B  I  B  L  I  O  T  H  E  C  A    A  U  G  U  S  T  A  N  A
           
  Karl Marx
1818 - 1883
     
   


W i l d e   L i e d e r

Athenäum. Nr. 4, 23. Januar 1841

______________________________________________


I.   Der Spielmann
II.   Nachtliebe


 
I. Der Spielmann.

Spielmann streicht die Geigen,
Die lichtbraunen Haare sich neigen,
     Trägt einen Säbel an der Seit',
     Trägt ein weites, gefaltet Kleid.

     «Spielmann, Spielmann, was streichst Du so sehr,
     Spielmann, was blickst Du so wild umher?
Was springt das Blut, was kreist's in Wogen?
Zerreiß't Dir ja deinen Bogen.»

«Was geig' ich Mensch! Was brausen Wellen?
Daß donnernd sie am Fels zerschellen,
     Daß 's Aug' erblind't, daß der Busen springt,
     Daß die Seele hinab zur Hölle klingt!»

«Spielmann, zerreiß't Dir das Herz mit Spott,
Die Kunst, die lieh Dir ein lichter Gott,
     Sollst ziehn, sollst sprühn auf Klangeswellen,
     Zum Sternentanz hinanzuschwellen!»

«Was, was! Ich stech', stech' ohne Fehle
Blutschwarz den Säbel in Deine Seele,
     Gott kennt sie nicht, Gott acht' nicht der Kunst;
     Die stieg in den Kopf aus Höllendunst,

Bis das Hirn vernarrt, bis das Herz verwandelt:
Die hab' ich lebendig vom Schwarzen erhandelt.
     Der schlägt mir den Takt, der kreidet die Zeichen;
     Muß voller, toller den Todtenmarsch streichen,

Muß spielen dunkel, muß spielen licht,
Bis 's Herz durch Sait' und Bogen bricht.»

Spielmann streicht die Geigen,
Die lichtbraunen Haare sich neigen,
     Trägt einen Säbel an der Seit',
     Trägt ein weites, gefaltet Kleid.

 
II. Nachtliebe.

Preßt sie krampfhaft an's Herz,
     Schaut so dunkel in's Auge:
«Viellieb, brennt Dich Schmerz,
     Bebst, bebst meinem Hauche!»

«Hast getrunken die Seele
     Mein! mein, Deine Gluth!
Glänz', meine Juwele,
     Glänz', glänz' Jugendblut!»

«Holder, schaust so bleich,
     Sprichst so wunderselten,
Sieh', wie sangesreich
     Zieh'n am Himmel Welten!»

«Ziehen, Liebchen, ziehen,
     Glüh'n Sterne, glüh'n!
Hinauf! hinauf dann entfliehen,
     Seelen zusammensprühn!»

Spricht dumpf leise flüsternd,
     Schaut entsetzt umher,
Blicke flammenknisternd
     Glüh'n in sein Auge leer.

«Liebchen, hast Gift getrunken,
     Mußt fort mit mir gehn,
Nacht ist herabgesunken,
     Kann den Tag nicht mehr sehn.»

Preßt sie krampfhaft ans Herz,
     Tod in Brust und Hauche,
Sticht sie tiefinnerer Schmerz,
     Oeffnet nie mehr das Auge.