BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Dorothea Schlegel

1763 - 1839

 

Florentin

 

1801

 

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[60]

Fünftes Kapitel.

 

Gräfin Clementine hatte eine junge Anverwandte bey sich. Diese kam, und machte Julianen einen Besuch, indem sie zugleich einen mündlichen Auftrag der Gräfin Clementina an Julianens Eltern ausrichtete mit der Bitte, die Vermählung noch einige Wochen aufzuschieben, weil sie in diesen nächsten Tagen abgehalten würde, zugegen zu seyn, wie sie es doch sehr wünschte. Sollte der Tag aber schon unwiederruflich festgesetzt seyn, und es bey der ersten Verabredung bleiben müssen, so wäre sie genöthigt diesen Wunsch aufzugeben. Doch ersuchte sie ihren Bruder und Eleonoren, wenigstens noch einen Brief von ihr [61] abzuwarten; sie hätte ihnen noch einiges zu sagen, wäre aber durchaus in diesem Augenblick nicht im Stande zu schreiben; doch sollte es in den nächsten Tagen geschehen. Eduard war nicht leicht zum Aufschub zu bewegen, seine Ungeduld, die schöne Juliane ganz die seinige zu nennen, wuchs mit jedem Tage, und seitdem er Florentin kannte, schien sie den höchsten Punkt erreicht zu haben. Doch mußte er es sich aus Achtung für die Gräfin Clementina gefallen lassen. Betty eilte zurück, so bald sie sich ihres Auftrags entledigt hatte.

Ein Brief, den Juliane folgenden Tag an ihre Tante schrieb, ist ein Beweis, wie interessant Florentin der ganzen Familie schon geworden war.

 

Juliane an Clementina.

 

Jetzt verdient Betty nicht mehr von Ihnen bestraft zu werden, wegen ihrer zu großen Leidenschaft für das Tanzen; sie ist vielmehr [62] zu unser aller Verwunderung bis zum Kaltsinn mäßig darin geworden. Alles unsers Bittens und Zuredens ungeachtet, wollte sie durchaus nicht länger bey uns verweilen, als sie es Ihnen zugesagt hatte, ob wir gleich noch denselben Abend einen recht brillanten Ball hatten. Der Vater erbot sich, Ihnen einen Boten zu Pferde zu schicken, um Sie nicht in Unruhe ihrentwegen zu lassen; aber sie war nicht zurück zu halten. Alle Ihre Aufträge waren ausgerichtet, sie sah mit großer Gemüthsruhe die glänzende Gesellschaft sich versammeln, ja, sie wagte es sogar den Anfang des Balls abzuwarten; und indem sie mit Eduard den Saal einmal auf und nieder walzt, winkt sie uns allen im Vorbeyfliegen zu, und so fort aus der Thür in den Wagen, so hastig, daß Eduard mit noch einigen Herrn ihr kaum folgen konnten. Kaum daß wir ihr noch einen Gruß für die Tante nachriefen.

So geht es uns allen, theure Clementina! wenn wir zu Ihnen sollen, was [63] könnte uns zurückhalten? Keiner fühlt das wohl mehr als Ihre Juliane, ich habe Betty mehr beneidet als bewundert. – Das war nun alles recht hübsch von dem Mädchen; aber die Arge, was hat sie Ihnen für loses Zeug erzählt! was meynte sie mit ihren Eroberungen? und dem sonderbaren Fremden, der den Meister über uns macht, dem wir alle auf eine so lächerliche Weise ergeben sind, weil wir uns einbilden ihm Dankbarkeit schuldig zu seyn! Und ich, die ich diesen Vorwand so gern nehmen soll, um ihm ganz unbefangen mit Auszeichnung begegnen zu dürfen! – Alles dieses hat sie Ihnen wirklich erzählt? – Gut, daß Sie ihren boshaften Erzählungen nicht so unbedingt Glauben beymessen, daß Sie Sich selbst an Ihr Kind wenden, um die Wahrheit zu erfahren. Liebe Tante, sehen Sie doch einmal dem bösen leichtfertigen Mädchen scharf in die Augen, wenn sie wieder dergleichen vorbringt. Allerdings sind wir dem Fremden Dank schuldig! Ist meine Clementina [64] nicht auch der Meynung? Wenn es ihm selbst wohl geziemt, den wichtigen Dienst, den er uns geleistet, dem Zufall zuzuschreiben, so würde es sich von uns nicht ziemen, es eben so anzusehen, und seinen Muth, mit dem er das Leben unsers Vaters gerettet hat, zu vergessen.

