BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Kaspar Hauser

1812 - 1833

 

Texte von Kaspar Hauser

 

Über Kaspar Hausers Leben.

Von ihm selbst geschrieben

1829

 

Quelle:

Graf Stanhope: Materialien zur Geschichte Kaspar Hausers

Heidelberg: Akademische Buchhandlung J. C. B. Mohr 1835

Faksimile: Google

 

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Über

 

Kaspar Hausers Leben.

 

Von ihm selbst geschrieben.

 

Dem

Grafen Stanhope

mitgetheilt von dem

Präsidenten von Feuerbach.

 

Getreu nach der Urschrift abgedruckt.

 

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Das Gefängniß, in dem ich bis zu meiner Befreiung leben mußte, war ohngefähr sechs bis sieben Schuh lang, vier breit und fünf hoch. Der Boden schien mir festgestampfte Erde zu seyn, an der Vorderseite waren zwei kleine Fenster mit Holz verschlichtet, welches ganz schwarz aussah. Auf dem Boden war Stroh gelegt, worauf ich zu sitzen und zu schlafen pflegte. Meine Füße waren von den Knieen an mit einer Decke bedeckt. Ueber meinem Lager auf der linken Seite war im Erdboden ein Loch, worin ein Topf angebracht war; es war auch ein Deckel darüber, den ich wegschieben mußte und immer wieder darüber deckte. Die Kleider, die ich in dem Gefängnisse getragen habe, waren ein Hemd, kurze Hosen, in denen aber das Hintertheil fehlte, daß ich meine Nothdurft verrichten konnte, weil ich die Hosen nicht ausziehen konnte. Die Hosenträger hatte ich auf dem bloßen Leib. Das Hemd war darüber. Meine Nahrungsmittel waren nichts anderes als Wasser und Brod; [8] an Wasser hatte ich zuweilen Mangel; Brod war immer genug da, ich aß wenig Brod, weil ich keine Bewegung hatte; ich konnte ja nicht gehen und wußte nicht, daß ich aufstehen könnte, weil mir das Gehen niemand gelehrt hatte; es ist mir nie der Gedanke gekommen, aufstehen zu wollen. Ich hatte zwei hölzerne Pferde und einen Hund, mit denen ich mich immer unterhalten habe; ich hatte Bänder von roth und blauer Farbe, damit putzte ich die Pferde und den Hund, aber manchmal fielen sie herunter, weil ich sie nicht binden konnte. Wenn ich erwachte, lag das Stück Brod neben mir und ein Krüglein Wasser. Zuerst griff ich nach dem Wasser, um meinen Durst zu stillen, dann aß ich Brod, hierauf nahm ich die Pferde und putzte sie eine Zeitlang, dann nahm ich den Hund; war ich mit diesem fertig, so trank ich das übrige Wasser aus und nahm nochmal die zwei Pferde, that wieder alle Bänder herunter und putzte sie von neuem und machte eine Zeit lang so fort. Dann aß ich Brod, ich wollte auch trinken, aber es war kein Wasser mehr darin, da nahm ich den Hund, und wollte ihn putzen, wie die Pferde, aber ich konnte ihn nicht mehr fertig bringen, weil mein Mund zu trocken wurde, ich nahm sehr oft das Krüglein in die Hand und hielt es lange an den Mund, aber es gieng niemals Wasser heraus, ich stellte es immer wieder hin und wartete eine Zeitlang, ob nicht bald ein Wasser kommt, weil ich nicht wußte, daß mir das Wasser und Brod gebracht werden mußte; ich hatte ja keinen Begriff, daß außer mir noch Jemand seyn könnte. Ich habe nie einen Menschen gesehen, auch niemals einen gehört; wenn ich eine Zeitlang gewartet habe und es ist kein Wasser gekommen, dann legte ich mich rückwärts und schlief ein. Ich erwachte wieder, da ist mein erstes gewesen, nach dem Wasser zu langen, und so oft ich erwachte, war ein Wasser in dem Krüglein und auch ein Brod da. Das Wasser trank ich beinahe immer aus, dann war mir sehr wohl, ich [9] nahm die Pferde und machte es gerade wieder so, wie ich's schon erzählte. Gewöhnlich fand ich das Wasser recht gut, aber manchmal war es nicht so gut, und wenn ich getrunken hatte, verlor ich alle Munterkeit, aß nicht mehr und spielte auch nicht, sondern schlief ein. Wenn ich erwachte, war's einmal so hell als das anderemal; ich habe niemals eine Tageshelle gesehen, als in der ich jetzt lebe.

