe und alle Entwicklungsstufen irgend einen genügenden Aufschluß verschafft und über dessen Wirkungsweise im Dienste des Bewußtseins bis jetzt auch kaum irgend ein Ausgangspunkt fernerer Untersuchungen gewonnen ist. [129] „Es ist ein Labyrinth, wozu der leitende Faden noch nicht gefunden ist. In seiner durchaus weichen Masse verbirgt das Gehirn einen höchst verwickelten Bau, in welchem es sehr schwer hält, sich zurecht zu finden, und von welchem man, nachdem man sich darin einigermaßen zurechtgefunden, auch gar Nichts versteht.“ Wenn sich nun H. E. im Gehirn zwar einigermaßen zurechtgefunden, gleichwohl aber von seinem Baue gar Nichts versteht, wie mag er denn thun, als verstünde er dennoch Etwas, und so dictatorisch über die specielle Natur und Wirkung eines Gehirnes urtheilen, das nicht einmal von ihm gesehen und untersucht worden ist! Daß Hauser mit seinem Gehirne Außerordentliches geleistet, das ist zu vielfach beobachtet und zu gut bezeugt, als daß es einem vernünftigen Zweifel und Widerspruch unterliegen könnte. War dieses Hirn ein von Natur und Wesen idiotisches, d. h. Schwachsinn und Geistesstumpfheit begründendes, so haben wir ein Wunder vor uns, das Physiologie und Logik über den Haufen wirft, und H. E., der uns aus dem Gebiete des Wunderbaren und Irrationalen in das des reinen, klaren, wissenschaftlichen Verstandes herausführen will, hat uns durch seine Theorie in jene Mystik erst recht hineingestoßen.

Was übrigens die Aerzte im Jahre 1833 bei Hauser's Leichenöffnung entdeckt haben, und wie sie sich namentlich über dessen Gehirn ausgesprochen, ist aus Heidenreich's Abhandlung: „Kaspar Hauser's Verwundung, [130] Krankheit und Leichenöffnung“, Berlin 1834, zu ersehen. Ich habe aus dieser Schrift im Anhange Nr. VII. einen Auszug gegeben und da auch in jener speciellen Beziehung das Nöthige ausgehoben. Es zeigte sich eine unvollkommene und unvollendete Entwicklung des Organes, die auf einen in den Kinderjahren eingetretenen Mangel geistiger Thätigkeit und Erregung zurückgeführt wurde und Hauser's Aussagen nur zu bestätigen schien. Daß nicht umgekehrt „die geistige Entwicklung durch mangelhafte Bildung des Organes gehemmt worden sei,“ erklärt Dr. Heidenreich ausdrücklich S. 33 seiner Schrift. Herr Eschricht, der sich bloß auf Heidenreich's Bericht und Darstellung berufen kann, hat daher auch die gewichtvolle Autorität der untersuchenden Aerzte und Augenzeugen gegen sich, die in dem Bau und der Beschaffenheit jenes Gehirnes nichts ursprünglich Fehlerhaftes und Idiotisches, sondern bloß die Spuren einer Unterbrechung naturgemäßer Bildung und Entwicklung in Folge langer Absperrung von Welt und Leben gefunden haben.

 

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1) Vergl. Rösch, Beobacht. über den Cret. Heft III. S. 48. Dr. Stahl, „über Ursache, Wesen u. s. w. des Cretinismus“ spricht von Beeinträchtigung der morphologischen Gesetze des Gehirnes und seiner Hüllen, wodurch folgerecht das bekannte Bild der Idioten, die ausgezeichnete Debilität der geistigen und körperlichen Organisation und das auffallende Zurückbleiben hinter der Norm des Menschlichen bedingt werde. S. Prager Vierteljahrschrift 1851 Bd, II. S. 1 ff. Das ist der Standpunkt, auf den sich auch H. E. stellt. Hiernach mußte jenes Ur- und Grundübel beseitigt werden; wie aber will man dem beitommen! 

2) American Journal of medical sciences, May 1829. Vergl. Friedreich, Magazin für Seelenkunde. 8. Heft. S. 77. 

3) Eschricht, „Das physische Leben,“ Berlin 1852. S. 283 f. 

4) Rösch, Beobachtungen über den Cretinismus. Heft II S. 86 f. 

5) Schubert, Geschichte der Seele, 1830. S. 790. Eine der merkwürdigsten Miß­gestalten mit ausgezeichneter Intelligenz und trefflichem Charakter stellte sich in dem verstorbenen Lehrer der Mathematik und Physik Prof. Müller zu Nürnberg, einem meiner ehemaligen Lehrer, dar, über welchen Blumröder in seinem Buche über das Irresein, Leipzig 1836, S. 320 ff. Nachrichten ertheilt. Hier auszüglich nur so viel. Er war ein überaus kleiner Mann mit ungeheuerem Kopfe, welcher Letztere eine so eigene Bildung hatte, daß M. den Hut der Quere nach aufzusetzen veranlaßt wurde. Man nehme dazu ein Löwengebiß, schwarze borstige und strup­pige Haare, hervorgetriebene glotzige Froschaugen, schwarzbraunen Teint, einen sehr kurzen Hals, eine nach allen Richtungen verkrümmte Rückenwirbelsäule, ein verschrumpftes, verschobenes Becken, einen zurückgezogenen, kaum sichtbaren Unterleib und Spinnenbeine, die unmittelbar aus dem Brustbuckel zu entspringen scheinen – und man hat eine ohngefähre Vorstellung von dieser im äußersten Grade barocken, wie durch Verwünschung oder dämonische Tücke entstellten Körper­form. In ihr wohnte jedoch nichts psychisch Entsprechendes, sondern im Gegentheil eine edle, hochbegabte Menschenseele, die ob des Schicksals, das ihr zu Theil geworden, nicht genug zu beklagen war. Der Arme wurde bei einem solchen Aeußern und bei seiner kindlichen Harmlosigkeit und Leichtgläubigkeit von den bösen Buben, die er zu unterrichten hatte, dermaßen mystificirt, geneckt und geärgert, daß er mehrmals in Wahnsinn verfiel. Er diktirte Jahr aus Jahr ein ohne alle Beihülfe aus dem Kopfe, und war im Stande, im Sprechen die kolossalsten Perioden zu bauen. Blumröder erzählt, wie er ihn einmal eine solche bilden hörte, die von halb zwölf bis zwölf Uhr dauerte. „Ich war ihm,“ sagt Bl., „mit der Aufmerksamkeit eines Schülers gefolgt, und erstaunte über die ungeheuere Consequenz des Zusammenhanges dieser Riesenperiode, einer gigantischen Fuge, die er mit dem Glockenschlage ganz regelmäßig schloß.“ 

6) S. das citirte Werk. Erlangen 1844 II. S. 37 ff. 64. 79. 127 ff. 189. Und über den ganzen Gegenstand: Seguin, Traitement moral hygiène et education des idiots. Paris 1846. Chap. XI. 

7) Observ. anat. p. 103. 

8) Rösch, Beobachtungen. 2. Heft. S. 77. 

9) Leben der Cretinen. Stuttgart 1850. S. 43. 

10) Kreislauf des Lebens. Mainz 1852. S. 383 f. 

11) Bilder aus dem Thierleben. Frankfurt a. M. 1852. S. 447 ff. 

12) Das physische Leben. Berlin 1852. S. 37. 294.