BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Kaspar Hauser

1812 - 1833

 

Georg Friedrich Daumer:

Enthüllungen über Kaspar Hauser

 

1859

 

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[244]

II.

Auszug

aus einigen Briefen des Herrn v. Tucher

an Feuerbach und Stanhope.

 

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Herr v. Tucher an Herrn v. Feuerbach in Ansbach.

 

Nürnberg, den 12. Nov. 1831.

 

Ew. Exellenz

wage ich mit einem Briefe zu beschweren, vielleicht gar zu stören. Die Sache aber, welche seit mehreren Wochen mich ganz erfüllt, ist zu wichtig, als daß ich es nicht selbst darauf ankommen lassen wollte, Ihren Unwillen rege zu machen. Ich halte es nämlich zu sehr für meine Verbindlichkeit, Sie von Allem in Kenntniß zu setzen, was ich in der Hauserischen Sache thue, besonders wenn es einen so wichtigen Schritt betrifft, zu dem mich meine Ehre, [245] meine Pflicht und selbst auch das warme herzliche Interesse für meinen unglücklichen Curanden gezwungen hat.

Meine Klagen über die ganz unsinnige und unvernünftige Verfahrungsweise des herzensguten Grafen Stanhope haben in solchem Maße zugenommen, daß ich es nun für nöthig hielt, einen entscheidenden Schritt zu thun – wie dies aber zu vollführen, ohne den guten Mann zu kränken, ohne ihn etwa gar zum Rücktritt oder doch vielleicht zur Verminderung seiner Theilnahme zu veranlassen, war eine schwierige Aufgabe; ich habe sie in dem abschriftlich anliegenden Briefe zu lösen versucht. Die Motive zu diesem Schritte sind darin selbst ausführlich auseinandergesetzt, ich kann mich also darauf beschränken, Sie zu bitten, ihn zu lesen. Wenn Kaspar nicht mit schnellen Schritten einem ganz unwiederbringlichen Verderben entgegengeführt werden sollte, mußte ich handeln; denn mir als Vormund liegt eine schwere Verantwortlichkeit auf, in welcher zu bestehen, ich als rechtlicher Mann wünschen muß. Alle meine Vorstellungen an den Grafen, eine vernünftigere Behandlungsweise des Jungen einzuschlagen, prallten an der absoluten Gutmüthigkeit des Mannes ab; jeder Versuch, mit vernünftigen Gründen meinen Bitten Eingang zu schaffen, scheiterten an der Beschränktheit des Mannes. 1) Nun ist es wirklich eingetreten, [246] was ich stets befürchtet habe: alle Liebe, alles Vertrauen des Knaben zu mir ist verschwunden, da ich ihm eine solche Anerkennung, wie er sie beim Grafen gefunden, niemals zu Theil werden ließ, noch auch lassen werde – er betrachtet darum mich und meine ganze Familie als seine Verfolger, seine Unterdrücker und Quäler; denn er vergißt nicht, was er durch den Grafen erfahren, daß er ein selbstständiger, freier Mann, von reicher, wahrscheinlich auch hoher Abkunft sei, daß er des Grafen vollstes Vertrauen, wie man es nur einem erwachsenen und gebildeten Manne schenken kann, genossen habe und deßhalb auch verdiene; daß er, was ihm früher niemals kund geworden, nun durch den Grafen mitgetheilt erhielt, was und auf welche Weise man zu seinem Besten Schritte thue; was der Graf mit dem H. Präsidenten in Ansbach ausgemacht; wie das Werk, das der H. Präsident schreiben, in einem sehr guten, klaren Styl abgefaßt sei 2) u. dergl. – Wie dieses Gift aus seiner Seele geschafft werden soll, sehe ich nicht ein, überhaupt aber nicht, wie und was ich noch auf den Knaben selbst bei solchem Einflusse wirken soll. Darum je eher je lieber mich ganz zurückziehen zu können, wäre mein herzlichster Wunsch. – Wie sehr mir die Entdeckung des Verbrechers, [247] der Herkunft Hauser's u. dergl. stets am Herzen gelegen, habe ich gewiß genugsam bewiesen; höher noch aber, als das, steht mir das moralische Wohl des Jungen. Auf diesem Wege geht er zu Grunde, er mag ein Prinz oder ein incestuosus sein.“ u. s. w.

