BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

August von Platen

1796 - 1835

 

Die Abbassiden

Ein Gedicht in neun Gesängen

 

1930

 

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Fünfter Gesang.

 

Außerhalb der Stadt und längs der schönen

Gärten Bagdads, trabten jene Beiden,

Prinz Amin und ihm zur Seite Mesrur.

Endlich nahm das Wort der Sohn des Harun:

5

Länger nicht verhehle mir, Vertrauter

Meines Vaters, wie so schnell Alasnam

Sich zum Weib die Abbassidentochter,

Meine Schwester sich zum Weib erworben?

 

Ihm versetzte drauf der greise Mesrur:

10

Huldigung dem Oberherrn des Glaubens

Und Geschenke bringend, kam von Cairo

Prinz Alasnam. Galt's ein Roß zu tummeln,

Galt's ein Lied zu dichten für die Laute,

Galt's des Gliederbau's harmonische Fülle

15

Schlank und leicht zu drehn in Reigentänzen,

Kam dem Fremdling Keiner gleich, er glänzte

Wie ein thauiger Morgenstern der Jugend.

 

Eines Abends, als der Fürst des Glaubens,

Um die Schwermut über seiner Söhne

20

Flucht zu mildern, durch die Straßen Bagdads

Mit dem Großwesir verkleidet schweifte,

Ließen ermüdet unter eines Hauses

Hohem Altan, der von Palmen reichlich

Ueberschattet war, sich Beide nieder.

25

Da vernahmen vom Balkon herunter

Zweier Männerstimmen leis Gespräch sie.

Einer sagte: Höre mich, Alasnam,

Meinem Rat gehorche, fleuch von Bagdad!

Im Gewühl der sittenlosen Haubtstadt

30

Suchst du stets umsonst das stets Gesuchte,

Immer trübt sich dein metallener Spiegel,

Welcher nie ein weiblich Bild zurückwarf.

Unvernehmlich blieb des Prinzen Antwort,

Welcher seufzend bald verließ den Altan;

35

Aber Harun ward von Neubegierde

Diese ganze Nacht hindurch gepeinigt.

Als zu grau'n begann der nächste Morgen,

Läßt entbieten er in's Serai den Prinzen,

Offenbart ihm, was des Nachts erlauscht er,

40

Fordernd Auskunft, um Erklärung bittend,

Jener rätselhaften Worte wegen.

 

Voll Bestürzung sah der Prinz zur Erde,

Dann sich fassend, fing er an: Beherrscher

Aller Gläubigen, aller Völker Sultan!

45

Manches Kleinod hinterließ Abdalla,

Mein Erzeuger, mir im alten Cairo:

Unter diesen einen Zauberspiegel,

Dessen wunderbar'n Gebrauch er sterbend

Lehrte mich, wofern ich eine Gattin

50

Wollte wählen aus des Landes Mädchen.

Nur die Unschuld kann in jenem Spiegel

Schau'n sich selbst; nur einer reinen Jungfrau,

Deren Inneres nie geheimer Vorwitz

Nach verbotener Lüsternheit bewegte,

55

Wird das eigene Bild entgegentreten

Aus der Fläche meines goldenen Spiegels:

Jede trübere Seele trübt sogleich ihn,

Und er zeigt ihr, statt bestimmter Formen,

Bloß gestaltlos einen feuchten Anhauch.

60

Laß, Kalif, mich dir's gestehn! So mancher

Jungen Schönheit, sei es hier in Bagdad,

Sei's in Cairo, hielt ich vor den Spiegel:

Jedem Eindruck unempfänglich aber

Blieb verschleiert sein geschliffnes Eirund.

 

65

So beschloß der Prinz. In langes Schweigen

Blieb versunken dein erlauchter Vater,

Endlich sprach er dieses Wort: Alasnam,

Sohn Abdalla's, der geherrscht in Cairo!

Willst du mir auf weniger Tage Frist nur

70

Anvertrauen deinen Zauberspiegel?

 

Diesen knieend überreicht Alasnam

Deinem Vater. Der entließ den Prinzen,

Und zum Fraungemache, halb mit schnellen,

Halb mit bangen Schritten, eilte Harun,

75

Seine Tochter suchend. Diese trifft er

Auf dem Lager noch in süßem Schlummer.

Leis' und nicht aus ihrem Schlaf sie weckend,

Hält den Spiegel er ihr mit Zuversicht zwar

Vor's Gesicht; doch bebten seine Hände.

