BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Hermann Kurz

1813 - 1873

 

Genzianen

Ein Novellenstrauß

 

1837

 

Textgrundlage:

Hermann Kurz: Dichtungen

Pforzheim: Verlag von Dennig, Finck & Co, 1839

 

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Das alte Paar.

Eine kurze Liebesgeschichte.

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Wie viele Namen glücklich und unglücklich Liebender haben uns die Dichter überliefert! Wir kennen die bedrohte Liebe von Pyramus und Thisbe, die an einem Irrthum starben, von Hero und Leander, die ein blödsinniger Zufall zu Grunde richtete; die verbotene Liebe, diese süße Verzweiflung der Leidenschaft, von Romeo und Julia; die mehr als verbotene, die unmögliche Liebe von Abälard und Heloise, die erst jenseits des Grabes auf eine neue und nach göttlichen Rechten erlaubte Verbindung hoffen durften. Wir kennen auch die glückliche Liebe, welche mit trotzigem Anspruch rasch ihre Früchte pflückt und den Becher austrinkt, der doch „mehr Aloë als Honig enthält,“ wie ein dreifach gekrönter Dichter, dem es noch über seinen päbstlichen Stolz ging, sich Aeneas Sylvius poëta unterzeichnen zu dürfen, in seiner, den schönsten Erfindungen alter und neuer Dichtkunst ebenbürtigen Novelle von Euryalus und Lucrezia sagt; und wenn man alle die Schätze, welche Poesie und Liebe geschaffen haben, in ein kostbares Gefäß sammeln wollte, so könnte man kein edleres Siegel darauf drücken, als die rhythmische Apostrophe desselben Dichters:

 

Qui nunquam sensit amoris ignem,

Aut lapis est aut bestia!

Isse namque vel per Deorum medullas

Non latet igneam favillam.

 

Zu deutsch:

Wer nie gefühlt der Liebe Feuer,

Der ist ein Thier, ein Stein!

Verräth die Sage doch, der Flammenfunke sey

Selbst durch der Götter Mark gedrungen.

 

Nie darf der Dichter einen größern Erfolg hoffen, als wenn er eines solchen leidenschaftlichen Stoffs sich kühn bemeistert und, selbst von Leidenschaft bewegt, ihn mit dem Feuer einer mächtigen, hinreißenden Sprache durchströmt.

Und doch! vielleicht ist dieser Triumph leichter zu erwerben als der prunklose, für die Meisten unsichtbare Sieg über einen unbedeutenden, leidenschaftlosen Stoff, als die Kunst, dem Unbedeutenden Bedeutung zu geben, im Kleinen groß zu seyn und die flache Gewöhnlichkeit des Tageslebens mit sanfter Wärme zu beseelen.

Philemon und Baucis! was ließe sich da weiter sagen? Ein schläfriges Stillleben, mit anderthalb Worten ausgesprochen, sollte es der Poesie nicht ganz und gar unzugänglich scheinen? Und doch hat sie einem ihrer Söhne das Auge berührt, daß er in ihnen mehr sah, als einen alten Mann und ein altes Weib. Aber er muß eine Welt im Busen getragen haben, er war vielleicht menschlich größer als alle die stürmischen Dichter, die in ihren Werken so groß sind, er, der es gewagt hat, in diese kahle, ungeschmückte Hütte die Götter einzuführen. Es liegt ein tiefer Sinn, dem man wohl nachdenken darf, in jener Anschauung der Alten, die sie den begeisternden Musentrunk als klares Quellwasser sehen ließ. Das „heilig nüchterne Wasser“ ist ein Gedanke, den einer unserer geliebtesten und beklagtesten Dichter noch in die Finsterniß seines getrübten Geistes mit hinübergenommen hat.