 

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Herr v. Tucher an den Grafen Stanhope.

 

Nürnberg, den 11. Nov. 1831.

 

Hochzuverehrender Herr und Freund!

Mit dem wärmsten, innigsten Danke habe ich die viele Güte, die vielen Beweise Ihres Wohlwollens, mit welchem Sie mich in den wenigen Monaten, die Sie hier zubrachten, wahrhaft überschüttet haben, anerkannt; aus dem tiefsten Grunde meiner Seele habe ich die ungeheuchelte und wahrhaftige Verehrung gegen Sie an den Tag zu legen, zu welcher mich die Anerkenntniß Ihrer großen, unendlichen Herzensgüte, Ihres seltenen Edelmuthes zwingt. Aus diesen echten Gesinnungen der Dankbarkeit und der Verehrung entspringt mir auch noch eine dritte Pflicht, die des Vertrauens – eine Pflicht, zu der Sie mich so oft und zu wiederholten Malen aufgefordert haben, und deren Erfüllung ganz gewiß auch von Ihrer Seite das Gleiche, wenigstens aber das Zutrauen erzeugen wird, daß ich es [248] wahrhaft redlich meine, und durch Nichts in der Welt an dem Festhalten an meiner Ueberzeugung abgebracht werden kann, als durch die Ueberführung von meinem Unrecht.

In solcher Gesinnung trete ich nun vor Ihnen, edler Mann, geraden und offenen Sinnes auf, und hege die bestimmte Zuversicht, Sie werden meinen Worten geneigtes Gehör schenken.

Kaspar ist nicht der, wofür Sie ihn zu halten scheinen. Kaspar ist ein Kind, das seinem ganzen Wesen nach, in moralischer Hinsicht, so wie in der seiner geistigen Entwicklung, auf der Stufe eines 10– 12 jährigen Menschen steht. Wenn er dessenungeachtet in manchen Dingen und nach gewissen Richtungen hin eine Entwicklung seines Charakters zeigt, die man nur am erwachsenen Manne zu sehen gewohnt ist, so gehört dies allerdings zu dem vielen Unbegreiflichen und Räthselhaften, das mit seinem ganzen Wesen verknüpft ist. Doch aber ist er noch ganz Kind – ein Kind, das eben um dieses sonderbaren Wesens willen, die größte Aufmerksamkeit, die höchste Sorgfalt in der Behandlung verdient und erfahren muß, wenn das wunderbare Geschöpf nicht dem bodenlosen Verderben unaufhaltsam entgegen gehen soll.

Ihre große, seltene Herzensgüte mußte sich von den Aeußerungen seines kindlichen Wesens angezogen fühlen, wegen seiner besonderen Eigenschaften ihn auch Ihres ganzen Vertrauens würdig erachten. [249]

Ohne mir irgend ein Verdienst daraus machen zu wollen, da ich zu der Behandlungsweise, die ich eingeschlagen habe, mehr durch ein unmittelbares Gefühl, als durch ein verständiges Erkennen veranlaßt worden bin, kann ich mich mit gutem Gewissen rühmen, daß diese Art der Behandlung die einzig richtige ist, indem ich außer jener fatalen Geschichte, von der ich Ihnen Mittheilung machte, während dieser 1 1/2 Jahre auch kaum ein einzigesmal ernstere Veranlassung gehabt habe, über ihn unwillig zu sein, während er – ich sage es mit blutendem Herzen und mit aller Zaghaftigkeit, die mir Liebe und Verehrung gegen Sie, vortrefflicher Mann, auflegt – seit Ihrem letzten Aufenthalte dahier wie umgewandelt und verkehrt ist.

Ich bin von Nichts weiter entfernt, als Ihnen hiemit einen Vorwurf irgend einer Art machen zu wollen – ich bitte Sie inständigst, hierin auch nicht einen solchen finden zu wollen. Sie sind ja hiebei ganz außer aller Schuld – wie konnten Sie auch dieses wunderbare Zwitterding kennen lernen, da ihn ja Alles dazu zwang, in Ihren Augen nur in dem besten Lichte zu erscheinen? Und wie verzeihlich ist das nicht auch selbst von seiner Seite? So wenig ich Ihnen darum auch nur die kleinste Schuld beimessen möchte, so wenig kann ich auch nur einen leichten Vorwurf gegen Kaspar hegen.