 

 

Als das erstemal der Mann zu mir hereinkam, stellte er einen ganz niedrigen Stuhl vor mich hin, legte ein Stück Papier und einen Bleistift darauf, dann nahm er meine Hand, gab mir den Bleistift in die Hand, drückte mir die Finger zusammen und schrieb mir etwas vor. Das that er recht oft, bis ich's nachmachen konnte. Dieses zeigte er mir sieben bis achtmal; es gefiel mir sehr wohl, weil es schwarz und weiß aussah; er ließ meine Hand frei, ließ mich allein schreiben, ich schrieb fort und machte es gerade wie er's mir vorgezeigt hatte, und wiederholte dieses öfter. Wenn der Mann meine Hand losließ, machte ich mir gar nichts daraus und schrieb fort, mir kam kein Gedanke, warum meine Hand alle Festigkeit verlor. In dieser Zeit kann der Mann hinter mir gewesen seyn und mir zugesehen haben, ob ich es nachmachen kann oder nicht; ich hörte ihn nicht kommen, auch nicht fortgehen. Ich schrieb eine Zeitlang so fort und bemerkte gleich, daß meine Buchstaben den vorgezeichneten nicht ähnlich sind; ich ließ aber nicht eher nach, bis ich die Aehnlichkeit erreichte. Dann wollte ich wieder trinken, weil ich vor dem Eifer meinen Durst gar nicht so bemerkte; aß ein wenig Brod, nahm die Pferde, putzte sie wieder so, wie ich oben erzählt habe. Aber ich konnte sie nicht mehr so leicht putzen, als zuerst, weil mich der Stuhl hinderte, der vor mir über meinen Beinen stand; und machte mir viel mehr Anstrengung, weil die Pferde neben dem Stuhl standen, und ich hatte nicht so viel Verstand, daß ich den Stuhl weggethan, oder die Pferde auf den Stuhl gestellt [10] hatte. Da hatte ich viel mehr Durst bekommen und hatte kein Wasser mehr, sodann schlief ich ein. Als ich erwachte, stand der Stuhl noch über meinen Füßen; mein erstes ist immer gewesen, nach dem Wasser zu langen; darauf aß ich ein Brod, schrieb sodann eine Zeitlang, nahm die Pferde und den Hund, als ich fertig war, trank ich mein weniges Wasser aus, aß ein wenig Brod. Dieses wiederholte ich.

