BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Hermann Kurz

1813 - 1873

 

Zur Geschichte

des Romans Simplicissimus

und seines Verfassers

 

1865

 

______________________________________________________________________________

 

 

 

1.

Die beiden feindlichen Ausgaben.

__________________

 

W. L. Holland. Der abenteuerliche Simplicissimus. Versuch einer Ausgabe nach den vier ältesten Drucken. Tübingen 1851.

Adelbert v. Keller. Der abenteuerliche Simplicissimus und andere Schriften von Hans Jakob Christoph v. Grimmelshausen. II, 1127 ff. IV,907 ff. Stuttgart 1854. 1862.

Heinrich Kurz. Hans Jacob Christoffels v. Grimmelshausen. Simplicianische Schriften. I, I – LXXIV, II, 441 ff. Leipzig 1863–1864.

Indem wir auf die genannten kritischen Arbeiten verweisen, citieren wir die Titel der zur Sprache kommenden Ausgaben vorerst möglichst abgekürzt, mit den Schlagworten die später zur Erörterung kommen werden.

Als die beiden ältesten bekannten Ausgaben des Simplicissimus sind verzeichnet: A. Neueingerichter und vielverbesserter abentheuerlicher Simplicissimus. B. Der Abentheuerliche Simplicissimus Teutsch, beide von 1669 und beide angeblich zu Mömpelgart bei Joh. Fillion gedruckt. 1) Sie weichen nicht bloß im Titel sehr auffallend von einander ab, sondern unterscheiden sich auch – bei völliger Gleichheit des Textes im ganzen – durch gewisse Formgegensätze, die wir mit Keller und Heinrich Kurz dahin bezeichnen daß A starke, B unorganisch schwache Flexionen vorzieht, und daß A überhaupt eine volkthümlichere Ausdrucksweise hat als B. Sodann führen zwar beide auf dem Titelkupfer dasselbe allegorische Ungeheuer, aber keineswegs von demselben Künstler ausgeführt, vielmehr in Zeichnung und Stich so schreiend entgegengesetzten Kunstwerths, daß man mit Hamlet sagen muß: „Blick auf dieß Bildniß und auf dieß!“ Der Vorzug ist hier auf Seiten von B. Ein weiterer Unterschied zu gleichen Gunsten zeigt sich in der äußeren Ausstattung des Titels. B rückt mit einem wahren Prachttitel für den damaligen Geschmack ins Feld: wohl ein Drittheil desselben prangt in rothen Lettern, und an die Wörter „Simplicissimus“ und „Teutsch,“ ganz besonders aber an das letztere, das in der {3162a} einsamen Majestät einer abgesonderten Zeile als der eigentliche Mittelpunkt dieser Triumphprocession einherzieht, ist eine Fülle des kostbaren Zinnobers verschwendet. Ebenso sind die den einzelnen Büchern des Romans vorgesetzten Capitelinhaltsverzeichnisse und die im Text vorkommenden Verse mit den breiten runden Lettern gedruckt die man Schwabacher zu nennen pflegte. Solcher Ausstattung gegenüber tritt A mit schwarzem Titel, schlechtem Titelkupfer und kleinmüthigen Capitelinhaltslettern sehr bescheiden auf; dafür aber hat diese Ausgabe im Text selbst nicht bloß vollere Sprachformen, sondern auch einen etwas besseren Druck, und kann sich obendrein für die damaligen Anforderungen mit Recht einer verbesserten Einrichtung rühmen, indem sie die Inhaltsverzeichnisse der Bücher als Ueberschriften über den einzelnen Capiteln wiederholt und in einem fortlaufenden Columnentitel das jeweilige Buch und Capitel angibt. Nach all diesem wird man in den beiden Kindern die sich eines Ursprungs nennen und auch manche Unarten 2) mit einander gemein haben, dennoch ungleiche, ja, in Betracht der sich so deutlich kundgebenden Gegenbestrebungen, feindliche Brüder erkennen müssen.

Die Ausgabe C, 1670, schließt sich mit Titel, Kupfer, Text und Druckfehlern so eng an B, daß sie vorderhand hier aus dem Spiel bleiben kann. Später wird sie uns etwas mehr beschäftigen. Auch sie will von Mömpelgart und aus Fillions Presse stammen.

Grimmelshausens Nürnberger Verleger, Felßecker, begegnet in den bis jetzt näher bekannten Simplicianischen Schriften erstmals 1670. In diesem Jahr erschienen bei ihm der „Keusche Joseph“ des angeblichen Greifenson, „Simplicissimi Ewigwährender Kalender“, und der Roman „Dietwald und Amelinde“, dieser bekanntlich unter dem wirklichen Autornamen. 3)