Einen Vorwurf, einen recht großen Vorwurf sehe ich [250] aber gegen mich entstehen, wenn ich noch länger säumen sollte, Ihnen meine Erfahrungen, meine Kenntnisse des Knaben mitzutheilen; dies nun zu thun, ist der Zweck dieses Briefes.

Ich bin sein Vormund, vom Gerichte darauf verpflichtet, sein Bestes zu wahren; ich und nur ich habe die Verantwortlichkeit, wenn ich schweige; darum muß ich reden. Sie werden mich zuvörderst fragen, was es denn sei, wodurch er so umgekehrt und verwandelt worden ist? Die Beantwortung dieser Frage enthält denn auch die, worin denn diese Umkehrung selbst bestehe?

Durch jene besondere Eigenschaften sind Sie verführt worden, ihn zu Ihrem Freund und damit zu einem Manne zu machen. Sie haben ihm ein Vertrauen gezeigt, wie man es nur einem verständig gebildeten und entwickelten Manne schenken kann. Sie haben ohne irgend einen Rückhalt über seine Verhältnisse in Bezug auf die Entwicklung seines Schicksals, in Bezug auf das mit ihm gesprochen, was zu diesem Zwecke unternommen werden sollte – mit einem Worte, Sie haben das Kind, in seiner Vorstellung natürlich, auf die Stufe des Mannes gestellt. Was ist die Folge davon? Der Knabe fühlt sich nun unendlich un­glücklich, gedrückt, verfolgt, mißkannt; wie sollte auch die Behand­lungsweise, die ich ihm vernünftigerweise angedeihen lassen kann, nämlich die als Kind, ihm, der in seiner Einbildung ein verständiger Mann, [251] nicht als das unerhörteste Unrecht erscheinen? Der Herr Graf haben alle und jede leisen Wünsche seines Herzens auf so freigebige und edelmüthige Weise befriedigt, daß er nun, da dies von meiner Seite unmöglich ist, die Ursache hievon nur in dem Mangel wahrer Liebe zu erkennen glaubt, oder, was noch ärger ist, gar in der Absicht, ihm seine gerechten Wünsche, aus Gott weiß was für Gründen, nicht zu befriedigen. Der Herr Graf haben ihm ein Geschenk von 100 fl. gemacht, eine Summe, welche ein Kind nicht in den Händen behalten kann. Ich habe sie ihm, wiewohl mit der bestimmten Zusicherung abgenommen, ihm Alles dafür nach seinen Wünschen anschaffen zu wollen, was nur nützlich und zweckmäßig ist – er hat die ganze Nacht durch geweint und fühlt sich nun unendlich verlassen und freundlos ohne Sie. Er benahm sich die ganze letzte Zeit her, lange schon, ehe Sie von hier abreisten, trotz aller Beweise von Freundlichkeit und Liebe, kalt, lieblos, unfreundlich, lügenhaft fast bei jedem dritten Wort – wie kann er nun auch noch Vertrauen zu den Leuten haben, die ihn seiner Meinung nach so sehr verkennen, seinem Wer[t]h so geringe Achtung zollen, der doch bei dem Herrn Grafen so volle Anerkennung gefunden hat!

Meine Mutter, eine hocherfahrene, verständige, und gewiß in hohem Grade liebevolle Frau, wird nun auch durch dieses Benehmen alles Zutrauen und Wohlwollen, [252] das sie ihm früher in so reichem Maße geschenkt, verlieren; denn sie hat sich mit aller Bestimmtheit überzeugt, daß sich auf diesem Wege das früher bestandene Verhältniß nicht mehr wiederherstellen ließe. Sein getreues Gedächtniß wird ihm Nichts vergessen machen, seine Eitelkeit alles Erfahrene mit den schönsten Farben ausmalen. Dieses Grundübel erkennend, und voraussehend, welche Aeußerungen in der Folgezeit dieses haben werde, hat sie sich bestimmt erklärt, ihn nächsten Winter um keinen Preis mehr in ihr Haus aufnehmen zu wollen, so daß ich wirklich für diesen Fall in große Verlegenheit gesetzt wäre, da meine Winterwohnung zu klein ist, um ihn bei mir aufzunehmen.