Und warum gesteht Ihnen denn Betty nicht, daß der Fremde sich recht geschäftig um sie gezeigt, und daß sie seine Aufmerksamkeiten recht wohlgefällig und artig annahm? – Ich hielt sogar die Festigkeit, mit der sie sich losriß und fort eilte, für ein Opfer, das sie ihrem eifersüchtigen brauseköpfigen Walter brächte, und habe ihr im Herzen deswegen wohlgewollt. – Belohnt sie so meine gute Meynung? böse Betty! Wenn sie Ihnen nicht abbittet, liebe Tante, und Ihnen gesteht, daß sie ihre Freude daran hat, Unfug zu treiben, so werde ich sie bey Herrn von Walter verklagen; er traut mir! –

Von dem Fremden, von diesem Florentin [65] sollte ich Ihnen also erzählen? Es ist wahr liebe Tante, daß er uns allen werth geworden ist. Er macht jetzt das Leben und die Seele der Gesellschaft aus. Mit dem sonderbarsten, oft zurückstoßenden Wesen weiß er es doch jedem recht zu machen, und zieht jedes Herz an sich, ohne sich viel darum zu bekümmern. Es hilft nichts, wenn man auch seinen ganzen Stolz dagegen setzt, man wird auf irgend eine Weise doch sein eigen. Oft ist es recht ärgerlich, daß man nicht widerstehen kann, da er selber nicht festzuhalten ist. Einmal scheint es, als verbände er mit den Worten noch einen andern Sinn, als den sie haben sollen; ein andermal macht er zu den schmeichelhaftesten Dingen, die ihm gesagt werden, ein gleichgültiges Gesicht, als müßte es eben nicht anders seyn; dann freut ihn ganz wider Vermuthen einmal ein absichtsloses Wort, das von ungefähr gesprochen wird; da weiß er immer einen ganz eignen Sinn, ich weiß nicht, ob hinein zu legen, oder heraus zu [66] bringen. Uns ist dieses sonderbare Spiel sehr erfreulich, da wir ihn näher kennen, und besser verstehen. Sie können aber denken, wie er oft in Gesellschaft Anstoß damit giebt; doch versteht er sich recht gut darauf, ein solches Aergerniß nicht zu groß werden zu lassen; er macht bald alles wieder gut. Wir begreifen eigentlich nicht, wie es ihm möglich ist, diese Fröhlichkeit und gute Laune immer um uns zu erhalten, da er selbst doch nicht froh ist. Ich und Eduard, wir sind oft allein mit ihm, und da haben wir es deutlich genug merken können, daß ihn irgend ein Kummer drückt. Der Vater machte ihm neulich den Vorwurf er wäre zu wenig ernst, und nähme oft die Dinge zu scherzhaft. Florentin ließ es über sich hingehn. Eduard meynte aber, und sagte es mir allein: der Ernst in ihm wäre vielmehr zu ernst und zu tief, als daß er ihn in der Gesellschaft anwenden könnte; und da er nie sich so gegen den Scherz versündigte, daß er ihn ernsthaft nähme, so käme es ihm zu, auch wohl einmal [67] den Ernst scherzhaft zu finden. Am besten findet sich Eduard in ihn, sie sind Freunde geworden, und man sieht jetzt einen nicht ohne den andern. So interessant er auch ist, so glauben Sie mir nur, liebe Tante, Eduard verliert gar nicht gegen ihn, er kömmt mir vielmehr neben seinem Freunde noch liebenswürdiger vor. Ich weiß gewiß, ich könnte diesen nicht so lieben, wie ich Eduard liebe. Er gefällt auch dem Vater sehr wohl, der ihn so viel als möglich um sich zu haben sucht. Er mag seine Einfälle und seine seltsamen Wendungen gern, so sehr er auch sonst gegen jedes auffallende, neue oder sonderbare spricht. An Florentin liebt er es, und vertheidigt ihn gegen jede Anklage. Sogar das Geheimnißvolle, das über seinem Namen und seiner Herkunft schwebt, achtet er, zu unserm Erstaunen. Noch heute war die Rede davon, ihn einem Manne vorzustellen, den er zu sprechen wünschte. Von Florentin? fragte der Vater. Wir erwarteten alle seine Antwort. Wenn es durchaus [68] mit meinem Namen allein nicht genug ist, sagte er, so setzen Sie Baron hinzu, das bezeichnet wenigstens ursprünglich, was ich zu seyn wünschte, nehmlich ein Mann. Der Vater ließ es sich wirklich so gefallen. –

