BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Friedrich Hölderlin

1770 - 1843

 

Briefe

 

1796

Friedrich Schiller an Hölderlin

 

Textgrundlage:

Friedrich Hölderlin, Sämtliche Werke, Bd. 7,1. Briefe an Hölderlin.

Hrsg. von Friedrich Beißner, Stuttgart: Kohlhammer, 1968

 

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Jena 24. Nov. 96.

 

Ich habe Sie keineswegs vergessen, lieber Freund, wie Sie denken: bloß Zerstreuungen und Geschäfte, neben meiner gewöhnlichen Briefscheu haben die Antwort auf Ihre freundschaftlichen Briefe so lange verzögert.

Ihre neuesten Gedichte kamen für den Almanach um mehrere Wochen zu spät, sonst würde ich von dem einen oder dem andern gewiß Gebrauch gemacht haben. Dafür, hoffe ich, sollen Sie an dem künftigen desto größern Antheil haben. Da es mir heute an Muße fehlt, diese letzt übersandten Stücke durchzugehen, so behalte ich sie vor der Hand noch da, um meine Bemerkungen beyzuschreiben.

Große Freude machte mirs, wenn ich in dem nächsten Almanach einige reife und bleibende Früchte Ihres Talents aufstellen könnte. Nehmen Sie, ich bitte Sie, Ihre ganze Kraft und Ihre ganze Wachsamkeit zusammen, wählen Sie einen glücklichen poetischen Stoff, tragen ihn bildend und sorgfältig pflegend im Herzen, und lassen ihn in den schönsten Momenten des Daseyns ruhig der Vollendung zureifen. Fliehen Sie wo möglich die philosophischen Stoffe, sie sind die undankbarsten, und in fruchtlosem Ringen mit denselben verzehrt sich oft die beßte Kraft, bleiben Sie der Sinnenwelt näher, so werden Sie weniger in Gefahr seyn, die Nüchternheit in der Begeisterung zu verlieren, oder in einen gekünstelten Ausdruck zu verirren.

Auch vor einem Erbfehler deutscher Dichter möchte ich Sie noch warnen, der Weitschweifigkeit nehmlich, die in einer endlosen Ausführung und unter einer Fluth von Strophen oft den glücklichsten Gedanken erdrückt. Dieses thut Ihrem Gedicht an Diotima nicht wenig Schaden. Wenige bedeutende Züge in ein einfaches Ganzes verbunden, würden es zu einem schönen Gedichte gemacht haben. Daher empfehle ich Ihnen vor allem eine weise Sparsamkeit, eine sorgfältige Wahl des Bedeutenden und einen klaren einfachen Ausdruck desselben. Doch wie kann ich alles das specificiren, was ich wünschte? Sie haben Mosen und die Propheten; halten Sie Sich an die schönsten Muster und bilden sich daraus die Regeln selbst, die ohne das nur Worte seyn würden.

Verzeyhen Sie mir diese Aufforderungen, diese Warnungen. Theilnehmende Freundschaft hat beyde eingegeben.

Leben Sie recht wohl und lassen mich fleißig von sich hören.

 

Ihr aufrichtig ergebener

Schiller.