BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Friedrich Hölderlin

1770 - 1843

 

Briefe

 

1802

Hölderlin an die Mutter, Johanna Christina Gock

 

Durch die Vermittlung eines Freundes erhält Hölderlin in Bordeaux bei der Familie des Hamburger Konsuls und Weinhändlers Daniel Christoph Meyer eine Hauslehrerstelle. Im Dezember 1801 bricht er nach Bordeaux auf, über Straßburg und Lyon.

 

Textgrundlage:

Friedrich Hölderlin, Sämtliche Werke, Bd. 6, Briefe.

Hrsg. von Friedrich Beißner, Stuttgart: Cotta, 1959

 

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Lyon d. 9 Jenn. 1802.

 

Meine theure Mutter!

 

Sie werden sich wundern, zu dieser Zeit von Lyon aus einen Brief von mir zu erhalten. Ich war genöthiget, länger als ich vermuthete in Strasburg zu bleiben, wegen meines Reisepaß, und die lange Reise von Strasburg bis hieher wurde durch Überschwemmungen und andere unabwendbare Umstände, die mich aufhielten, noch länger.

Es war ein beschwerlicher und erfahrungsreicher Weg, den ich bis hieher machte, aber auch manche reine Freude hab' ich gefunden. Ich kann nicht verschweigen, daß ich manchmal an euch, ihr Lieben, und auch an den gedachte, von dem mir der Muth kommt, der mich erhielt bis hiauf diese Stunde, und ferner mich geleiten wird.

Ich weiß es, einsame Beschäfftigung macht, daß man in der weiten Welt sich schwieriger findet; ich denke aber, Gott und ein ehrlich Herz hilft durch, und die Bescheidenheit vor andern Menschen.

Ich bin noch müde, liebe Mutter! von der langen kalten Reise und hier ists jezt so lebhaft, daß man nur in innigem Angedenken an solche, die uns kennen und, wiewohl auch gut sind, sich selber wiederfindet.

Morgen reis' ich nach Bordeaux ab, und werde wohl bald dort seyn., da jezt die Wege besser und die Flüsse nicht mehr ausgetreten sind.

Ich muß Ihnen noch sagen, daß mir die Reise über Lyon, als einem Fremden, von der Obrigkeit in Strasburg angerathen worden ist. Ich sehe also Paris nicht. Ich bin auch damit zufrieden.

Ich freue mich, mein ordentlich Geschäfft bald anzutreten.

Ich will Ihnen und den andern Lieben von Bordeaux aus, wenn ich in Ruhe bin, noch vieles schreiben.

Grüßen Sie alle, alle herzlich! Unser Karl wird jezt in Nürtingen seyn. Denken Sie manchmal an mich, wenn Sie des Abends vergnügt zusammen sind. Die liebe Schwester bitt ich, sich der besten Stunden zu erinnern, die wir hatten, und den Kleinen auch zuweilen den Onkel zu nennen.

Tausend Dank für alle Güte und Unterstüzung und Theilnahme!

Leben Sie wohl!

Ihr

treuer Sohn

Hölderlin.