Sogar Thereschen hat er ganz für sich gewonnen. Sie weiß nichts bessers, als sich von Florentin etwas vorsingen zu lassen, oder ihn zeichnen zu sehen, sie vergißt Spiel und Alles, wenn sie nur bey ihm seyn darf. Sie kennen ihre heftige Art sich an etwas zu hängen. – Mit den Knaben reitet er viel, und kann sich mit ihnen balgen und lermen und Festungen erobern, die sie zusammen bauen, bis sie ganz ausser sich gerathen, und er mit ihnen. – Dem Mütterchen bleibt aber der Kopf ruhig, wenn er uns auch allen verdreht wird; nicht ein einziges Mal ist es ihm doch gelungen sie irre zu machen, wiewohl er es oft darauf anlegte; sie lächelt, und ist freundlich und liebreich gegen ihn, aber Gewalt hat er gar nicht über sie, er fühlt es: Mutter ist auch die einzige, vor [69] der er gehörigen Respekt hat. Mit uns Andern schaltet er nach Belieben; wenn ich recht aufgebracht bin, und ihm stolz begegne, so ist er im Stande, gar nicht einmal darauf zu merken. –

So schön hat ihn Betty gefunden? So schön als Eduard ist er auf keinen Fall, das meynt auch die Mutter, er ist auch nicht so groß und herrlich als Eduard; aber sein Bau ist fein, schlank, und dennoch kräftig. Er hat eine edle Physionomie, und überhaupt etwas interessantes; sein Anstand ist frey und kunstlos, manchmal sogar trotzig. Was ihn auszeichnet, ist ein gewisses, beynah verachtendes, Lächeln, das ihm um den Mund schwebt; aber der Mund ist doch hübsch, so wie auch sein Auge, das gewöhnlich fast ganz ohne Bedeutung, still und farblos, vor sich hin schaut, das aber helle Funken sprüht bey einem Gespräch, das ihn interessirt, es wird dann sichtbar größer und dunkler. Er hat eine schöne helle Stirn, und es kleidet ihn gut, wenn er, wie er oft [70] thut, sich die dunkelbraunen Locken, die tief darüber her fallen, mit der Hand zurückstreicht, oder wenn sie vom Wind gehoben werden. Die Mutter findet, er hätte etwas altritterliches, besonders wenn er ernsthaft aussieht, oder unvermuthet in ein Zimmer tritt, sie müßte sich ihn immer mit einer blanken Rüstung und einem Helm denken. Therese hat viel mit Auffinden von entfernten Aehnlichkeiten und mit den alten Bildern zu schaffen, und behauptet er sähe dem Gemählde vom Pilgrim ähnlich, das in der Mutter Zimmer hängt. Sie ruhte nicht eher, bis ich es mir von ihr zeigen ließ, und sie hat wirklich Recht; es ist eine entfernte Aehnlichkeit.

Ich fürchte, Sie werden, trotz meiner umständlichen Beschreibung, doch kein richtiges Bild von ihm haben.

Sie sehen aber, liebe Tante, wie gern ich Ihnen alles lieber mit der größten Umständlichkeit berichte, damit Sie nur nicht verläumderischen Nachrichten Glauben beymessen [71] dürfen, und dann mit vorgefaßten Meynungen, die uns nachtheilig sind, herkommen. Sie haben noch keinen Tag festgesetzt, an dem wir Sie sehen sollen. Mit welcher Ungeduld erwarte ich Sie, meine verehrte, liebe Freundin!

Ich hätte Ihnen gern erzählt, welches fröhliche Leben wir leben, und welche Dinge wir unter Florentins Anleitung ausführen. Aber heute, und in den nächsten Tagen, kann ich nicht daran denken. Es wird mir wenig Zeit zum schreiben gelassen. Kommen Sie bald, und nehmen Sie Theil, und erhöhen Sie unsre Fröhlichkeit durch Ihre Gegenwart. Ich hoffe heute noch, oder doch morgen einen Brief von meiner gütigen Freundin zu erhalten, mit der bestimmten Nachricht Ihrer Abreise. Leben Sie wohl, lieben Sie Ihre Juliane.

 

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