BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Johann Peter Hebel

1760 - 1826

 

Biblische Geschichten

Für die Jugend bearbeitet

 

I. Theil

 

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6.

Abraham und Loth.

 

Abraham war ein Sohn des Tharah, und hatte zwei Brüder, Nahor und Haran. Haran starb und hinterließ einen Sohn, Namens Loth. Abraham und Loth wohnten in einem Lande, das Mesopotamia heißt, und waren sehr reiche Leute an Heerden, an Silber und Gold. Aber Abraham hatte in seinem Gemüth einen noch viel größern inwendigen Reichthum. Denn er war ein gottesfürchtiger Mann, redlich und großmüthig gegen Jeden, der mit ihm zu thun hatte, voll Vertrauen auf Gott, und gutes Zutrauens zu den Menschen, weil er es selbst redlich meynte mit Gott und mit den Menschen. Wegen dieser schönen Eigenschaften seines Gemüths war er Gott angenehm, den Menschen werth und mit sich selbst im Frieden. Dieß ist der große Reichthum, der mehr beglückt, und weiter reicht als Gold und Silber.

Zu diesem Abraham sprach Gott: «Ziehe weg aus deinem Vaterland, und von deiner Freundschaft und aus deines Vaters Haus, in ein Land, welches ich dir zeigen werde. Ich will deine Nachkommen zu einem großen Volk vermehren und will dich segnen, und es sollen durch dich gesegnet werden alle Geschlechter der Erde.» Das war eine große und geheimnißvolle Verheißung, und es kommt noch einer aus dem Geschlechte Abrahams, in welchem die Verheißung wahr wird. Abraham glaubte und gehorchte Gott, und zog weg aus seinem Heimwesen mit seinem Weibe Sara – noch hatte er keine Kinder – und mit allen seinen Knechten und mit seiner ganzen Habe. Auch nahm er mit sich seinen Neffen Loth. Er wollte sich nicht von ihm trennen. Er wollte seines Bruders Sohn nicht allein in dem Lande zurücklassen, aus welchem er hinweg zog. Diese Liebe hat Gott in das Herz der Menschen gegeben. Sie stirbt nicht in unsern Freunden ab, sondern sie gehört nach dem Tode ihren Kindern an. Wer ihnen diese Liebe und Fürsorge entzieht, der verweigert ihnen ihr schönstes und heiligstes Erbtheil. Also kamen Abraham und Loth, von Gott geleitet, in das Land Canaan als Fremdlinge.

Als aber Abraham die schöne Landschaft betrachtete, in welche er gekommen war, und sich nicht satt schauen konnte an den fruchtbaren Gefilden, an den fetten Triften, an dem wasserreichen Strom, dem Jordan, und an den sonnigen Hügeln, da verkündete Gott ihm einen neuen Segen: «Deinen Nachkommen, sagte er, will ich dieses Land zum Eigenthum geben.»

Abraham und Loth wurden von den Einwohnern des Landes, zu denen sie in die Nähe gekommen waren, freundschaftlich aufgenommen. Fromme ehrenwerthe Leute finden überall eine gute Aufnahme. Aber die Heerden des Abraham und die Heerden des Loth waren zu groß, sie konnten nicht in einem so engen Raume beisammen bleiben, als sie anfänglich waren. Es entstand täglich Zank zwischen ihren Hirten. Andere Leute, als diese zwei, hätten an dem Zank ihrer Hirten aus Stolz oder Eigennutz Antheil genommen, und sich selbst untereinander verfeindet. Es scheint fast, Loth habe den Anfang dazu machen wollen. Aber Vernunft und Friedfertigkeit wählt immer das Beste. Abraham sprach mit Loth: «Lieber, laß nicht Zank seyn zwischen mir und dir, denn wir sind Gebrüder. Steht nicht alles Land vor dir offen? Lieber, scheide dich von mir. Willst du zur Linken, so will ich zur Rechten, oder willst du zur Rechten, so will ich zur Linken.» So edelmüthig handelte der ältere und mächtigere Abraham gegen den Sohn seines Bruders. Loth wählte die wasserreiche Landschaft am Flusse des Jordan, das schöne Thal Sittim, wo damals die reichen Städte Sodom und Gomorra standen, und wohnte von der Zeit an in der Stadt Sodom. –