BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Dorothea Schlegel

1763 - 1839

 

Die Geschichte des Zauberers Merlin

 

1804

 

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[3]

Erstes Kapitel.

 

 

Der böse Feind war sehr ergrimmt und voller Zorn, als unser Heiland Jesus Christus zur Hölle hinabgestiegen war, und Adam und Eva daraus erlöste, sammt allen, die mit ihnen in der Hölle waren. Wer ist dieser Mensch, sagten die Teufel voller Furcht und Schrecken, welcher die Pforten der Hölle zerbricht, und dessen Macht wir nicht widerstehen können? Hätten wir doch niemals geglaubt, daß ein Mensch vom Weibe geboren, nicht uns angehören sollte, und dieser da zerstört unser Reich. Ey wie kommt es wohl, daß er geboren werden können, ohne daß wir ihn versündigten, so wie es den andern Menschen geschieht? Da antwortete ein andrer und sprach: er ist ohne Fehl, ohne Verderbniß [4] und ohne Gebrechen geboren, und nicht aus des Mannes Samen, sondern nach dem Willen Gottes durch seinen heiligen Geist in Jungfrauen Leibe. Darum wäre es wohl gut, wenn wir Mittel finden möchten, gleichfalls einen Leib in einem Weibe zu bilden, der nach unserm Ebenbilde geformt sey, der nach unserm Willen thäte, und alle geschehene Dinge, und alles was geschieht und gesprochen wird, wüßte so wie wir; ein solcher könnte uns von großem Nutzen und von großer Hülfe in unsern Thaten seyn. Denn wir müssen darauf denken, wie wir wieder gewinnen mögen, was der Welterlöser uns raubte. Da waren alle Teufel einstimmig und riefen: Ja laßt uns Mittel finden, wie einer von uns einen solchen Menschen durch das Weib erzeugen möge. Da rief einer von ihnen: Ich habe Gewalt über ein Weib, so daß sie mir gehorcht, und vieles thut was ich will; auch habe ich die Macht, die Gestalt des Menschen anzunehmen; dieß Weib nun, über welche ich Gewalt habe, soll mir sicherlich [5] Mittel verschaffen, einen Menschen mit einer Jungfrau zu erzeugen. Es ward also unter ihnen beschlossen, daß dieser gehen sollte das Werk auszuführen; aber sie trugen ihm vorher noch auf, daß er ja sorgen solle, daß der Mensch, den er erzeuge, ihnen ähnlich werde und nach ihrem Willen handle.

Der Rath des Satans ging wieder auseinander, nachdem sie dieß Werk verabredet hatten; der Abgesandte aber eilte, und versäumte keine Zeit, um zu dem Weibe zu kommen, über welches er Gewalt hatte.

Es war dieß Weib die Frau eines sehr reichen Mannes, der viele Güter besaß, viel Vieh, und andere Schätze, von denen manches zu erzählen wäre; er hatte auch mit dieser Frau drey Töchter und einen Sohn.

Satan fand das Weib ganz bereit, alles zu thun was er verlangte, denn wo Gott viel thut für den Menschen, da vergißt der Böse, der nur den Menschen zu betrügen sucht, sicher seinen Antheil nicht. Er fragte also das Weib, ob es ein Mittel gäbe, ihren Mann zu [6] betrügen, oder denselben in des Satans Gewalt zu geben. Das Weib antwortete, das könnte nur geschehen, wenn er ihn erzürnte und betrübte. Sie rieth ihm dazu, daß er hinginge und einen Theil seines Viehs umbrächte. Das that auch der Teufel sogleich. Da die Hirten die Hälfte der Heerden erschlagen sahen, liefen sie zu ihrem Herrn und sagten es ihm an, worüber er sehr erschrack. Als der Böse merkte, daß er schon um die Hälfte seiner Heerden so erschrack, ging er in den Stall und tödtete zehn der besten Pferde in einer Nacht. Als der reiche Mann das erfuhr, fehlte wenig, daß er nicht rasend ward; er schrie und tobte, und rief: da der Teufel schon so viel geholt habe, gäbe er ihm das übrige alles dazu. Als Satan dieß hörte, war er sehr erfreut und nahm auch alles übrige hin. Der Mann, der auf einmal sich aller Schätze beraubt sah, betrübte sich so darüber, daß er ganz schwermüthig ward, sich ganz von allen den Seinigen entfernt hielt, sich nicht um sie kümmerte und sie nicht um sich leiden mochte, sondern beständig einsam lebte. [7] Der Teufel, der ihn nun so die Menschen hassen sah und wie er alle Gesellschaft floh, war jetzt gewiß, alle Gewalt über ihn zu haben, und in seinem Hause schalten und walten zu können. Er ging auch sogleich hin und erwürgte des guten Mannes einzigen schönen Sohn. Darüber wollte der Vater vor Herzeleid und Betrübniß ganz vergehen. Der Teufel ging darauf zur Frau, die er ganz allein fand, und versuchte sie dergestalt mit der Vorstellung ihres Unglücks, daß sie einen Strick nahm und sich daran aufhing. Bald darauf starb der gute Mann, aus Gram über den schrecklichen Tod seiner Frau und seines Sohns.

Nachdem der Böse dieß vollbracht hatte, überlegte er, wie er die Jungfrauen, die jungen Töchter dieses reichen Mannes in seine Gewalt bekommen möchte; um sie zu betrügen, mußte er erst sich ihnen gefällig bezeigen. Er holte also einen schönen Jüngling, den er schon längst in seiner Gewalt hatte, und brachte ihn zu den Jungfrauen. Der Jüngling [8] brachte es so weit mit lieblichen Reden, mit Hin- und Wiedergehen, bis die eine der Jungfrauen sich in ihn verliebte, worüber Satan sehr vergnügt war, seinen Anschlag so gelingen zu sehen. Nun ruhte er auch nicht eher, sie mußte dem Jüngling ganz zu eigen werden. Dann ging er hin und entdeckte es der ganzen Welt, damit die Jungfrau zu Schanden werden mußte; denn damals war das Gesetz so, daß, wenn ein Mädchen, das kein öffentliches war, des Umgangs mit einem Manne überwiesen ward, so mußte es sterben. Satan also durch seinen Verrath brachte es dahin, daß die Richter es erfuhren. Der Jüngling entfloh, und die Jungfrau ward vor Gericht geführt. Die Richter hatten großes Mitleiden mit ihr um ihres Vaters willen, der ein sehr braver Mann gewesen war. Wunder! sagten die Richter, wie konnte dem armen Mädchen solches Leid wiederfahren, es ist ja noch gar nicht lange her, daß ihr Vater, der frömmste Mann im Lande, starb. Sie ward verurtheilt, und lebendig begraben, aber aus Achtung für [9] ihre Anverwandte geschah es in der Nacht, um das Aufsehen zu vermeiden.

So geht es denjenigen, die sich dem Satan einmal ergeben.

 

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