BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Johann Peter Hebel

1760 - 1826

 

Biblische Geschichten

Für die Jugend bearbeitet

 

II. Theil

 

____________________________________________________

 

 

 

43.

Judas Ischarioth.

 

Unterdessen hielten die Priester und Aeltesten des Volkes in der Wohnung des Hohenpriesters Kaiphas einen Rath, wie sie Jesum mit List in ihre Gewalt bringen könnten. Sie hatten nicht das Herz, ihn öffentlich gefangen zu nehmen. Sie fürchteten Widerstand und Aufruhr. Denn es waren damals viele Freunde und Anhänger Jesu aus Galiläa und dem ganzen Lande in Jerusalem wegen des Festes versammelt. Einige riethen sogar, man solle warten, bis das Fest vorüber wäre. Indessen kam von des Herrn eigenen Jüngern Judas Ischarioth und that ihnen das Anerbieten, er wolle ihn unbeschrieen in ihre Hände liefern. Ischarioth der Bösewicht sprach zu den Priestern: «Was wollt ihr mir geben, ich will ihn euch verrathen.» Die Priester boten ihm ein Schmach- und Sündengeld von dreißig Silberlingen an, welches so viel ist, als ungefähr fünfzehn Thaler. Um das Sündengeld von dreißig Silberlingen verkaufte sich Judas zu der schrecklichen That, seinen Herrn und Meister zu verrathen, und wird schlechten Gewinn davon haben. Aber ists nicht schon einmal gesagt? Wen der böse Geist zu einer schrecklichen That verleiten will, den macht er vorher rachsüchtig oder eifersüchtig oder geldbegierig.

Nach diesem kehrte der Tückische und Verworfene zu Jesu und seinen andern Jüngern zurück, als wenn nichts geschehen wäre. Er gab jetzt auf alle ihre Schritte und Worte Acht.

An dem Tag, als man pflegte das Osterlamm zu essen, sprach Jesus zu den Jüngern Petrus und Johannes: «Gehet hin in die Stadt und bereitet das Osterlamm. Es wird euch ein Mensch begegnen, der einen Krug mit Wasser trägt. Folget ihm nach, und wo er hineingeht, da wird euch der Hausherr einen großen gerüsteten Saal zeigen. Daselbst richtet es für uns zu,» Die Jünger fanden es alles so, und thaten so, wie sie der Herr geheißen hatte. Am Abend kam er mit den übrigen Jüngern, setzte sich und sprach: «Mich hat herzlich verlangt, das Osterlamm mit euch zu essen, ehe denn ich sterbe.» Wenn nur einer nicht dabei gewesen wäre! Jesus gerieth während der Mahlzeit in eine tiefe Bewegung seiner Seele. «Wahrlich,» sprach er: «ich sage euch, einer unter euch wird mich verrathen.» Er kannte seinen Verräther wohl, aber er wollte ihn noch nicht nennen. Er wollte ihn noch schonen und ihm Gelegenheit geben, sein entsetzliches Vorhaben aufzugeben und sich zu bessern.

Aber wer einmal im Bösen so weit gegangen ist, wer sich so vom Satan hat verstricken lassen, o Gott, wie schwer ist es, daß ein solcher Unglückselige[r] wieder besser werde!

Die guten Jünger sahen einander voll Schrecken an, ob so etwas möglich sey, und wen er wohl meine. Es fragte ihn Einer nach dem Andern in dem Bewußtseyn seiner Unschuld: «Herr, bin ichs?» Jeder wünschte von Jesu das tröstliche Wort zu vernehmen, daß er ihm ein solches Verbrechen nie zutrauen könne. Nur den Judas ließ das böse verrathene Gewissen noch nicht zur Sprache kommen. Petrus winkte dem Johannes, der den nächsten Platz neben Jesu hatte, daß er ihn fragte, wer es sey? Da tauchte Jesus einen Bissen ein und sprach: «Der ist es, dem ich ihn gebe.» Er gab ihn seinem Verräther. Da sprach endlich auch der verstockte Sünder in seinem bösen Bewußtseyn: «Herr, bin ichs?» Jesus sprach: «Du bists!»

Es war nichts mehr an ihm zu schonen. Sein Herz war befangen in der Bosheit und Verstockung.

Bewahre mich, mein Gott, daß ich nie von deinen Wegen weiche, nie deine leitende Vaterhand verlasse!