80

Sieh, und leuchtend warf die goldene Fläche

Stirne, Wang' und Mund und alle Züge

Jenes seelenvollen Angesichtes,

Das du kennst, zurück in höchster Klarheit.

Thränen stürzten aus den Augen Haruns;

85

Lange noch sein theures Kind betrachtend,

Schlich er fort, und väterliche Rührung

Schien im Kampf mit seiner Vaterfreude.

 

Wenige Tage drauf entbot den Prinzen

Abermals zu sich der Fürst des Glaubens.

90

Wiedergebend ihm den Spiegel, sprach er:

Sohn Abdalla's, der geherrscht in Cairo!

Eine jahrelang erprobte Freundschaft

Knüpfte mich an deinen Vater, der mir

Nicht Vasall war, wie so Viele, der mir

95

Kampfgefährte war und Zeltgenosse,

Der die Schlüssel meines Herzens führte.

Untergebne schmeicheln unserm Ehrgeiz,

Unserer Sinnlichkeit geliebte Weiber;

Doch der schönste Ruheplatz der Seele,

100

Außer Gott, ist eines Freundes Busen.

Aber nicht blos deines Vaters wegen

Schenkt' ich meine Gnade dir, Alasnam;

Nein – um deiner selbst, von deines Körpers

Ebenmaß, von deiner Sitten Zauber,

105

Deiner Kunst zu reden hingerissen;

Doch es stellt dich höher noch die Sehnsucht,

Nur das seelenreinste Weib als Gattin

Heimzuführen. Deinen Wunsch gewähr' ich;

Denn ich kann's. Ich habe deinen Spiegel

110

Wohl geprüft; er warf ein Bild zurück mir,

Meines großen Reiches größtes Kleinod;

Doch ich schenk' es dir, o Sohn Abdalla's!

 

Dieses redete dein erlauchter Vater.

Was geschehn, errätst du; nur Alasnam

115

Schien so froh mir nicht zu sein, so dankbar

Als ein solch Geschenk verdient von einem

Solchen Geber. So der greise Mesrur.

 

Aber kaum beschloß er seine Rede,

Als Amin gen Himmel blickt und plötzlich

120

Durch die Lüfte hin den Flügelrappen

Schweben sieht, und allzudeutlich glaubt er

Wahrzunehmen seine Heliodora,

Sammt dem Zauberer, der das Pferd gebildet.

Pfeilgeschwind und kaum dem greisen Mesrur

125

Lebewohl zurufend, jagt er über

Berg und Thalschlucht, über Feld und Haide

Hinter jenem Meteor von dannen.

Nur zu bald verschwand der flüchtige Rappe

Seinem Blick; doch eher nicht beschließt er

130

Umzukehren, bis er Heliodorens

Spur gefunden und die Spur des Räubers,

Sollt' er jagen bis zum fernsten Indien.

 

Schreckensbleich und diese Flucht für Wahnsinn

Haltend, bleibt zurück der greise Mesrur,

135

Zweifelnd, soll er eine solche Heimkehr

Seinem Herrn verhehlen oder melden.

Bald im Zug erschien der edle Harun

Als Kalif mit allen Würdezeichen,

Ihm zunächst sein Großwesir, es ritten

140

Hinter ihm Begleiter und Trabanten.

 

Staunend hört er aus dem Mund des Dieners

Seines Sohns Geschick und schwebet unstät

Zwischen Furcht und Hoffnung. Soll er freu'n sich,

Daß Amin sich eingefunden, soll er,

145

Daß er wiederum verschwand, beklagen?

Aber Mesrur tröstet ihn und läßt ihn

Stund' um Stunde, Tag um Tag den theuren

Sohn erwarten; doch er harrt vergebens.

Als der zehnte Tag herangekommen,

150

Bringt des Mohren pergamentne Tafel

Ihm der Fischer, die der Fürst des Glaubens

Oeffnet, liest, und diese Worte findet:

 

Harun Alraschid, Kalif in Bagdad!

Einer, den in ungerechter Haft du

155

Lange hieltest, sagt ein Lebewohl dir!

Wie den Stolz ich deines Sohns bestrafte,

Mag er selbst verkünden; meine Rache

Gegen dich war Schweigen erst, und jetzo

Seien's Worte. Als es dich zu warnen

160

Zeit gewesen, warnt' ich nicht, ich warn

Jetzt, da fruchtlos wurde jede Warnung.

Wisse, daß ich einst im Land Egypten

Deinen Eidam wohlgekannt, an seinem

Hof als Gastfreund manchen Tag verlebte.

