B  I  B  L  I  O  T  H  E  C  A    A  U  G  U  S  T  A  N  A
           
  Karl Marx
1818 - 1883
     
   


G e d i c h t e   v o n
K a r l   M a r x


Aus einem Notizbuch von Sophie Marx

______________________________________________


     Menschenleben.

Stürmisch entfliehet
     Der Augenblick;
Was er entziehet,
     Kehrt nicht zurück.

Tod ist das Leben
     Ein ewiger Tod;
Menschenbestreben
     Beherrscht die Noth;

Und er verhallet
     In Nichts dahin;
Und es verschallet
     Sein Thun und Glühn.

Geister verhöhnen
     Ihm seine That;
Stürmisches Sehnen,
     Und dunkler Pfad;

Ewiges Reuen
     Nach eit'ler Lust;
Ewiges Breuen
     In tiefer Brust;

Gierig Bestreben
     Und elend Ziel
Das ist sein Leben,
     Der Lüfte Spiel.

Großes zu wähnen
     Doch niemals groß
Selbst sich zu höhnen,
     Das ist sein Loos.

 
     Auf Karl den Großen.

Mit tiefem Dunkel war umwunden
Von des Barbaren Händen keck entweiht,
was einst ein edler Geist empfunden,
jede schöne Seele hoch erfreut.

Was in Begeisterung versunken
Des hohen Grajas hehrer Dichter sang,
Was er einst selig, wonnetrunken,
Dem Raub der Zeiten kühn entrang.

Was einst in feurigen Gebilden
Der edle Demosthen herabgetönt,
Als tausende das Forum füllten,
Von dem er keck den stolzen Philipp höhnt.

Und alles Große, alles Schöne,
Was einst der Musen Zauberkreis umhüllt,
Was einst begeistert ihre Söhne,
War von Vandalenhänden roh verwühlt.

Da rief mit hehrem Zauberstabe,
Der große Karl die Musen neu empor,
Entriß das Schöne seinem Grabe,
Und lockte alle Künste hold hervor.

Er milderte die rohen Sitten
Und herrschte durch der Bildung Wundermacht;
Sie lebten still in ihren Hütten,
Von sicheren Gesetzen stark bewacht.

Und mehr als alle seine Kriege
Von bluthgefärbten Leichen hochgethürmt,
Als alle unheilsschwangre Siege,
Mit muthig hoher Heldenkraft erstürmt,

Umkränzet ihn die schöne Krone,
Die für die holde Menschheit er errang,
Ihm winket mit erhabnem Lohne,
Daß er die Rohheit seiner Zeit bezwang.

Und unvergeßlich wird er leben
In der Geschichte ewig großer Welt,
Sie wird ihm einen Lorbeer weben,
Der nie im Sturm der raschen Zeit entfällt.

     1833. Carl Marx.

[...]
 
Die Zerrißne.
Ballade.
(auch im Buch der Liebe I, in den Geburtstagsgedichten und in den Gedichten 1835/36)

     I.
Sie steht im Prachtgewande,
     Von Purpurkleid geziert,
In zartem Atlasbande,
     Das sich im Busen verliert.

Und spielend in den Locken
     Ein Rosenkranz ihr ruht,
Die einen gleich Schneesflocken,
     Die andern, wie Feuer und Blut.

Doch nimmer der Rose Flammen
     In ihrem Antlitz spielt,
Sie sinket gebeugt zusammen,
     Wie ein Wild, das der Pfeil erzielt.

Sie blicket so bleich und so bebend
     In vollem Demantenschein,
     Das Blut von der Wange strebend,
Es schlägt in's Herz hinein.

«Schon wieder mußt' ich eilen,
     Zu stürzen in leere Lust,
Die Schritte schwebend theilen,
     Gepreßt in tiefer Brust!»

«Mir schlägt ein ander Verlangen
     Durch der Seele wogend Meer,
Als mich an Pracht zu hangen,
     So kalt, so liebeleer!»

«Ich weiß mir nicht zu erklären,
     Was in dem Busen brennt,
Der Himmel kann's nur gewähren,
     Kein irdischer Laut es nennt.»

«Und keinem darf ich's vertrauen,
     Sie spotten meiner nur,
Vermögen nicht zu schauen
     In tiefere Natur.»

«Ach! dürft' ich fliehen, fliehen
     Zum Aether hoch hinauf,
Doch Stürm' und Wogen ziehen
     Mich fort im Erdenlauf.»

«Ich möcht' so gerne sterben,
     Im Schmerze untergehn,
Den Himmel zu erwerben,
     Und schöner Land zu sehn!»

Sie schlägt den Blick mit Thränen,
     Hinauf zum Himmelslicht,
Und ihres Busens Wähnen
     In stummen Seufzern bricht.

Dann legt sie leis sich nieder,
     Und spricht ein tief Gebet,
Und Schlaf umhüllt die Glieder,
     Und ein Engel über ihr steht.

     II.
Und Jahre zogen herüber,
     Die Wangen fielen ein,
Sie wurde still und trüber,
     Sank mehr in sich hinein.

Vergebens sucht sie zu kämpfen,
     Zu stillen den tiefen Schmerz,
Die Riesengewalten zu dämpfen,
     Es springt das volle Herz.

Sie lag einst wieder versunken
     Im Bette ohne Rast,
Schien schon im Nichts ertrunken,
     Vom Schlage tief erfaßt.

Der Blick ist aufgerissen,
     Er schaut so hohl und irr,
Scheint nicht mehr von sich zu wissen,
     Sie redet geisterwirr.

Und aus dem Auge quillet
     Ein Blutstrom ohne Wahl,
Da scheint der Schmerz gestillet,
     Da blizt es wie Geistesstrahl:

«Ich seh' den Himmel offen,
     Mich faßt's so seltsam an,
Zum Wesen wird mein Hoffen,
     Ich darf den Sternen nahn.»

So bebt's von den Lippen, den bleichen,
     So hallt die Seele aus,
Die zarten Geister weichen,
     Und fliehn zum Aetherhaus.

Hin trieb sie ein tiefes Streben,
     Dort zog sie's wie Zauberband,
Zu kalt war ihr das Leben,
     Zu arm das Erdenland.