BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Emma Herwegh

1817 - 1904

 

Zur Geschichte der deutschen

demokratischen Legion aus Paris

 

1849

 

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[Bildung der deutschen demokratischen Legion

unter Führung von Georg Herwegh.]

 

Diese zwei großen Versammlungen hatten jedoch den Wunsch nach wiederholten Zusammenkünften in jedem Einzelnen angeregt, den die äußeren politischen Verhältnisse und die täglichen Nachrichten aus der Heimath, bald zu einem wirklichen Bedürfniß steigern mußten.

Jeder wünschte, sich möglichst bald an der Volksbewegung thätig betheiligen zu dürfen, die sich wie ein großer, unaufhaltsamer Strom auch in Deutschland Bahn zu brechen begann.

Die hiesigen Deutschen, waren noch voll von den Eindrücken der Februartage, die meisten der Arbeiter, welche später die deutsche Legion bildeten, hatten auf den Barrikaden mitgefochten – gesehen, gefühlt was ein Volk vermag und zweifelten keinen Augenblick, daß dasjenige, was hier erobert und so leicht und freudig erreicht worden war, auch binnen Kurzem das Eigenthum aller Nationen werden müsse.

Von diesem Gefühl beseelt, schickten mehrere hundert Handwerker, die auch bei den zwei ersten Versammlungen zugegen gewesen waren, einige Abgesandte an Herwegh – Herrn v. Bornstedt an der Spitze. – Durch diesen ließen sie ihn dringend auffordern, die Präsidentschaft, welche ihm die demokratische Partei bei ihrem Entstehen auf einige Stunden ertheilt hatte, auch noch ferner zu behalten, und den Verein jetzt nicht zu verlassen, wo ein gemeinsames Wirken mit jedem Tage unerläßlich werden könne.

Herwegh wollte damals allein nach Deutschland zurückgehen, um wie jeder Andere auch sein Wort mit zu reden in den neuen Verhältnissen.

Die hiesigen Landsleute drangen jedoch so unablässig mit der Bitte in ihn, sich ihrer Wahl nicht zu entziehen, daß er es für seine Pflicht hielt, ihrem einstimmigen Wunsche nachzugeben und eine Stellung anzunehmen, deren Klippen er sehr klar voraussah. Kommt es zu einer gemeinsamen That und mißglückt diese, so fällt immer die Verantwortlichkeit auf den Führer, gleichviel, ob er sich um die Stelle beworben, sie aus Neigung oder nur aus Selbstverleugnung angenommen – und ist das Resultat befriedigend, so hat er die üble Laune aller derer zu ertragen, deren Eitelkeit dabei nicht ihre volle Rechnung gefunden, und was das Aergste – den Beifall einer Menge, deren Würdigung allein durch den glücklichen oder unglücklichen Ausgang bedingt wird. Darum wehe denen, die regiert werden, aber nicht minder beklagenswerth die, welche regieren, sei es auf lange oder kurze Zeit, über viel oder wenig Menschen, mit oder ohne Neigung.

Herwegh machte sich, wie gesagt, keine Illusionen, er war sich der Verantwortlichkeit, welche er übernahm, sehr wohl bewußt. Deshalb allein war auch das Opfer, das er den Andern brachte, indem er, statt den eigenen Weg entschieden und frei zu verfolgen, sich dem Willen so Vieler anschloß und theilweis unterordnete, kein ganz geringes.

Die wenigsten Menschen wollen ja dasselbe, oder wollen überhaupt etwas Bestimmtes und nur eine sehr kleine Zahl will wirklich die Freiheit, als das ewig zu erstrebende Ideal, als das Einzige, was des Kampfes wert ist.

Die Mehrzahl begehrt gewöhnlich nur ein neues Kleid für den alten Götzen, den es dann je nach den Attributen bald Monarchie, bald Republik tauft, wobei aber im Grunde Alles beim Alten, jeder Stein unverrückt bleibt, und es nur auf etwas mehr oder minder Heuchelei herauskommt.