Ich selbst, der ich ihm nur Liebe, nur die wohlmeinendste Sorgfalt bewiesen und zu wiederholten Malen in der letzten Zeit gegen ihn ausgesprochen habe, und das um so mehr, da ich eben die Entfremdung bemerkte und deßhalb Alles aufbot, dieselbe zu vermindern oder ganz aufzuheben – habe alles Vertrauen bei ihm verloren, was sich, um nur ein Beispiel anzuführen, auch darin äußerte, daß er mir noch niemals, auch mit keinem Worte, Mittheilungen über das gemacht hat, was Sie mit ihm besprochen haben, wozu Sie z. B. wegen der Bilder u. dergl. Aufträge ertheilt haben. Natürlich! Er ist ja nun in seiner Einbildung ein ganz anderer Mensch, als der unter meiner Leitung und Aufsicht stand. [253]

Die reiflichste, besonnenste Ueberlegung führt mich nun dazu, Ihnen folgende Vorschläge zu machen:

Entweder Sie haben die Güte, den Knaben ganz zu übernehmen und mich dann meiner Vormundspflicht und meiner mir deßhalb auf­liegenden Verantwortlichkeit zu entheben –

oder Sie haben die Güte, einen jährlichen Beitrag auszusetzen, der mich in den Stand setzt, ihn einem verständigen, gebildeten Manne ganz ausschließend zur Erziehung und Ausbildung zu übergeben –

oder endlich Sie haben die Güte, während dem Verlaufe von we­nigstens ein paar Jahren aller und jeder Communication schriftlich wie mündlich zu entsagen, für welchen Fall ich mich gerne ver­pflichten will, Ihnen stets ununterbrochen Berichte über Kaspar's Befinden, Thun und Treiben abzustatten.

Nur auf einem dieser Wege kann ich zur vollen Beruhigung gelangen und glaube der Rechenschaft, die man von mir, die Kaspar selbst von mir, wenn er erwachsen sein wird, fordern kann, begegnen zu können.

Ich habe nun ganz offen und im vollsten Vertrauen auf Ihre übergroße Herzensgüte, auf Ihre hohen Einsichten, auf Ihren Edelmuth gesprochen – schenken Sie mir auch das Vertrauen von Ihrer Seite, daß ich nach meiner besten Ueberzeugung, nach reiflicher Erwägung aller Umstände gesprochen habe, von welcher ich nicht abgehen [254] kann, wenn man mir nicht den Beweis meines Unrechtes liefert, von welcher mich selbst der Gedanke nicht abbringen kann, Ihr edles Herz durch diese Sprache verwundet zu haben.

Ich wiederhole es nochmals, mein ganzes Herz, mein Verstand spricht Sie frei von aller Schuld. Sie folgten ja nur dem Triebe eines edlen, vortrefflichen Herzens, wofür die göttliche Vorsehung Ihnen reichlich lohnen wird. 3) Vor Allem aber beschwöre ich Sie, um Ihrer Liebe zu dem Knaben willen, lassen Sie Ihr Wohlwollen, Ihre Güte gegen denselben durch das Gesagte nicht vermindern, bleiben Sie nichts desto weniger ein treuer, liebevoller Vater eines jetzt nur irregeleiteten Kindes. ,

Endlich erhalten Sie auch mir Ihre gütige Zuneigung und Ihr Vertrauen und seien Sie überzeugt, daß ich niemals aufhören werde“ u. s. w. [255]

 

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Herr v. Tucher an Herrn v. Feuerbach in Ansbach.

 

Nürnberg, den 18. Nov. 1831.

 

Ew. Exellenz!