Mit dem folgenden Jahr 1671 4) tritt die erste der bis jetzt völlig bekannten Felßecker'schen Ausgaben des Simplex an das Licht: D. Gantz neu eingerichteter Simplicius Simplicissimus etc. Mömpelgart, Gedruckt bei Johann Fillion, Nürnberg zu finden bei W. E. Felßeckern. Diese Ausgabe beginnt mit einer Vorerinnerung, offenbar, wie schon der Styl verräth, von Grimmelshausen selbst (dem damals noch fünf Lebensjahre beschieden waren), jedoch in der angenommenen Person seines Helden abgefaßt. Hiemit, sagt dieser, erscheine seine neue ganz umgegossene lusterweckende und sehr nachdenkliche Lebensbeschreibung, wozu ihn ein kühner und recht verwegener Nachdrucker veranlasse, der seinem Herrn Verleger Mühe, Unkosten und geringfügigen Gewinn der ersten Einrichtung und annehmlichen Vorstellung (Herstellung) dieses seines demselben allein mitgetheilten Werkleins aus den Händen zu reißen sich unterstanden habe. Er droht diesem Gelichter mit einem „Tractätgen“ unter dem Titel: „Derer in frembde Aemter greiffenden Frevler rechtmäßige Nägelbeschneidung.“ Dann bittet er die Leser sich diese Edition, die seines Verlegers Namen trage, vor andern lieb sehn zu lassen; denn die andern Exemplarien, da (woran) das Widerspiel (Gegentheil) befindlich, werde er, so wahr er Simplicissimus heiße, nicht für seine Geburt erkennen, sondern „aus selben Scharmützel zu machen, auch dem Nachspicker eine Copi (Copie) davon zu übersenden nicht unterlassen.“ Endlich gibt er ein Verzeichniß seiner bei Felßecker erschienenen und noch erscheinenden „Tractätel“. Die ersteren bilden schon einen guten Theil seiner sämmtlichen Schriften, und zwar befinden sich unter ihnen bereits die wohlbekannten Fortsetzungen des Simplex die Courage und der Springinsfeld. Auch die drei vorhin aufgeführten Nummern von 1670 stehen auf der Liste, der Kalender als „vor kurtz verwichener Zeit mit großer Müh und Unkosten auch zu Ende gebracht.“ Das Künftige verwahrt er schließlich mit erneuter Drohung gegen einen etwaigen „zudöppischen und frembdes Gut begehrenden Langfinger,“ dem es einfallen sollte dasselbe „nachzuspicken und nachzuformen.“

Dreizehn Jahre später, 1684, erschien als erster Band der Gesammtausgabe der aus dem Grabe der Vergessenheit wieder erstandene teutsche Simplicissimus etc. Nürnberg, Druckts und verlegts Johann Jonathan Felßecker. Diese Ausgabe ist mit christlich moralischen Anmerkungen und Betrachtungen nach damals beliebter Art verbrämt, die auch ein paar spärliche biographische Notizen über den inzwischen verstorbenen Verfasser bringen. Eine „Allgemeine Zuschrift an den etc. Leser,“ unterzeichnet Nürnberg, den 1. Sept. An. 1663, Johann Jonathan Felßecker,“ eröffnet {3162b} das Buch, dasselbe empfehlend, den Dank des Lesers beanspruchend, ihn vor Neid und Bitterkeit gegen den Verleger warnend. Darauf folgt eine im letzteren Punkt deutlichere „Nöthig erachtete Vorerinnerung,“ die, augenscheinlich vom Commentator im Einklang mit dem Verleger geschrieben, am Schluß die Zuversicht ausspricht: es werde „kein ehrlicher Biedermann, wie zwar Herr Verleger bei erster Auflag mit schmerzlichem Verlust und empfindlichen Schaden erfahren müssen,“ zum Nachdruck sich verleiten lassen.

Wir haben somit zwei authentische Erklärungen vor uns, die eine vom Verfasser, die andere im Namen der Verlagsfirma abgegeben, wonach die erste Auflage des Simplicissimus von W. E. Felßecker in Nürnberg, verlegt worden ist und durch einen Nachdruck Schaden erlitten hat. Wollte man nun auch etwa, in der Erinnerung an Grimmelshausens unüberwindlichen Hang zu Mystifikationen, sich über den bittern Ernst seiner Erklärung noch einen Zweifel gestatten, so wird dieser durch die so unzweideutige verlegerische Beschwerde, so wie durch einen Blick auf die beiden im Krieg mit einander lebenden Ausgaben ein für allemal aus dem Wege geräumt. Der Nachdruck ist nicht bloß urkundlich bezeugt, sondern auch thatsächlich vorhanden: denn, wie es sich auch vorerst mit dem Drucker Fillion verhalten möge, eine der beiden Ausgaben dieses Namens muß unecht seyn.

 

――――――――

 

1) Die bei gegenwärtiger Besprechung vorliegenden Exemplare sind: von A das oft beschriebene mit der theuern Inschrift „L. Uhland 1829 ex dono Lassbergii“, von B ein bisher unbekanntes im Besitz des Hrn. Dr. Georg Scherer zu Stuttgart, beide noch ohne das sechste Buch. 

2) So in dem schönen Lied an die Nachtigall zweimal „Macht“, wo das zweitemal „Nacht“ gelesen werden muß. Der Druckfehler, der sich freilich aus dem Zusammenhang erklärt, ist dann noch aus B in C und aus A in D übergegangen. 

3) Und, nach Pastow (Blätter f. litt. Unterh.. 1843, S. 1038, 1042) zu schließen, befand sich schon in dieser ältesten Ausgabe das Sonett, das den Verfasser von Dietwald und Amelinde als Verfasser auch des Simplicissimus verratben wollte, gleichwie e" ihn der Nachwelt als solchen wirklich verrieth. 

4) Der Titel dieser Ausgabe hat zwar keine Jahreszahl, aber das Datum 1669, das der „Beschluß“ des sechsten Buchs früher (in den späteren Exemplaren von A und B) trug, ist hier neckisch, nach 1671 vorgeschoben. Man wird also diese Ausgabe einfach die von 1671 nennen dürfen.