165

Höre nun, Kalif, die lautere Wahrheit,

Wem du deine Tochter gabst, vernimm es!

Manches Kleinod hinterließ Abdalla,

Sein Erzeuger, ihm in der Todesstunde:

Sohn Alasnam, sprach der Greis, ich gebe

170

Dir die Schlüssel meines Schatzes, nutz' ihn

Dir zum Trost und Andern; doch bezähme

Deines flüchtigen Sinns Verschwenderlaune!

Aber sollte dir ein böser Zufall

Mangel je bereiten, höre, wie du

175

Dich befrei'n kannst aus dem Netz des Uebels!

Wo der siebenarmige Nil sich mündet,

Tritt ein Eiland aus dem Schooß der Welle,

Das dem Volke heißt die Geisterinsel.

Dort, in einer Höhle haust ein Derwisch,

180

Hundertjährig, ausgeschmückt mit jeder

Wissenschaft, in jeder Kunst erfahren,

Den ich ehmals meinen Lehrer nannte.

Diesen suche, diesem Greis vertraue

Deine Not an und erwarte Hülfe.

 

185

Also sprach und dann verschied Abdalla;

Doch Alasnam, der sich unbeschränkter

Herrscher sah, ließ seiner Leidenschaften

Zügel schießen, jedem Pomp und Aufwand

Zugethan. Palläste ließ er thürmen,

190

Brücken schlagen und Moscheen vergolden;

Wo er ging, umgab ein namenloses

Heer von Dienern ihn, Eunuchen ritten

Auf arabischen Rossen, schöne Weiber

Zogen hinter ihm in Purpursänften.

195

Wie ein Sämann Körner streut, verstreute

Seine Hand den Dürftigen Gold und Silber.

Gegen Freunde kannt' er keine Gränzen:

Was dem Einen wohlgefiel, dem Andern

Wünschenswert schien, Alles gab Alasnam!

200

Kam ein Spielmann, kam ein fremder Dichter,

Sein Serai besuchend, wog er ihnen

Jedes Wort mit Perlen auf, und jeden

Weichen Flötenton mit Edelsteinen:

So versiechte bald der Schatz Abdalla's.

205

Bald, den Nil auf einer Gondel abwärts

Zog der Prinz, nach jenem alten Derwisch,

Nach der stillen Geisterinsel fragend.

Mild empfing der edle Greis den Jüngling.

Dieser klagt ihm sein Geschick, der Derwisch,

210

Bei der Hand ihn fassend, gab zur Antwort:

Sohn Abdalla's, der geherrscht in Cairo!

Nicht ich selbst besitze Gold und Güter:

Alles, was ich widmen kann den Erben,

Ist ein Krug, ein Alcoran und diese

215

Betkorallen. Thätig unter Menschen

Lebt' ich ehmals; aber mein Gedanke

Wuchs in mir von Jahr zu Jahr, bis endlich

Dieser Schatz mir ganz allein genügte.

Aber dennoch hoff' ich, Prinz Alasnam,

220

Dich zu retten. Meine Wissenschaft hat

Mit dämonischen Wesen eng verknüpft mich,

Welche tief im Erdengrund des Reichthums

Wächter sind. Du siehst die Pyramide,

Welche dort sich aus dem Sand emporhebt:

225

Wenigen Menschen ward's vergönnt, in ihren

Schlund hinabzusteigen, der des hohen

Geisterköniges unterirdischer Sitz ist.

Ihn erblickt kein sterblich Auge, seine

Stimme tönt jedoch dem weisen Forscher.

230

Deinethalb befragt' ich ihn, das Leben,

Das du führtest, blieb mir kein Geheimniß.

Dein Besuch, noch ehe du mein gedachtest,

Schwebte mir im Geiste vor, und ehe

Her du kamst, um Hülfe heischend, half ich.

235

Diesen Schlüssel nimm, o Sohn Abdalla's,

Denn er öffnet jene Pyramide.

Steig hinab, und wenn in einem großen

Saal du anlangst, dessen gläserne Wände

Tausendfach dein eigenes Selbst verdoppeln,

240

Wirst du finden sechs metallne Bilder

Aus massivem Gold, Juwelenkronen

Auf dem Haubt und diamantene Zepter

Jede haltend. Diese magst du laden

Auf ein Schiff und gegen Cairo führen;

245

Denn sie sind dein Eigenthum, und willig

Ueberläßt sie dir der Geisterkönig.

Aber höre, was er mild hinzufügt!

