BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Friedrich Hölderlin

1770 - 1843

 

Briefe

 

1802

Hölderlin an die Mutter, Johanna Christiana Gock

 

Hölderlins letzter Brief aus Bordeaux. Aus ungeklärten Gründen verläßt er nach nur wenigen Monaten im Mai 1802 seine Hauslehrerstelle bei Konsul Meyer. Die Heimreise führt ihn über Paris, sein Paßeintrag an der Rheinbrücke in Kehl stammt vom 7. Juni. Erst Ende Juni berichten die Freunde, daß er in verwahrlostem und verwirrten Zustand in Stuttgart angekommen sei. Spätestens hier erfährt er vom Tod Susette Gontards, die am 22. Juni 1802 gestorben war. Noch im Juni kehrt er zur Mutter nach Nürtingen zurück und beginnt mit der Übersetzung der Tragödien des Sophokles.

 

Textgrundlage:

Friedrich Hölderlin, Sämtliche Werke, Bd. 6, Briefe.

Hrsg. von Friedrich Beißner, Stuttgart: Cotta, 1959

 

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Bordeaux, am Charfreitag, 1802. [16. April]

 

Meine theure Mutter!

 

Verkennen Sie mich nicht, wenn ich über den Verlust unserer nun seeligen Großmutter mehr die nothwendige Fassung, als das Laid ausdrücke, das die Liebe in unsern Herzen fühlt. Ich finde, daß man ohne festen Sinn nicht wohl auskommt, ich will der Rathgeber nicht seyn für die Meinigen, aber ich meines Orts muß mein so lange nun geprüftes Gemüth bewahren und halten, und die zärtlichen guten Worte, die, wie Sie wissen, mir zu leicht vom Munde gehen, ich muß sie sparen für jetzt, ich darf nicht Sie und mich noch mehr dadurch bewegen. Das neue reine Leben, das, wie ich glaube, die Gestorbenen nach dem Tode leben, und das der Lohn ist auch für die, die, wie unsere theure Großmutter, ihr Leben lebten in heiliger Einfalt, diese Tugend des Himmels, die nun ihr Antheil ist, nach der so lange ihre Seele sich sehnte, diese Ruhe und Freude nach dem Leiden, wird auch Euer Lohn seyn, theure Mutter, theure Schwester, für meinen Bruder und mich ist wohl auch ein edler Tod, ein sicherer Fortgang vom Leben ins Leben aufbehalten, so wie ich glaube, allen den Unsrigen.

Indessen geleite uns ein treuer gewisser Geist, und der Hohe im Himmel gebe, daß wir nicht lässig seyen und was wir thun, mit Maas thun und das Schickliche treffen in dem, was unsere Sache ist!

Mir gehet es so wohl, als ich nur wünschen darf! Ich hoffe auch das, was meine Lage mir giebt, allmählig zu verdienen, und einmal, wenn ich in die Heimath wiederkomme, der wahrhaft vortrefflichen Menschen, denen ich hier verbunden bin, nicht ganz unwürdig zu seyn.

Denket, ihr Lieben, meiner so viel, als Ihr dadurch im Eurigen nicht gestört seyd. Meinem Bruder wünsche ich, daß er fortfahre mit Glück, so wie er bisher gedieh lebte, in seinem Kreise, seinen Geschäfften.

Die guten Kinder werden Euch viele Freude machen, und Ihr seyd glücklich, so von lebendigen Bildern der Hoffnung, wie ich von meinen Zöglingen, umgeben zu seyn. Grüßet meine Freunde, entschuldiget mich, daß ich nicht schreibe, die weite Entfernung und meine Beschäfftigungen rathen mir, für jetzt mit Briefen etwas sparsam zu seyn. Wir bleiben uns dennoch. Euer

treuer

H.