Ob ich mit dem Tag erwachte, kann ich nicht angeben, weil ich keinen Begriff von Tag und Nacht hatte. Ich kann auch nicht sagen, wie lang ich schlief, nach meiner jetzigen Vermuthung ziemlich lang, mein Spiel währte immer, so viel ich jetzt bestimmen kann, höchstens vier Stunden. Wie der Mann mir das Schreiben zeigte, sagte er kein Wort zu mir, sondern nahm meine Hand und schrieb mir vor; als er mich bei der Hand nahm, kam mir's nicht in Gedanken, mich umzusehen, um den Mann zu erkennen; ich hatte ja nicht gewußt, daß es eine solche Gestalt giebt, wie ich bin. Der Mann kam zum zweitenmal, brachte ein Büchlein mit, legte es vor mich aufgeschlagen auf den Stuhl, nahm meine Hand und fieng zu sprechen an, er deutete auf die Pferde hin und sagte leiß: Roß etliche mal nacheinander; als ich dieses hörte, horchte ich lange, ich hörte immer das nämliche; dann kam mir's in Gedanken, ich solle es auch so machen, ich sagte auch die nämlichen Worte, nahm ein Bändchen mit der linken Hand und sagte nochmal Roß, weil ich mit der rechten Hand nicht hinlangen konnte, die mir der Mann hielt; dann sagte er etlichemal „dieses merken“ und legte meine Hand auf's Büchlein hin und zugleich auf die Pferde und fuhr mit hin und wieder. Welches mir sehr wohl gefiel, er sagte dabei: dieses nachsagen, dann bekommst du solch schöne Roß vom Vater. Diese Worte sagte er mir etlichemal vor, ich sagte es nicht nach und horchte sehr lange, und da ich immer dieselben Worte hörte, fieng ich's wieder zum Nachsprechen an; er sagte es vielleicht [11] noch sieben oder achtmal vor, dann konnte ich's ein wenig deutlicher nachsprechen; wie ich es deutlicher nachsprechen konnte, deutete er nochmal auf die Pferde hin, fuhr wieder so hin und wieder und sagte: „dieses merken“, „den Roß vorsagen, dann darfst du auch so fahren“, dieses gefiel mir am allerbesten. Jetzt war meine Hand frei und das Büchlein lag auf dem Stuhl; ich sah immer auf das Büchlein hin, weil es mir so wohl gefiel, da es gerade so aussah, wie mein Papier, worauf ich geschrieben hatte; ich sagte es noch etlichemal für mich allein, ich trank mein weniges Wasser aus, aß ein wenig Brod, fuhr dann mit den Pferden anfangs ganz langsam und ohne Geräusch, wie mir's der Mann gezeigt hatte, sagte auch die Worte zu den Pferden; dabei wurde ich sehr durstig, müde und schläfrig und wenn ich kein Wasser mehr hatte legte ich mich rückwärts und schlief ein. Als ich erwachte, lag mein Büchlein noch auf dem Stuhl. Dieses sah ich nicht eher, als bis ich das Wasser getrunken hatte; dann schrieb ich, putzte die Pferde und den Hund; nachher gieng´s über das Büchlein und sagte die Worte, die mir der Mann gelehrt hat und deutete gerade so auf die Pferde und sagte auch diese Worte, „dieses merken, du schöne Roß vom Vater bekommst“, dann deutete ich in's Büchlein hin und wiederholte es nochmal, nachdem fuhr ich so hin, und wieder, fühlte wieder Durst, trank mein weniges Wasser aus, aß ein wenig Brod, sagte jene Worte noch etlichemal und fieng zu fahren an; fuhr aber so stark, daß es mir selber wehe that. Da kam der Mann mit