Noch ein siebentes Bild besitzt in seinem

Schatzgewölb' er, ein unschätzbar Kleinod,

250

Das allein, wiewohl ein einziges, höhern,

Millionenmale höhern Werts ist,

Als die sechs genannten. Jenes Bildniß

Bietet gern dir an der Geisterkönig;

Doch bedingnißweise nur, du mußt ihm

255

Einen Dienst erzeigen. Höre, welchen!

Eine Jungfrau, welche sechzehn Sommer

Ueberschritten hat, jedoch in höchster

Herzensunschuld keines bösen Triebs sich

Je bewußt war, eine solche mußt du

260

Als ein Opfer für den Geisterkönig

Meinen Händen überliefern! Nimm hier

Diesen Spiegel! Nur der reinen Jungfrau,

Deren Innres nie geheimer Vorwitz

Nach verbotener Lüsternheit bewegte,

265

Wird ein Bild aus ihm entgegentreten;

Jede trübere Seele trübt sogleich ihn.

Draus vermagst du, die du suchst, zu kennen;

Aber willst du, solch ein Weib zu suchen

Dich entschließen, mußt du erst in meine

270

Hände schwören einen heiligen Eidschwur,

Nie die Aufgefundene selbst mit weltlich

Frechem Sinn zu berühren, nein – als Opfer

Jene widmend für den Geisterkönig,

Mir hieher sie zu führen, Sohn Abdalla's!

 

275

So der Derwisch. Was darauf erfolgte,

Leicht errätst du das, o Fürst des Glaubens!

Jene sechs Bildsäulen schleppt Alasnam

Gegen Cairo, nach der siebenten aber

Ward er mehr von Tag zu Tag begierig;

280

Denn sie schien auf ewige Zeiten jedes

Mangels ihn zu überheben. Seinen

Wunderspiegel fängt er an zu prüfen,

Leistend erst den begehrten Schwur dem Derwisch.

Was geschehn, Kalif, du weißt es besser,

285

Als ich selbst. Dein eigenes Kind, Amine,

Die du mir versagtest, hast du jenem

Abenteuerer gläubig aufgedrungen.

Wenn du liesest diese Zeilen, ist sie

Heimgefallen schon dem Geisterkönig.

290

Lebe wohl, Kalif! Verbiete künftig

Deinen Schmeichlern, dich das Bild der Weisheit,

Dich den Vater alles Glücks zu nennen!

 

So des Mohren Brief. Der gute Harun

Steht zerschmettert, todesblaß; Verzweiflung

295

Hebt das edle Gleichgewicht der Seele

Stürmisch auf, und jammernd ruft er also:

Harun Alraschid, du bist am Ziele

Deines Lebens, deiner stolzen Laufbahn,

Die so schön begann, so schrecklich endet.

300

Ehedem an diesem Busen ruhte

Mein Amin und neben Assur Assad:

Diese flohn, Amine blieb, und thöricht

Stürzt' ich auch die Tochter in's Verderben!

Meine Throne stehen leer, ich steige

305

Selbst herunter, ich zerreiße diesen

Blutigen Purpur! Wem darnach gelüstet,

Nehm' ein Stück sich hin! Für ewige Tage

Mög' aus Bagdad fliehn Gesang und Freude!

Brecht entzwei die Flöten, und in Trümmer

310

Schlagt den schöngewölbten Bau der Laute!

Jeder Ton verstumme! Schweigende Nacht nur

Lehre mich, in's eigene Grab zu blicken!

 

So der Fürst. Und augenblicklich schickt er

Seinen Großwesir mit einem Heere

315

Nach Egypten, um zu retten, wäre

Rettung möglich, oder um zu strafen.

 

Doch Alasnam, der die schönste Beute

Trug von hinnen, fühlte tief im Busen

Größern Schmerz noch, als der Schmerz des Harun,

320

Halb von Reue, halb verzehrt von Liebe,

Durch des Mädchens holden Reiz. In Thränen

Schwamm der ehedem so heitere Jüngling.

Aber hoffend, daß der kluge Derwisch

Ihn und seine Braut beschützen werde,

325

Bringt den Raub er nach der Geisterinsel.

Knieend fleht den Greis er an, die Holde

Nicht zu weihn dem unterirdischen Dämon,

Gern verzichtend auf das letzte Kleinod.

Ihm versetzte drauf der alte Derwisch:

330

Was du wolltest, ist geschehn. Am zweiten

Morgen wirst du jenes siebente Bildniß

Tief im Schlund der Pyramide finden.

Uebergib indeß die Tochter Haruns

Ihrem Schicksal; denn du hast geschworen!