Daß Herr Graf Stanhope in solchem Maße sich unvernünftig gebärden könnte, habe ich mir freilich nicht gedacht. Was ich nach reiflicher Ueberlegung als besonnener Mensch geschrieben habe, finde ich mich nicht im Geringsten veranlaßt, zurückzunehmen. Wenn Ihnen und Herrn Appellationsrath Schumann die Fassung meines Briefes zu hart und schroff erschien, so bitte ich geneigtest berücksichtigen zu wollen, daß Alles das, was ich dem Herrn Grafen geschrieben habe, ihm zu wiederholtenmalen mündlich von mir vorgetragen worden ist, – es war Alles umsonst; ebenso umsonst wäre es gewesen, wenn ich ihm in demselben Tone geschrieben hätte, als ich gesprochen habe. Wie wenig meine mündlichen Vorstellungen bei ihm Eingang gefunden, beweist seine Verwunderung, daß sich der Grund zu meinem Briefe in den 4 ersten Tagen nach seiner Abreise ergeben haben sollte. Ich mußte also mit aller persönlichen Achtung und Verehrung, jedoch wahr und deutlich und durch Stellung von Alternativen bestimmt hervor­treten.

Zu meiner großen Genugthuung hat gestern Herr [256] Markt­vorsteher Merkel mir nicht allein vollkommen beigepflichtet, sondern auch des Herrn Grafen ganzes Benehmen als in hohem Grade zweckwidrig und verderblich geschildert und versichert, daß er, ohne noch Etwas von mir über die Sache gewußt zu haben, sich vorgenommen habe, mit dem Herrn Grafen darüber zu sprechen, und es auch gethan haben würde, wenn nicht Kaspar selbst dabei zugegen gewesen wäre. Der Herr Graf hat auf Merkel als einen sehr verständigen, einsichtsvollen Mann provocirt. Ich bitte Sie, ihm diese gegen Herrn A.-G.-Rth. Schumann gemachte Aeußerung mitzutheilen, wie auch, daß meine Mutter, welche der Herr Graf als eine verständige und erfahrene Frau hochachtet, mit Allem, was ich von Anfang an gethan, gesprochen und geschrieben habe, unbedingt einverstanden ist.

Nun zur Sache selbst.

Da sich das ganze Verhältnis auf ganz unvorhergesehene Weise tournirt und der Herr Graf auf's Bestimmteste erklärt hat, um keinen Preis eine meiner Bedingungen erfüllen zu wollen, am wenigsten aber die letzte, und da das Beharren von meiner Seite hierauf, nothwen­digerweise den gänzlichen Bruch mit ihm herbeiführen müßte, so wäre es widersinnig von mir, nicht Alles thun zu wollen, was in meinen Kräften steht. Es wäre ebenso gewissenlos von mir, da der Graf Kasparn nicht zu sich nehmen will, diesen nun von mir zu stoßen. Lieber [257] will ich Alles mit Geduld ertragen und auszugleichen suchen, was sich ausgleichen läßt.

Die liebevollste, schonendste Behandlung, die er im Ganzen auch bisher stets erhielt, wird hoffentlich dazu beitragen, ihn zu keinem Heuchler, gegen mich wenigstens, zu machen – und so will ich denn mehr Gutes von der Zukunft hoffen, als mich die Einsicht der Sache erwarten läßt.

Nun ergeht meine angelegentliche Bitte an Ew. Excellenz; es möchten Hochdieselben in Form einer Bitte, dem Herrn Grafen den Wunsch vortragen, Nichts weiter mehr mit Kaspar zu reden oder ihm zu schreiben, was Bezug hat auf seine Herkunft, auf die Vorkehrungen, die seinetwegen getroffen werden oder verabredet sind, überhaupt Nichts, was ihn über seine Stellung als Kind hinaushebt. Bei der außerordentlichen Verehrung, die Herr Graf vor Ew. Excellenz hat, wird es Hochdenselben nicht schwer fallen, Ihren Worten Eingang zu verschaffen.