einem Stock, schlug mich auf den Arm, welches mir sehr wehe that und weinte; ich war von dieser Zeit an sehr stille und fuhr nicht mehr mit den Pferden. Nachdem ich lange geweint habe, wollte ich trinken, ich hatte kein Wasser mehr, aß mein weniges Brod und schlief ein. Als ich erwachte saß ich auf, und trank mein Wasser, dann legte ich die Bänder ganz leise hin auf die Pferde, wie der Mann [12] es mir gezeigt hatte, und sagte jene gemerkten Worte zu den Pferden, schrieb wieder, nachdem ich auch eine Zeitlang in das Büchlein dieselben Worte sprach, nahm das Krüglein, trank mein weniges Wasser aus, ich spielte noch eine Zeit lang, ich wurde sehr müde und schläfrig und schlief ein. Ich werde noch etlichemal erwacht seyn, vielleicht noch vier oder fünfmal, bis mich der Mann forttrug. In der Nacht, in welcher der Mann kam, schlief ich recht gut, wie ich erwachte, war ich schon angezogen, bis auf die Stiefel, die zog er mir an, setzte mir einen Hut auf, hob mich in die Höhe und lehnte mich an die Wand, nahm meine beiden Arme und legte sie um den Hals. Als er mich aus dem Gefängniß trug mußte er sich bücken und es gieng einen kleinen Berg hinauf, vielleicht war's eine Treppe; dann gieng es ein Stück weit eben fort, ich fühlte schon große Schmerzen und fieng an zu weinen; jetzt kam ein großer Berg, als ich ein Stück weit hinauf kam, sagte der Mann, du mußt gleich zu weinen aufhören, sonst bekommst du keine Roß. Ich gehorchte ihm, er trug mich noch ein Stück weit, ich schlief ein. Wie ich erwachte, lag ich auf der Erde mit dem Angesicht, dem Boden zugewendet. Ich bewegte mich mit dem Kopf, vielleicht sah der Mann, daß ich erwacht war, er hob mich auf, nahm mich unter den beiden Armen und lehrte mir das Gehen. Und wie ich zu gehen anfangen sollte, schob er mit seinen Füßen die meinigen fort, um mir begreiflich zu machen, wie ich's machen sollte. Ich werde etliche Schritte weit gegangen seyn, da fieng ich zu weinen an, ich fühlte schon sehr viele Schmerzen an den Füßen, der Mann sagte, „du mußt gleich aufhören zu weinen, sonst bekommst du keine Roß“. Ich sagte: „Roß“, womit ich wollte, daß ich bald heim zu meinen Rossen käme, der Mann sagte mir, du mußt das Gehen recht lernen und merken, du mußt auch ein solcher Reiter werden, wie dein Vater ist. Er plagte mich noch immer mit dem Gehen; ich [13] fieng an zu weinen, weil mir die Füße sehr wehe thaten. Er sagte nochmal jene Worte: „du mußt gleich zu weinen aufhören, sonst u.s.w.“, wenn er vorher diese Worte gesagt hatte, hörte ich immer gleich zu weinen auf; dießmal aber nicht, weil mir die Füße sehr wehe gethan haben; worauf er mich mit dem Angesicht auf den Boden hinlegte, und ich werde eine Zeitlang gelegen seyn, bis ich einschlief. Da ich wieder erwachte, hob er mich in die Höhe und sagte: ich solle das Gehen recht lernen, dann bekommst du schöne Roß, er schleppte mich gerade wieder so fort, wie das erstemal. Ehe der Mann auf dem Wege mir vorzusprechen anfieng, legte er mich sehr oft auf die Erde hin, weil ich immer gleich ermüdet war. Jetzt fieng er an, mir vorzusprechen:

„I möcht a söchäna Reiter wären, wie mei Vater gwän is.“

Diese Worte wiederholte er sehr oft: bis ich dieselben recht deutlich nachsprechen konnte.

Ich fieng an zu weinen, weil mir die Füße und der Kopf, besonders aber die Augen schrecklich wehe thaten, ich sagte: „Roß“, womit ich andeuten wollte, man sollte mich heim zu meinen Rossen führen. Der Mann verstand, was ich damit sagen wollte, und sagte: „bald bekommst du schöne Roß vom Vater“; ich fieng an zu weinen, er legte mich nieder aufs Gesicht, ich weinte noch immer fort; er sagte: „du mußt gleich zu weinen aufhören, sonst bekommst du keine schöne Roß“, und legte mir etwas weiches unter das Gesicht, und ich hörte zu weinen auf und schlief ein. Da ich wieder erwacht bin, hob er mich auf, schleppte mich fort, und mußte mir noch immer meine Füße mit den seinigen fortschieben, ich konnte noch nicht die Füße allein bewegen. Wenn er mit mir höchstens 20 Schritte weit gegangen [14] war, fieng ich jedesmal zu weinen an und sagte: „I möcht a söchäna Reiter wären, wie mein Vater gwän is.“ Dann sagte der Mann: „wenn du nicht zu weinen aufhörst, so bekommst du keine Roß“. Nun hörte ich eine Zeit lang auf, weil ich meinte, dann würde ich bald zu meinen Rossen heim kommen, ich glaube, es hätte keine sechs Schritte gewährt, so fieng ich schon wieder zu weinen an; er legte mich nieder, und so oft er mich ausruhen ließ, schlief ich aus Müdigkeit ein. Ich erwachte wieder, er hob mich auf und schleppte mich fort, er sagte mir die Worte: „I möcht a söchäna Reiter wären, wie mein Vater gwän is“, noch sehr oft vor. Vielleicht sind wir sechs bis acht Schritte weit gegangen, fieng es zu regnen an, ich wurde ganz naß, fieng mich sehr stark zu frieren an; ich weinte; weil ich immer mehr Schmerzen fühlte; er legte mich auf die Erde hin in nassen Kleidern, es fror mich sehr, ich konnte nicht einschlafen, weinte eine Zeitlang fort, dann legte er mir wieder etwas weiches unter das Gesicht, und ich schlief unter den größten Schmerzen ein. Wie ich wieder erwacht bin, waren die größten Schmerzen vorüber, er hob mich auf, schleppte mich fort, ich hatte schon so viele Begriffe vom Gehen daß ich die Füße selber aufgehoben und bewegt habe. Dann sagte der Mann, ich solle nur das Gehen merken, „dann bekommst du recht schöne Roß von deinem Vater“, und sagte auch jene Worte: „Du mußt auch recht auf den Boden sehen“, worauf er mir zugleich auch immer den Kopf gegen den Boden neigte, und sagte, „wenn du dieses recht gut so machen kannst, so bekommst du die Roß“. Ich sah ohnedieß niemals in die Höhe, weil mir die Augen schrecklich wehe thaten, er hätte es mir garnicht zu sagen brauchen, aber desto mehr sah ich auf den Boden. Ich fieng an zu weinen, er legte mich wieder auf das Gesicht, ich weinte noch immer fort; er legte mir etwas weiches unter das Gesicht, und ich hörte auf zu weinen und schlief [15] ein. Als ich wieder erwachte, da sagte ich: „Roß“, er hob mich auf, schleppte mich fort, ich sagte nochmal jene Worte, womit ich mich ausgedrückt habe, er solle mich heim zu meinen Rossen führen und nicht mehr so wehe thun. Ich gieng vielleicht dreißig Schritte, so fieng ich zu weinen an, ich bekam nach und nach immer mehr Schmerzen im ganzen Leib, besonders an den Augen, im Kopf und Füßen, dann sagte der Mann jene Worte, da hörte ich am ersten auf, weil ich große Sehnsucht nach den Pferden hatte. Er führte mich noch ein Stück weit, da fieng ich schon wieder zu weinen an und sagte jene Worte. Hierauf sagte der Mann: „Jetzt kommst du bald zu deinen Rossen ham“; ich sagte auch dieselben Worte. Er legte mich nieder und ich schlief ein. Wie ich wieder erwachte, sagte ich: „Roß ham“, womit ich mich ausdrücken wollte, mir thun meine Füße sehr wehe, er möchte mich bald zu meinen Rossen heim führen und mir nicht mehr so wehe thun. Hierauf legte er mich nieder und sagte jene Worte: „Jetzt bekommst du bald Roß, aber zu weinen mußt du aufhören“, mit diesen Worten schlief ich ein. Ich erwachte wieder, er hob mich auf und schleppte mich fort und ich sagte jene Worte sehr oft: „ich Roß ham“, ich wollte sagen, ich kann es mit meinen Füßen nicht mehr so machen, aber er schleppte mich doch fort unter seinen gewöhnlichen Drohungen. Er führte mich wieder fort, ich bekam immer mehr Schmerzen. Dann wurde es auf einmal Nacht, ich