BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Johann Peter Hebel

1760 - 1826

 

Biblische Geschichten

Für die Jugend bearbeitet

 

I. Theil

 

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22.

Die Reise durch die Wüste.

 

Aber die Kinder Israel waren damit noch lange nicht an dem Ziel ihrer Reise. Man muß zuerst durch die Wüste ziehen, ehe man nach Canaan kommt. Die Wüste aber, durch welche die Israeliten ziehen mußten, ist viele Tagreisen lang und breit, eine unfruchtbare Einöde. Da. ist keine Straße und kein Fußpfad mehr. Da erblickt oft Tage lang das Auge, so weit es sehen mag, nichts als Himmel und Sand, wo nicht kahle Felsen. Da ist weit und breit keine menschliche Wohnstätte mehr, und kein Samenkorn fällt in die Erde. Durch diese Wüste führte Gott die Kinder Israel, und nicht einmal den nächsten Weg. Aber wie brachte er sie hindurch? – Am Morgen, wann sie aufbrechen sollten, stieg eine hohe Wolkensäule vor ihnen auf, und gieng ihnen voran des Weges, den sie wandeln sollten, in der Nacht aber eine Feuersäule. Alle Morgen fiel es wie Thau vom Himmel. Es waren kleine runde Körnlein, süß wie Honig, und bedeckten weit und breit den Boden. Das ist das Manna, oder Himmelsbrod, mit welchem sie in der Wüste genährt wurden. Von Zeit zu Zeit setzten sich auch große Schaaren von Zugvögeln in dem Lager der Israeliten nieder, und boten sich gleichsam selber zur Speise an. Zu rechter Zeit kamen sie auch zu frischen lebendigen Wasserquellen, welche Gott zu ihrer Erquickung wunderbar in dem dürren versengten Lande aus dem Sande oder aus den Felsen hervorsprudeln ließ.

Aber was für eine Freude wartete unterwegs auf Moses? Kam nicht zu ihm aus dem Lande Midian sein Schwiegervater Jethro, und brachte ihm seine Ehefrau und seine Kinder, den Gerson und den Elieser, daß sie mit ihm zögen, und jetzt bei ihm blieben? So kann Gott erfreuen auch in der Wüste. Der erfahrene Jethro gab ihm manchen guten Rath. Den befolgte Moses. Denn Gott ermahnet den Menschen, was er thun soll, nicht nur inwendig in seinem Gemüth, sondern auch auswendig durch andere Menschen, absonderlich durch fromme Eltern und Verwandte. Wer auf Gott hört, der hört auch auf verständige und fromme Menschen.

Als sie aber an dem Berg Sinai angekommen waren und sich gelagert hatten, ereignete sich eine große Begebenheit. Moses sagte ihnen, daß sie jetzt das Gesetz von Gott empfangen würden.

Am dritten Morgen, nachdem sie daselbst waren, erhob sich eine dicke Wolke auf dem Berg, und ein Donner und Blitzen, und der Ton einer sehr starken Posaune. Der ganze Berg Sinai rauchte und bebte, und der Posaunenton ward stärker, und das ganze Volk stand unten am Berg in rein gewaschenen Kleidern. Da ergieng eine Stimme aus der Gewitterwolke, die sprach:

«Ich bin der Herr, dein Gott!

Du sollst keine andere Götter neben mir haben.

Du sollst dir kein Bildniß, noch irgend ein Gleichniß machen, weder dessen, das oben am Himmel, noch dessen, das unten auf Erden, oder im Wasser unter der Erde ist. Bete sie nicht an, und diene ihnen nicht. Ich bin ein eifriger Gott, der die Sünde der Väter heimsuchet an den Kindern, die mich hassen, und thue Barmherzigkeit an vielen Tausenden, die mich lieb haben und meine Gebote halten.

Du sollst den Namen des Herrn deines Gottes nicht mißbrauchen.

Gedenke des Ruhetags, daß du ihn heiligest.

Sechs Tage sollst du arbeiten, aber am siebenten ist der Ruhetag des Herrn deines Gottes, da sollst du keine Arbeit thun.

Du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren, auf daß du lange lebest in dem Lande, das dir der Herr dein Gott geben wird.

Du sollst nicht tödten.

Du sollst nicht ehebrechen.

Du sollst nicht stehlen.

Du sollst kein falsches Zeugniß reden wider deinen Nächsten.

Laß dich nicht gelüsten deines Nächsten Weibes, noch alles, was dein Nächster hat.»

Dieß sind die zehn Gebote, die Gott den Kindern Israel auf dem Berge Sinai gegeben hat.

Merke: Gott hat die Kinder nicht vergessen. Er vergißt die Kinder nicht. «Du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren.»

Gieb mir, mein Kind, dein Herz, und laß deinen Augen meine Wege wohl gefallen.

Bei dieser und andern Gelegenheiten empfiengen die Israeliten auch noch viele andere schöne Gesetze der Gerechtigkeit, der Billigkeit und der Milde. «Du sollst dem Tauben nicht fluchen, und dem Blinden keinen Anstoß in den Weg legen. Denn du sollst dich vor deinem Gott fürchten. Du sollst Wittwen und Waisen und Fremdlinge nicht beleidigen. Du sollst das Alter in Ehren halten. Du sollst dich deines Viehes erbarmen. Du sollst keine Bäume beschädigen.»

Auch ließ Moses die Bundeslade verfertigen. Darin wurden auf zwei steinernen Tafeln die zehn Gebote verwahrt. Sie war ein Zeichen der gnadenreichen Gegenwart Gottes in der Mitte des Volks. Weiter verfertigte er die Stiftshütte; das ist ein kostbares Zelt, unter welchem die Herrlichkeit Gottes, nämlich die Bundeslade, wohnte, und wo der Gottesdienst gehalten wurde. Weiter verordnete er, wie es mit dem Gottesdienste und mit den Priestern sollte gehalten werden. Drei hohe Feste sollten jährlich gefeiert werden; das Osterfest, das Pfingst- oder Erntefest, das Fest der Laubhütten oder der Weinlese. Alle Mannsleute in Israel, aber auch Weiber und Kinder, versammelten sich an diesen Tagen bei der Stiftshütte, daß sie mit einander fröhlich wären vor dem Herrn ihrem Gott, und ihm für seine Wohlthaten dankten, und als Brüder und Freunde beisammen wären.

Schön und lieblich ist es, wenn Brüder und Freunde aus entfernten Gegenden sich wieder sehen und einträchtig beisammen sind.

Alle Priester aber der Israeliten mußten aus dem Geschlecht Levi seyn. Moses und Aaron waren aus dem Geschlecht Levi.