BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Friedrich Hölderlin

1770 - 1843

 

Briefe

 

1802

Sinclair an Hölderlin

 

Isaac von Sinclair (1775 - 1815) war Diplomat und Schriftsteller. Hölderlins Freundschaft mit ihm beginnt während seines Aufenthalts in Jena 1795. Beide sind glühende Anhänger der Französischen Revolution. Im «Hyperion» verewigt ihn Hölderlin in der Gestalt des Alabanda. Im Brief vom 30. Juni 1802 berichtet Sinclair Hölderlin über den Tod Susette Gontards. Er vermutet ihn noch in Bordeaux und so erreicht Hölderlin die Nachricht wohl erst bei seiner Ankunft in Stuttgart. Sinclair - inzwischen Hessen-Homburger Regierungschef - lädt ihn nach Homburg ein und verschafft ihm die Stelle eines Hofbibliothekars. Im Februar 1805 wird Sinclair völlig unerwartet verhaftet und des Hochverrats angeklagt. Auch Hölderlin ist betroffen und belastet bei der Vernehmung auch Sinclair. Dies führt zum Bruch ihrer Freundschaft. Das Verfahren gegen Sinclair wird eingestellt. Beim Wiener Kongreß betätigt sich Sinclair als versierter Diplomat, die revolutionären Ideen sind vergessen, und er fordert eine Rückbesinnung auf die frühere deutsche Adelsgesellschaft.

 

 

Textgrundlage:

Friedrich Hölderlin, Sämtliche Werke, Bd. 7,1. Briefe an Hölderlin.

Hrsg. von Friedrich Beißner, Stuttgart: Kohlhammer, 1968

 

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Homburg vor der Höhe, den 30ten Jun. 1802.

 

Lieber Hölderlin!

 

So schrecklich mir die Nachricht ist, die ich Dir zu geben habe, so kann ich doch nicht das dem Zufall überlassen, wogegen die Hülfe der Freundschaft zu gering ist. Auch bin ich mehr dazu gemacht, seit mich ein ähnliches Schicksal betroffen hat, das ich nicht erwartete, und das mich im tiefsten Herzen kränkt. Der edle Gegenstand Deiner Liebe ist nicht mehr, aber er war doch Dein, und wenn es schrecklicher ist, ihn zu verlieren, so ist es kränkender, nicht der Liebe würdig geachtet zu werden. Jenes ist Dein, dieß ist mein Schicksal. Trost weiß ich Dir keinen zu geben, besser, als Du selbst hast. Du glaubtest an Unsterblichkeit, da sie noch lebte, Du wirst gewiß itzt mehr denn vorher glauben, da das Leben Deiner Liebe sich vom Vergänglichen geschieden hat. Und was ist größer und edler, als ein Herz, das seine Welt überlebt, und das, schon frühe, das Schicksal zu dem ernsten Gefühl stimmt, in dem allein uns Leben, Frieden und Ewigkeit beschieden ist. Ich rede Dir Muth zu mit unerschrockenen Herzen. Wie ich ohne alle Furcht bin, darf ich zur Liebe die Wahrheit reden.

Am 22ten dieses Monats ist die G[ontard] gestorben, an den Röthein, am 10ten Tag ihrer Krankheit. Ihre Kinder hatten sie mit ihr und überstanden sie glücklich. Sie hatte den verflossenen Winter einen gefährlichen Husten gehabt, der ihre Lunge schwächte. Sie ist sich bis zuletzt gleich geblieben. Ihr Tod war wie ihr Leben.

Es hat mich tief gerührt, und ich weine, indem ich dies schreibe. Seit Deiner Trennung hatte ich sie auch nicht mehr gesehen, und ich hielt es für unwürdig, mich nach einem Wesen zu erkundigen, das das wandellose Leben der Gottheit lebte. Die Nachricht war um so unerwarteter, aber ich habe sie auch in einem desto reineren Herzen empfangen, und ich rede zu Dir, ihrer nicht unwürdig.

Seit Du mich verlassen hast, hat mich mancherlei Schicksal betroffen. Ich bin ruhiger und kälter geworden, und ich kann Dir versprechen, daß Du an der Brust Deines Freundes ausruhen kannst. Du kennst alle meine Fehler, ich hoffe, keiner soll mehr eine Mißhelligkeit zwischen uns hervorbringen. Ich lade Dich also ein, zu mir zu kommen, und bei mir zu bleiben, so lange ich hier bin. Die möglichen Fälle, die meine Lage verändern würden, wollen wir gemeinschaftlich überlegen und beschließen, und wenn das Schicksal gebieten sollte, so werden wir als ein treues Paar seine Bahn gehen. Itzt kann ich 200 fl. jährlich füglich entbehren, die kann ich Dir geben, und freie Wohnung und was dazu gehört. Nimm dieß nicht als meine bloße Bitte, sondern auch als meinen Rath an, so sehr ich Dir, da ich Deine Lage nicht kenne, rathen kann, weil es der Fall sein könnte, daß Du dort den Frieden fändest, der Dir nöthig ist. Melde mir Deine Entschließung. Auch will ich zu Dir nach Bordeaux reisen, wenn Du willst, und Dich abholen.

Freund Ebel [Susettes Arzt] läßt Dich grüßen, er ist seit dem Januar in Frankfurt. Er war bei G[ontard] in ihrer Krankheit, und ihr Trost in ihren letzten Stunden.

Dein

Sinclair.