weiß es mich nicht zu erinnern, daß er mich niederlegte, aber wie es wieder hell gewesen ist, lag ich auf der Erde, ich sagte: „Roß ham“, damit wollte ich sagen, warum thun mir die Augen und der Kopf so wehe und bekomme so lange meine Roß nicht. Er hob mich in die Höhe und reichte mir Wasser dar, ich trank recht viel und dieses hat mich ganz erquickt; ich hätte schon eher Durst gehabt, aber ich konnte kein Wasser verlangen, weil ich nicht wußte, daß mir der Mann Wasser [16] geben könne. Wie ich das Wasser getrunken hatte, waren meine Schmerzen viel leichter. Dann schleppte er mich wieder fort, ich konnte auch etwas schneller gehen, so daß nach meiner Meinung es nicht mehr so langsam gieng als anfangs, aber dem Mann muß es doch noch zu langsam gegangen seyn, weil er dennoch immer mit seinen Füßen nachschob. Als ich eine zeitlang gegangen war, kamen wieder sehr viele Schmerzen, ich fieng zu weinen an und sagte: „Roß ham“. Er tröstete mich: „Jetzt kommst du bald zu deinem Vater,“ ich sagte: „Roß ham“. Er legte mich auf die Erde hin, aber ich konnte nicht gleich einschlafen und weinte eine zeitlang und sagte: „Roß ham“, womit ich sagen wollte, warum mir denn immer meine Augen so wehe thun, mit diesen Worten u.s.w. endlich einschlief. Da ich wieder erwachte, hob er mich wieder auf und führte mich fort. Es gieng auch mit dem Gehen etwas besser nach meiner Meinung, weil mich der Mann nicht mehr so fest hielt, ich fühlte auch die Schmerzen nicht mehr so stark unter den Armen, und der Mann sagte: „Du mußt noch besser gehen lernen“; worauf er auch wieder jene Worte sagte: „Du bekommst bald schöne Roß: weil du das Gehen so gut kannst“, worauf er zugleich mit seinen Füßen die meinigen dabei fortschob und dieses machte er mir verständlich. Ich glaube, er ließ mich ein wenig freier gehen, um zu probiren, ob ich auch allein gehen könne; aber ich glaube, daß ich hingefallen seyn würde, weil ich die Füße nicht mehr vorwärts bringen konnte, und auf beiden Seiten empfand ich einen plötzlichen Schmerzen, der wahrscheinlich daher rührte, daß mich der Mann geschwind ergriff, als ich hinfallen wollte. Ich fieng an zu weinen, er legte mich nieder und sagte jene Drohung, ich hörte auf und schlief endlich ein. Als ich erwachte, war mein erstes Wort: „Roß ham, I möcht a söchäna Reiter wären, wie mei Vater gwän is.“ Er hob mich auf, führte mich fort, [17] ich glaube, daß das Gehen viel besser gegangen seyn muß, weil ich manchmal gar keine Schmerzen unter den beiden Armen fühlte. Ich werde eine Zeit lang gegangen seyn, so fieng es wieder zu regnen an, da ich ganz naß wurde und sehr viel von der Kälte litte. Ich weinte, er sagte diese Worte etlichemal nach einander: „haben's dich angeschüttet“, ich fieng sie an nachzusprechen: womit ich sagen wollte, es thut mir alles sehr wehe. Er legte mich auf den Boden hin, und ich konnte nicht gleich einschlafen, weil die Kleider ganz naß waren, und sehr viele Schmerzen hatte, er legte mir etwas weiches unter das Gesicht, und endlich schlief ich doch ein. Wie ich wieder erwachte, hob er mich auf, schleppte mich fort, ich empfand noch sehr viele Schmerzen, weil ich ganz naß war, es fror mir auch sehr. Er sprach mir jene Worte immer vor; ich konnte keines nachsprechen, über das lange Vorsprechen gab ich ihm zur Antwort: „Roß ham“ u.s.w. wollte ich sagen, warum ich denn es jetzt immer mit den Füßen so machen muß, welches mir sehr wehe thut. Er sagte: „wenn du nicht mehr weinst, dann bekommst du Roß vom Vater, aber das Gehen mußt du recht merken.“ Ich fieng wieder an zu weinen, da legte er mich auf den Erdboden und mit den Worten: Roß u.s.w. schlief ich endlich ein. Da ich wieder erwachte, sagte ich jene vorgesagten Worte. Er hob mich auf, schleppte mich fort und sagte: „Jetzt bekommst du deine Roß, aber das Gehen mußt du recht merken.