BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Kaspar Hauser

1812 - 1833

 

Georg Friedrich Daumer:

Enthüllungen über Kaspar Hauser

 

1859

 

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[196]

XVI.

 

Ueber die auf Ungarn hinweisenden Spuren und Hauser's Erinnerungen an ein Schloß, in welchem er sich in seiner Kindheit befunden haben muß.

 

H. verstand ungarische und polnische Wörter und Redensarten und behauptete, man habe ihn als Kind mit dem ungarischen Namen Istan (Stephan) genannt. Drei Ungarn hatten einmal nach Stanhope's Erzählung 1) eine Unterredung mit ihm und sprachen ihm ungarisch die Worte vor: Istan geht nach * * *.“ – Bei diesen Worten,“ berichtet Stanhope, „wurde H. nicht nur auf's Heftigste angegriffen, sondern erschüttert, und sagte mit Bewegungen, die alle andern übertrafen, welche man sonst an ihm bemerkt hatte: „Ja, ja, das ist es, was ich so lange gesucht habe“ u. s. w. Das Alles soll bloße Gaukelei gewesen sein. Der Oberlieutenant Hickel wurde auf Stanhope's Anstiften nach Ungarn [197] geschickt, um die Sache zu untersuchen; es kam Nichts heraus. „Diese Untersuchung,“ sagt der Graf in einem an Hickel gerichteten Aufsatze, „welche Sie mit einer Genauigkeit und Geschicklichkeit führten, die nicht genug zu loben war, lieferte die ganz gültigen, gründlichen Beweise, daß, wie der Präsident v. Feuerbach selbst sagte, in Ungarn gar Nichts für Hauser zu suchen oder zu hoffen sei. Ihr Bericht zeigte, daß alle die anscheinenden Rück­erinnerungen Hauser's Nichts, als Irrwische waren. Das Schloß, dessen Namen er so lange gesucht hatte, mußte ihm ganz fremd gewesen sein“ u. s. w.

Kluge Leute werden um so geneigter sein, an jene Erinnerungen zu glauben, je eifriger sich Stanhope zeigt, diesen Glauben zu zerstören. Weßhalb die nach Ungarn gerichteten Untersuchungen ein so negatives Resultat geliefert, ist leicht einzusehen und bedarf keiner besonderen Auseinandersetzung. So viel ist gewiß, daß ein Theil der Lebensgeschichte Hauser's in jene Gegend fällt, und daß er mit vornehm eingerichteten Schlössern und Palästen besser bekannt war, als der Idiot und das Pflegekind eines blutarmen Mannes, wozu ihn Herr Eschricht macht, oder ein gemeiner Betrüger, Gauner und Vagabund, etwa ein seiner Bande entlaufener englischer Reiter, wie Merker gemeint hat, zu sein vermochte. So hatte er im Jahre 1828 einen Traum, über den er späterhin auf Feuerbach's Veranlassung Folgendes niederschrieb. [198]

„Es kam mir vor, als sei ich in einem sehr großen, großen Hause. Da schlief ich in einem sehr kleinen Bette. Als ich aufstand, kleidete mich ein Frauenzimmer an. Nachdem ich angekleidet war, führte sie mich in ein anderes großes Zimmer, worin Kaffeetassen, Schüsseln und Teller waren, die wie Silber aussahen. Von diesem Zimmer aus führte sie mich in ein größeres Zimmer, in welchem sehr viele und sehr schön gebundene Bücher standen. Von diesem Zimmer aus führte sie mich einen langen Gang vor und über eine Treppe hinab. Nachdem wir die Treppe hinuntergegangen waren, gingen wir im Innern des Gebändes einen Gang herum, an dessen Wand Portraits hingen. Aus den Bogen dieses Ganges konnte man in den Hof hinaussehen. Ehe wir den Gang ganz umgangen hatten, führte sie mich zu einem, mitten im Hofe befindlichen Springbrunnen hin, an welchem ich eine sehr große Freude hatte. Von da führte sie mich wieder zu demselben Bogen, durch welchen wir zum Springbrunnen herausgegangen waren, hin, und dann kehrten wir auf dem Bogengange denselben Weg wieder zurück bis zur Treppe. Als wir zur Treppe kamen, sah ich ein Bildniß stehen, welches in Ritterkleidung ausgeschnitten oder ausgehauen war. Das Bildniß hatte auch ein Schwerdt an der linken Hand. Oben am Handgriff war ein Löwenkopf angebracht. Dieser Ritter stand auf einer viereckigen Säule, welche mit der Treppe verbunden [199] und angemacht ist. Nachdem ich den Ritter eine Zeitlang angesehen hatte, führte mich das Frauenzimmer die Treppe hinauf, den langen Gang vor und wollte mit mir zu einer Thür hineingehen. Diese Thür war aber verschlossen. Sie klopfte an, allein man machte nicht auf. Darauf ging sie mit mir schnell zu einer andern Thüre, und während sie dieselbe öffnen wollte, erwachte ich.“ 2)

Hiezu macht Feuerbach in seinem für die Königin Karoline von Bayern aufgesetzten Memoire 3) folgende Bemerkungen. „Das Haus in diesem Traume ist offenbar ein Schloß, ein Palast, der nach seiner äußeren Beschaffenheit und innern Eintheilung so genau beschrieben ist, daß ein Baukünstler einen Riß danach entwerfen könnte. In der Reihe der Zimmer, die Hauser beschreibt, ist besonders das Bibliothekzimmer und das mit den Silberschränken bemerkenswerth, welches letztere entweder eine Silberkammer oder ein fürstliches Tafelzimmer mit Büffets sein soll. Alles dergleichen hatte Hauser, als er dieses träumte, nirgend in Nürnberg zu sehen Gelegenheit gehabt. Träume aber erfinden und schaffen Nichts, sie bilden und verarbeiten nur Stoffe, die sie von Außen [200] empfangen haben. Das Schloß mit diesen Zimmern existirt daher gewiß irgendwo.“

Feuerbach suchte es in Deutschland und im Bereiche deutschen Fürstenthumes. Es ist viel wahrscheinlicher, daß es sich in England oder in Ungarn befinde und in die höchsten und reichsten aristokratischen Kreise dieser Länder falle. Meine nähere Ansicht darüber werde ich in dem nächstfolgenden Kapitel zu erkennen geben.

 

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1) Materialien S. 27. 

2) Die Angaben, die Hauser über diese Traumbilder mir gemacht, sind im Anhange Nr. III. zu finden. 

3) S. das Buch: „Anselm Ritter v. Feuerbach's Leben und Wirken.“ Leipz. 1852. II. S. 323 f.