Daß zu einer neuen Welt vor Allem neuer Stoff gehört, neue, breite Weltanschauungen, Urmenschen, wenn man sich so ausdrücken darf, um dem alten Egoismus, der alten Thorheit und civilisirten Barbarei dem Wesen, nicht nur dem Schein nach, den Garaus zu machen, – daran denken die Wenigsten, geschweige daß sie fähig oder Willens wären, sich selbst mit umzuschaffen – und ohne das, gehts nicht ehrlich vorwärts.

Doch zur Geschichte! Während die deutschen Demokraten so ihre Versammlungen hielten, ohne irgend bestimmt zu wissen, welches Mittel zu ergreifen [sei], um die politisch-soziale Reform auch im Vaterland möglichst schnell fördern zu helfen (denn nur von einer solchen konnte die Rede sein, wo es sich darum handelte Jedem eine freie, menschliche Existenz zu sichern,) kam die Nachricht von Wien, schnell darauf die von Berlin, und Brief auf Brief aus Baden, die von den dortigen Unruhen Bericht erstatteten.

Das war Zündstoff genug! ja, so Viel, daß ein Theil der Gesellschaft sich entschieden erklärte, in den nächsten Tagen nach Deutschland zu ziehen, ob mit, ob ohne Zustimmung des Comités. «Jetzt, wo sich unsere Brüder draußen schlagen, sollen wir hier Reden halten? – daraus wird Nichts. Wir wollen uns unser Recht mit erkämpfen helfen.»

So bildete sich schnell die erste Colonne, wählte sich ihre militairischen Führer, und begab sich auf den Marsch nach Straßburg, ohne irgend einen bestimmteren Plan als den, die Republik so schnell als möglich in Deutschland mit durchsetzen zu helfen, und im Grund war dies auch für den Anfang genügend.

Diese Avantgarde zurückzuhalten, ja nur so lange bis Herwegh ihr die nöthigen Feuilles de route beim gouvernement provisoire ausgewirkt, – stand in der Macht keines Einzigen.

Hinaus! in diesem stürmischen Ruf lag aller Verstand, über den sie im Augenblick zu disponieren hatten.

Das war nicht Viel, wenn man will, – zumal für Deutsche die aus dem reiflichen Ueberlegen nicht selten ihr Métier machen, und es, wenn's gut geht, darin oftmals so weit bringen, daß sie den herannahenden Sturm zu begreifen anfangen, nachdem er sie selbst zu Boden geschleudert, – erstaunlich wenig; der Unverstand ist aber zuweilen gar reitzend, mir wenigstens gefällt er recht gut, – besonders, wenn er sich mit einer solchen Fülle jugendlicher Kraft, Begeisterung und gutem Willen Bahn bricht, wie es hier der Fall war.

Ich glaube durch die einfache und wahre Relation über das Entstehen des ersten Corps der deutschen Legion alle jene lügenhafte Gerüchte widerlegt zu haben, in denen die Sache überall so dargestellt wurde, als sei irgend Jemand, vom Comité oder [vom] Präsidenten aus, durch Versprechungen verlockt, angeworben und aus seiner sichern Stellung herausgerissen worden.

Zur Widerlegung dieses letzten Punktes, mag das einfache Faktum genügen, daß gerade zu jener Zeit schon 50000 französische Arbeiter brot- und beschäftigungslos waren, und sich die hiesige Regierung in der augenblicklichen Noth gezwungen sah, den größten Theil der fremden Handwerker zu Gunsten der Landeskinder aus den Stellen verabschieden zu lassen, wodurch allein viele Tausend Deutsche auf die Straße gesetzt wurden.