“ Er führte mich fort eine Zeit lang, ich fühlte immer mehr Schmerzen und es wurde auf einmal Nacht, und ich fühlte mich ganz unbewußt. Und wenn ich erwacht bin, sah ich mich auf dem Boden liegend, und war wieder so hell, als es vor der Nacht gewesen ist, er setzte mich auf, reichte mir Wasser dar, welches ich sehr begierig trank, nach dem wurde mir sehr leicht; ich glaubte, es sind die Hälfte der Schmerzen weg. Er gab mir auch Brod, aber ich aß sehr wenig, weil ich keinen Hunger [18] hatte, oder vielleicht konnte ich vor Schmerzen keines essen, das Wasser, welches er mir nochmal reichte, erquickte mich ganz besonders. Jetzt hob er mich auf, führte mich fort, ich konnte viel leichter gehen, ich hatte es nicht mehr so nöthig auf dem Mann seinen Armen zu liegen. Der Mann lobte mich, „weil du so gehen gelernt hast, so bekommst du jetzt bald schöne Roß“. Ich konnte ununterbrochen ohngefähr 40 bis 50 Schritte weit gehen, welches mir vorher nicht möglich war. Ich fieng jene gemerkten Worte an zu sprechen, wodurch ich immer meine Ermüdung und Schmerzen ausdrücken wollte; er legte mich nach diesen Worten sogleich auf die Erde hin; ich war sehr müde und schläfrig und schlief sogleich ein. Da ich erwacht bin, hob er mich auf, nahm mich das erstemal unter einen Arm, schleppte mich fort und sprach immerfort die nämlichen Worte, bis ich sie recht gemerkt und deutlich nachsprechen konnte. Er plagte mich so lange, weiter zu gehen, bis ich anfieng zu weinen. Er legte mich auf die Erde hin und sagte: „du mußt gleich zu weinen aufhören,“, u.s.w. ich war sehr ermüdet, und schlief sogleich ein. Ich erwachte wieder, er hob mich auf, führte mich fort. Er legte mich noch etlichemal nieder, um mich ausruhen zu lassen, bis er mir die Kleider wechselte. Er setzte mich auf die Erde hin, ohne daß ich es verlangt hatte, zog mir meine Kleider aus, legte mir andere an, in denen ich in die Stadt Nürnberg kam. Während er mir die Kleider auszog und diese anzog, war er hinter mir, er langte nur vor. Als ich angezogen war, hob er mich auf, wollte mich wieder fortführen, aber ich fieng an zu weinen, und sagte jene gemerkten Worte: womit ich sagen wollte, ich kann nicht mehr gehen, ich bin sehr müde, es thun mir auch die Füße so wehe; dann sagte der Mann: „wenn du nicht gleich aufhörst zu weinen, so bekommst du keine Roß“ u.s.w., allein ich hörte nicht auf, bis er mich niederlegte, daß ich ausruhen konnte, ich [19] schlief ermüdet ein. Da ich erwacht bin, sagte ich jene Worte. Hierauf reichte er mir Wasser, welches mich so sehr erquickte, welches ich nicht beschreiben kann; er hob mich ganz in die Höhe und führte mich fort und sagte mir immer dieselben Worte vor, bis ich sie recht deutlich nachsprechen konnte. Dann probierte er auch, ob ich noch nicht allein gehen kann, er ließ mich frei und allein und hielt mich nur hinten am Jäckchen. Aber ich würde doch noch etlichemal hingefallen seyn, denn ich konnte einigemal meine Füße nicht mehr vorwärts bringen und fühlte einen starken Schmerzen an beiden Seiten. Ich fieng an zu weinen, und sagte die gemerkten Worte, womit ich sagen wollte, er solle mir nicht so wehe thun. Er tröstete mich wie immer und legte mich gleich nieder und ich schlief sogleich ein. Als ich erwachte, sagte ich dieselben gemerkten Worte, damit wollte ich sagen, was denn dieses sey, welches mir immerfort in den Augen so vielen Schmerzen verursachte und gar nicht aufhörte, wehe zu thun. Er hob mich auf und schleppte mich fort und sagte: „du mußt das Gehen recht merken“, worauf er mir wieder neue Worte vorzusprechen anfieng. „In dem großen Dorf da ist dein Vater, der giebt dir schöne Roß, und wenn du auch ein solcher Reiter bist, dann hole ich dich wieder.“ Jetzt fieng ich wieder an zu weinen, er legte mich nieder und ließ mich ausruhen. Er hob mich auf, führte mich wieder fort und fieng jene Worte an vorzusprechen; ich fieng sie alle nachzusprechen an. Hierauf sagte er: „dieses merken und nicht mehr vergessen“, worauf er wieder andere Worte sprach, und gab mir den Brief in die Hand. „Dahin weisen wo der Brief hie gehört.“ „I möcht a söchäna Reiter wären, wie mein Vater gwän is.“ Dieses sagte er mir am öftesten vor, bis ich sie deutlich nachsprechen konnte. Ich weinte, er legte mich nieder und ich schlief aus Müdigkeit ein. Da ich wieder erwacht bin, reichte er mir wieder Wasser dar, [20] ich trank, welches sehr gut war, nachdem hob er mich auf, führte mich fort, worauf er mir immer dieselben Worte vorsprach und zugleich auch den Brief in die Hand gab, und wenn ein Bu kommt, so mußt du es so machen. Von dieser Zeit an, da er mir die Kleider gewechselt hatte, legte er mich gewiß noch zehnmal auf die Erde hin, um mich ausruhen zu lassen, wobei er immer diejenigen Worte vorsprach, um ja keines zu vergessen.

