BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Friedrich Hölderlin

1770 - 1843

 

Briefe

 

1802

Hölderlin an die Mutter, Johanna Christina Gock

 

Textgrundlage:

Friedrich Hölderlin, Sämtliche Werke, Bd. 6, Briefe.

Hrsg. von Friedrich Beißner, Stuttgart: Cotta, 1959

 

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Bordeaux, den 28 Januar 1802.

 

Endlich, meine theure Mutter, bin ich hier, bin wohl aufgenommen, bin gesund und will den Dank ja nicht vergessen, den ich dem Herrn des Lebens und des Todes schuldig bin. – Ich kann für jetzt nur wenig schreiben; diesen Morgen bin ich angekommen, und meine Aufmerk­samkeit ist noch zu sehr auf meine neue Lage gerichtet, um mit Ruhe Ihnen einiges Interessante von der überstandenen Reise zu sagen.

Ueberdiß hab' ich so viel erfahren, daß ich kaum noch reden kann davon.

Diese letzten Tage bin ich schon in Einem schönen Frühlinge gewandert, aber kurz zuvor, auf den gefürchteten überschneiten Höhen der Auvergne, in Sturm und Wildniß, in eiskalter Nacht und die geladene Pistole neben mir im rauhen Bette – da hab' ich auch ein Gebet gebetet, das bis jetzt das Beste war in meinem Leben und das ich nie vergessen werde.

Ich bin erhalten – danken Sie mit mir!

Ihr Lieben! ich grüßt' Euch wie ein Neugeborner, da ich aus den Lebensgefahren heraus war – ich warf mirs gleich vor, daß ich im letzten Briefe von Lyon aus unsere theure Großmutter nicht besonders nannte, ich sprach mit Ihnen, liebe Mutter, sahe meiner Schwester Bild, und schrieb in meinen freudigen Gedanken einen Brief an meinen Karl in hohem Tone.

Ich bin nun durch und durch gehärtet und geweiht, wie Ihr es wollt. Ich denke, ich will so bleiben, in der Hauptsache. Nichts fürchten und sich viel gefallen lassen.

Wie wird mir der sichere erquickende Schlaf wohl thun. Fast wohn' ich zu herrlich. Ich wäre froh an sicherer Einfalt. Mein Geschäfft soll, wie ich hoffe, gut gehn. Ich will mich ganz dem widmen, besonders von Anfang. Lebet wohl! Von Herzen und mit Treue

 

Der Eure

H.

 

N. S. Der Brief hat sich um einige Tage verspätet, der Anfang meiner Bekanntschaft, meiner Bestimmung ist gemacht. Er könnte nicht besser seyn. «Sie werden glücklich seyn», sagte beim Empfange mein Konsul. Ich glaube, er hat Recht.