Wenn man in unserer Hauptstraße an einem sonnigen Nachmittage auf und ab wandelt, so begegnet man einem Paare, welches, immer in der Mitte der Straße, langsam und vergnüglich seinen Weg geht. Sie blicken einander oft freundlich an, reden aber wenig mit einander; doch wenn es geschieht, so thun sie es mit einem gewissen Nachdruck, mit einem angelegentlichen Tone, und hören dann sehr aufmerksam einander zu. Ihre Gespräche haben aber nicht die großen Fragen der Literatur und des Lebens zum Gegenstande, denn selten verirrt sich ein Buch in ihr Haus, sondern es sind Kleinigkeiten, unbedeutende Bemerkungen, welche bloß dadurch, daß sich eine Seelenstimmung des Einen darin abspiegelt, für das Andere einen Werth erhalten. Sie sind Beide in den Fünfzigern und haben einander vor drei Jahren geheirathet. Philemon – mag denn der Name für die Gattung bleiben! – kam während seiner bescheidenen, und unter großen Entbehrungen zugebrachten Jugend in das Grenzstädtchen, wo er seine Baucis kennen lernte. Beide waren weder schön noch irgend anziehend zu nennen, dennoch fanden sie sich von selbst zusammen, und blieben, während so viele, von der Natur reichlich ausgestattete Paare um sie her leidenschaftlich wechselten, einander dreißig Jahre lang in ruhiger Treue ergeben. Sein Beruf trennte ihn von der Heimath seiner Braut und trieb ihn unter beschwerlichen Arbeiten durch das halbe Land; Beide kränkelten und kamen mehrmals an den Rand des Grabes. Ich glaube, sie haben sich in dieser langen Zeit nicht dreißig Briefe geschrieben. Endlich, nach so vieljähriger Geduld, verschafften ihm seine demüthigen Ansprüche einen kleinen Posten, der ihm einen eigenen Herd zu errichten und die erprobte Priesterin in ihr Heiligthum einzuführen erlaubte. Es war das einzige Mal in seinem Leben, daß er eine ungeduldige Eile bewies: aber hatte er denn nicht ein Recht, zu befürchten, daß das Schicksal, das sich dreißig Jahre lang ungütig bewiesen, noch im Hafen seinen leichtbeladenen Kahn umstürzen könnte?

Jede Bewegung in ihrem Zusammenleben zeigt, wie wohl es ihnen bei einander ist, jenes unaussprechliche leise Gefühl, das die Jugend nur etwa nach einer anstrengenden Bergwanderung, todtmüde zum ersehnten Lager gelangend, empfinden kann. Vielleicht waren die Krankheiten, welche dem Menschen seine trotzige, unstete Kraft benehmen, nothwendig, um zwei Gemüther zu einer solchen Friedseligkeit zu stimmen; aber ihr würdet Jedem, den ihr gerne glücklich sähet, solche Dämpfungen wünschen, wenn ihr diese friedliche Hütte besuchtet, wenn euch die heitere Reinlichkeit in die Augen glänzte, die blanke Ordnung, die Pünktlichkeit, womit Baucis ihrem von der sauren Arbeit heimkommenden Gatten die Suppe auf die Minute rüstet, die Sorgfalt, womit sie einander in kranken Tagen abwechselnd pflegen, das Behagen, wenn sie in ihren altererbten Lehnstühlen einander gegenüber sitzen, und wenn sie so gelinde mit einander spazieren gehen. Dieser Anblick macht nicht den Eindruck eines Frühlingstages, der uns mit frischen Blüthen überschüttet, nein, es ist uns zu Muthe wie in einem wohlerwärmten Zimmer, an dessen Fenster die winterlichen Flocken schlagen. Leidenschaft war nie in diesem Verhältnis, Leidenschaft ist nur mit Jugend, Kraft und Schönheit gepaart; aber es ist auch nicht die stumpfe Macht der Gewohnheit, auf welche sich der Friede gemeiner Seelen gründet: sie haben weder die Kultur, die ihnen die Cirkel der Vornehmen eröffnen, noch jene Bildung, die sie zum Umgang mit hochgestellten Geistern fähig machen könnte, und doch sind sie keine gemeinen Seelen. Ist es Liebe? oder findet ihr bei einem alten, fünfzigjährigen Paare diesen Namen lächerlich? genug, es ist ein Ton in ihnen von jener unaussprechlichen Harmonie, welche wir nur aus glücklichen Träumen kennen, ein Hauch von jener seltenen Seelenwärme – es läßt sich nicht nennen, nicht näher beschreiben – und damit ist meine Geschichte zu Ende.

Ich gebe sie als einfachen Stoff hinaus für den, der das Schwere sucht und dem nüchternen Quellwasser seinen Geschmack abzugewinnen versteht. Wer hat den Muth, die Götter in diese Hütte einzuführen?