 

 

Als mich der Mann stehen ließ und mir den Brief in die Hand gab, sagte er diejenigen Worte nochmal vor, worauf er mich verlassen hatte. Ich stand eine Zeit lang an der nämlichen Stelle, in welcher mich der Mann verlassen hatte, bis derjenige Mann meinen Brief abnahm und mich in das Haus des Herrn Rittmeisters brachte. Als ich in dem Hause ankam, empfand ich von einer starken Stimme, die ich dort hörte, heftige Schmerzen in dem Kopf; ich fieng an zu weinen. Der Bediente nahm mich, setzte mich auf einen Stuhl, oder was es war, und suchte mich auszufragen. Doch ich konnte nicht mit andern Worten Antworten geben als mit denjenigen, die ich gelernt hatte, und welche ich ohne Unterschied gebrauchte, um Müdigkeit und Schmerzen auszudrücken. Er brachte mir hierauf einen zinnernen Teller mit Fleisch und in einem Glase Bier. Der Glanz des Tellers und die Farbe des Biers gefiel mir sehr wohl, aber schon der Geruch verursachte mir Schmerzen. Ich schob es weg. Er wollte es mir aufdringen und ich schob es immer zurück und sagte: m m. Dann brachte er mir Wasser und ein Stückchen Brod; das erkannte ich gleich und nahm es in die Hand, aß und trank. Das Wasser war sehr gut! frisch, daß ich 3 bis 4 Gläser austrank und mich ganz gestärkt fühlte. Dann legte er mich in den Pferdstall und ich schlief ein. Als der Herr Rittmeister nach Hause kam, weckte man mich auf, und wie ich erwachte, war es sehr gut in den Augen, weil es schon ein wenig Nacht gewesen [21] ist, welches für meine Augen eine große Wohlthat war, man führte mich aus dem Stall heraus. Ich sah des Herrn Rittmeisters Uniform und seinen Säbel, ich erstaunte und erfreute mich sehr daran, und wollte auch ein solches haben. Ich sagte: „I mögt a söchäna Reiter wär'n, wie mei Vater g'wän is.“ Womit ich sagen wollte, man sollte mir auch ein solches glänzendes schönes geben. Sie fiengen an zu sprechen und so stark, daß es mir im ganzen Leib wehe gethan hatte; ich fieng an zu weinen und sagte dieselben Worte. Dann führten sie mich auf die Polizei, welches mein schmerzlichster Weg war, weil die Füße ein wenig ausgeruht waren und an den Stellen, wo die Blasen gewesen, sind sie sehr empfindlich geworden.

Als ich auf die Polizei hie kam, waren sehr viele Menschen da, und ich erstaunte und wußte nicht, was denn dieses sey, welches sich so beweget, und immer so stark sprachen, daß mir der Kopf noch weher gethan hatte, da gaben sie mir einen Schnupftabak, welchen ich in die Nase hie thun mußte, von diesen bekam ich sehr vielen Kopfschmerzen. Ich fieng an zu weinen. Sie plagten mich noch immer mit allerhand Sachen, welche mir schreckliche Schmerzen verursachten, und ich weinte immer fort.

Als ich eine Zeitlang auf der Polizei gewesen war, führten sie mich auf den Thurm. Ich mußte einen sehr hohen Berg hinaufsteigen und sagte zu diesen Polizei-Soldaten: „Ich möcht a söchäna Reiter wär'n, wie mei Vater gwän is,“ womit ich meine großen Schmerzen ausgedrückt hatte und ihn zugleich fragen wollte, was denn dieses gewesen ist, was ich gerade gesehen habe. Er gab mir wohl eine Antwort, welche ich nicht verstanden hatte. Als ich aus dem Thurme kam, mußte ich wieder noch einen größern Berg hinauf steigen, welches die Stiege war. Da hörte ich wieder eine starke Stimme, ich weinte noch immer fort und sagte: „I möcht a söchäna Reiter wä'r'n, wie mei Vater [22] gwän is.“ Er nahm mich, führte mich noch etliche Stiegen hinauf, er machte die Thüre auf, welche einen ganz besondern Laut für mich gab, worüber ich ganz erstaunte, und da konnte ich recht ausruhen. Aber ich weinte eine Zeit lang, bis ich einschlief, weil mir alles sehr wehe gethan hatte, und schlief in größten Schmerzen ein.