Von Versprechungen irgend einer Art war nun gar nie die Rede, und mehr als 100 Mal habe ich es mit angehört, daß Herwegh denen, die sich bei ihm zum Abmarsch meldeten und naiv fragten: «Was sind denn die Bedingungen von Straßburg an?» (bis dorthin bekamen sie Marschrouten) antwortete: «Hunger und Kanonen meine Freunde – wer etwas Bess'res hofft, nicht aus eig'nem, freien Antrieb hinaus geht, oder dies ganze Unternehmen gar für eine Lebensversicherungsanstalt hält, der bleibe ja zurück, denn es sind viel mehr Chancen zu einer ersten materiellen Niederlage als zu einem schnellen Siege da. Die Republik will ihre Opfer, sie läßt sich Niemanden gewaltsam aufdringen, aber ebenso wenig zu Frankfurt votiren oder im Spazierengeh'n erobern.»

«Wer nicht bereit ist, Alles auf die Karte zu setzen, Hunger, Elend aller Art zu ertragen, barfuß zu laufen und zu fechten wenn's Noth thut, der bleibe getrost zu Haus, wir können keine Dilettanten gebrauchen.»

Die andern Mitglieder des Comités, die fast alle Militair gewesen und von denen der jugendliche Theil natürlich besonders ungeduldig war, sich im Dienste der Freiheit die ersten Sporen zu verdienen, stimmte meines Wissens nach – doch in ihrem Betragen so weit mit Herwegh überein, daß sie sich im Eifer für die Sache weder verleiten ließen, Proselyten zu machen, noch denjenigen, welche sich bei ihnen zum Abmarsch bereit erklärten falsche Hoffnungen zu erwecken. Auch sie wiederholten es, (so viel mir bekannt ist) – daß den Kämpfern schwerlich etwas Anders als Entbehrung bevorstehe.

So bildete sich eine Colonne nach der andern und die Theilnahme der Franzosen für diese jungen, kühnen Republikaner, welche hinauszogen mit ihren Brüdern für die Freiheit zu kämpfen, war so allgemein und steigerte sich dergestalt, daß sich täglich mehrere 100 bei Herwegh zum Mitziehen anboten und dieser die größte Mühe hatte, sie zurückzuweisen.

Sie konnten nicht begreifen, daß trotz der Gleichheit der Gesinnung, der Unterschied der Kleidung genügen würde, ihnen und uns den schlechtesten Empfang in Deutschland zu sichern, ja unser ganzes Unternehmen scheitern zu machen.

Was würden sie erst gesagt haben, hätten sie gehört, daß ein mehrjähriger und bei Vielen der Unsern nicht einmal freiwilliger Aufenthalt in Frankreich hinreichend gewesen war, uns Allen das Heimatsrecht streitig zu machen. – Daß der einzige Gruß, das einzige Willkommen, welches die deutschen Blätter den republikanischen Brüdern zuriefen, welche die lange, beschwerliche Reise freudig unternahmen, um im Vaterland für das Vaterland mit ihnen zu kämpfen, in dem lauten Schrei bestand: Nehmt Euch in Acht, die fremde Horde, die Räuberbande aus Frankreich dringt nächstens ein, um zu sengen und zu brennen – und [um] diesen Einfall zu hindern, schnell eine Heeresmacht von vielen Tausenden an der Grenze zusammengezogen wurde.

Von Herweghs Seite war Nichts versäumt worden, diesen lügenhaften Berichten ein Ziel zu setzen und dem leichtgläubigen Publikum die Augen zu öffnen – aber die Mehrzahl der Menschen glaubt ja viel lieber an das Schlechte, und so hatten denn auch die verschiedenen berichtigenden Artikel, welche in den liberalen Blättern, wie z. B. der Mannheimer Volkszeitung noch vor dem Antritt der Expedition erschienen waren, und von denen ich einen hier wörtlich wiedergeben will, keinen Erfolg.

