BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Friedrich Hölderlin

1770 - 1843

 

Briefe

 

1799

Hegel an Hölderlin

 

Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770 - 1831) war in dieser Zeit Hauslehrer bei der Familie Steiger in Bern. Häufig war er mit den Steigers auf deren Weingut in Tschugg bei Erlach. Als sein Vertrag zu Ende ging, vermittelte ihm Hölderlin eine Hauslehrerstelle bei der Familie des Wein-Großhändlers Gogel in Frankfurt, die er 1797 antrat.

 

 

Textgrundlage:

Friedrich Hölderlin, Sämtliche Werke, Bd. 7,1. Briefe an Hölderlin.

Hrsg. von Friedrich Beißner, Stuttgart: Cotta, 1959

 

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Tschugg bei Erlach, November 1796.

 

Liebster Hölderlin!

 

So wird mir doch einmal die Freude, wieder etwas von Dir zu vernehmen; aus jeder Zeile Deines Briefs spricht Deine unwandelbare Freundschaft zu mir; ich kann Dir nicht sagen, wie viel Freude er mir gemacht hat, und noch mehr die Hoffnung, Dich bald selbst zu sehen und zu umarmen.

Ohne länger bei dieser angenehmen Vorstellung zu verweilen, laß mich gerade von der Hauptsache sprechen. Dein Wunsch allein, mich in der Lage zu sehen, von der Du mir schreibst, bürgt mir dafür, daß dieses Verhältniß nicht anders, als vortheilhaft für mich seyn kann; ich folge also ohne Bedenken Deinem Rufe, und entsage andern Aussichten, die sich mir darboten. Mit Vergnügen trete ich in die vortreffliche Familie ein, in der ich hoffen kann, daß der Antheil, den ich an der Bildung meiner zukünftigen Zöglinge nehmen werde, von glücklichem Erfolge seyn wird; den Kopf derselben mit Worten und Begriffen zu füllen, gelingt zwar gewöhnlich, aber auf das Wesentlichere der Charakterbildung wird ein Hofmeister nur wenig Einfluß haben können, wenn der Geist der Eltern nicht mit seinen Bemühungen harmonirt. – In Ansehung der ökonomischen und anderer Verhältnisse im Haus ist es zwar oft der Klugheit gemäß, sich im Voraus genau darüber zu erklären; ich glaube aber hier dieser Vorsicht entbehren zu können und überlasse es Dir, mein Interesse zu besorgen, da Du auch am besten wissen wirst, was in Frankfurt in dieser Rücksicht gewöhnlich ist, und in welchem Verhältnisse die Bedürfnisse des Lebens und das Geld gegen einander stehen.

Bedienung im Hause und freie Wäsche werde ich auch erwarten können.

Ich enthalte mich, Dich um Erläuterungen in Ansehung der Wünsche des Herrn Gogel über den Unterricht und die specielle Aufsicht über seine Kinder zu bitten; der Unterricht wird in diesem Alter noch in solchen Kenntnissen bestehen, die für alle gebildete Menschen gehören – in Ansehung der äußeren Sitten werde ich über den größeren oder geringeren Spielraum, den Herr Gogel der jugendlichen Lebhaftigkeit lassen will, an Ort und Stelle seine Wünsche am besten kennen lernen und mich mit ihm darüber selbst vollständiger verständigen können, als es durch Briefe geschehen kann.

Was die Reise betrifft, so sehe ich voraus, daß die Kosten derselben nicht über 10 Karolins kommen werden, und wünschte, daß Du mit Herrn Gogel vorläufig davon sprächest und, wie Du es dann für schicklich findest, ihn ersuchtest, mir durch Dich einen Wechsel zu überschicken, – oder mir, wenn ich nach Frankfurt komme, die Kosten zu vergüten.

So leid es mir thut, nicht sogleich mich auf den Weg machen zu können, so ist es mir doch unmöglich, eher, als gegen das Ende des Jahrs das Haus, in dem ich mich wirklich [schwäbisch = gegenwärtig] befinde, zu verlassen; – und vor der Mitte des Jenners in Frankfurt einzutreffen. Da Du nun einmal angefangen hast, Dich für mich in dieser Sache zu interessiren, so muß ich Dir es schon noch zumuthen, das Wesentliche meines Briefs Herrn Gogel mitzutheilen und ihn dabei meiner Hochachtung zu versichern; er wird zwar selbst einsehen, daß ein Theil dessen, was Du ihm von mir magst gesagt haben, um ihm das Zutrauen einzuflößen, dessen er mich würdigt, mehr auf Rechnung Deiner Freundschaft für mich zu setzen seyn werde, oder daß sich ein Freund nicht immer nach dem andern sicher beurtheilen lasse; versichre ihn indeß, daß ich mir alle Mühe geben werde, um Deine Empfehlung zu verdienen. –

Wie viel Antheil an meiner geschwinden Entschließung die Sehnsucht nach Dir habe, wie mir das Bild unsers Wiedersehens, der frohen Zukunft, mit Dir zu seyn, diese Zwischenzeit vor Augen schweben wird – davon nichts – lebe wohl – Dein

Hegel.