Ich kann meinen Brief nicht schließen, ohne noch eine Bemerkung zu wagen. Wir hätten nicht nöthig, irgend eine Rücksicht mehr auf den Grafen zu nehmen, und Kasparn den nachtheiligen und verderb­lichen Einflüssen desselben Preis zu geben, so wie auch, irgend eine Sorge um dessen künftige Existenz zu haben, wenn die Verhältnisse es nur einigermaßen gestatteten, den früher gefaßten Plan Ew. Excellenz, den einer öffentlichen Sammlung zu verfolgen. Doch das mag von Umständen abhängen, [258] die außer meiner Beurtheilung liegen; ich unterwerfe mich deßhalb unbedingt, wie ich es stets gethan habe und immerfort thun werde, dem reiferen Ermessen Ew. Excellenz. Ein Kapital von 5000 fl. würde mit einer Leibrente von nur 6 Proc. Kaspar's Existenz sichern. Freilich nur dann, wenn Kaspar bliebe, wie er bisher gewesen ist – denn auch hierin hat des Grafen Affenliebe unendlich viel verdorben, indem er ihm nichts, auch nicht den leisesten Wunsch zu befriedigen versagte, und deßhalb ihn jetzt schon Bedürfnisse aller Art kennen lehrte. Wie nachtheilig des Grafen unverständige Liebe auch physisch gewirkt hat, beweißt, daß Kaspar die ganze Zeit, seitdem der Graf fort ist, sehr bedeutend an den Folgen eines überladenen und verdorbenen Magens krank gewesen ist, erst gestern zum Erstenmale ausging und, wie Herr A.-G.-R. Schumann bestätigen wird, äußerst übel aussieht.“ u. s. w.

 

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Herr v. Tucher an den Grafen Stanhope.

 

(Ohne Datum.)

 

Hochverehrter Herr Graf!

Von Herrn Appellationsrath Schumann habe ich erfahren, wie sehr Sie sich durch meinen Brief vom 11. d. Mts. gekränkt und beleidigt gefunden haben. Das thut mir vom Grunde meiner Seele leid, und Gott weiß [259] es, wie weit meine Absicht hievon entfernt war, und wie sehr ich mich verpflichtet fühlte, Ihnen nur mein vollstes Vertrauen zu zeigen.

Belieben der Herr Graf sich zu erinnern, daß Ihnen Alles das, was ich in diesem Briefe schrieb, zu wiederholten Malen mündlich vorge­tragen worden ist. Da es mir dessenungeachtet nicht schien, als ob ich im Stande gewesen wäre, Sie von meiner Ansicht zu überzeugen, hielt ich es für Pflicht, Ihnen noch einmal und mit größerer Bestimmtheit meine Ansicht zur Prüfung vorzulegen, indem ich hoffte, Sie würden mich gewiß meines etwaigen Unrechtes durch Gegengründe über­weisen.

Ich machte dieserhalb nichts als Vorschläge, keine Bedin­gungen, die zu stellen nicht in meiner Absicht lagen, und bin recht gerne bereit, Gegenvorschläge zu hören, die ich, wie ich es Ihnen betheuere, mit der ruhigsten Besonnenheit in Erwägung ziehen werde. Vor Allem aber wiederhole ich, daß ich von meiner Ueberzeugung durch den Beweis meines Unrechtes leicht abgebracht werden kann, und schon aus Liebe für den armen Jungen, dessen moralisches Wohl mir gefährdet schien, eine solche Ueberführung mit größtem Vergnügen annehmen werde. Seien Sie überzeugt, daß ich niemals aufhören werde“ etc. etc..

Ich weiß nicht, ob dieser Brief an St. gelangt ist. Er war einem Briefe an Feuerbach vom 19. Nov. 1831 beigegeben, der mit den Worten schloß: [260]

„Ich lege diesen Brief in Ew. Exeellenz Hände; halten Sie es für zweckmäßig, ihn dem Grafen zu übergeben, so nehme ich mir die Freiheit, Sie darum ganz gehorsamst zu ersuchen.

Und somit hoffe ich die Sache für ganz abgemacht halten zu können. Fruchtet dieser Brief nichts, so muß ich mich aus den in meiner vorigen Erklärung abgegebenen Gründen fügen. Ich will gewissenhaft das Meinige thun, Gott wird mich stärken, u. s. w.

NB. Wünschen Ew. Excellenz sich mit mir mündlich zu benehmen, so bin ich eines Winks gewärtig und werde augenblicklich nach A. abreisen.“

 

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1) Ich glaube weder an die Gutmüthigkeit, noch an die Beschränktheit dieser räthselhaften Person. 

2) Dieses Werk wurde späterhin nach Feuerbach's und Hauser's Tode, von dem Grafen auf das Feindseligste angegriffen. Wie kam es, daß er seine Meinung darüber so völlig änderte? 

3) Welch einem Triebe folgte wohl der Graf nachher, als er seinen ehemaligen Schützling so grausam und unablässig vor aller Welt zu beschimpfen und zu zertreten beflissen war?