Er lautete:

«Ist es möglich, ein solches Geschrei zu erheben, um ein Paar tausend Deutsche, die aus der Fremde in ihr Vaterland zurückkehren wollen? Und die zu diesem Zwecke und im Interesse der Ordnung thun, was alle Welt jetzt thut, d. h. sich vereinigen, um – wie sie zusammen gelitten haben -, nun auch in der Heimat, nicht gegen die Heimat zusammen zu kämpfen?

Haben nicht grade diese Deutschen, die zum Theil Not und Mangel, zum Theil politische Verfolgungen in die Fremde getrieben, und für ihr Vaterland mehr geduldet haben als viele Phrasenmacher – eine doppelte Aufforderung und einen doppelten Beruf an der Befreiung ihres Vaterlandes und einer bessern Gestaltung der Dinge thätig mitzuwirken? Wer wagt es, – diesen ihnen zukommenden Anteil an Euerm Kampf zu schmälern? Haben sie nicht auch wie Ihr die Pflicht, ihre unveräußerlichen Rechte laut und stürmisch, eben so laut wie Ihr zu fordern?

Ihr wollt sie mit Flinten und Kanonen, mit Feuer und Schwert empfangen und vertilgen, weil sie vielleicht bewaffnet erscheinen?

Edle Sprache der jungen, deutschen Freiheit!

Entweder ist es Euch Ernst mit der allgemeinen Volksbewaffnung, und dann könnt Ihr keinen Eurer Brüder ausschließen, oder Ihr fürchtet noch, gesteht es, das bewaffnete Volk, und Ihr seid Heuchler, die nur von Volksbewaffnung reden, um einer schwindenden Popularität – für einen Augenblick wieder auf die Beine zu helfen!

Ihr sagt, Ihr braucht uns nicht? Man braucht Fremden, wie Ihr Eure Brüder nennt (und darunter Eure besten Brüder) fertig werden?

Fertig werden, in Euerm Sinne, ja! In unserm, im demokratischen Sinne – nein! denn wir wollen nicht einmal die Freiheit, wenn es möglich wäre, durch Euch, wir wollen sie durch uns, wir wollen sie durch Alle, wie für Alle. Niemand hat ein Mandat vom deutschen Volk bekommen, und Niemand wird uns verwehren, selbst an Ort und Stelle unser Wort aus unserm Munde anzubringen. Wir werden kommen, denn es ist unsre Pflicht zu kommen. Wir erkennen keine andere Macht auf Erden als das Volk selbst und den Willen des ganzen Volks; wir werden uns weder durch die Reaktionairen, noch durch die liberalen Leithämmel zurückhalten lassen, welche um sich das Heft nicht aus den Händen winden zu lassen, aus Constitutionellen über Nacht Republikaner geworden. – Wir glauben, daß ohne vorhergegangenen Volkssturm die neue Zeit für Deutschland nicht herauf geführt werden wird, und wir halten uns, wenn auch für ein kleines, doch für kein ganz unnützes Element in solchem Volkssturm, denn wir bringen die Erfahrung einer Revolution und tapfere Kämpfer von den Pariser Barrikaden mit uns. Wir verlangen die schleunigste Abschaffung der Monarchie für ganz Deutschland, da weder mit einem König – – – noch mit einem Kaiser – – – ein ernsthafter Kampf gegen den Feind im Osten geführt werden kann, welche beide in ihm immer ihren geheimen Verbündeten sehen werden.

Die Republik ist für uns eine Gewissenssache, eine religiöse Angelegenheit und die Monarchie kann heute auch von keiner Majorität uns mehr aufgedrungen werden.

Die Zeit drängt, und der Krieg ist vor der Thüre. Seid Ihr wirklich vor unserer Ankunft mit Allem fertig, so bleibt Euern Brüdern in Paris immer noch übrig, das erste Regiment der deutschen Republik gegen den Russischen Absolutismus zu bilden, wozu sie Alle ohne Ausnahme bereit sind.

So Viel in Eile und vorläufig an die freigewordene deutsche Masse.»

 

Georg Herwegh.